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Freitag, 26 Februar 2021 09:00

Der Lack ist drauf!

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Abgeplatzte Beschichtung und Korrosion: Projektleiter Burak Dogan deutet auf eine schadhaft e Stelle im Lack des Gasometers. Nach der Sanierung wird die Wand wie neu sein (Alle Abgeplatzte Beschichtung und Korrosion: Projektleiter Burak Dogan deutet auf eine schadhaft e Stelle im Lack des Gasometers. Nach der Sanierung wird die Wand wie neu sein (Alle

Der Oberhausener Gasometer – Kathedrale der Industriekultur und Symbol des Strukturwandels im Ruhrgebiet – erstrahlt, frisch renoviert, in neuem Glanz. Ein Mammutprojekt mit ungeahnten Herausforderungen.

"Nach Feierabend habe ich mit meinem kleinen Sohn gescherzt, dass er vielleicht eines Tages für die nächsten Sanierungsarbeiten am Gasometer verantwortlich sein wird.“ Projektleiter Burak Dogan kann seine Genugtuung und Stolz auf sein Team kaum verbergen, während der Außenaufzug aus luftigen 117 Metern Höhe zurückkehrt auf den Boden der Baustelle. Und stolz kann er sein: Wenn die im Januar 2020 begonnene Herkulesaufgabe in diesem Frühjahr endgültig abgeschlossen ist, soll das berühmteste Wahrzeichen der Industriekultur im Ruhrgebiet nicht nur Jahre, sondern im Idealfall Jahrzehnte vor dem Zahn der Zeit geschützt sein. Das auf Beschichten von Offshore-Bauten und Schiffen spezialisierte Unternehmen RODOPI aus Düsseldorf übernahm die Sanierungsarbeiten im Bereich Stahlbau und Korrosionsschutz am Gasometer – und zwar in enger Zusammenarbeit mit dem Amt für Denkmalpflege.

 "117,5 Metern Höhe, 67,6 Metern Durchmesser und 210 Metern Umfang"

Seit dem Wiederaufbau in den Nachkriegsjahren hatten sich Rost und Feuchtigkeit in die Außenhaut und ins Fundament gefressen wie Karies, so dass eine vorübergehende Schließung der international renommierten Ausstellungshalle zwecks Sanierungsmaßnahmen unerlässlich wurde. Die Crux: Als Symbol für den Strukturwandel von der Montanindustrie zur Kulturlandschaft ist der ursprünglich als Gasspeicher erbaute Gasometer Oberhausen heute nicht nur denkmalgeschützt, sondern mit 117,5 Metern Höhe, 67,6 Metern Durchmesser und 210 Metern Umfang ein echter Superlativ aus Stahl und Mauerwerk. Die Kosten für die Instandhaltungsmaßnahmen wurden im Vorfeld mit 14,5 Millionen Euro beziffert, wobei praktisch jeder kosmetische Eingriff unter dem kritischen Blick des Amts für Denkmalpflege erfolgen musste. Ein Job, für den Profis gefragt waren, die mit chirurgischer Präzision, Willen zur Ästhetik und widrigen Bedingungen einen langfristigen und wortwörtlich wasserdichten Erfolg erzielen. Den Zuschlag in den Bereichen Stahlbau und Korrosionsschutz bekam die Düsseldorfer RODOPI Marine GmbH, die auf die Beschichtung von Offshore-Windparks sowie Kreuzfahrtschiffen der Quantum-Klasse mit bis zu 70 000 Quadratmetern Oberfläche spezialisiert ist.

Das Denkmalamt überwachte jeden Schritt

Nachdem die immense Vorplanung mit einem Team aus zehn Fachleuten – darunter Architekten, Stahlbauer, Schlosser, Statiker, Gerüstbauer und Vertretern des Amtes für Denkmalschutz – 2019 abgeschlossen war und Europas höchste Ausstellungshalle zur Wahrung günstiger klimatischer Bedingungen verkleidet war wie einst das Reichstagsgebäude in Berlin (Christo, 1995), wurde schnell klar, dass das Vorgehen auf der Baustelle praktisch täglich neu ausgehandelt werden müsste. Zur eigentlichen Herausforderung, das zeigte sich schnell, wurde die vertikale Bauweise. Weniger, weil schwindelfreie Mitarbeiter und entsprechende Sicherheitskonzepte gefragt waren, sondern weil der atmosphärische Druckunterschied zwischen Boden und Höhe die Technik an ihre physikalischen Grenzen brachte.

Atemberaubende Aussicht: Eines der Probleme der Sanierungsarbeiten war, schwindelfreie Arbeiter für die Aufgaben in 117 Metern Höhe zu fi nden. Wegen Corona war der Arbeitsmarkt dafür günstigAtemberaubende Aussicht: Eines der Probleme der Sanierungsarbeiten war, schwindelfreie Arbeiter für die Aufgaben in 117 Metern Höhe zu finden. Wegen Corona war der Arbeitsmarkt dafür günstig

Qualitätssicherung: Ein Experte misst die SchichtdickeQualitätssicherung: Ein Experte misst die SchichtdickeUm die äußere Mantelfläche mit Walzhaut und 14 alten Farbschichten im Trockenstrahlverfahren abzutragen, wurden 3500 Tonnen Kupferschlacke unter Hochdruck durch zwei Kilometer lange Schläuche in die Vertikale gejagt. Um den nötigen Düsen-Druck von 1000 km/h über 120 Höhenmeter zu gewährleisten, kamen zwei Kompressoren in der Größe eines Industriecontainers zum Einsatz. Projektleiter Burak Dogan erinnert sich: „Über fünf Monate wurden täglich bis zu zehn Lkw-Ladungen Kupferschlacke angeliefert, mit denen wir die alten Außenhülle auf einer Fläche von etwa zehn Fußballfeldern abgestrahlt haben“, berichtet Dogan.

Um die Tragkraft und Stabilität des Baugerüsts nicht zu strapazieren, wurde die Zwischenlagerung der Abfallstoffe an Ort und Stelle vermieden zugunsten einer gleichzeitig kostensparenden und umweltschonenden Alternative: Mit Hilfe von Membran-Pumpen wurden Altfarbe, Wasser und Schlacke über Feuerwehrschläuche just in time zurück in die Tiefe geschickt und in einer Aufbereitungsanlage mit Aktivkohle gereinigt, so dass das Wasser erneut verwendet werden konnte und am Ende fast nur noch Schlacke auf der Sonderdeponie entsorgt werden musste. Die genauen Fördermengen auf dem Weg nach oben und unten kommunizierten die Mitarbeiter am Boden und auf dem Baugerüst in Echtzeit über Headsets mit Kehlkopf- mikrofonen.

Als die Sanierungsarbeiten schließlich die oberste Etage in knapp 120 Metern Höhe erreichten, bescherten die Variablen Gewichtsbelastung und Statik nicht nur dem Projektleiter einige Schweißperlen auf der Stirn: „Die Architekten stellten klar, dass das altersschwache Dach weder der zwischengelagerten Schlacke noch einem Arbeitstrupp standhalten würde“, so Dogan. Die Lösung: ein so genannter Crawler – ein fahrbarer Roboter, welcher die Arbeit mit Wasserstrahlverfahren erledigte und dabei nur von einem Mitarbeiter auf dem Dach ferngesteuert wurde. „Dabei war es naheliegend, jemanden zu suchen, der in seiner Freizeit gern Playstation spielt“, legt Dogan grinsend nach.

Zum waschechten Drahtseilakt wurde aber die Unterseite des Daches: Um die 24 einzelnen Parzellen zu bearbeiten, kam zwar ein am Boden montiertes, zehn Tonnen schweres Gerüst zum Einsatz, das über spezielle Seilwinden hochgezogen und vom Gerüstbauer alle zwei Tage zum nächsten „Kuchenstück“ weiter gerückt wurde. Doch der unerreichbare Königspunkt in der Mitte erforderte einen spezialisierten Industriekletterer aus dem Offshore- und Windparkbereich, der ohne Netz und doppelten Boden frei schwebend unter der Decke sowohl Schleif- als auch Korrosionsschutz- und Malerarbeiten durchführte. Dabei stand ihm glücklicherweise jederzeit ein Level-Drei-Kletterer als Rettungs- und Sicherungsmann beiseite.

Problemstelle Dach: Das war altersschwach und konnte weder das Material noch die Belegschaft tragen. Ein leichter, ferngesteuerter Roboter übernahm schließlich die ArbeitenProblemstelle Dach: Das war altersschwach und konnte weder das Material noch die Belegschaft tragen. Ein leichter, ferngesteuerter Roboter übernahm schließlich die Arbeiten

Bei der Verfügbarkeit solch hoch qualifizierter Fachkräfte erwies sich ausgerechnet Covid-19 als Vorteil, erklärt der Projektmanager. „Obwohl wir speziell aus dem Ausland angereiste Mitarbeiter anfangs isolieren und regelmäßig testen lassen mussten, war die Pandemie unternehmensintern in gewisser Hinsicht tatsächlich ein Segen, weil wir problemlos gute Leute aus dem Schiffsbau abziehen konnten.“

Strukturarbeiten: Besonders angegriff ene Bauelemente wurden ausgebaut und sorgfältig instand gesetzt. Dabei ging es durchaus rustikal zuStrukturarbeiten: Besonders angegriff ene Bauelemente wurden ausgebaut und sorgfältig instand gesetzt. Dabei ging es durchaus rustikal zu

Gute Laune: Auch beim eher monotonen Aufb ringen der Rostschutzfarbe darf ein bisschen Spaß nicht fehlenGute Laune: Auch beim eher monotonen Aufb ringen der Rostschutzfarbe darf ein bisschen Spaß nicht fehlenWährend rund 100 Mitarbeiter verschiedener Fachbereiche allmorgendlich auf der Baustelle die Tagesziele des Mammutprojektes neu verhandelten, war andernorts Detektivarbeit gefragt. Und zwar mit dem Ziel, eine Deckfarbe zu ermitteln, die einerseits – so die Vorgabe des Amtes für Denkmalpflege – den ursprünglichen Farbton des Gasometers möglichst genau trifft und gleichzeitig eine lange Lebensdauer erzielt. Anhand zahlreicher am Bauwerk entnommener Proben erstellte eine Restauratorin, die sonst für Ölgemälde zuständig ist, mit Hilfe von Mikroskop und Skalpell Schicht für Schicht eine Freilegungstreppe. Auf dieser Basis wurde von RODOPI eine einmalige Farbrezeptur entwickelt, die für ein Unikat wie den Gasometer absolut standesgemäß ist und dem Bauwerk in Zukunft neben einem grauen Grundton mit oxydrötlicher Einfärbung dank des Einsatzes von Eisenglimmer ein Schimmern spendieren wird. Unter diesem Zuckerguss liegen allerdings vier weitere Funktionsschichten zum Korrosionsschutz. Den Anfang macht eine Zinkstaubgrundierung, die als Trennschicht zwischen Stahl und korrosiver Umgebung fungiert und zusätzlich eine elektrochemische Schutzwirkung entfaltet. „Eine solche Schicht, die Stahl auch bei extremer Beanspruchung vor Korrosion schützt, kommt an Stellen zum Einsatz, die aus technischen Gründen nicht verzinkbar oder schwer zugänglich sind“, sagt der studierte Maschinenbauer. Ehe die Deckfarbe aufgebracht wird, folgen mehrere Zinkphosphatbeschichtungen, die ebenso wie alle Schichten – es handelt sich um 7000 Eimer à 30 Liter – in guter alter Handarbeit mit dem Pinsel aufgetragen werden. Dabei erfordern Schweißnähte, Stahldopplungen und die insgesamt 1,5 Millionen Nieten besondere Sorgfalt. Sämtliche Bauteilfugen, Anschlüsse und das Fundament selbst wurden außerdem mit einem Dichtungsmittel gegen eindringende Feuchtigkeit versiegelt. Um die Bildung von Kondensat hinter der Plane in der Trocknungsphase zu verhindern, kamen über den Winter zusätzlich auch Kältetrockner zum Einsatz.

Gähnender Abgrund: Ein Blick ins Innere des Gasspeichers vermittelt einen Eindruck über dessen FassungsvermögenGähnender Abgrund: Ein Blick ins Innere des Gasspeichers vermittelt einen Eindruck über dessen Fassungsvermögen

Wenn die logistische Meisterleistung im Frühjahr nach zwei Jahren zum Abschluss kommt, darf sich RODOPI rühmen, ein national bedeutsames Industriemonument, das jährlich Hunderttausende Besucher anzieht, bis ins kleinste Details liebevoll restauriert zu haben. Selbst Bau- elemente, die ganz einfach und günstiger hätten ausgetauscht werden können, wurden von Schlossern restauriert und wieder an selber Stelle „eingepflanzt.“ So, als seien sie nie weg gewesen. Für das Düsseldorfer Unternehmen ist das Projekt Gasometer eine logische Transferleistung von auf etlichen Großbaustellen in Werften und auf dem offenen Meer erworbenen Know-how. Doch andererseits kommt ein solches Megaprojekt gerade innerhalb der niederrheinischen Nachbarschaft einem Ritterschlag gleich. Der 1929 erbaute größte Scheibengasbehälter Europas ist eben nicht nur ein beliebiges Bauwerk. Findet auch Burak Dogan: „Wir sind stolz darauf, den Gasometer denkmalgerecht sanieren zu dürfen. Auf diese Weise Geschichte aufzuarbeiten, ist ein wahres Highlight.“

 

DER AUTOR

Daniel Brinckmann

begann seine journalistische Karriere bei der Rheinischen Post. Später studierte er Medienwissenschaft und Anglistik. Heute ist der 41-Jährige als Marketing- und PR-Berater für Kunden aus den verschiedensten Branchen tätig.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 2
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Daniel Brinckmann

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