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Mittwoch, 23 Dezember 2020 13:00

Im Gegenteil: Blödem Volke unverständlich

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"Blödem Volke unverständlich“ – diese Worte stehen in den „Galgenliedern“ von Christian Morgenstern, und er beschreibt darin die Art, wie man auf dem Galgenberg „des Lebens Spiel“ betreibt, um an „des Daseins tiefem Ernst“ Rache nehmen zu können. Der Ernst und das Spiel – sie scheinen sich auf den ersten Blick eher unversöhnlich gegenüberzustehen und nicht zueinander zu finden, doch der zweite Blick kann etwas anderes erkennen lassen.

 

Der große Physiker Werner Heisenberg hat sich als Schüler bei der Lektüre gelehrter Texte der griechischen Antike darüber geärgert, dass die Philosophen den Begriff des Atoms nicht ernst genommen und nicht einmal anständig mit ihm gespielt haben. Für Heisenberg ist „das Forschen nach Naturgesetzen ein unendlich spannendes Spiel“ geworden, denn nur so konnte er sie verstehen. Und nachdem dies gelungen war, konnte er mit den Worten den Menschen, die sich für die Erkenntnisse der Wissenschaft interessieren, den Zugang zu der Welt öffnen, den er das Privileg hatte, gerade gefunden zu haben. Für Heisenberg steckt in diesem Spiel eine wichtige Aufgabe, wie er es in fünf Bänden mit „Allgemeinverständlichen Schriften“ beschrieben hat.

 »Werner Heisenberg vermisste das Spiel in den Texten antiker Denker«

Deshalb wirkt es immer wieder komisch, wenn man den Naturwissenschaften vorwirft, zu abgehoben daherzukommen, um sich danach der Philisophie zuzuwenden. Dabei sind gerade die hier zu findenden Texte größtenteils unverständlich, wie man leicht an dem Satz demonstrieren kann, mit dem der gefeierte Hegel das Licht beschreibt: „Als das abstrakte Selbst der Materie ist das Licht das absolut leichte, und als Materie unendliches, aber als materielle Identität untrennbares und einfaches Außersichsein“. Das ist selbst für Fachleute vollkommen unbrauchbar, und die anderen Menschen hat Hegel sowieso verachtet: „Philosophie ist ihrer Natur nach etwas Esoterisches, für sich weder für den Pöbel gemacht noch einer Zubereitung für den Pöbel fähig.“

Was einen um naturwissenschaftliche Bildung bemühten Autor dabei besonders stört, ist, dass sich Hegels Bewunderer durch nichts in ihrer ergebenen Haltung erschüttern lassen und dessen Idee feiern, nur eine spekulative Philosophie sei eine Wissenschaft.

Das Gegenteil ist der Fall. Hegel nahm die empirischen Disziplinen der Naturforschung nicht ernst, und so mussten sie Rache an ihm nehmen und mit ihrem Spiel zeigen, dass sie „das Leben besser kennen“, wie es bei Morgenstern beim Blick vom Galgenberg dem Volke höchst verständlich heißt.

 

DER AUTOR

Ernst Peter Fischer

Der diplomierte Physiker, promovierte ­Biologe und habilitierte Wissenschaftshistoriker ist Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Uni Heidelberg.

Er ist Buchautor und hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten.

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