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Montag, 29 November 2021 09:21

Hersteller werden zu Dienstleistern

von Redaktion
Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten
In Zukunft müssen Schreinereien und Möbelfabrikanten keine Kehlmaschinen mehr kaufen. Stattdessen bleibt die Maschine Eigentum des Herstellers und sie bezahlen monatlich für die Nutzung. In Zukunft müssen Schreinereien und Möbelfabrikanten keine Kehlmaschinen mehr kaufen. Stattdessen bleibt die Maschine Eigentum des Herstellers und sie bezahlen monatlich für die Nutzung. © Michael Weinig AG

Man muss eine Maschine nicht kaufen, um sie nutzen zu können: Die Digitalisierung macht neue Geschäftsmodelle möglich, die auf dem automatisierten Austausch von Daten basieren. Welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit diese Geschäftsmodelle wirtschaftlich und technisch umsetzbar sind, klären Fachleute aus Wissenschaft und Industrie im Großforschungsprojekt »X-Forge«.

Die Digitalisierung hat nicht nur die Art und Weise verändert, wie produzierende Unternehmen ihre Ware herstellen. Auch die Geschäftsbeziehungen, die Unternehmen untereinander eingehen, haben sich im Zuge der vierten industriellen Revolution gewandelt. Aus der starren Wertschöpfungskette ist ein flexibles Wertschöpfungsnetzwerk geworden, das keine festen Abläufe mehr kennt und dessen Akteure ständig wechseln. Dieses komplexe Zusammenspiel erinnert an ein natürliches Ökosystem aus Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen, weshalb Fachleute ein Wertschöpfungsnetzwerk auch als Digitales Ökosystem bezeichnen.

Am Laufen gehalten wird so ein Digitales Ökosystem vom automatisierten Austausch von Daten zwischen allen Akteuren. Und dieser ständige Austausch ermöglicht neue, datenbasierte Geschäftsmodelle, in denen Hersteller nicht nur zu Dienstleistern werden, sondern auch alle Prozesse in einer Werkhalle als einzelne Services verstanden werden können: Everything as a Service (XaaS). Im Großforschungsprojekt X-Forge untersuchen nun Fachleute aus Forschung und Industrie einige dieser neuen Geschäftsmodelle und klären, welche Daten dafür erhoben und ausgetauscht werden müssen und wie dieser Datentransfer technisch umsetzbar ist.

X-Forge ist in vier Konsortialprojekte untergliedert. An allen ist das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA beteiligt:

Wenn die Hobelmaschine eine Rechnung schickt

Die Holzbearbeitungsbranche besteht in Baden-Württemberg überwiegend aus kleinen und mittelständischen Familienunternehmen. Die hohen Anschaffungskosten für neuartige Hightech-Maschinen können sie oft nur mit großer Mühe stemmen. Also pflegen sie lieber den bestehenden Maschinenpark, zögern Investitionen über Jahre hinaus und drohen gegenüber den Wettbewerbern ins Hintertreffen zu geraten. Ein möglicher Ausweg: Pay per Use. Die Holzbearbeitungsmaschinen bleiben Eigentum des Herstellers, Schreinereien und Möbelfabriken bezahlen monatlich für die Nutzung.

Wie ein solches nutzungsbasiertes Geschäftsmodell ausgestaltet sein muss, damit es für Hersteller und Anwender gleichermaßen attraktiv ist, untersuchen Forscherinnen und Forscher um Oliver Schöllhammer, Leiter der Abteilung Unternehmensstrategie und -entwicklung am Fraunhofer IPA, derzeit im Konsortialprojekt »Wood Working as a Service« (WOODaaS). Die zentrale Frage dabei: Was wird am Monatsende abgerechnet und wie laufen Rechnungsstellung und Bezahlung ab? Um das zu klären, müssen Schöllhammer und sein Team in Erfahrung bringen, ob die Daten, die die Sensoren bestehender Hobel- und Kehlmaschinen generieren, für das neue Geschäftsmodell ausreichend sind und welche vielleicht zusätzlich noch erhoben werden müssen. Am Ende sollen Rechnungen, Bezahl- und Wartungsvorgänge automatisiert ausgelöst werden.

An dem Konsortialprojekt sind neben dem Fraunhofer IPA auch der Maschinenbauer Michael Weinig AG aus Tauberbischofsheim (Konsortialführer), das Ingenieurbüro Roth GmbH & Co. KG aus Billigheim und die Hogra-Holz GmbH aus Limbach im Neckar-Odenwald-Kreis beteiligt. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg fördert WOODaaS mit knapp 2,3 Millionen Euro aus dem Förderprogramm InvestBW.

Die Zerspanungsmaschine, die sich selbst konfiguriert

Lohnfertiger und Zulieferbetriebe mit metallischer Bearbeitung stehen im internationalen Wettbewerb unter massivem Preisdruck. Ihre Zerspanungsmaschinen müssen sie deshalb effektiv nutzen, also möglichst rund um die Uhr, mit durchgängig hoher Prozess- und Fertigungsqualität und auch bei Kleinserien und Einzelstücken zu niedrigen Kosten. Möglich werden soll das auch hier durch ein nutzungsbasiertes Geschäftsmodell: Künftig sollen Lohnfertiger und Zulieferer keine teuren Maschinen mehr anschaffen müssen. Stattdessen bezahlen sie ein Paket aus Werkzeugmaschine, Zerspanungswerkzeug und IT-Diensten.

Letztere sollen neben automatisiert ausgelösten Bezahl- und Wartungsvorgängen auch aus intelligenten Algorithmen bestehen, die selbstständig in den Zerspanprozess eingreifen und die Prozessparameter im laufenden Betrieb verbessern. Übermäßiger Verschleiß und Schäden an Bauteilen sollen so vermieden werden. »Zerspanungsmechaniker müssen sich dann nicht mehr mit Einstellungen an der Maschine herumschlagen und auch keine externen Dienstleister mehr beauftragen, die ihnen ihre Produktionsprozesse optimieren«, sagt Wissenschaftler Schöllhammer vom Fraunhofer IPA. Schaffen wollen Schöllhammer und sein Team das, indem sie die Prozess- und Produktionsdaten, die bisher noch getrennt vorliegen, vereinen und einem selbstlernenden Algorithmus zugänglich machen.

An dem Konsortialprojekt »Productivity as a Service« (PRODaaS) sind neben dem Fraunhofer IPA auch die Karl Walter Formen- und Kokillenbau GmbH & Co. KG aus Göppingen, der Sensorhersteller Blum-Novotest GmbH aus Grünkraut im Kreis Ravensburg, der Maschinenbauer F. Zimmermann GmbH aus Neuhausen auf den Fildern, der Werkzeughersteller MAPAL Dr. Kress KG (Konsortialführer) und der Plattformanbieter c-Com GmbH (beide aus Aalen) beteiligt. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg fördert PRODaaS mit rund drei Millionen Euro aus dem Förderprogramm InvestBW.

Das Antriebssystem, das Tipps zur besseren Produktqualität gibt

Für die meisten Unternehmen wird es immer schwerer Optimierungspotenziale für die eigenen Produkte oder Herstellungsprozesse zu erkennen und umzusetzen. Doch dank der Digitalisierung entstehen immer neue Ansätze, mit denen weitere Optimierungen realisiert werden können. So wollen Paul Thieme und seine Kolleginnen und Kollegen vom Kompetenzzentrum DigITools am Fraunhofer IPA im Konsortialprojekt »Product Life Cycle Enrichment as a Service« (PLCEaaS) alle Daten, die während des gesamten Produktlebenszyklus eines Antriebssystems von der WITTENSTEIN SE anfallen, an zentraler Stelle sammeln und zugänglich machen.

Diese zentrale Stelle ist eine sogenannte Verwaltungsschale, die wie eine digitale Akte alle relevanten Daten sortiert aufbewahrt – angefangen bei der Produktion der Einzelteile, über die Montage und Auslieferung des fertigen Antriebssystems bis zur Nutzungsphase mit all ihren Störungen, Stillständen Schadenfällen, Reparatur- und Wartungsvorgängen. Mittels eines einfach zu bedienenden Analytik-Werkzeugkastens können diese Daten aufbereitet und ausgewertet werden. »Mit diesem Ansatz lässt sich weit mehr als nur Predictive Maintenance verwirklichen«, sagt Thieme. »Er liefert auch Hinweise, wie sich das Antriebssystem ressourcenschonender einsetzen lässt und offenbart dem Hersteller, wie er die Produktqualität weiter steigern könnte.«

Am Konsortialprojekt PLCEaaS sind neben dem Fraunhofer IPA und der WITTENSTEIN SE aus Igersheim (Konsortialführer) auch die ASCon Systems Holding GmbH sowie die TruPhysics GmbH (beide aus Stuttgart) beteiligt. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg fördert PLCEaaS mit rund zwei Millionen Euro aus dem Förderprogramm InvestBW.

Eine Fabrikhalle voller Services

Noch einen Schritt weiter gehen die Projektpartner im Konsortialprojekt »Smart Factory as a Service« (FABaaS). Es wird nicht der Betrieb einer einzelnen Maschine oder der Lebenszyklus eines bestimmten Produkts zu einem nutzungsbasierten Geschäftsmodell weiterentwickelt, sondern der gesamte Ende-zu-Ende-Prozess in einem produzierenden Unternehmen – von der Bestellung über die Fertigung bis zur Auslieferung und Bezahlung. »Dass man Vertrieb, Logistik oder Zahlungsabwicklung in die Hände von externen Dienstleistern legt, ist seit Langem gelebte Praxis«, erläutert Anja Reuter vom Kompetenzzentrum DigITools am Fraunhofer IPA. »Aber dass alles, was in einer Werkhalle geschieht, in einzelne buchbare Services externer Anbieter aufgeteilt wird, ist ein neuer Ansatz für die Produktion, der durch die Digitalisierung überhaupt erst möglich wird.«

Aber bis zu welchem Punkt ist eine solche Produktion aus wohlorchestrierten Dienstleistungen für alle Beteiligten profitabel? Welche Daten müssen dafür erhoben und untereinander ausgetauscht werden? Welche Daten dürfen überhaupt ausgetauscht werden, ohne gegen geltendes Recht zu verstoßen? Welche technischen Voraussetzungen müssen die einzelnen Maschinen dafür erfüllen und wie ist die IT-Architektur aufgebaut? All diese Fragen klären Reuter und ihre Projektpartner im Konsortialprojekt FABaaS und schließlich setzen sie einzelne Dienstleistungen exemplarisch um.

Beteiligt sind an FABaaS neben dem Fraunhofer IPA auch das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, die TRUMPF Werkzeugmaschinen GmbH & Co. KG aus Ditzingen (Konsortialführer), die beiden Softwareanbieter Heidelberg Mobil International GmbH und XETICS GmbH aus Stuttgart, die beiden Sensorhersteller SICK AG aus Waldkirch und Kinemic GmbH aus Karlsruhe, der Vakuumtechnik-Hersteller J. Schmalz GmbH aus Glatten, die STOPA Anlagenbau GmbH aus Achern, die ACD Elektronik GmbH aus Achstetten im Kreis Biberach und die international aufgestellte Unternehmensberatung umlaut SE. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg fördert FABaaS mit knapp fünf Millionen Euro aus dem Förderprogramm InvestBW.

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