Dr. Heinrich Piening hat zweifellos einen der schönsten Arbeitsplätze, den die deutsche Arbeitswelt zu bieten hat. Der stellvertretende Leiter des Restaurationszentrums der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen (übrigens der größte Museumsträger Deutschlands), arbeitet mitten in München – im Südflügel von Schloss Nymphenburg. Ihm und den rund 50 Mitarbeitern der Abteilung obliegt die Pflege, Wartung und Instandhaltung diverser Kulturgüter, unter anderem sind 40, teils prächtige, Kutschen im Bestand. Die älteste stammt etwa aus dem Jahr 1720, die neueste wurde noch zu Zeiten des Ersten Weltkrieges gefertigt.
Sisyphusarbeit: Dr. Heinrich Piening rückt dem Schmutz an einer historischen Kutsche mit einem Wattestäbchen zu Leibe Fotohinweis: Heinz Käsinger / freigegeben durch die Bayerische Schlösserverwaltung www.schloesser.bayern.de
Eine Kutsche, so teuer wie 20 Bauernhöfe
„So eine Kutsche, das war früher ein rollender Staatsakt“, schmunzelt Piening. „Heute vielleicht nur vergleichbar mit der Einzelanfertigung eines Rolls Royce.“ In der Tat kostete Mitte des 19. Jahrhunderts so ein frühes Hightech-Produkt bis zu 180 000 Mark. Das entsprach damals in etwa dem Wert von 20 Bauernhöfen.
Besonderes Augenmerk richten Restauratoren stets auf die vielfältigen Oberflächen von Kulturgütern. Eine besonders üppig ausgestattete Kutsche von König Ludwig II, dem Märchenkönig, ist beispielsweise fast vollständig vergoldet. Tatsächlich kamen dabei, angesichts der verschiedenen verwendeten Materialien, auch verschiedene Beschichtungsmethoden zum Einsatz. Restaurator Piening: „An einigen Metallteilen finden wir damals schon galvanisierte Oberflächen. Meistens aber waren Metalle in jener Zeit noch feuervergoldet.“ Und die vorherrschenden Holzoberflächen? „Die waren mit Blattgold belegt“, weiß Piening.
Nun ist Blattgold aber nicht wetterfest. Die Konstrukteure von damals mussten sich etwas einfallen lassen. Denn Lacke mit den heute vorhandenen Eigenschaften kannte man damals noch nicht. Die Lösung boten Schichten aus Opal und Bernstein, zermahlen und verkocht mit Harzen und Öl – sogenanntes Kople, ein halbfossiles Harz aus Afrika oder Ostasien. Das ergab einen so wirksamen Oberflächenschutz, dass dieser frühe Lack die Staatskarossen nicht nur outdoortauglich machte, sondern bis hinein in die 1950er Jahre als Lack in Eisenbahnwagons Verwendung fand. Erst dann setzten sich die Schleiflacke zur Holzversiegelung endgültig durch.
In Bayern ist die Schlösserverwaltung für Ausstellung und Erhalt der Kulturgüter der Wittelsbacher zuständig. Seit mehr als 100 Jahren stehen die besagten Kutschen im Marstall des Schlosses Nymphenburg und setzen den sprichwörtlichen Staub an. Bewegt werden sie nicht mehr, zu wertvoll sind sie dafür. Dr. Piening und seinem Team obliegt es also auch, die Pretiosen sauber zu halten. Er erklärt: „Es ist eine Mischung aus fünf verschiedenen Arten von Schmutz, mit denen wir zu kämpfen haben. Mineralischer Schmutz, Ruß- und Gummireste, Fette, Salze und Fasern.“ Deshalb muss die Reinigung immer maßgeschneidert erfolgen. Im Falle der Salze wird mit wässrigen Mitteln gearbeitet, Fett wird mit Lösungsmitteln entfernt. Tabu sind aggressive chemische oder mechanische Einsätze, beispielsweise das Abschrubben mit Chlorreinigern – im extremsten Falle. Vielmehr muss auch die Reinigungsmethode maßgeschneidert erfolgen. Piening nennt das Aufbringen von Reinigungsmitteln per Kompresse oder als Gel. Und in diesem Zusammenhang kam er auf die Idee, es einmal mit Schaum zu probieren.
Dieser Schlitten war das erste elektrifizierte Fahrzeug der Welt. Das Laternenlicht wurde von einer Batterie gespeist
Heute arbeiten sechs Leute dauerhaft an dem Projekt
Schon die ersten Versuche waren erfolgreich, der Restaurator hatte das Gefühl, dass er bestimmte Stellen per Schaum mit weniger Aufwand sauberer bekommt, als beispielsweise mit einer Kompresse oder dem Gel. Sein Interesse war geweckt und er wandte sich mit seinem Problem an die Straßburger Professorin Wibke Drenckhan, eine ausgewiesene Expertin in Sachen Schaumreinigung – und lieferte die mögliche Lösung gleich mit. Professorin Drenckhan diskutierte die Angelegenheit anläss- lich eines Kongresses wiederum mit der Professorin Cosima Stubenrauch, ihres Zeichens Dekanin des Fachbereichs Chemie an der Universität Stuttgart. Stubenrauch lachend: „Wir haben damals beschlossen, die Sache spannend zu finden.“
Zwischen einer „spannenden Sache“ und einem Forschungsprojekt aber liegt meistens eine Hürde, die sich Geld nennt. Und hier kommt die in Osnabrück ansässige Bundesstiftung Umwelt (DBU) ins Spiel. Professorin Stubenrauch hatte nämlich festgestellt, dass man in diesem Fall nicht nur eine deutliche Reduzierung des Verbrauchs an Reinigungsmitteln (bis zu 90 %) erzielen, sondern auch mit biologisch abbaubaren Produkten arbeiten kann. Vor Ort in München arbeitet Dr. Piening schon heute mit einem Zuckertensid. Diese Tatsache führte schließlich dazu, dass die DBU das Forschungsvorhaben mit 120 000 Euro unterstützte. Die Osnabrücker führen das Projekt heute unter dem ebenso griffigen wie humorvollen Titel „Des Königs neue Schäume.“ Mittlerweile arbeiten dauerhaft 6 Personen, zeitweise sogar bis zu 15 Leute daran mit und man sucht weitere Kooperationspartner.
Dabei denkt Dekanin Stubenrauch durchaus im großen Maßstab. Ihr schwebt eine Waschanlage vor, die den Schaum vor Ort, just in time und in der gewünschten Qualität herstellt und auf das zu reinigende Objekt aufbringt. An der Uni ist die Doktorandin Tamara Schad mit dem Projekt betraut. Sie und die Dekanin haben zur Beobachtung und Qualifizierung der Vorgänge eine Apparatur entworfen, die dies ermöglicht. Vereinfacht: Unter einem Gestell, das nach oben durch eine Glasplatte transparent gehalten wurde, ist eine Kamera angebracht, verbunden mit einem Computer. Zwischen Kamera und die Glasplatte ist zusätzlich ein Sperrfilter montiert. Der bewirkt, dass die Kamera nur Luminiszenz einfängt, nicht jedoch Umgebungslicht. Der Objektträger wird nun mit Sonnenblumenöl künstlich verschmutzt. Das Öl ist mit einer luminiszierenden Substanz versetzt. Wird der Reinigungsschaum auf das Öl aufgebracht, kann man am Bildschirm beobachten, wie der Schaum das verunreinigte Öl aufsaugt.
Die Wissenschaftler in Stuttgart wissen mittlerweile, dass Schaum nicht gleich Schaum ist. Am besten wirkt ein vergleichsweise harter, trockener Schaum mit kleinen Blasen. Schad: „Es wird eine spannende Aufgabe für einen Ingenieur werden, eine Maschine zu bauen, die diesen Schaum in der gewünschten Qualität zu jeder Zeit herstellen kann.“
Die Reinigungsapparatur im Labor. Doktorandin Tamara Schad trägt den Reinigungsschaum auf den Objektträger auf. Der Schaum zieht den Schmutz von der Oberfläche in sich hinein. Prof. Dr. Cosima Stubenrauch ist die Projektleiterin
Ein weiteres Ziel der Stuttgarter Wissenschaftler ist es, einen Schaum herzustellen, der von selbst verschwindet. Im Praxiseinsatz, im Münchner Marstall des Schlosses, wird der Schaum nach seiner Einwirkzeit noch mit einem Staubsauger abgesaugt.
Beide Teams, in München wie in Stuttgart, sind optimistisch, dass nach weiteren zwei Jahren Forschung etwas herausgekommen sein wird. Piening: „Und das ist dringend erforderlich. Die Reinigung einer großen Kutsche nur alleine mit Kompressen und Wattestäbchen dauert bis zu 1000 Arbeitsstunden. Da können Sie vorne grad wieder anfangen, wenn Sie hinten fertig sind.“
Wie geht es weiter? Cosima Stubenrauch in Stuttgart hofft, eine einschlägig tätige Firma mit ins Boot zu bekommen. Die Rede ist beispielsweise vom Reinigungsspezialisten Kärcher, der schon Interesse signalisiert hat. Und im Münchener Schloss Nymphenburg heißt es in typisch kaiserlicher Gelassenheit: „Schau’n mer mal.“