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Montag, 31 Mai 2021 11:59

Silbergraphit – mehr als nur eine Silberabscheidung

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Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten

Galvanisch abgeschiedene Dispersionsschichten finden ihre breite Anwendung in den Kontaktsystemen von Schaltanlagen der Siemens AG. Nachdem das Technologiezentrum Oberfläche (TZO) Berlin der Siemens AG geschlossen wurde, wurde das Konzept des komplexen elektrochemischen Prozesses und der elektrolytspezifischen Anlagentechnik optimiert.

Abb. 1: Lichtbildaufnahme eines Querschliffs einer Silbergraphitschicht Abb. 1: Lichtbildaufnahme eines Querschliffs einer Silbergraphitschicht Diese siemensinterne Single-Source-Technologie hat eine langjährige Expertise und wurde zur Firma Pieper Oberflächentechnik Hermsdorf GmbH transferiert, welche die hohen Anforderungen an das Schichtsystem und die Schicht selbst erfolgreich umsetzt.

Die Anwendung von Silber als Kontaktmaterial – insbesondere bei bewegten Kontakten in Schaltanlagen für die Mittelspannung – stößt gerade hinsichtlich der Abriebbeständigkeit von Silber an ihre Grenzen. Um die Lebensdauer von versilberten Kontaktmaterialien zu erhöhen, entwickelte Siemens mit mehreren Instituten zwei unterschiedliche Dispersionsschichten, zum einen Nanodiamantschichten für einen erhöhten Verschleißwiderstand, zum anderen Silbergraphitschichten mit einem verringerten Reibkoeffizienten bei gleichbleibenden Kontakteigenschaften gerade hinsichtlich der elektrischen Leitfähigkeit. Die Abscheidung der Silbergraphitschichten wurde im Jahr 1975 in einer Patentschrift DE 2543082 für die Siemens AG geschützt.

Die Herausforderung beider Systeme war und ist, eine gleichbleibende und homogene Schichtqualität auch unter Produktionsbedingungen sicherzustellen sowie die aussagekräftige Bewertung der abgeschiedenen Schichten bzw. deren Eigenschaften.

Während die Nanodiamantschichten industriell nur ein Nischenprodukt blieben und für Kleinserien genutzt wurden, konnte die patentierte Silbergraphitschicht im TZO Berlin der Siemens AG für eine breite Anwendung etabliert und folglich in eine Serienfertigung überführt werden. Im Vergleich zu reinen Silberschichten kann durch eine definierte Einbaurate von Silbergraphitkolloiden die Verringerung des Reibungskoeffizienten um bis zu 50 % erzielt und damit die Lebensdauer maßgeblich erhöht werden (Abb. 1 und 2).

Abb. 2: REM Aufnahme einer Silbergraphitschicht Abb. 2: REM Aufnahme einer Silbergraphitschicht Die Abscheidung der meist über 25 µm dicken Silbergraphitschichten erfolgt aus einer kolloidalen Graphitsuspension, einem cyanidischen Grundelektrolyten mit einer definierten Oberflächenspannung und weiteren organischen Zusätzen, die das Wachstum der Kristallisationskeime beeinflussen. Als Graphitgehalt in der Schicht wurden 0,9–1,5 wt% C (DIN 15936) eines definierten natürlichen Graphits als optimaler Graphitanteil identifiziert, der sich aus dem Zusammenspiel der Oberflächenspannung der Kristallisationskeime und einer gerichteten Anströmung in einer Metallmatrix homogen – aber ungerichtet – verteilt, um so den entsprechend optimalen Reibkoeffizienten für bewegte Kontakte einzustellen. Die Kristallisationskeime werden zum einen durch die Organik, aber auch die entsprechende Stromdichte definiert, deren Erhöhung zu einem höheren Einbau führt. Wie in der Patentschrift 254082 (Anmeldung 26.09.1975) wie in Abbildung 3 abgebildet.

Die Prüfung des Reibkoeffizienten der abgeschiedenen AgC Schicht erfolgt durch einen translatorischen Schwing- und Reibverschleißprüfstand SVT200 der Fa. Wazau. Hierbei wurde eine siemensinterne prozessbegleitende Messmethode entwickelt, um gleichbleibende Messbedingungen zu schaffen und so die Lebensdauer von bewegten Kontakten abzubilden. Die Ermittlung des Wertes erfolgt durch den Mittelwert von drei Messungen. Der Bereich von 0,2–0,6 wurde für den Reibkoeffizienten als optimal identifiziert.

Mittels dieser Messmethode können auch – neben des Reibkoeffizienten und der Verschleißrate – Prozessschwächen, wie ungleichmäßige Anströmung, Anlagenstörungen oder Badalterung abgebildet werden. Ein wichtiger Faktor für die Erhöhung der Lebensdauer der bewegten Kontaktsysteme ist – neben einer definierten Einbaurate von Silbergraphitkolloiden – die angesprochene Mikro- und Makrostruktur der abgeschiedenen Silberschicht. Gerade die homogene Anlagerung der Graphitkolloide an definierte Kristallisationskeime der Silberschicht sowie die Morphologie und Größe der einzelnen natürlichen Kolloiden können den Reibkoeffizienten erheblich erhöhen.

Abb. 3: Schematische Darstellung der GraphitschichtAbb. 3: Schematische Darstellung der Graphitschicht

Letztendlich haben alle Prozessschritte, von der Aktivierung der Oberfläche, über das Schichtsystem, bis hin zu einem letzten Arbeitsschritt, dem Verdichten der Oberfläche, einen großen Einfluss auf die Lebensdauer der späteren Schaltsysteme. Dies lässt sich besonders am Kurvenlauf des Reibkoeffizienten ablesen, der sehr präzise Systemschwächen abbildet, die nicht durch den Absolutwert des Reibkoeffizienten detektiert werden könnten (siehe Abb. 4 und 5).

Abb. 4: Idealer Kurvenlauf des Reibkoeffizienten für Silberdispersionsschichten (l.)  und Probenblech mit den drei Messläufen der translatorischen Schwing- und Reibverschleißprüfung Abb. 4: Idealer Kurvenlauf des Reibkoeffizienten für Silberdispersionsschichten (l.) und Probenblech mit den drei Messläufen der translatorischen Schwing- und Reibverschleißprüfung

Abb. 5: Letzter Arbeitsschritt nach dem Beschichten, Verdichten der  Silbergraphitoberfläche durch einen sogenannten Kugelpolierschritt  im RundtrogvibratorAbb. 5: Letzter Arbeitsschritt nach dem Beschichten, Verdichten der Silbergraphitoberfläche durch einen sogenannten Kugelpolierschritt im RundtrogvibratorDie langjährig aufgebaute Erfahrung und das erreichte elektrolytspezifische Fachwissen bei dieser Dispersionsschicht zu sichern, gerade mit Blick auf die Entscheidung das TZO Berlin der Siemens AG im Herbst 2020 zu schließen, bereitete zunächst einiges Kopfzerbrechen. Diesen qualifizierten und freigegebenen Prozess nun outsourcen zu müssen, war eine der besonderen Herausforderungen im Zuge der Schließung, da die Silbergraphitschicht aufgrund ihrer besonderen elektrolytspezifischen Eigenschaften nicht ersetzt werden konnte, weder durch auf dem Markt erhältliche Silberschichten noch durch vergleichbare Systeme. Zusätzlich erschwerend musste nicht nur ein Lieferant gefunden werden, der sich technisch und qualitativ in der Lage sah, dieses große Volumen zu übernehmen und fachlich zu betreuen, sondern der auch ein entsprechend hohes Fachwissen besaß, diesen spezifischen Elektrolyten zu steuern. Zudem mussten sowohl der Prozess und als auch die Anlagentechnik nicht nur gespiegelt, sondern hinsichtlich gestiegener Qualitätsanforderungen an den neuen Lieferanten angepasst werden.

In einem langwierigen Prozess der Bestenauslese konnte die Firma Pieper Oberflächentechnik Hermsdorf GmbH gewonnen werden, dieses System als Single-Source Lieferant zu übernehmen. Die Firma Pieper, deren Großteil der Auftragsgeber aus dem Elektronik- und Automobilbereich stammt, bietet seit 2001 sowohl Silber- als auch Hartsilberbeschichtung an und beschichtet über 50 000 m2 Oberfläche im Jahr mit insgesamt 12000 Liter Silber- und Hartsilberelektrolyten.

Gerade ihre kontinuierliche Kompetenz einer sehr anspruchsvollen Hartsilberbeschichtung, die eine sorgfältige Prozess- und Schichtkontrolle bedingen, führte zu der Entscheidung, den siemensinternen und sehr aufwendigen Silberdispersionsprozess AgC der Firma Pieper Oberflächentechnik Hermsdorf GmbH zu übertragen.

In Kooperation mit der Firma AST Anlagenbau GmbH konnte das bisherige Anlagendesign der Siemens AG in ein optimiertes Anlagenkonzept für diesen speziellen Elektrolyten überführt und in die bereits bestehende Silberlinie integriert werden, um so die siemensinterne Serienproduktion der verschiedenen Bauteile entsprechend übernehmen zu können. Gerade die Umsetzung einer gleichmäßig laminaren Anströmung der Suspension an ein definiertes Warenfenster, variabel wechselnde Anoden- und Kathodenverhältnisse sowie die Realisierung einer stabilen Prozessführung bei einem zukünftig kleineren Elektrolytvolumen mit einer geänderten Austauschrate, führten zunächst zu einigen fachlich durchaus komplexen Diskussionsrunden, mündeten aber schließlich in einem konstruktiven Finetuning (Abb. 6).

Abb. 6: Neues Anlagenkonzept mit AgC Behälter und Kammerfilterpresse (l.).  Herzstück der Silberdispersionsabscheidung  mit festem AnodenfesterAbb. 6: Neues Anlagenkonzept mit AgC Behälter und Kammerfilterpresse (l.). Herzstück der Silberdispersionsabscheidung mit festem Anodenfester

In diesem neuen Anlagenkonzept musste zudem auch die Komplexität des heterogenen Stoffgemischs betrachtet werden, um vor allem die Sedimentation der Graphitkolloide zu verhindern. Sowohl der Behälter als auch die entsprechenden Anströmungsbedingungen und die Austauschrate des Elektrolyten wurden hier optimiert angepasst, um dem geänderten Anlagenaufbau gerecht zu werden. Gerade durch die Verwendung von natürlichem Graphit erfolgt eine kontinuierliche Alterung der Kornverteilung, welche durch die Art der Anströmung und die zusätzliche Belastung der Trommelbeschichtung verstärkt wird. Die Badalterung wirkt sich – wie bereits beschrieben – negativ auf die Lebensdauer bzw. den Reibkoeffizienten und auf die Verschleißrate der Schicht aus. Dieses grundsätzliche Problem kann nur durch eine regelmäßige Filtration des Elektrolyten in einer Kammerfilterpresse gelöst werden, welches neben dem aufwendigen, diskontinuierlichen Abreichern der Suspension natürlich auch eine Prozessausfallzeit darstellt (Abb. 7).

 Abb. 7: Diskontinuierlich betriebene Kammerfilterpresse zur  Abreicherung des cyanidischen Silberelektrolyten Abb. 7: Diskontinuierlich betriebene Kammerfilterpresse zur Abreicherung des cyanidischen Silberelektrolyten

 Abb. 8: Konzentrationsbereich der organischen Zusätze sowie der eingestellten Schichteigenschaften bei einer definierten Stromdichte und eingestellten Elektrolytumwälzung L/h. Die grün markierten Felder kennzeichnen hier zugelassene Werte des Graphitgehaltes und des ReibkoeffizientenAbb. 8: Konzentrationsbereich der organischen Zusätze sowie der eingestellten Schichteigenschaften bei einer definierten Stromdichte und eingestellten Elektrolytumwälzung L/h. Die grün markierten Felder kennzeichnen hier zugelassene Werte des Graphitgehaltes und des Reibkoeffizienten

Parallel bewirkt eine Vergrößerung der Oberfläche des Graphits durch die Alterung bzw. durch den Zerfall eine Änderung der Wechselwirkung mit den organischen Zusätzen, so dass die kontinuierliche Überwachung der Zusätze in einem engen Konzentrationsbereich unerlässlich ist. Trotz der Spiegelung des Anoden-/Kathodenverhältnisses ergaben die geringen Abweichungen des Füllgrades einen neuem Konzentrationsbereich der organischen Zusätze (Abb.8).

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Abb 9: Silbergraphitbeschichtung bei Pieper vor (l.) und nach einem ultraschallverstärkten Spülschritt

Die konsequente Umsetzung des Anlagenkonzepts und der sorgfältige Ausbau der Silberlinie durch die Erweiterung der entsprechenden Anlagensegmente, einschließlich der notwendigen Spülschritte (Abb. 9) selbst bis hin zum letzten Arbeitsschritt sowie die definiert abgestimmte Prozessabfolge (Abb. 10) für die Kontaktbauteile aus Kupfer/Kupferlegierungen – wahlweise mit oder ohne Kupferzwischenschritt – führten schließlich zu einer schnellen Freigabe der Fertigung für die Siemens AG aber auch für bisherigen Kunden des TZO Berlin. Gerade die Variation der unterschiedlichen Beschichtungssysteme in Abhängigkeit der Kundenanforderungen – wahlweise als Trommel- oder Gestellbeschichtung – konnten mit dieser optimierten Spiegelung realisiert und darüber hinaus zusätzliche Kapazitäten gewonnen werden.

Abb. 10: Prozessabfolge der Beschichtung von  Kontaktbauteilen aus KupferAbb. 10: Prozessabfolge der Beschichtung von Kontaktbauteilen aus Kupfer

Damit wurde auch der letzte Prozess des TZO Berlin im September 2020 und somit das sprichwörtliche letzte Bad abgelassen. Die Silbergraphitdispersionsschicht – tribologisch einer Silberschicht deutlich überlegen – wird, basierend auf dem Siemens Prozess mit nun noch höheren Anforderungen an das Schichtsystem und die Schicht selbst, erfolgreich von der Firma Pieper Oberflächentechnik Hermsdorf GmbH produziert und ermöglicht somit den Raum für weitere Kontaktsysteme und Entwicklungen.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 5
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Dr. Nina Dambrowsky

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