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Montag, 27 Juli 2020 07:00

Im Gegenteil - Zwei Hälften des Lebens

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In diesem Jahr 2020 gibt es drei 250. Geburtstage zu feiern, und zwar vor allem die Geburt des derzeit in allen Konzertsälen präsenten Tonsetzers Ludwig van Beethoven aus Bonn.

1770 ist aber auch das Jahr, in dem ein einflussreicher Philosoph und ein schwärmerischer Dichter das Licht der Welt erblickt haben, und gemeint sind Georg Friedrich Hegel und Friedrich Hölderlin. Das Duo Hegel und Hölderlin sind so etwas wie Markennamen der Kulturindustrie. Wer sich auf ein gebildetes Gespräch einlässt, wird merken, dass niemand mit den Schultern zuckt, wenn die Namen der beiden Freunde fallen, er kann aber auch herausfinden, dass die Diskussionsrunde ins Schweigen fällt, wenn man kühn behauptet, mit den Texten der beiden Männer nicht zurecht zu kommen. Hegel ist in seinen Schriften ganz ehrlich, in denen zu lesen ist,

„Philosophie ist ihrer Natur nach etwas Esoterisches, für sich weder für den Pöbel gemacht noch einer Zubereitung für den Pöbel fähig“.

Und wenn Hölderlin das Heidelberger Schloss in einem Gedicht besingt, sagt er „gigantische schicksalskundige Burg“, über die „die ewige Sonne ihr verjüngendes Licht goß“, und benutzt so Worte, die auch nicht unbedingt für unsereins – den Pöbel – gemacht sind. Die Bekanntheit von Hegel und Hölderlin scheint eben an der Unverständlichkeit ihrer Schriften zu hängen. Eine Doppelbiographie der beiden, die unter dem Titel „Zwei Hälften des Lebens“ erschienen ist, stellt die Frage, warum der eine Philosoph und der andere Poet geworden ist, haben sich beide doch in ihrer Jugend auch auf dem jeweils anderen Gebiet versucht. Offenbar fordert eine Sache einen Menschen ganz, wenn man sie nicht nur gut, sondern herausragend machen will. Das Gegenteil ist aber bei Goethe und Schiller der Fall, die beide dichten und philosophische Texte verfassen konnten – mit dem Vorteil, dass dabei Verständliches zu Papier gekommen ist. Solange zwischen der Kunst und der Philosophie eine Kluft bleibt, solange bleibt in der einen Hälfte des Hauses der Kultur unverständlich, was in der anderen Hälfte fabriziert wird. Poesie kann Wahrheiten auf eine Weise ausdrücken, die der Philosophie unzugänglich bleibt und das Volk liebt. Wenn die Denker diese Hilfe verschmähen, erreichen sie das Gegenteil von dem, was sie wollen. Sie haben den Leuten dann nichts zu sagen.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 7
  • Jahr: 2020
  • Autoren: Ernst Peter Fischer

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