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Montag, 19 Juli 2021 11:59

Konzentrationen online überwachen - Teil 1 - Einführende Gedanken und Stand der Technik

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Geschätzte Lesezeit: 9 - 18 Minuten

Der europäische Edelstahl-Produktionssektor steht aufgrund der schwierigen globalen Marktbedingungen unter wirtschaftlichem Druck. Diese Situation erfordert eine flexible Produktion bei Sicherstellung hoher Produktqualitätsstandards. Hierfür ist die Einführung neuer Produktionssteuerungssysteme auf Basis leistungsfähiger Analysetechniken von hoher Relevanz. In der Edelstahlproduktion stellt der Beizprozess einen wichtigen Schritt dar, da die hier festgelegte Oberflächenbeschaffenheit ein bedeutendes Qualitätsmerkmal für die Kunden ist. 

Die definierte und schnelle Einstellung der Konzentrationen in den HNO3-HF-Beizbädern gestaltet sich mit konventionellen Atline-/Offline-Analysetechniken schwierig und kostenintensiv. Basierend auf vorangegangener Forschung hat das BFI in einem EU-Pilot-Projekt mit den Partnern DEW, Outokumpu, Universität Oviedo, RISE und Acerinox Untersuchungen zur Optimierung der Prozessführung von Edelstahl-Beizanlagen durchgeführt.

Der Artikel beschreibt die Optimierung und betriebliche Erprobung einer Online-Messtechnik zur kontinuierlichen Konzentrationsüberwachung und Regelung von HNO3-HF-Beizsäurelösungen. Schwerpunkte bilden die applikationsbezogene Optimierung der Messtechnik für den betriebstauglichen Einsatz, die closed-loop-Konzentrationsregelung an einer Edelstahl-Bandbeizlinie sowie der Einsatz der Messtechnik in Verbindung mit einer Probenstrom-Vorfiltration an einer Draht-Beizanlage und deren Optimierung mittels innovativem Beizprogramm- Management-Modell.

1 Einleitung

Der europäische Edelstahl-Produktionssektor steht aufgrund der schwierigen globalen Marktbedingungen unter starkem wirtschaftlichem Druck. Vergleichbar mit anderen Produktionsbranchen erfordert diese Situation eine flexible und kundenorientierte Produktion während hohe Produktqualitätsstandards sicher zu stellen sind. Zur Umsetzung solcher Ziele ist die Einführung fortschrittlicher Produktionssteuerungssysteme auf Basis leistungsfähiger Prozessanalysemethoden [1] und Regelungstechniken von hoher Relevanz, insbesondere in Hinblick auf die Umsetzung von Industrie 4.0 Strategien im Stahlproduktionsbereich [2].

Hinsichtlich der Edelstahlproduktion hat der Beizprozess einen besonders hohen Stellenwert, da die Oberflächenbeschaffenheit ein sehr bedeutendes und empfindliches Qualitätsmerkmal für die Kunden ist. Die definierte und schnelle Einstellung der Beizbadkonzentrationen gestaltet sich für die Anlagenbetreiber aufgrund der Komplexität der Säuregemische und der ablaufenden Prozesse unter Verwendung der verfügbaren Atline/Offline-Mischsäure-Analysetechniken sowohl schwierig als auch kostenintensiv.

Das Beizen mit Säurelösungen stellt in der stahl- und metallverarbeitenden Industrie einen äußerst wichtigen Schlüsselprozess zur Erzielung hochreiner Metalloberflächen dar [3, 7]. Ziel ist die Entfernung von Zunder, Rost oder anderer unerwünschter Metallschichten, die sich bei der Zwischenlagerung oder in vorangegangenen Produktionsschritten wie zum Beispiel dem Glühprozess bilden. Die Entfernung der Oberflächenoxide mittels Säurebehandlung umfasst die drei Hauptschritte: Entzunderung, chemische Auflösung und Finishing / Veredlung (Oberflächenpassivierung). Die beim Beizvorgang ablaufenden, komplexen chemischen Reaktionen führen permanent zu Änderungen der Beizbadkonzentrationen, was die Badaktivität und letztendlich das Beizergebnis beeinflusst. Die Einhaltung einer gleichbleibend hohen Produktqualität und Anlagenproduktivität erfordert entsprechend leistungsfähige Prozessanalyse- und Regelungssysteme zur Säurebadüberwachung und die gezielte Einstellung der Sollwerte von freien Säureanteilen und Metallkonzentrationen (Nachschärfung, Ausschleusung verbrauchter Beizsäure).

Das Beizen mit Salpetersäure(HNO3)-Flusssäure(HF)- Gemischen [3, 4, 6] nachfolgend als „Mischsäure“ bezeichnet ist das derzeit am meist verbreitete Beizverfahren für alle Edelstahlgüten. In diesem Prozess wird eine Kombination aus oxidierender (HNO3) und reduzierender Säure (HF) verwendet, um die Oxid-Schicht zu lösen und die chrom-verarmte Schicht zu entfernen.

Basierend auf vorangegangenen Forschungsvorhaben [3–5] hat das VDEh-Betriebsforschungsinstitut (BFI) im Rahmen eines EU-Pilot-Projektes [8] in Kooperation mit den Partnern Deutsche Edelstahlwerke (DEW), Outokumpu Nirosta (OTK), Universität von Oviedo (UniOvi), RISE KIMAB (RISE) und Acerinox Europe (ACX) Untersuchungen zur Optimierung der Prozessführung von Edelstahl-Beizanlagen durchgeführt. Schwerpunkte bildeten die Überwachung und gezielte Einstellung der HNO3-HF-Beizesäurekonzentrationen mittels modellgestützter Online-Messtechnik und verbesserte Regelungssysteme. Die Arbeiten umfassten folgende Schwerpunkte:

  • Weiterentwicklung und Optimierung eines innovativen, modellgestützten Online-Konzentrationsmessverfahrens speziell an verschiedenen HNO3-HF-Mischsäure- Applikationen (Bandbeizen, Drahtbeizen, Regenerat). Diese Untersuchungen im Laborbereich und betrieblichen Umfeld von Beizanlagen adressierten den Messtechnik-Prototyp-Aufbau für den industriellen Einsatz (robusteres System, Langzeit-Funktionalität, Sensoren-Standzeit Evaluierung, [4, 5]) sowie das Konzentrationsberechnungsmodell (Genauigkeit und Applikationserweiterung, [3, 4]).
  • Verbesserung der Beizprozessführung an Edelstahl-Bandbeizanlagen – Für die Optimierung der Mischsäure-Konzentrationsüberwachung und -Regelung wurde die Online-Prototype-Messtechnik betrieblich an einer Bandbeizanlage für ferritische und martensitische Stahlgüten sowie an einem Mischsäure-Regenerat-Tank erprobt. Des Weiteren wurde ein fortschrittliches Closed-Loop-Konzentrationsregelungsmodell auf Basis von Online-Konzentrationsdaten entwickelt und betrieblich getestet.
  • Verbesserung der Beizprozessführung an Edelstahl-Drahtbeizanlagen – Für die Optimierung der Mischsäure-Konzentrationsüberwachung und -Einstellung wurden mit der Online-Messtechnik Demonstrations- untersuchungen an einer Tauchbecken-Drahtbeizanlage durchgeführt. Zur Reduzierung der typisch hohen Feststoffkonzentrationen dieser betrieblichen Beizlösungen wurde der Online-Messtechnik eine Filtrationstechnik vorgeschaltet. Ein weiterer Schwerpunkt war die Entwicklung und Erprobung eines innovativen Beizprogramm-Management-Modells, das u. a. vorausschauend das Linienpersonal unterstützt und kritische Prozesszustände in den Mischsäure-Beizbecken verhindert.

2 Stand der Technik

2.1 Konzentrationsüberwachung und Regelung in Mischsäurebeizen

Der Beizprozess und die resultierende Oberflächenqualität sowie die Anlagenproduktivität hängen stark von der Überwachung und Regelung der Beizbadzusammensetzungen ab. Dies ist besonders bei Mischsäure-Edelstahlbeizanlagen eine schwierige Aufgabe, wenn man die Komplexität der hierbei kontinuierlich ablaufenden chemischen Reaktionen, die großen Dimensionen der Beizanlagen und Säureumlaufvolumen von ca. 10 bis 30 m3 je Becken mit Volumenströmen von ca. 10 bis 60 m3/h berücksichtigt. Des Weiteren liegt die Behandlungsdauer der Stahlprodukte zur Erreichung der geforderten Oberflächen- Qualitätsspezifikationen bei Bandbeizanlagen meist nur bei ca. 0,5 bis 1 Minute je Becken und bei Drahtbeizanlagen zwischen ca. 5 und 15 Minuten je Tauchbecken.

Heutzutage erfolgt die Konzentrationsüberwachung von industriellen Beizanlagen noch überwiegend mit chemischen Analysemethoden, z. B. nasschemische Titration, potentiometrische Messungen. Hierbei werden die Konzentrationen an Säuren- und gelösten Metallsalzen (Summenwert) über manuell oder (halb-)automatisch betriebene Analysatoren bestimmt. Automatisierte Offline-/Atline-Prozessanalysatoren vereinfachen die Beizsäureanalyse zwar, doch aufgrund der extremen Einsatzbedingungen im Bereich der Beizanlagen erreichen sie oft nicht das gleiche Maß an Messgenauigkeit und Reproduzierbarkeit wie die im Labor betriebenen Analysegeräte. Zudem ist der Betriebsaufwand für solche Analysatoren hoch (z. B. Verbrauch und Entsorgung von Chemikalien, Wartung- und Instandhaltung) und die Beizbadanalyse einschließlich manueller Probenentnahme oft eine zeitintensive Komponente im Anlagenschichtbetrieb. Bezüglich der Konzentrationsüberwachung in industriellen Mischsäure-Beizanlagen sind überwiegend zwei Analysesysteme kommerziell verfügbar und in betrieblicher Anwendung. Die beiden Systeme unterscheiden sich grundlegend in den angewendeten Methoden.

Die Firma Metrohm hat u. a. Prozessanalysatoren auf Basis der chemischen Labor-Titrationsmethoden entwickelt (z. B. Modellserie ADI 2045PL) bei denen pH-, Fluorid-Ionen-sensitive Elektroden inklusive Referenz-Elektroden für Messungen in stark mit VE-Wasser verdünnten Mischsäureproben eingesetzt werden. Dies ermöglicht dem Anlagenpersonal eine automatisierte Bestimmung der relevanten Konzentrationen an freier Flusssäure (HF), freier Salpetersäure (HNO3) und gelösten Metallsalzen (Summenwert). Inklusive Probenvorbereitung (Probeneinzug und Verdünnung) und Systemspülung dauert eine komplette Analyse ca. 25–30 Minuten. Die Berechnung der Konzentrationen erfolgt über einen speziellen Modellalgorithmus auf Basis einer automatisierten Titrationskurvenauswertung. Bei diesen titrationsbasierten Systemen werden für jede Analyse Chemikalien (NaOH-, Lanthan-Nitrat- und HNO3-Lösungen) verbraucht. Dies führt neben dem Ersatz verbrauchter Elektroden und anderer Gerätekomponenten zu weiteren Betriebskosten (inkl. Entsorgung), die mit der Probenanzahl entsprechend zunehmen. Zur Erhöhung der Messgenauigkeit können Messprogramme über eine Kalibrierung auf verschiedene Applikationen etabliert werden (z. B. Mischsäureproben mit geringer HF- oder Gesamtmetallkonzentration). Aufgrund verschleißbedingter Veränderungen der Elektroden ist in Abhängigkeit der Gerätenutzung eine Methoden-Validierung mit entsprechenden Standardlösungen durchzuführen. Weiterhin bietet Metrohm Analysatoren auf Basis einer thermographischen Titrationsmethode an. Im Gegensatz zu pH-Elektroden werden hier entsprechend geeignete Temperatursensoren eingesetzt. Aktuell liegen dem BFI noch keine Informationen darüber vor, ob diese neue Methode für die Analyse der drei relevanten Konzentrationsparameter von HNO3-HF-Mischsäurelösungen einsetzbar ist und die geforderte Genauigkeit liefert.

Eine weitere Mischsäure-Analysetechnik wird von der Firma Scanacon AB (Schweden) angeboten (z. B. Modelle SA70, SA80+). Bei der Messmethode kommen H+- und F-ionensensitive Elektroden inklusive Referenzelektroden sowie ein Temperatursensor und ein Dichtemesssystem zum Einsatz. Im Gegensatz zu den Metrohm-Analysatoren erfolgt die Bestimmung der drei Konzentrationen freie HF, Gesamt-HNO3 und Gesamtmetallsalze in den vorbereiteten Proben chemikalienfrei auf Basis eines speziellen Berechnungsmodells (Scanacon-Eigenentwicklung). Die Analysetechnik erfordert neben einer Grundkalibrierung auf die Messapplikationen eine regelmäßige bzw. analysefrequenzabhängige Validierung mit definierten Probenstandards. Inklusive Probenbeladung und Spülung dauert eine Analyse ca. 2–5 Minuten. Ein vergleichbares Analysesystem wird ebenso von der Firma Luova AB (Schweden) angeboten. Die zuvor genannten Mischsäure-Analysesysteme haben im direkten Vergleich gewisse Vor- und Nachteile, z. B.

  • Aufwand für Probenvorbereitung und Analysedauer
  • Genauigkeit und -Reproduzierbarkeit der Methode
  • Verbrauch an Chemikalien sowie
  • Aufwand für Kalibrierung und Validierung, Wartung und Betrieb.

An den Beizlinien werden diese Offline-/Atline-Analysatoren oft für die Konzentrationsüberwachung mehrerer Beizbäder eingesetzt. Die Probenahme und deren Zuführung zum Analysegerät erfolgt meist manuell durch das Anlagenbetriebspersonal. Hierbei stellt der Umgang mit den hochgradig gefährlichen HF-haltigen Mischsäureproben ein besonderes Risiko für Betriebsunfälle dar. Die typische Analysefrequenz je Säuresystem liegt in der betrieblichen Praxis wegen des notwendigen Personalbedarfs und dem nutzungsbedingten Aufwand für die Gerätewartung, dem Verschleiß an Elektroden und Chemikalienverbrauch (Titration, Kalibrierung) meist zwischen ca. 4–8 Stunden. Die Gerätelieferanten bieten auch automatische Probenahmesysteme an. Gerade bei Mischsäurelösungen aus den Beizbädern kommt es hier zu Problemen, da Ablagerungen von Metallsalzen (z. B. beim Abkühlen der Probenlösungen) oder von Beizschlamm zu einer Verblockung der dünnen Kunststoffschläuche führen. Dies verursacht Gerätefehlfunktionen und erhöhten Wartungsaufwand.

Eine weitere Analysetechnik für Stahl- und Edelstahl-Beizsäuren ist kommerziell von dem kanadischen Unternehmen Eco-Tec Inc. verfügbar. Die Analysesysteme (z. B. Modelle ADI 3000 oder ADI 5000) liefern die Konzentrationswerte für HNO3-HF-Mischsäurelösungen oder Mono-Säure-Systeme (Schwefel-, Salz- oder Phosphorsäure) und gelöste Metallsalze. Im Gegensatz zu den vorhin genannten Analysesystemen von Metrohm und Scanacon basiert die Methode auf der Messung der physikalischen Größen Dichte und elektrische Leitfähigkeit in kontrolliert verdünnten Probenlösungen. Eine Analyse dauert ca. 7 bis 10 Minuten. Die Proben können den Analysatoren vom Anlagenpersonal manuell zugeführt werden (Modell ADI 3000) oder mittels automatisierter Probenahmesysteme (Modell ADI 5000). In einer Forschungsarbeit [9] wurde gezeigt, dass die FT-Raman-Spektroskopie-Methode zur Konzentrationsbestimmung in HNO3-HF-Mischsäurelösungen eingesetzt werden kann. Die Methode wurde auf Basis künstlicher Säurelösungen mit verschiedenen Konzentrationsvariationen (keine Metallsalze, nur bei Raum- temperatur) entwickelt und mit einigen betrieblichen Säurelösungsproben validiert. Derzeit sind keine Informationen hinsichtlich weiterer Entwicklungsarbeiten in Richtung betrieblich einsetzbarer, kontinuierlich messender Analysetechniken für HNO3-HF-Mischsäurelösungen bekannt.

Bezüglich ternärer Schwefel- oder Salzsäurebeizlösungen sind bereits Online-Messsysteme zur simultanen und kontinuierlichen Bestimmung der Säure- und Eisen-Konzentrationen kommerziell verfügbar. Hierbei kommen überwiegend modellgestützte integrale Messmethoden [10] zum Einsatz. Diese basieren auf der Verwendung physikalischer Parameterkombinationen wie z. B. elektrische Leitfähigkeit (λel.) und Dichte (ρ) [11], Ultraschallgeschwindigkeit (vUS) und ρ [12] oder Ultraschallgeschwindigkeit und Leitfähigkeit [13–17]. Eine weitere Forschungsarbeit [18] zielt auf die Entwicklung einer Online-Konzentrationsanalysetechnik für HCl-Fe-Beizsäuren, die ebenso auf die Messung der physikalischen Parameter vUS und λel. basiert. Eine weitere Analysemöglichkeit stellt eine radiometrische Messmethode [19] dar.

Besonders im Bereich der Edelstahlproduktion besteht ein großer Entwicklungsbedarf für Regelungsmodelle zur hochflexiblen und zukunftsfähigen Beizprozessführung, einschließlich der effektiven Nutzung von Ressourcen wie Chemikalien, Energie und Wasser [20, 21] sowie der Reduzierung von umweltschädlichen Emissionen (NOx, CO2). Verschiedene Entwicklungen fortschrittlicher Regelungsmodelle für Stahlbeizen [11, 15, 16, 21–23] ermöglichen die automatische Bestimmung des Säurebedarfs und der Beizgeschwindigkeit auf Basis verschiedener Eingangsparameter, z. B. Stahlgüte, Bandoberflächen-Dimensionen.

Hinsichtlich des Betriebs von Edelstahlbeizen wurde am BFI ein innovatives Online-Messverfahren zur kontinuierlichen Konzentrationsüberwachung von Mischsäurelösungen entwickelt [3]. Die simultane Bestimmung der drei relevanten Konzentrationen (freie HF, freie HNO3 und Gesamtmetalle) erfolgt über ein mathematisch-physikalisches Modell in Verbindung mit der Online-Messung der physikalischen Messparameter vUS, λel. und Brechungsindex (nD) und Temperatur [10]. Die grundlegende betriebliche Einsetzbarkeit der neuen Online-Messtechnik konnte anhand von Testsystem-Installationen an zwei Edelstahl-Bandbeizanlagen (überwiegend austenitische Stahlgüten) im Rahmen eines Forschungsprojektes [4] demonstriert werden. Mittels leistungsfähiger/fortschrittlicher Prozessregelungsmodelle konnten nun die zur Korrekturdosierung benötigen Volumen von frischen Säuren und Mischsäureregenerat auf Basis von Online- Konzentrationsdaten mit hoher Messpunktdichte in deutlich kürzeren Zeitabständen ermittelt und entsprechende Dosierschritte ausgelöst werden. Des Weiteren ermöglichte die Online-Konzentrationsüberwachung eine Verbesserung von existierenden Beizprozessregelungsmodellen in Verbindung mit der Optimierung von Beizrezepturen für verschiedene Edelstahlgüten und anderen Materialparametern.

Der Mangel an Erfahrung bezüglich der Langzeit-Einsatzfähigkeit und Anwendbarkeit der neuen Online-Mess- technik für verschiedene Mischsäure-Beizanlagen-Applikationen in Kombination mit fortschrittlichen Rege- lungsmodellen erforderte zunächst weitere Optimierungsuntersuchungen für eine umfassende Betriebstauglichkeit. Diese wurden basierend auf Erkenntnissen und Erfahrungen vorangegangener Forschungs- und Entwicklungsarbeiten [3–5] im Rahmen eines EU-RFCS-Pilot-Projektes [8] durchgeführt.

2.2 Online-Sensoren für physikalische Messgrößen

Für den Einsatz des am BFI entwickelten industrietauglichen Online-Konzentrationsmessverfahrens für Mischsäurelösungen ist es wichtig, dass die Messtechnik bei hoher Messpunktdichte (Messtaktraten von 1s bis 1 Min.) und den vorherrschenden Umgebungsbedingungen stabil und verschleißfrei mit hoher Reproduzierbarkeit arbeitet sowie Anschaffungskosten, Wartungsaufwand und Materialbedarf möglichst niedrig sind. An die medienberührenden Sensorenteile der einzusetzenden Messtechnik für die physikalischen Messgrößen (MG) Ultraschallgeschwindigkeit, el. Leitfähigkeit und Brechungsindex werden höchste Materialanforderungen gestellt, da die in den Applikationen vorgesehenen HNO3-HF-Säuregemische für die in der Betriebspraxis relevanten Konzentrationen und die üblichen Temperaturen von ca. 20 bis ca. 60 °C hochaggressiv sind. Angestrebt werden hier Sensor-Standzeiten von mindestens 5 Jahren.

Spezielle metallische Sonderwerkstoffe aus Tantal, Titan oder Hastelloy sind unter diesen Extrembedingungen als Korrosionsschutz für einen dauerhaften Einsatz meist ungeeignet. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass Schutzbeschichtungen aus Kunststoffen wie z. B. ECTFE (Halar®), PFA, PTFE (sowie PTFE-Kohle-Verbundwerkstoffe) oder PVDF eine gute Beständigkeit für HNO3-HF-Säuregemische aufweisen, ebenso Materialien wie Saphir für optische Komponenten und Perfluorelastomer-Werkstoffe, wie z. B. FFKM und FKM für Dichtungen.

Abb. 1: Prozessrefraktometer (Fa. Flexim GmbH) mit Durchflusszelle (links) und neuer Flanscheinbauversion (rechts)Abb. 1: Prozessrefraktometer (Fa. Flexim GmbH) mit Durchflusszelle (links) und neuer Flanscheinbauversion (rechts)

Abb. 2:  PVDF-Rohrmessstrecke mit Online- Sensoren und PP-Schutz-EinhausungAbb. 2: PVDF-Rohrmessstrecke mit Online- Sensoren und PP-Schutz-EinhausungZur kontinuierlichen Messung der Ultraschallgeschwindigkeit sind bereits seit mehreren Jahren verschleißarme Rohrsonden mit höchstwiderstandsfähigen Kunststoffbeschichtungen (z. B. Fa. SensoTech GmbH [17], siehe Abb. 2, links unten) verfügbar. Je nach Prozessmedium und Messapplikation bestehen alternative Beschichtungsmöglichkeiten mit z. B. ECTFE, ETFE und PFA (Pulverbeschichtungsverfahren) oder PFA-Inliner (Spritzgussverfahren). Eine kontinuierliche Bestimmung der elektrischen Leitfähigkeit von hochaggressiven, flüssigen Prozessmedien ermöglichen z. B. Messgeräte auf Basis einer induktiven Messmethode mit PFA-beschichteten Ringsonden (z. B. Fa. Yokogawa Deutschland GmbH, siehe Abb. 2 links Mitte). Hinsichtlich der Brechungsindexmessung sind bereits Prozessrefraktometer für die Konzentrationsbestimmung in Prozessmedien kommerziell verfügbar [5, 24, 25]. Diese basieren entweder auf dem Grenzwinkelverfahren [24] oder dem Durchlichtverfahren[25]. Refraktometer mit dem Grenzwinkelverfahren (Prinzip Abbe-Refraktometer [24]) sind konstruktiv einfacher aufgebaut und Applikationen für aggressive Prozessmedien lassen sich so konstruktiv einfacher realisieren. Allerdings führen aufgrund des Messprinzips schon geringste Beläge auf der Prisma-Oberfläche zu einer nichtdetektierbaren Messwertdrift und stärke Beläge sogar zum Totalausfall der Messung. Da durch die in betrieblichen Beizlösungen vorhandene Zunder- und Beizschlammbeladung mit einer zunehmenden Belagsbildung auf dem Prisma gerechnet werden muss, wird das von der Firma Flexim GmbH (Berlin) patentierte Durchlichtrefraktometer mit Differenzmessverfahren [5, 25] für die Realisierung der Online-Konzentrationsmesstechnik in Mischsäure-Beizlösungen bevorzugt. Eine integrierte Überwachungsfunktion ermöglicht die Detektion von Fehlmessungen, die durch übermäßige Belagsbildung auf den optischen Komponenten (Saphir-Fenstern) oder zu hoher Feststoffkonzentration im Messmedium ausgelöst werden. Für die grundlegenden Untersuchungen zur Messverfahrensentwicklung [3] und ersten Testmessungen im betrieblichen Umfeld [4] war zunächst nur ein speziell entwickelter hochkorrosionsbeständiger Prozessrefraktometer-Typ mit einer Durchflussmesszelle verfügbar (PTFE-Kohlenstoff-Compound, Saphir-Fenster, siehe Abb. 1, links). Erfahrungen mit betrieblichen Beizlösungen zeigten wiederholt Verblockungen der Durchflussmesszelle, die durch Ansammlungen von Zunderfragmenten und kristallinen Ablagerungen verursacht wurden. Im Rahmen eines weiteren Forschungsvorhabens [5] konnte ein größerer hochkorrosionsbeständiger Prozessrefraktometer-Typ für den Flanscheinbau entwickelt und für den Einsatz in HCl-Fe-Säurelösungen mit Partikelfrachtkonzentrationen bis ca. 9 g/L optimiert werden (siehe Abb. 1, rechts). Die Messgenauigkeit und Messfunktion der drei Sensortypen können unter anderem durch Gasblasen, Partikelfracht und Ablagerungen beeinflusst werden. Diese Effekte lassen sich in einem gewissen Rahmen z. B. durch hohe Abtastraten, Signalstörfilter und Messwertmittelung reduzieren. Weitere Möglichkeiten zur Sicherstellung optimaler Messfunktionen stellen verbesserte Betriebsbedingungen dar, z. B. der Einbauort der Sensoren-Messrohrstrecke und die Strömungsbedingungen des Messmediums. Zur Kompensation von Messfehlern und zur Erhöhung der Messgenauigkeit benötigen alle drei Online-Messverfahren für die physikalische Messgrößen eine entsprechend genaue, integrierte Temperaturerfassung.

–wird fortgesetzt–

Symbol- und Abkürzungsverzeichnis

Symbol

Beschreibung

Einheit

Cx

Säure- oder Metallsalz- Konzentration

g/L

k_x_y

Polynomkoeffizienten

g/L

MGx

Messgröße (vUS, λel, nD)

diverse

nD

Brechungsindex

-

T

Temperatur

°C

vUS

Ultraschallgeschwindigkeit

m/s

λel.

Elektrische Leitfähigkeit

mS/cm

 

Abkürzung

Beschreibung

CPN

Causal-Probabilistic-Networks

Cx

Konzentration

Cr

Chrom

E-CTFE

Ethylen-Chlortrifluorethylen

EDS

Energy Dispersive Spectroscopy

FFKM / FKM

Perfluorkautschuk / Fluorkautschuk

Fe

Eisen

FEG-SEM

Field Emission Gun-Scanning Electron Microscopy

GUI

Graphical User Interface

H+

Wasserstoff-Ionen

H2SO4

Schwefelsäure

HCl

Salzsäure

HF

Flusssäure

HNO3

Salpetersäure

IRS

Infrarot-Spektroskopie

kx_y

Polynomkoeffizienten

Ni

Nickel

PFA

Perfluoralkoxylalkan

PTFE

Polytetrafluorethylen

PVDF

Polyvinylidenfluorid

RFA

Röntgen-Fluoreszenz-Analytik

SOM-(NG)

Self-Organizing-Map-(Neural Gas)

Literatur

[1] Kessler, R.W.: Prozessanalytik – Strategien und Fallbeispiele aus der industriellen Praxis, Wiley-VHC Verlag (2012)
[2] Industrie 4.0: http://www.bfi.de/de/themen/industrie- 4-0-und-messtechnik 
[3] Werner, M.; Wolters, R.; Titze, K.; Kozariszczuk, M.: Neues Messverfahren zur kontinuierlichen Konzentrationsmessung in HNO3-HF-Mischsäurebeizen, Jahrbuch Oberflächentechnik Band 69, 2013, 304–322
[4] EU-RFCS-Projekt Flexible production by multi sensor process control of pickling lines (FLEXPROMUS, RFSR-CT-2010-00017, 7/2010–12/2013)
[5] Werner, M.; Wolters, R.; Kozariszczuk, M.; Hoheisel, G.; Ludwig, J.; Bange, S.: Industrietaugliche Online-Messtechnik zur Konzentrationsüberwachung von HCl-Fe(II)-Fe(III)-Beizbädern, Jahrbuch Oberflächentechnik Band 72, 2016, 231–254 sowie Galvanotechnik, Band 108, 2017, Ausgaben 9 und 10
[6] Rituper, R.: Beizen von Metallen, Eugen G. Leuze Verlag, Bad Saulgau (1993)
[7] Giordani, P.; Rigamonti, M.; Gasparetto, V.: Stainless steel pickling processes with non-toxic Cleanox (Registered trademark) solutions, Wire Journal International, 39 (2006) 8, 62–66
[8] EU-RFCS-Projekt Optimisation of the mixed-acid online monitoring and control in stainless steel pickling plants (MACO Pilot, Grant Agreement Nr. 709694, 7/2016–12/2019
[9] Kang, G.; Lee, K.; Park, H.; Lee, J.; Jung, Y.; Kim, K.; Son, B.: Quantitative analysis of mixed hydrofluoric and nitric acids using Raman spectroscopy with partial least squares regression, Talanta, Volume 81, Issues 4–5, 15 June 2010, 1413–1417
[10] Dinger, F.: Indirekt zum Ziel – Inline-Prozessanalytik mit integralen Messverfahren, Chemietechnik 3 (2006), 22–30
[11] SIROLLCIS FAPLAC technology package for SIROLLCIS pickling lines, Firmenschrift, Siemens VAI, Metals Technologies GmbH & Co., Linz, Austria
[12] Überwachung von Beizbädern, Firmenschrift Anton Paar GmbH (Graz, Österreich, www.anton-paar.com)
[13] Deutsches Patent 10 2004 023 734: Verfahren und Vorrichtung zur Konzentrationsbestimmung mindestens eines Metallsalzes und mindestens einer Säure einer mindestens ein Metallsalz enthaltenden Beizsäure
[14] Wolters, R.; Schmidt, B.: Verbesserung des Beizprozesses durch kontinuierliche und einfache Online-Überwachung der Beizbadqualität, Schlussbericht zum AiF-Forschungsvorhaben FKZ 14062 N, August 2007, BFI-Bericht-Nr. 4.48.129
[15] EU-RFCS-Projekt Sensor-based online control of pickling lines (SensorControl, EUR 23872 EN, 07/2004-12/2007)
[16] EU-RFCS-Projekt Implementation of sensor based online control of pickling lines (SensorControlPilot, EUR 25320-EN, 07/2007-06/2010)
[17] Prozessanalytik in Stahl- und Walzwerken, SensoTech GmbH, stahl und eisen 132 (2012) 5, 94
[18] Park, H.K.; Lee, J.H.; Noh, I.-H.: Development of a concentration measurement system for pickling line control, Journal of Institute of Control, Robotics and Systems, Volume 19, (10) 2013, 891–895
[19] Radiometrische Messsysteme / Säuremanagement in Beizlinien, Firmenschriften, Berthold Technologies GmbH & Co., KG, Bad Wildbad
[20] Critchley, S.; Voges, K.; Mueth, A.; Lehane, B.: Eco pickled surface: an enviromentally advantageous alternative to conventional acid pickling, AISTech 2007, Iron and Steel Techn. Conference, AIST, Proceedings, Vol. 2, Indianapolis, US, May (2007) 7–10, 1–18
[21] Rögener, F.; Buchloh, D.; Schmidt, B.: Nachhaltige Prozessführung beim Beizen von nichtrostenden Stählen, Galvanotechnik 98 (2007) 12, 2921–2928
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[24] Prozess-Refraktometer zur Konzentrationsmessung in chemisch aggressive Medien, K-Patents AG (Vantaa, Finnland, www.buehler-technologies.com)
[25] Prozessanalytik durch Inline-Refraktometrie, Firmenschrift FLEXIM GmbH (Berlin, Deutschland, www.flexim.com/de)
[26] Géron, A.: Praxiseinstieg – Machine Learning mit Scikit-Learn & TensorFlow, O’REILLY-Verlag (2017)
[27] https://www.dantecdynamics.com/solutions-applications/solutions/laser-shearography-ndt/ 
[28] Machón-González, I.; López-García, H.; Bocos-Barranco, I.: Dynamics identification and control of nonlinear MIMO coupled plant using supervised neural gas and comparison with recurrent neural controller, Neural Computing and Applications, 2019, available in: <https://doi.org/10.1007/s00521-019-04195-9 > full-text view-only version https://rdcu.be/bEdgbUniOvi 1
[29] Machón-González, I.; López-García, H.: Feedforward Nonlinear Control using Neural Gas Network, Complexity, John Wiley & Sons – Hindawi Publishing Corporation, 2017, available in: https://doi.org/10.1155/2017/3125073 ISSN 1076-2787
[30] Eduardo-Espitia, H.; Machón-González, I.; López-García, H.; Díaz-González, G.: Proposal of an Adaptive Neurofuzzy System to Control Flow Power in Distributed Generation Systems, Complexity, 2019, ISSN 1076-2787, available in: https://doi.org/10.1155/2019/1610898 

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 7
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Matthias Werner VDEh-Betriebsforschungsinstitut (BFI), Düsseldorf; Matthias Kozariszczuk VDEh-Betriebsforschungsinstitut (BFI), Düsseldorf; Jonas Engblom RISE KIMAB AB (RISE), Stockholm/Kista (Schweden); Ralf Wolters VDEh-Betriebsforschungsinstitut (BFI), Düsseldorf; Frederik Kolinke Deutsche Edelstahlwerke Speciality Steel GmbH & Co.KG (DEW), Hagen; Iván Machón-González University of Oviedo (UniOvi), Oviedo/Gijon (Spanien)

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