Diese Seite drucken
Samstag, 20 März 2021 09:00

Impulse von tausenden Nervenzellen hochauflösend erfassen

von
Geschätzte Lesezeit: 2 - 3 Minuten
Messchip am Boden einer Zellkulturschale Messchip am Boden einer Zellkulturschale

Seit mehr als fünfzehn Jahren entwickelt die Gruppe von ETH-Professor Andreas Hierlemann Mikroelektrodenchips, mit denen man Nervenzellen in Zellkultur präzise elektrisch anregen sowie die Aktivität der Zellen messen kann. Die Entwicklungen ermöglichen es, Nervenzellen in Zellkulturschalen wachsen zu lassen und mit dem am Kulturschalenboden liegenden Chip jede einzelne Zelle eines zusammenhängenden Neuronengewebes genau zu untersuchen.

Alternative Messmethoden haben demgegenüber deutliche Einschränkungen: Sie sind entweder sehr aufwendig, weil zu jeder Zelle einzeln ein Kontakt hergestellt werden muss, oder man muss dazu Fluoreszenzfarbstoffe verwenden, welche das Verhalten der Zellen und somit die Experimente beeinflussen.

Forschende der Gruppe aus Hierlemanns am Departement für Biosysteme der ETH Zürich in Basel haben nun zusammen mit Urs Frey vom ETH-Spin-off Maxwell Biosystems und seinen Mitarbeitenden eine neue Generation von Mikroelektrodenchips entwickelt, welche empfindliche Aufzeichnungen von gleichzeitig wesentlich mehr Elektroden als bisher sowie neue Anwendungen ermöglichen.

Wie bei bisherigen Chipgenerationen befinden sich bei den neuen Chips rund 20 000 Mikroelektroden auf einer Fläche von 2 mal 4 Millimetern. Um auch verhältnismäßig schwache Nervenimpulse zu erkennen, muss das Signal dieser Elektroden verstärkt werden. Mit schwachen Signalen haben es die Wissenschaftler beispielsweise bei Nervenzellen zu tun, die sie aus bestimmten Stammzellen, den sogenannten iPS-Zellen, gewonnen haben. Diese kommen heute bei vielen Zellkultur-Krankheitsmodellen zum Einsatz. Ebenfalls deutlich verstärkt werden müssen die Signale, wenn die Forschenden Nervenimpulse in einem Axon (einem feinen, faserartigen Fortsatz von Nervenzellen) verfolgen möchten.

Verstärkungselektronik braucht Platz. Daher konnten beim bisherigen Chip nur Signale von 1000 der 20 000 Elektroden gleichzeitig verstärkt und ausgelesen werden. Die entsprechenden Elektroden waren zwar frei wählbar, mussten vor einer Messung jedoch festgelegt werden. Empfindliche Messungen waren somit bisher nur für einen Teilbereich des Chips möglich.

Im neuen Chip ermöglichen kleinere Verstärker, die Signale aller 20 000 Elektroden gleichzeitig zu verstärken und auszulesen. Allerdings haben die kleineren Verstärker ein höheres Hintergrundrauschen. Um auch die schwächsten Nervenimpulse einzufangen, haben die Forschenden in die neuen Chips deshalb auch einige der bisherigen größeren und leistungsfähigeren Verstärker eingebaut, und sie bedienen sich eines Kniffs: Sie nutzen die leistungsfähigen Verstärker, um die Zeitpunkte herauszufinden, an denen es in der Zellkulturschale zu Nervenimpulsen kommt. An diesen Zeitpunkten können dann Signale auf den anderen Elektroden gesucht werden, und indem mehrere solcher aufeinanderfolgenden Signale gemittelt werden, kann das Hintergrundrauschen reduziert werden. Es entsteht so ein scharfes Bild der Signalaktivität über den gesamten Messbereich.

In einer ersten Studie, welche die Forschenden in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichten, demonstrierten sie die Methode nicht nur an menschlichen iPS-Zellen, sondern auch an Hirnschnitten, Augennetzhaut, Herzzellen sowie an sogenannten Neuronensphäroiden.

Quelle: ETH Zürich, Fabio Bergamin

Literaturhinweis
Yuan X, Schröter M, Obien MEJ, Fiscella M, Gong W, Kikuchi T, Odawara A, Noji S, Suzuki I, Takahashi J, Hierlemann A, Frey U: Versatile live-cell activity analysis platform for characterization of neuronal dynamics at single-cell and network level, Nature Communications, 25. September 2020, doi: 10.1038/s41467-020-18620-4

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 2
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Dr. Stephan Reuter

Ähnliche Artikel