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Donnerstag, 29 April 2021 11:59

Im Feuer geboren

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Das Schmiedehandwerk stirbt langsam aus, aber Reto Zürcher hat eine Marktlücke gefunden: Er fertigt mittelalterliche Waffen nach altem Vorbild Das Schmiedehandwerk stirbt langsam aus, aber Reto Zürcher hat eine Marktlücke gefunden: Er fertigt mittelalterliche Waffen nach altem Vorbild

Im schweizerischen Huttwil betreibt ein junger Mann in einer alten Schmiede ein noch älteres Handwerk. So entstehen Produkte, die so werthaltig sind, dass sie sogar vererbt werden.

Einhundertziebzehn Jahre ist das Haus alt. Das Dach ist tief heruntergezogen, graubraune Ziegelsteine tragen es. Davor, auf kunstvoll verlegtem Kopfsteinpflaster, stehen Wagenräder und über der Tür hängen Hufeisen. Der rechte Türflügel ist beschnitzt. Die Schnitzerei verrät, dass ein gewisser Jakob Joss 1832 Begründer einer Dynastie von Schmieden war, die vier Generationen hier, in Huttwil, Kanton Bern, ihr Handwerk betrieb. Gebaut wurde die Schmiede in der zweiten Generation 1904 von einem gewissen Adolf Joss.

100 Jahre später übernahm der heutige Inhaber Reto Zürcher das Anwesen. Der hatte zuvor zwar Schmied und Hufschmied gelernt, während seiner Ausbildungszeit aber fast nur Schlosserarbeiten verrichtet. Zürcher: „Schmied war damals schon ein aussterbendes Handwerk und mein Arbeitgeber machte seinen Umsatz hauptsächlich mit zuschneiden, zusammenschweißen, montieren. Wenige in Auftrag gegebene Schmiedearbeiten be- schränkten sich auf die Anfertigung von hochwertigen Werkzeugen für Handwerksbetriebe, Geländer und Gartenzäune.

Das wahre Arbeiten kam nach der Arbeit

Waffenschmiede Zürcher. Das Gebäude im Huttwiler Ortskern ist 117 Jahre altWaffenschmiede Zürcher. Das Gebäude im Huttwiler Ortskern ist 117 Jahre altDas war aber nicht Zürchers Sache und sein Arbeitsleben begann damals erst nach Feierabend. Dann durfte er die Schmiede für sich privat nutzen und von Anfang an schmiedete er dann Blankwaffen, also Messer und Schwerter. „Ganz sicher war ich damals inspiriert von meiner Kindheit, in der ich Holzschwerter für Ritterspiele zusammenschnitzte“, lacht er.

Die Faszination für Messer und Schwerter ist geblieben. Und als er sich später selbständig machte, setzte er alles auf diese Karte und nannte sich „Waffenschmiede Zürcher“ (www.waffenschmiede.ch). Heute erwirtschaftet er die Hälfte seines Umsatzes mit Blankwaffen. Weitere 40 % kommen vom Hufbeschlag und den Rest bezeichnet Zürcher als „Regionales“.

Seine Kunden findet der Waffenschmied auf den zahlreichen Mittelaltermärkten des Landes, die er regelmäßig mit einem Ausstellungsstand besucht.

Seinem Geschäft förderlich ist sicher auch das liberale schweizerische Waffenrecht, in dem Säbel und Schwerter nicht als Waffe gelten – im Gegensatz zur Gesetzgebung anderer europäischer Länder. Zürcher schmunzelt: „Und dann gibt es ja noch einige Schlupflöcher, die man ganz legal nutzen kann.“ So ist in der Schweiz alles verboten, was mit „Wurf...“ zu tun hat. Also Wurfmesser und Wurf- äxte. Da es aber auch viele Sportarten im Zusammenhang mit solchen Gerätschaften gibt (eine Disziplin der Highland-Games ist beispielsweise der Axtwurf), besteht die Möglichkeit, eine Wurfaxt als Sportaxt zu deklarieren.

Grundsätzlich besteht Zürchers Kundschaft also aus Sportlern, Menschen, die gewisse Zeitalter wiederbeleben (europaweit im Trend ist so genanntes Reenactment) und generell Menschen mit Freude an alter Handwerkskunst und individueller Machart von Gegenständen.

Dabei braucht der Waffenschmied selbst gar nicht groß kreativ zu werden, die Kreativität des Menschen hatte sich schon früher voll ausgebildet, wenn es um die Art und Weise ging, einen anderen Menschen abzumurksen. Das mittelalterliche Arsenal des Schreckens umfasste zum Beispiel Langwaffen wie Lanzen, Speere und Hellebarden, es gab Schwerter, Säbel und Degen, als Hiebwaffen existierten Morgensterne, Keulen und Streitäxte und die Fernwaffen Bogen und Armbrust verlangten nach Pfeilen, deren Spitzen in der Lage waren, ein Kettenhemd oder gar das Blech einer Ritterrüstung zu durchschlagen.

Ab und zu wird ein Werkstück in einem Zwischenschritt gebürstet. Dann fliegen die FunkenAb und zu wird ein Werkstück in einem Zwischenschritt gebürstet. Dann fliegen die Funken

„Die wirklich erste Waffe der Menschheit war das Schwert. Pfeil und Bogen wurden in der Steinzeit zunächst einmal zur Jagd erfunden. Das Messer zum Schneiden und Beile waren zum Baumfällen da,“ erklärt Zürcher und zeigt dabei ein etwa ein Meter langes, blank poliertes Schwert. Dann nimmt er ein Zwischending aus Axt und Eispickel aus einem Regal, vielleicht 40 Zentimeter lang. „Nachdem der Mensch das Kettenhemd erfunden hatte, waren Schwerter viel weniger wirksam geworden. Jetzt brauchte man Tötungswerkzeuge, die in der Lage waren, ein Kettenhemd zu durchdringen und das hat man mit solchen Klauenbeilen gemacht.“ Eine weitere Veränderung der Bewaffnung erforderte dann der Einsatz der Vollrüstung aus Blech. Einem derart gewandeten Menschen trat man mit einem sehr kurzen, spitzen Schwert entgegen, das dazu in der Lage war, in die Spalten und Ritzen der Ritterrüstungen zu gelangen, die an den Gelenken notwendig waren, damit ein Mensch in einer Rüstung sich überhaupt bewegen konnte. Zürcher hält die entsprechende Waffe hoch.

25 Stahlsorten für viele Anwendungen

Doch nicht nur Mittelalterfreaks erstehen bei der Waffenschmiede Zürcher die passend-originale Waffenausstattung, viele Kunden sind beispielsweise Köche, die ein hochwertiges Küchenmesser wollen. Zürcher schmiedet das nach individuellen Wünschen und Vorgaben des Kunden. Faktoren sind dabei beispielsweise die Länge und Form der Klinge, das Material des Griffs oder die Qualität und Machart des Metalls.

Hufeisen ist nicht gleich Hufeisen. Einen Teil seiner Erträge erwirtschaftet Reto Zürcher mit Schuhen für PferdeHufeisen ist nicht gleich Hufeisen. Einen Teil seiner Erträge erwirtschaftet Reto Zürcher mit Schuhen für Pferde

Obwohl Zürcher Schmied ist, liefert er immer ein komplettes Produkt. An der von ihm gefertigten Messerklinge ist also der Griff aus Leder, Holz, Knochen oder auch Geweih immer schon befestigt. Wer eine Scheide für ein Schwert will – kein Problem. Zürcher arbeitet mit einer Sattlerei zusammen, die eine solche in der gewünschten Qualität passend zum Schwert anfertigt.

Apropos Qualität: Diese steigt und fällt bei einem geschmiedeten Produkt natürlich mit der Art und Zusammensetzung des Stahls. Zürcher hat 25 verschiedene Stähle auf Lager, jeder einzelne davon ist für eine bestimmte Anwendungsart besonders geeignet.

Zürcher erklärt die Unterschiede anhand eines Messers. Die günstigste Machart ist eine Klinge aus Monostahl. Meistens verwendet er dazu den Stahl 1.2510. Der ist auf die Verwendung als Messerklinge optimiert. Das heißt, der Stahl bietet einen guten Kompromiss zwischen Härte (d. h. Schnitthaltigkeit) und Robustheit (d. h. Zähigkeit) einer Klinge. Beide Eigenschaften sind notwendig. Mit steigendem Kohlenstoffgehalt eines Stahls wird dieser zwar hart und schnitthaltig, jedoch auch spröde und bruchanfällig.

 

Arsenal des Schreckens: Was dem modernen Menschen die Bombe, war dem mittelalterlichen Ritter der MorgensternArsenal des Schreckens: Was dem modernen Menschen die Bombe, war dem mittelalterlichen Ritter der Morgenstern

Die Laminatmachart verbindet zwei Stähle unterschiedlicher Eigenschaften miteinander. Einfach ausgedrückt, wird ein harter Stahlkern in einen Mantel (d. h. zwei Lagen) aus einer weichen Stahlsorte eingeschmiedet. Der weiche (elastische) Mantel schützt sozusagen den harten (schnitthaltigen) Kern.

Die Königsdisziplin der Schmiedekunst ist die dritte der Möglichkeiten, eine Klinge zu schmieden: eine Damaszener Klinge. Wie bei der Laminatlösung werden zwei Stähle, ein harter und ein zäher, miteinander verschmiedet, aber nicht nur die drei Lagen weich – hart – weich. Zürcher: „Ein guter Damaszener Stahl sollte mindestens 45, höchstens jedoch 250 Lagen haben. Wobei die Anzahl der Lagen Faltungen und Muster beeinflusst.“

 

 Die Esse wird traditionell mit Holzkohle befeuertDie Esse wird traditionell mit Holzkohle befeuert

Egal welcher Machart ein geschmiedetes Produkt ist, wenn es aus dem Feuer kommt, muss die Oberfläche behandelt werden. Denn das Teil ist schwarz und unansehnlich. Jetzt heißt es erst einmal polieren. Das beginnt ganz grob mit einem groben Schleifband. Sind die schweren Rückstände beseitigt, wird das Schleifband feiner. Zürchers Markenzeichen aber ist es, auf einigen Stellen die originär schwarze Schmiedeoberfläche als dekoratives Element zu belassen. Der Feinstschliff erfolgt später mit Polierpaste und einer weichen Bürste.

Auch hier verlangt der Damaszener Stahl nach einer Sonderbehandlung. Er wird zunächst grob poliert und dann in Eisen(III)-chlorid geätzt. Später dann in einer Lauge neutralisiert, um wiederum poliert zu werden, diesmal mit feineren Methoden.

Egal, welcher Machart eine Klinge, ein Beil oder die Spitze einer Langwaffe auch sind, die Schärfe wird nach dem Schmieden aufgeschliffen. Alle Produkte der Schmiede sind Produkte fürs Leben und so werthaltig, dass sie in vielen Fällen auch noch spätere Generationen erfreuen.

Es ist klar, dass Qualität und Handarbeit ihren Preis haben. Als Größenordnung für ein Küchenmesser kann da gelten, dass eines aus Monostahl bei etwa 300 Franken beginnt, ein Laminatstahl bei 450 Franken und ein Messer aus Damaststahl ist ab 850 Franken zu bekommen.

Alle Fotos: Heinz Käsinger

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 4
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Heinz Käsinger

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