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Donnerstag, 25 März 2021 09:00

Nanotechnik schützt Holzwracks

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Ein Forschungstaucher vermisst ein antikes Holzwrack vor Malta Ein Forschungstaucher vermisst ein antikes Holzwrack vor Malta

Ein neuartiges Verfahren schützt Kulturgüter aus Holz vor dem Verfall. Archäologen sprechen von einer Zeitenwende in der Konservierungstechnik.

Probenentnahme zur Bestimmung des SäuregehaltsProbenentnahme zur Bestimmung des Säuregehalts Wir schreiben das Jahr 40 vor unserer Zeitrechnung. Im Morgennebel eines diesigen Oktobertages gleitet ein flachgehendes, römisches Flussschiff die Rhône aufwärts. Das Ziel: Lugdunum. Vor 10 Jahren hatte der Julier Caesar das freie Gallien erobert und war jetzt gerade dabei, in Rom eine ganz große Nummer zu werden. Vor 3 Jahren hatten die Römer dann Lugdunum gegründet, strategisch geschickt und landschaftlich reizvoll am Zusammenfluss von Rhodanus und Arar *).

*) Lugdunum = Lyon, Rhodanus = Rhône, Arar = Saône, Mutina = Modena, Ilva =Elba

Antike Holzartefakte werden in einen Wassertank getaucht, der später mit Nanopartikeln geimpft wirdAntike Holzartefakte werden in einen Wassertank getaucht, der später mit Nanopartikeln geimpft wirdDie Ruderer sind guter Dinge. Eine leichte Brise war aus Südwesten aufgekommen und bläht das Segel. Die Männer brauchen sich, obwohl sie gegen die Strömung arbeiten, kaum in die Riemen zu legen. Und Lugdunum ist eine aufstrebende Stadt. Man kann hervorragend essen, es gibt ausreichend Wein und, beim Jupiter, die Mädchen sind hübsch, sauber und billig. Es kann also nichts schiefgehen.Leider hat die Besatzung die Rechnung ohne die tückischen Stromschnellen und Strömungen der Rhodanus gemacht. Sie werden leichtsinnig. In einem unbedachten Augenblick ergreift eine mächtige Strömung die Barkasse, schmettert sie gegen einen Felsen. Die flache, leichte Bauweise wird ihr jetzt zum Verhängnis. Sie schlägt leck und die schwere Fracht – Marmorblöcke aus Carrara, Olivenöl aus Mutina und Eisenbeschläge der Insel Ilva*) – zieht den Kahn unrettbar in die Tiefe. Dort sinkt er in den Sand. Einige der Männer können sich retten, die anderen ertrinken.

Zeitsprung ins 17. Jahrhundert nach der Zeitenwende. In Mitteleuropa wütet der Dreißigjährige Krieg. Schwedenkönig Gustav II Adolf fühlt sich berufen, dem Protestantismus zum Sieg zu verhelfen. Den Katholischen will er zu Land und zur See entgegentreten. 1625 gibt der König den Befehl, das größte und prächtigste Kriegsschiff zu bauen, das die Welt je gesehen hat. Das soll die Weichselmündung blockieren und so dem katholischen König Sigismund von Polen (der, Treppenwitz der Geschichte, der Bruder Gustav II Adolfs war) das Leben schwer machen.

 

Ein Stabilitätstest ging schief

„Vasa“ soll das neue Kriegschiff heißen, benannt nach dem glorreichen schwedischen Königshaus. Holzfäller rückten aus und fällten in der Provinz Södermanslanden 1000 handverlesene Eichen. Die Männer hatten Schablonen dabei, um die passenden Bäume zu identifizieren. Erst 1626 begannen die eigentlichen Arbeiten am Schiff. Federführend war dabei ein holländischer Schiffsbaumeister namens Hybertsson. Er präsentierte dem König den Entwurf einer flachen Galeone mit schweren Kanonen im Unterdeck und leichten Kanonen auf dem Überdeck. Gustav II Adolf akzeptierte den Vorschlag.

Seitenansicht der „Vasa“Seitenansicht der „Vasa“

TrocknungsprozessTrocknungsprozessNachdem die Bauarbeiten schon weit fortgeschritten waren, erreichte das schwedische Königshaus eine alarmierende Nachricht: Der Dänenkönig sei dabei, ein noch größeres Schiff zu bauen. So konnte das nicht stehenbleiben. Der König gab Anweisung, die „Vasa“ zu vergrößern. Das konnte jetzt nur noch „in die Höhe“ geschehen. Das obere Kanonendeck wurde deshalb erhöht. Die leichten Kanonen verschwanden und wurden durch schwere ersetzt. Hybertsson äußerte Bedenken, konnte diese aber nicht mehr durchsetzen, denn er starb 1627. So wurde die „Vasa“ vorzeitig zu Wasser gelassen und einem Stabilitätstest unterzogen: 30 Seeleute stellten sich backbords auf und rannten gleichzeitig steuerbords. Das Schiff begann gefährlich zu rollen. Man brach den Test ab, baute aber trotzdem nach den Vorgaben des Königs weiter und am 10. August 1628 wurden die Anker zur Jungfernfahrt gelichtet. Es sollte eine der kürzesten Jungfernfahrten aller Zeiten werden. Nach nur 1300 Metern Fahrtstrecke bei ruhigem Wetter und mäßigem Wind kenterte die „Vasa“ und versank in den Fluten der Ostsee. Mehr als 30 Menschen fanden den Tod. Später gab es einen Prozess, der aber keinen Schuldigen festnageln konnte. Heute weiß man, dass das Schiff schlicht topplastig war. Es gab unverzüglich Bestrebungen, das Prestigeschiff wieder zu heben, die schlugen jedoch alle fehl.

Nach und nach geriet die „Vasa“ in Vergessenheit. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er Jahren erinnerte man sich wieder und begann 1951 das Schiff zu suchen. 1956 wurde es schließlich gefunden. Trotzdem dauerte es noch 5 Jahre, bis man es 1961 endlich heben konnte – eine schiffstechnische und taucherische Meisterleistung.

„Holzartefakte, wie sie an alten Schiffswracks zu finden sind, sind sehr wichtig für die Archäologie“, weiß Dr. Michel Sorent. Er arbeitet der Universität Lyon zu und fährt fort: „Gleichzeitig aber sind sie extrem selten. Denn in den allermeisten Fällen verrottet Holz schon nach wenigen Jahren im Wasser.“

 "1956 wurde es schließlich gefunden"

Das Heck zeigt die gewaltigen Dimensionen der „Vasa“ im Vergleich zu den BesuchernDas Heck zeigt die gewaltigen Dimensionen der „Vasa“ im Vergleich zu den BesuchernSo blieb vom eingangs beschriebenen römischen Flussboot außer einem kaum sichtbaren Abdruck im Sand nur noch die Ladung übrig. Das Holz des Schiffsrumpfes, die Taue aus Hanf und das leinene Segel waren weggefault. Nur durch die Lage der Ladung und deren Anordnung auf dem Rhônegrund konnten die Wissenschaftler erkennen, dass sie per Schiff transportiert worden war – und nicht etwa vom Ufer in den Fluss gelangte.

Der Fund der „Vasa“, die mehr als 300 Jahre lang im Schlick der Ostsee gesteckt hatte, war im Vergleich zur römischen Barkasse ein absoluter Glücksfall.

Doch das Wrack wird eine ewige Baustelle bleiben. Sorent: „Ab dem Moment, in dem ein Holzartefakt aus dem Wasser wieder an die Luft kommt, beginnt die kritische Phase. Mit dem Kontakt mit Sauerstoff laufen zahlreiche Zersetzungsprozesse an.“

Die Lage des römischen Flussboots, nahe am Ufer in Sand und Schlick, lässt vermuten, dass es während der vergangenen 2000 Jahre dort in regenarmen Sommern immer mal wieder oberhalb des Wasserspiegels lag. Intensive UV-Strahlung kam dazu und diese Tatsachen haben dem Holz den Garaus gemacht.

Die „Vasa“ aber sank aufgrund ihres Gewichts schnell in den Ostseeschlick, der das Holz konservierte. Der extrem niedrige Salzgehalt der Ostsee verhinderte zudem, dass sich der Schiffsbohrwurm festsetzte, der Holz förmlich auffrisst.

Drei Einflüsse gefährden das Holz

Die beiden Beispiele zeigen den Gegensatz: Lichtes, sauerstoff- und mineralreiches Wasser beschleunigt Zersetzungsprozesse, dunkles, sauerstoffarmes Wasser trägt dazu bei, Hölzer zu konservieren.

Tatsächlich sind es hauptsächlich drei Einflüsse, die antike Holzwracks gefährden: mechanische Kräfte, beispielsweise die Wucht der Wellen in der Brandungszone schlagen selbst Eisenteile in kurzer Zeit in Stücke. Biologische Faktoren sind zum Beispiel Tiere, die sich von Holz ernähren oder sich auf ihm ansiedeln und es durch Stoffwechselprodukte zerstören. Dieselbe Wirkung entfalten auch Bakterien und Pilze. Schließlich sind es die chemischen Abläufe wie die Bildung von Säuren, die die Struktur von Holz zerstören und in den Fäulnisprozess übergehen lassen.

Wieder dient die „Vasa“ der Wissenschaft als Beispiel – und Versuchsobjekt. Nach der Hebung des Wracks 1961 wurde es in zehn kurzen Etappen in eine Halle aus Leichtmetall verbracht. Einige Teilstrecken musste die alte Dame sogar aus eigener Kraft zurücklegen und machte das bravourös. Sobald das Schiff an seinem Endpunkt angekommen war, begann man es mit Polyethylenglycol (PEG) zu besprühen. Der Stoff kam aus provisorisch verlegten Schläuchen. Hintergrund der Behandlung ist folgender: Das ursprünglich in den Holzzellen befindliche Wasser fließt ab und/oder verdunstet. Das Holz wird rissig und zieht sich zusammen. Deshalb muss das Wasser ersetzt werden – und das am besten durch eine Flüssigkeit, die konservierende Eigenschaften aufweist. PEG eignet sich dazu hervorragend und bildet dazu auf der Oberfläche noch einen Schutzfilm aus. Die Wissenschaft glaubte sich bei der „Vasa“ also auf der sicheren Seite. Doch mehr als 30 Jahre nach der Bergung des Schiffes erlebten die Verantwortlichen des Museums eine böse Überraschung. Denn heute weiß man: Die PEG-Behandlung kann die Säurebildung nicht unterbinden und das Holz kann auch nach Jahren noch korrosive Chemikalien enthalten.

So wie wir die „Vasa“ heute sehen, ist sie von matter bis glänzender brauner Oberflächenbeschaffenheit, wie wir sie eben auch Eichenmöbeln von zuhause kennen. Bei der Inspektion des Schiffs stieß man aber auf mikroskopisch kleine Mineralienreste, die die Vermutung nahelegten, dass die „Vasa“ bunt bemalt gewesen sein konnte – und so war es auch. Das Forschen nach den Farben ergab dann aber den ernüchternden Befund, dass das Wrack quasi im Begriff war, sich selber zu zerstören. Das Holz war rund 40 % weicher als vergleichbares Eichenholz. Darüber hinaus war es extrem übersäuert. Schuld daran ist im Holz befindlicher Schwefel, der nach und nach Schwefelsäure ausbildet und die wiederum zersetzt das Holz. Entsetzt schrieb die schwedische Presse vom „Zweiten Tod der ‚Vasa’“.

Der Querschnitt der „Vasa“ lässt deren Topplastigkeit erahnenDer Querschnitt der „Vasa“ lässt deren Topplastigkeit erahnen

„Alles halb so schlimm“, meint Sorent. Die Kollegen haben sofort gehandelt; viele Eisenteile an dem Wrack wurden durch Edelstahlteile ersetzt, die Einstellungen der Klimaanlage in der Halle optimiert und vor allem wird die alte Dame jetzt regelmäßig mit neutralisierenden Stoffen behandelt.

Unschädlich für Mensch und Tier

Konservierung des Wracks 1975 mit PolyethylenglycolKonservierung des Wracks 1975 mit PolyethylenglycolTrotz allem arbeitete die Altertumswissenschaft an einer neuen Technologie, um antike Holzartefakte wie Wracks zuverlässig zu konservieren. Und dabei bot die moderne Nanotechnik beste Möglichkeiten. Nanopartikelprodukte sind für die Forschung im Bereich des Kulturerbes schon seit geraumer Zeit sehr wichtig.

Die traditionellen Lösungen sind sehr teuer und potenziell schädlich für Mensch und Umwelt. Viele beinhalten Alkohol als Lösungsmittel – eine sehr flüchtige und brandgefährliche Substanz – und so stellen sie bei großflächigem Einsatz (z. B. bei Schiffswracks, die riesige Becken zum Untertauchen während der Behandlung benötigen) ein enormes Risiko und hohe Kosten dar.

Eine neue innovative Lösung, die von Forschern der Universität L'Aquila unter der Leitung von Prof. G. Taglieri entdeckt wurde, konnte Nanopartikel direkt in Wasser herstellen und verwenden – ein kostengünstiges und sicheres Verfahren. Diese spannende, nachhaltige, skalierbare, umweltfreundliche und kostengünstige Methode kann traditionelle Konservierungsmethoden revolutio- nieren.

Vereinfacht gesagt geschieht nichts anderes, als dass Kalzium- und Magnesiumhydroxid-Nanopartikel direkt in einen mit Wasser gefüllten Tank, in dem sich das zu konservierende Artefakt befindet, gegeben werden. Dabei konnte bestätigt werden, dass die Partikel ungehindert ins Holz gelangen und dieses dort erfolgreich entsäuern. Anschließend wurden verschiedene Verfahren, die sowohl präventive als auch konservierende Methoden einschließen, eingesetzt: Darunter die Rasterkraftmikroskopie, die Elek- tronenmikroskopie und die Röntgensondierung. So wurde die Struktur der Nanopartikel untersucht und der Schadstoffabbau in den Holzproben nachgewiesen.

Neutronen sind ein wichtiges Hilfsmittel bei der Erforschung des Kulturerbes, da sie nicht-destruktiv sind und weit in feste oder flüssige Materialien eindringen können, um zu veranschaulichen, was auf atomarer oder molekularer Ebene geschieht. Ein spannendes Anwendungsfeld, auf dem die Nanotechnologie der Menschheit hilft, ihr kulturelles Erbe zu verstehen und zu bewahren.

 

ZUR INFO

gt 2021 03 0040Polyethylenglycol

Polyethylenglycol, kurz PEG, auch Polyäthylenglykol und in der Pharmazie auch Macrogol, ist ein – je nach Kettenlänge – flüssiges oder festes, wasserlösliches und nichttoxisches Polymer mit der allgemeinen Summenformel C2nH4n+2On+1. Wegen dieser Eigenschaften wird es in der Medizin, als Wirkstoffträger in der Pharmazie, in industriellen Anwendungen, in der zellbiologischen Forschung und in Kosmetikprodukten eingesetzt. PEG hat – je nach Kettenlänge und daraus resultierender molarer Masse – unterschiedliche Eigenschaften. Die Wiederholeinheit des linear aufgebauten Polymers ist (–CH2–CH2–O–), mit einer molaren Masse von etwa 44 g·mol-1. Chemisch handelt es sich um einen Polyether.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 3
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Heinz Käsinger

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