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Donnerstag, 01 Oktober 2020 14:59

Multifunktionale Schutzschichten für Werkzeuge und Komponenten

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Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten
Im Vortragssaal und während der Pausen fanden angeregte Diskussionen statt Im Vortragssaal und während der Pausen fanden angeregte Diskussionen statt

Erfahrungsaustausch von Designern, Konstrukteuren, Entwicklern und Beschichtern in Chemnitz

Die von der Europäischen Forschungsgesellschaft Dünne Schichten e.V. (www.efds.org) organisierte Veranstaltung am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU in Chemnitz präsentierte auch aktuelle Forschungsthemen des Fraunhofer-Instituts. Unter anderem gab es neue Technologiefelder in der Umform- und Zerspanungstechnik.

Der Workshop

Werkzeuge und Komponenten unterliegen sehr komplexen Beanspruchungen, die häufig auch gleichzeitig anliegen wie Korrosion, Verschleiß und Reibung. Hinzu kommen Aspekte der optischen Eigenschaften oder der Haptik. Diese vielfältigen Anforderungen lassen sich oft nur mit Beschichtungen erreichen. Der Workshop widmete sich diesem Thema. Neben einem Übersichtsbeitrag zu den Plasmabeschichtungsverfahren und den damit abscheidbaren Schichtsystemen wurden spezifische Lösungen für unterschiedliche Anwendungsgebiete vorgestellt:

• Werkzeuge für die Umformtechnik und die Kunststoffverarbeitung

• Komponenten aus dem Fahrzeugbau, für die Medizintechnik, den Maschinenbau oder dekorative Zwecke

Trotz der Verschiedenheit der Anwendungen sind die Lösungswege und auch die Beanspruchungen oft ähnlich, so dass alle Teilnehmer von den Synergien profitieren konnten. Ziel des Workshops war es, Designer und Konstrukteure für Werkzeuge und Komponenten sowie Entwicklungsingenieure und Technologen der Beschichtungstechnik aus den unterschiedlichsten Anwendungsgebieten zusammenzubringen und über den aktuellen Stand der Technik, über Trends sowie über neue Wünsche an Forschung und Entwicklung zu diskutieren.

Ergänzend zum Workshop war auch eine Besichtigung des MERGE Technologie-Center, die Besichtigung des Fraunhofer IWU sowie ein Get-Together im Restaurant Ratsstube Teil der Veranstaltung. Nachfolgend wird über einige der Beiträge kurz berichtet.

Die Vorträge

Der Workshop wurde zur Einstimmung in die Thematik eingeleitet mit einem Überblicksvortrag. Frau Prof. Kirsten Bobzin, Institut für Oberflächentechnik (IOT) der RWTH Aachen, referierte zum Thema „Eigenschaften und Verfahren für Multifunktionale Beschichtungen“. Mit einzelnen oder auch Kombinationen von Verfahren der Oberflächentechnik (PVD, CVD, Galvanotechnik, Sol Gel, Thermisch Spritzen u.a.) können Werkstoff- und Bauteiloberflächen maßgeschneidert mit Funktionsschichten (Dekor, Barriere, elektrische Leitung, Verschleiß- und Korrosionsschutz u.a., Single- oder Multilayers) versehen werden. Die Vortragende demonstrierte das an Anwendungen wie der PVD-Zahnradbeschichtung, wasserabweisenden mikrostrukturierten Kunststoffen (Lotusblatteffekt), die durch Kombination von PVD und Laserstrukturierung erzeugt werden und thermisch gespritzten Mehrlagen-Heizschichten für den Formenbau.

„Cromatipic – eine umweltfreundliche Chrom (VI)-freie Alternative für das Metallisieren von Kunststoffen“ – Dr. Philipp Immich, Hauzer Techno Coating Venlo, Niederlande erläuterte das Prinzip des Verfahrens, bei dem auf die Kunststoffoberfläche in einem 2-Stufenprozess zuerst ein UV-härtender Lack aufgetragen und anschließend eine dünne Chromschicht mittels PVD appliziert wird. Durch Zusatz von Füllstoffen kann mattes Aussehen erreicht werden, eine zusätzlich aufgetragene SiOx-Deckschicht erhöht die Abriebbeständigkeit. Das Cromatipic® Inline Konzept ist auf industrielle Serienprozesse ausgelegt, die gültigen Industrienormen können erfüllt
werden.

„Applikation von Hartstoffschichten mittels 3D-fähiger Niedertemperatur-CVD“ – Vanessa Frettlöh, Kunststoff Institut Lüdenscheid, konnte in ihrem Beitrag zeigen, dass die Spaltgängigkeit eines Niedertemperatur MO-CVD Prozesses (Prekursor W(CO)6) im Vergleich zu PVD- Verfahren deutlich besser ist. Dies ermöglicht eine verschleißfeste Beschichtung von komplexen Geometrien mit einem Aspektverhältnis von mindestens 1:2,5, was am Beispiel der Abscheidung von Hartstoffschichten auf Basis von Wolframcarbid bewiesen werden konnte. Die Prozesstemperatur von ca. 350°C ist unkritisch für Werkzeuge, die erzielten Schichten sind hart, abriebbeständig und können auch problemlos wieder entfernt (entschichtet) werden.

Dr. Jörg Vetter, Oerlikon Balzers Coating Germany GmbH, Bergisch Gladbach, stellte anschließend „Neueste Beschichtungslösungen für die Umformtechnik“ vor. Da PVD-Schichten stets deutlich härter als das darunterliegende Substrat (Stahl oder Hartmetall) sind, was zu einem Durchbrechen der Schicht führen kann, bieten sich als Lösung Duplexschichten (z.B. Arc + PVD) an. Der Vortragende stellte die verschiedenen BALINIT-Systeme vor und ging dann auf das Oerlikon Balzers’ S3p®-Verfahren ein. Das „Scalable pulsed power plasma“, eine Kombination aus Arc-Verdampfung und Sputtern, ist gekennzeichnet durch skalierbare Pulslänge und Stromstärke, exzellente Kontrolle der Pulsform und deckt im Vergleich zu konventionellem HiPIMS ein erheblich breiteres Parameterfenster ab. Es ermöglicht maßgeschneiderte Schichten für viele Anwendungen und das bei revolutionärer Glätte.

Von Stanzwerkzeugen wird oft gefordert, dass sie über Stückzahlen im Millionenbereich gleichbleibende Qualität garantieren und praktisch ein „wartungsfreies Werkzeug“ darstellen. Dr. Martin Heß, Fritz Stepper GmbH & Co. KG, Pforzheim, stellte in seinem Beitrag „Strategien zur Verschleißminimierung im Hochleistungs-Folgeverbundstanzwerkzeug“ vor. Insbesondere die Schichthärte ist bei Produktionslosgrößen im 8- bis 9-stelligen Bereich ein wichtiger Faktor. Neben den mechanischen und tribochemischen Eigenschaften der Verschleißschutzschicht nimmt insbesondere deren Scherspannungsbeständigkeit eine Schlüsselrolle ein. Hochleistungs-Magnetronsputtern (z.B. HIPIMS) und damit erzeugte super- bis ultraharte, glatte und hinreichend dicke Schichten scheinen dazu vielversprechend. Bei Fritz Stepper wird derzeit „3 µm ta-C“ über PLD (Pulsed Laser Deposition) hergestellt. PVD Anlagen und Schichten werden als Ergänzung des hausinternen Anlagenportfolios diskutiert.

„CVD- und PVD-Schichten für Umformwerkzeuge – Verfahren, Nutzen, Herausforderungen“. Dipl.-Ing. Stefan Kaufmann Dörrenberg Edelstahl GmbH, Engelskirchen, stellte zur Einleitung die verschiedenen Verschleißmechanismen (Adhäsion, Abrasion, Oberflächenzerrüttung, Ermüdung, tribochemische Reaktion) vor und ging dann auf Maßnahmen gegen Verschleiß ein. Dazu zählen auch durch die PVD Hybrid-Technik erzeugte verschleißhemmende Schichtsysteme. Dabei werden die Verfahren Plasmanitrieren (Stützwirkung für die Hartstoffschicht) und PVD-Beschichtung (Hartstoffschicht) in einem Prozess kombiniert. Die Druckbelastbarkeit der Werkzeuge steigt damit deutlich an. Gegen Oberflächenzerrüttung kann helfen, Druckspannungen in die Oberflächen einzubringen, z.B. durch Plasmanitrieren. Wichtig ist auch immer, durch Beschichtung und Wärmebehandlung verursachte Maßänderungen zu berücksichtigen. Der Vortragende demonstrierte den Einsatz der PVD Hybrid-Technik an mehreren Beispielen.

Zum Thema „Werkzeugoberflächen-Vorbehandlung und innovative PVD-„hardur“-Dünnschichtsysteme für Hartmetall z.B. für Umformwerkzeuge“ informierte Christian Schotten, Schotten Oberflächenservice, Remscheid. Das Unternehmen bietet Beschichtungskompetenz für dünne bis dicke Schichten an, die Palette der Verfahren reicht von PVD, CVD, PACVD, Plasmaverfahren bis Hartmetallschichten (Hardide, Hardur solid), Thermisch Spritzschichten (HVOF/HVAF, Plasma-,Arc) und Gleitschichten zur Entformungsverbesserung (Dicronite-PTFE). Auch die Oberflächenfeinstbearbeitung ist ein Schwerpunkt. Anwendungsbeispiele rundeten den Beitrag ab.

„Presshärten als innovative Leichtbau-Fertigungstechnologie, verbunden mit höchsten Anforderungen an das tribologische System in der Hochtemperatur-Umformtechnik“ – In einem Gemeinschaftsvortrag informierten Frank Schieck (Fraunhofer IWU, Chemnitz) und Markus Mejauschek (Fraunhofer IST, Braunschweig) über das Blechwarmumformverfahren Presshärten (Formhärten), bei dem in einem Prozessschritt sowohl die Formgebung als auch die Wärmebehandlung des Werkstücks erfolgen. Die über Austenitisierungstemperatur erwärmten Blechplatinen oder geschlossenen Profile werden in einem gekühlten Werkzeug umgeformt und gleichzeitig rapide abgekühlt. Die in die Umformung integrierte Wärmebehandlung erzeugt ein martensitisches Gefüge, so dass die pressgehärteten Bauteile sehr hohe Zugfestigkeiten von bis zu 1900 MPa aufweisen. Für die Werkzeugoptimierung spielt auch der Verschleißschutz eine bedeutende Rolle. Die verschiedenen Verschleißmechanismen (Überhitzung, Abrasion, Adhäsion, Rissbildung, Korrosion) können durch Plasmanitrierung und/oder Beschichtung entschärft werden. Als neuer Ansatz wird auch das Borieren untersucht, mit dem bis 2000 HV harte und über 20 µm dicke Schichten mit guten tribologischen Eigenschaften erreicht werden können.

Das Fraunhofer-Institut IWU

Das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU (www.iwu.fraunhofer.de) ist Motor für Neuerungen im Umfeld der produktionstechnischen Forschung und Entwicklung. Mit rund 600 Mitarbeitenden an den Standorten Chemnitz, Dresden und Zittau erschließt es Potenziale für die wettbewerbsfähige Fertigung. Im Fokus der Wissenschaft und Auftragsforschung stehen Bauteile, Verfahren und Prozesse sowie die dazugehörigen komplexen Maschinensysteme, praktisch die ganze Fabrik. Folgende Wissenschaftsbereiche werden bearbeitet:

• Mechatronik und Funktionsleichtbau

• Werkzeugmaschinen, Produktionssysteme und Zerspanungstechnik

• Umformtechnik

 Bei der Laborführung wurde über die verschiedenen Aktivitäten des Fraunhofer IWU informiertBei der Laborführung wurde über die verschiedenen Aktivitäten des Fraunhofer IWU informiert

 

Als Leitinstitut für ressourceneffiziente Produktion liegt der Fokus auf der Entwicklung von Effizienztechnologien und intelligenten Produktionsanlagen zur Herstellung von Karosserie- und Powertrain-Komponenten sowie auf der Optimierung der damit verbundenen umformenden und spanenden Fertigungsprozesse. Die Entwicklung von Leichtbaustrukturen und Technologien zur Verarbeitung neuer Werkstoffe, aber auch die Funktionsübertragung in Baugruppen sind dabei wichtige Erfolgsfaktoren.

Die fortschreitende Digitalisierung ist ein zentrales Zukunftsthema unserer Zeit. Hierfür entwickelt das Institut ganzheitliche Lösungen mit konkretem Mehrwert, die auch künftig die Wettbewerbsposition seiner Partner stärken und ausbauen. Fundament dafür ist die „E3-Forschungsfabrik Ressourceneffiziente Produktion“. Gemeinsam mit Forschungs- und Industriepartnern entstehen neben Lösungen für effiziente Technologien auch fabrikplanerische Konzepte für die flexible, ressourceneffiziente Produktion sowie innovative Informations- und Visualisierungstechnologien zur Einbindung des Menschen als Erfolgsgaranten in die Fabrik der Zukunft.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 9
  • Jahr: 2020
  • Autoren: Dr. Richard Suchentrunk

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