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Dienstag, 24 August 2021 10:59

Konzentrationen online überwachen – Teil 2 – Zu den Untersuchungsergebnissen

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Geschätzte Lesezeit: 9 - 18 Minuten

3 Untersuchungen und Ergebnisse zur Online-Konzentrationsüberwachung und Regelung von HNO3-HF-Edelstahl-Beizanlagen

3.1 Charakterisierung der Arbeitsbereiche von Mischsäure-Edelstahl-Beizanlagen und Festlegung der Anforderung an die Messtechnik

3.1.1 Charakterisierung der ausgewählten Edelstahl-Beizlinien

Zur Charakterisierung der typischen Arbeitsbereiche von HNO3-HF-Mischsäure-Edelstahlbeizanlagen (Beizbecken, Säurekreissysteme, Regenerat-Stapeltanks) wurden sowohl Analysen betrieblicher Proben im BFI-Labor durchgeführt als auch von den Beizanlagenbetreibern bereitgestellte Prozessdaten (typische Konzentrations- und Temperaturdaten, Sollwertbereiche) ausgewertet. Am BFI erfolgte die Bestimmung der Konzentrationen an freier HF, freier HNO3 und Gesamtmetallen mittels nasschemischer Titration an einem Metrohm-Analysesystem. Der Anteil der Hauptmetallsalze (überwiegend Fe, Cr und Ni) am Gesamtmetallgehalt wurde mittels Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) ermittelt. Auch wurden Untersuchungen zur Feststellung typischer Feststoffkonzentrationen durchgeführt (gravimetrische Methode). Eine Auswertung der gewonnenen Daten ist in Tabelle 1 zusammengestellt.

Während Labormessungen mit der weiterentwickelten Prozessrefraktometer-Technik (Flanscheinbauversion, Kap. 3.2) in den untersuchten betrieblichen Proben aus den Bandbeizanlagen ausreichende Durchstrahlbarkeitswerte zeigten, waren diese bei den Proben aus den Tauchbecken der Drahtbeizanlage aufgrund der typisch hohen Partikelfrachtkonzentrationen meist zu niedrig, um eine plausible Brechungsindex-Bestimmung zu ermöglichen. Für den Einsatz der BFI-Online-Messtechnik an der Drahtbeize war in diesem Fall eine Probestromvorbehandlung durch geeignete Filtrationstechnik (Absenkung der Feststoffkonzentration < ca. 9 g/L für Refraktometer-Einsatz) erforderlich.

3.1.2 Definition der Anforderungen an die Messtechnik

Folgende grundlegende Anforderungen werden an die betrieblich einsetzbare Online-Konzentrationsmesstechnik für Mischsäure-Beizlösungen gestellt:

  • Kontinuierliche und simultane Ermittlung der Konzentrationen an freier HF, freier HNO3 und Gesamtmetallen in g/L
  • Konzentrations- und Temperaturbereiche: Werte ca. lt. Angaben in Tabelle 1
  • Einsetzbarkeit für Feststoffkonzentrationen in der Säurelösung bis ca. 9 g/L
  • Messunsicherheit: < ± 5 g/L für freie HF und Gesamtmetalle, < ± 8 g/L für freie HNO3
  • Modular aufgebaute, robuste und wartungsarme Mess- technik (z. B. automatisierte Systemspülung)
  • Anzeige der Konzentrationsdaten und Systemstatusinformationen am Gerät und Schnittstellen für die Datenübertragung an das Beizlinien-Steuerungssystem
  • Umschaltung auf verschiedene Messprogramme (manuell am Gerät und über externes Steuersignal z. B. von Beizlinien-Steuerung) und
  • Personalaufwand für die Messtechnikbetreuung, der Materialverbrauch (Chemikalien) und der Verschleiß der Messtechnik sollen im Vergleich zu bestehenden Analyseverfahren (z. B. manuelle nasschemische Titration) deutlich niedriger sein.
Tab. 1 : Konzentrations- und Temperaturbereiche der untersuchten HNO3-HF-Edelstahl-Beizanlagen (Prozess- und Analysedaten)
 

Draht- Tauchbeize

Bandbeizen

Mischsäure- Regenerat

HF (frei) in g/L ca. 25–55 ca. 3–60 ca. 25–75

HNO3 (frei) in g/L

ca. 70–200 ca. 70–200 ca. 90–200
Gesamtmetall (Summe Fe, Cr, Ni) in g/L ca. 10–70 ca. 10–60 ca. 1–8

Abfiltrierbare Stoffe (Beizschlamm, Partikelgröße > 8 µm) in g/L

Ø ca. 10–280 Ø ca. 2–6 Ø ca. < 1
T in °C ca. 20–43 ca. 20–60 ca. 20–45

3.2 Aufbau und Optimierung der Prototyp-Online-Konzentrationsmesstechnik

3.2.1 Optimierung der Sensoren-Rohrmessstrecke

Abb. 3:  Sensoren-Messstrecke mit separatem  Refraktometer-Spülanschluss Abb. 3: Sensoren-Messstrecke mit separatem Refraktometer-Spülanschluss In ersten betrieblichen Untersuchungen mit Testmesssystemen an Mischsäure-Edelstahl-Bandbeizen [4] wurden Limitierungen festgestellt, die weitere Optimierungen der Online-Messtechnik für eine robuste industrietaugliche Einsetzbarkeit erforderten.

Eine grundlegende Verbesserung der Messtechnik-Langzeiteinsetzbarkeit und Reduzierung des Wartungsaufwands konnte durch den Austausch des hochkorrosionsbeständigen Prozessrefraktometers mit Durchflussmess- zelle [3, 4], (Abb. 1, links, s. Heft 7/2021, S. 872) gegen eine neu entwickelte Flansch-Einbauversion [5] (Abb. 1, rechts, s. Heft 7/2021, S. 872) erreicht werden. Durch weitere applikationsbezogene Gerätemodifikationen konnte die Einsetzbarkeit für betriebliche Mischsäure-Beizlösungen von ca. 2–3 g/L auf ca. 9 g/L Feststoffgehalt erhöht werden. Im Gegensatz zur Durchflusszellen-Version (Durchflussöffnung << 8 mm) kann durch den Einbau der Flansch-Version (mit größerer Messspaltöffnung) im DN80-Rohr die Gefahr durch eine Verblockung mit Sedimenten (Zunderpartikel, kristalline Ausfällungen) deutlich reduziert werden.

Die Verfügbarkeit eines größeren Prozessrefraktometers (hier Typ PIOX R400, Flexim GmbH, Deutschland) ermöglichte die Optimierung des Sensoren-Messstrecken- Rohraufbaus. Das Refraktometer konnte nun zusammen mit den anderen beiden Sensoren in die DN80-PVDF- Messrohrstrecke integriert werden (Abb. 2, s. Heft 7/2021, S. 873), wodurch ein separater Rohrleitungs-Bypass für die Durchflusszellen-Version entfällt. Die Flanschanschlüsse an beiden Messrohrenden ermöglichen eine flexiblere Anbindung an das Säurezirkulationssystem mit entsprechenden Reduzierungssegmenten (> DN32 empfohlen). Zur kontinuierlichen Messung der Ultraschallgeschwindigkeit wurde ein Flansch-Sensortyp mit ETFE-Schutzbeschichtung verwendet (LiquiSonic-Rohrsensor V10 DN80, Firma SensoTech GmbH, Deutschland). Im Vergleich zur zuvor verwendeten ECTFE-Beschichtung (ca. 0,8–1 mm Schichtdicke) sollen mit dem speziellen ETFE-Polymermaterial und der höheren Schichtdicke von ca. 2 mm längere Sensoren-Standzeiten in Mischsäurelösungen erreichbar sein. Die höhere Beschichtungsdicke erfordert die Verwendung eines zusätzlichen externen Temperatursensors (PTFE-Schutzumhüllung), um eine schnelle Erfassung des Temperatursignals für das Konzentrationsberechnungsmodell zu gewährleisten. Die Messung der elektrischen Leitfähigkeit erfolgt über eine PFA-beschichtete Ringsonde (Typ ISC40-TG/TFN, Fa. Yokogawa).

Zur Reduzierung des Wartungsaufwands und zur Durchführung von Servicearbeiten (z. B. Ausbau von Sensoren zur Validierung oder Instandsetzung) wurden entsprechende Anschlüsse zur manuell oder automatisiert auslösbaren Spülung der gesamten Sensoren-Messstrecken- Rohraufbaus (inkl. Sensoren-Oberflächen) von Ablagerungen mit Wasser an der Messstelle installiert. Des Weiteren wurde eine verbesserte separate Spülvorrichtung (Spritzdüse) integriert, die bedarfsmäßig eine gezielte Reinigung der optischen Komponenten (Saphir-Fenster) mittels Wasserstrahl über einen manuell oder automatisiert aktivierbaren Wasseranschluss ermöglicht (Abb. 3).

Der zur Optimierung der Betriebs- und Messbedingungen vertikal ausgerichtete Sensoren-Messstrecken-Rohraufbau (Fa. KTM GmbH, Montabaur, Deutschland) ist von einer Kunststoff-Einhausung (Material PP) mit abnehmbarer transparenter Frontscheibe umschlossen (Abb. 2). Dies dient zur Verlängerung der Messtechnik-Standzeit durch den Schutz vor den oft rauen Umgebungsbedingungen an Mischsäure-Beizanlagen (Oberflächen-Kontamination durch Schmutz, Säuredämpfe und Säureleckagen) und zum Schutz des Betriebspersonals vor Mischsäurekontamination im Fall von Undichtigkeiten am Messsystem. Die Öffnungen für die Rohranschlüsse und Sensorenkabel können variabel während der Installation vor Ort an den Beizanlagen angebracht werden.

3.2.2 Optimierung Messtechnik-Schaltschrank und Modell-Controller

gt 2021 08 0081Abb. 4: Prototyp-Messtechnik-Schaltschrank mit Modell-Controller und Peripherie Im Vergleich zu ersten Test- und Prototyp-Messtechnikentwicklungen [4, 5] wurden der Modell-Controller (Verarbeitung der physikalischen Online-Messdaten und Konzentrationsdatenberechnung) und Peripheriekomponenten (z. B. Daten-Interface-Anschlüsse für Sensoren- und Messtransmitter-Anbindung sowie die Daten-Kommunikation mit dem Beizlinien-Steuerungssystem, Touch-Screen-Display) mittels Standard-SPS-Modulen realisiert (Abb. 4). Dies ermöglicht, zukünftige System-Modifikationen und Reparaturarbeiten über den Austausch einzelner Komponenten einfacher durchzuführen. Um die Konfiguration, den Betrieb und die Fehlerbehandlung der Messtechnik hinsichtlich einer sichereren und stabileren Funktionalität zu verbessern, ist die Messdatenverarbeitung und Anzeige als auch die Systemkonfiguration mit einer SPS-Software programmiert worden. Ebenso wurde die Überwachung der physikalischen Messparameter optimiert, z. B. durch applikationsbezogene Messsignalbereichslimitierungen und Signalfehler-Filter. Alternativ zu 4-20 mA Analogsignal-Datenausgabe-Anschlüssen (berechnete Konzentrationen, Säure-Temperatur) und digitalen I/O-Interface-Anschlüssen (Informationen zum Systemfunktions- und Fehlerstatus, Modelldatensatz-Auswahl) ist nun auch ein komfortabler bidirektionaler Datenaustausch mittels Standard-Ethernet-TCP/IP-Interface möglich. Die Schaltschrankabmessungen (Höhe x Breite x Tiefe) liegen derzeit bei 1,0 x 0,8 x 0,3 m.

3.3. Erweiterung und Optimierung des Konzentrationsberechnungsmodells

3.3.1 Untersuchungen zur Modell-Erweiterung

Abb. 5: Schematische 3D-Darstellung der Stützpunkte  der HNO3-HF-Gesamtmetall-Modelldatenbasis  (freie HF, freie HNO3, Gesamt-Metalle)  Abb. 5: Schematische 3D-Darstellung der Stützpunkte der HNO3-HF-Gesamtmetall-Modelldatenbasis (freie HF, freie HNO3, Gesamt-Metalle) Das am BFI bisher erarbeitete mathematisch-physikalische Konzentrationsberechnungsmodell für HNO3-HF- Säuregemische [3, 4] musste für den typischen Arbeitsbereich (Konzentrations- und Temperaturbereiche) der ausgewählten Edelstahl-Beizanlagenapplikationen erweitert werden. Der Fokus lag hierbei auf der Erweiterung der Modelldatenbasis für folgende Mischsäure-Messapplikationen:

  • Drahtbeize: höhere Konzentrationen an Gesamtmetallsalzen bis ca. 70 g/L
  • Bandbeizen für martensitische Stahlgüten: niedrige Konzentrationen an freier HF bis ca. 5 g/L und
  • Regenerat (aus Andritz-PYROMARS-Anlage): geringe Konzentrationen an gelösten Metallsalzen bis ca. 10 g/L (z. B. im Fall von Anlagenstörungen) bei hohen Konzentrationen an freier HF (ca. 40–75 g/L) und freier HNO3 (ca. 85–210 g/L).

Zur Erweiterung der Modelldatenbasis sind mit synthetischen Säurelösungen definierter Konzentrationskombinationen ergänzende Messungen der physikalischen Parameter vUS, λel. und nD zwischen ca. 20 und 65 °C in der Multi-Sensor-Laboranlage [1] durchgeführt worden. Die physikalischen Messdaten und entsprechenden Referenzanalysedaten wurden für die applikationsbezogene Erweiterung der Berechnungsmodelle in die Modelldatenbasis integriert. Diese umfasst mit mehr als 48 Stützpunkten einen Bereich mit höheren Säuren- und niedrigen Gesamtmetallkonzentrationen (frische Beizsäure, Regenerat) sowie einen Bereich mit niedrigeren Säure- und höheren Gesamtmetallkonzentrationen (verbrauchte Beizsäure), siehe schematische Modell-Skizze in Abbildung 5.

3.3.2 Optimierungen des Konzentrationsberechnungsmodells

Der Fokus dieser Untersuchungen lag auf der Weiterentwicklung der Konzentrationsberechnungsmodelle für die Durchführung betrieblicher Messtechnik-Demonstrationen in der Drahtbeize und der Bandbeize für ferritische und martensitische Stahlgüten inklusive Regenerat-Stapeltanks sowie auf der weiteren Optimierung in Bezug auf die Messgenauigkeit. Anhand der Modellstützpunkte wurden in MatLab® Berechnungsmodelle für die Konzentrationen freie HF, freie HNO3 und Gesamtmetalle (Fe, Cr, Ni) entwickelt. Diese basieren auf Multi-Parameter-Polynomfunktionen nach Gleichung <1> bis <3>. Die Struktur der Polynomfunktionen ist hierbei für alle drei Konzentrationen identisch. Die Koeffizienten (k_x_y, x = 1–3, y = 1–40) werden mittels multivariater Polynomregressionsanalyse [26] anhand der physikalischen Messgrößen T, vUS, λel. und nD sowie den zugeordneten Referenzkonzentrationen c1, c2 und c3 ermittelt.

gt 2021 08 0073

Die Polynomfunktionen zur Berechnung der drei relevanten Mischsäure-Konzentrationen sind im Modell-Con- troller der Online-Messtechnik hinterlegt. Die Koeffizienten-Matrix wird als Teil von applikationsbezogenen Modelldatensätzen als Datei in die Controller übertragen. Über ein entwickeltes MatLab®-Programm besteht die Möglichkeit, ergänzend zur Labor-Modelldatenbasis, durch Inter- und Extrapolationsalgorithmen zusätzliche Stützpunkte zu generieren. Die höhere Datendichte dient der Verbesserung von Modell-Trainings- und Validierungsuntersuchungen. Durch Anpassungen an den multivariaten Polynom-Regressionsfunktionen, z. B. über das Hinzufügen und Modifizieren weiterer Terme von Parameterkombinationen, konnte die Genauigkeit der Konzentrationsberechnungsmodelle in Bezug auf die Modelldatenbasis weiter optimiert werden.

Hinsichtlich der Einsetzbarkeit dieses Modelltyps zur mathematischen Abbildung der kompletten Datenmatrix bestehen gewisse Limitierungen. Vor allem bzgl. der Konzentrationsgröße freie HF steigen die Abweichungen mit sinkender Temperatur < ca. 40 °C an. Eine applikationsbezogene Bereichseingrenzung der Modelldatenmatrix stellt aktuell die am besten geeignete Möglichkeit zur Erhöhung der Modellgenauigkeit dar. Des Weiteren wurde die Eignung alternativer Regressions-Modell-Typen, z. B. der Random-Forrest-Regression oder der K-Nearest-Neighbour-Regression [26] für diesen Anwendungsfall untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass der Trainings- und der Validierungsaufwand solcher Modelle im Vergleich zum multivariaten Polynomregressions-Modell deutlich höher und die Leistung bzgl. unbekannter Anwendungsdaten geringer ist. Für eine zukünftige messtechnische Umsetzung müssen weitere Untersuchungen durchgeführt werden.

Da sich die verwendeten synthetischen Modell-Mischsäurelösungen in ihrer Matrix von den betrieblichen Säurelösungen unterscheiden (z. B. Partikelfracht, Metallsalzvariationen), auch systembedingte Unterschiede zwischen der BFI-Laboranlage und betrieblicher Online-Messtechnik bestehen, ist eine Kalibrierung auf die applikationsbezogenen Bedingungen mittels Proben-Referenzanalytik erforderlich. Die für die drei Konzentrationsparameter ermittelten Differenzen zwischen Modell und Referenzwert können entweder über die Anwendung von Kalibrierfunktionen angepasst werden oder es werden referenzierte betriebliche Messdaten direkt beim Training des Modells verwendet. Hierfür wurden intensive Untersuchungen im Rahmen der betrieblichen Messtechnik-Demonstrationen durchgeführt. Neben einfachen linearen Kalibrierfunktionen sind auch komplexere Polynomfunktionen im Modell-Controller aktivierbar, die eine verbesserte Korrektur für verschiedene Modellbereiche ermöglichen.

3.4 Untersuchungen zur Optimierung der Konzentrationsüberwachung und -Regelung an Edelstahl- Mischsäure-Beizanlagen

3.4.1 Edelstahl-Band-Beizlinie und Säureregenerationsanlage

Ziele der Untersuchungen waren die Erprobung und Optimierung der Online-Prototyp-Messtechnik unter betrieblichen Bedingungen an einer Outokumpu-Bandbeize der Andritz Metals AG, Österreich für martensitische und ferritische Stahlgüten sowie die Optimierung der Konzentrationsüberwachung und -regelung.

Kontinuierliche Konzentrationsüberwachung von Mischsäurebeizlösungen

Abb. 6: Schematische Darstellung der Online-Messtechnik-Integration im Säurekreislauf der Bandbeizanlage   Abb. 6: Schematische Darstellung der Online-Messtechnik-Integration im Säurekreislauf der Bandbeizanlage Hierzu wurden zwei Prototyp-Online-Messsysteme an der Beizlinie und ein System an einem Regenerat-Stapeltank installiert. Die Beizlinie besteht u. a. aus zwei Mischsäure-Beizsektionen, wobei jedes Beizbecken wahlweise von zwei Säurekreislauftanks versorgt werden kann (Abb. 6). Dies ermöglicht eine schnelle und flexible Beizprogramm-Umschaltung zwischen den Prozessbedingungen für ferritische und martensitische Stahlgüten. Je Beizsektion wurde ein Online-Messsystem installiert (Abb. 7, links), das erstmalig über eine automatisiert angesteuerte Ventilschaltung auf das jeweils aktive Säurekreislaufsystem umgeschaltet wird. Aufgrund der einfacheren Umsetzung verbunden mit geringen Kosten erfolgte die Kreislaufanbindung der Sensoren-Rohrmessstrecke in einer Bypass- Konfiguration zur Säuretank-Kreislaufpumpe (Abb. 6, Tank 2 und 4, rechts). Diese Konfiguration hat sich im Verlauf der Tests als nachteilig erwiesen. Der zu geringe Volumenstrom von < 3 m3/h führte wiederholt zu stärkeren Beizschlamm-Ablagerungen an den Sensoren, was zu größeren Störungen der Sensorfunktionen führte und größeren Wartungsbedarf verursachte. Zur Beseitigung dieser ungünstigen Mess- und Betriebsbedingungen wurde testweise ein Umbau der Messtechnik-Kreislaufanbindung an zwei Tanksystemen vorgenommen. Hierbei wurden Zu- und Rücklauf zur Messtechnik erst in der Druckleitung nach der Pumpe vom Kreislauf abgezweigt (Abb. 6, Tank 1 und 3, links). Über eine Drosselklappe (ca. 50 % geschlossen) konnte ein Volumenstrom von ca. 10 m3/h im Bypass-Kreislauf manuell eingestellt werden. Der automatisierbare Umschaltbetrieb auf den anderen Tankkreislauf erfordert in dieser Konfiguration jeweils ein zusätzliches Automatik-Ventil.

Neben der Umschaltautomatik zwischen zwei Säurekreisläufen wurde zur Reduzierung des Pflege- und Wartungsaufwands eine Ventilschaltung implementiert, die eine manuell oder automatisiert von der Anlagensteuerung auslösbare Spülung der Sensoren-Messstrecke ermöglicht. Die automatisierte Variante berücksichtig sowohl die Auslösung über ein definierbares Zeitintervall (z. B. alle 24 h) als auch eine Grenzwert-Überwachung der Prozessrefraktometer-Signalamplitude, die u. a. einen Indikator für den Grad der Belagsbildung auf den optischen Komponenten des Sensors darstellt. Für eine gezielte Abreinigung der Saphirfenster und des Messspalts des Prozessrefraktometers wurde ergänzend eine Spüldüse integriert. Diese wird über einen variierbaren Teilvolumenstrom des Messstrecken-Spülanschlusses versorgt (Abb. 7, Mitte).

Die Datenkommunikation zwischen den drei Online- Messsystemen und dem Beizlinien-Kontrollsystem wurde mittels TCP/IP-Ethernet-Schnittstellen mit fachlicher Unterstützung des Anlagenbauers Andritz AG realisiert. Die Konzentrationsdaten sowie die Statusinformationen der drei Systeme werden im SPS-System verarbeitet, aufgezeichnet und am HMI im Linien-Leitstand angezeigt (Abb. 7, rechts). Nach der mechanischen Installation und elektrischen Anbindung wurden Untersuchungen zur Optimierung der Messsysteme auf die betrieblichen Mess- und Betriebsbedingungen durchgeführt. Dies umfasste u. a. die applikationsbezogene Kalibrierung der Konzentrationsberechnungsmodelle mittels Referenzanalytik, modell-, soft- und hardwaretechnische Optimierungen zur Verbesserung der Messgenauigkeit und Langzeitfunktionalität sowie Funktionstests im Kreislaufumschalt- und Reinigungsbetrieb. Unter optimalen Messbedingungen liegen die Abweichungen zwischen den Werten der BFI-Referenzanalytik und der modellgestützten Online-Messung im Bereich von ca. ± 5 g/L für die Konzentrationen an freier HF und Gesamtmetallen und im Bereich von ca. ± 8 g/L für die Konzentration an freier HNO3.

Kontinuierliche Konzentrationsregelung an Mischsäure-Bandbeizlinien

Abb. 7:  Prototyp der Online-Messtechnik  an der Mischsäure-Bandbeizlinie  und Messtechnikdaten-Anzeige  im Leitstand (rechts) Abb. 7: Prototyp der Online-Messtechnik an der Mischsäure-Bandbeizlinie und Messtechnikdaten-Anzeige im Leitstand (rechts) Zur Einstellung der Mischsäurekonzentrationen setzt der Anlagenbauer Andritz eine Kombination aus einer rezepturbasierten automatisierten Vordosierungsfunktion je Coil und einer Korrekturdosierungsfunktion auf Basis der mittels Offline/Atline-Analytik ermittelten Soll-Ist-Wert- abweichungen ein. In Abhängigkeit der zu beizenden Stahlgüten, der Beizprozessführung und Analysefrequenz (ca. alle 8 h) kann es bei diesem Regelungskonzept zu größeren Soll-Ist-Wertabweichungen kommen.

Zur Stabilisierung der Beizbadkonzentrationen in den definierten Sollwertbereichen wurde mit der Unterstützung der Firma Andritz ein Closed-Loop-Regelungsmodell auf Basis der Online-Analysedaten entwickelt und in die Prozessleittechnik integriert. Das fortschrittliche Regelungsmodell ist zusätzlich zum Andritz-Standardmodell installiert und manuell aktivierbar. Im aktiven Zustand werden Statusinformationen und die Online-Konzentrationsdaten in definierten Zeitabständen überprüft. Ist der Systemstatus in Ordnung und die Plausibilität der Konzentrationsdaten seitens der Messtechnik signalisiert, berechnet ein Andritz-eigener Modellalgorithmus auf Basis der Soll- Ist-Wertabweichungen und weiterer Anlagen- und Pro- zessparameter wie z. B. Tank-Kreislaufvolumen, Füllstände und Säurenkonzentrationen, die zu dosierenden Volumen an frischer HF und HNO3 sowie Wasser und Regenerat. Tests mit dem fortschrittlichen Konzentrationsrege- lungsmodell haben gezeigt, dass Intervalle von 10 Minuten mit kleineren, schnell homogenisierbaren Dosiervolumen eine gute Stabilisierung der Beizsäurekonzentrationen ermöglichen. Abbildung 8 zeigt hierfür exemplarisch einen Verlauf der Beizsäure-Konzentrationsdaten während des aktivierten Closed-Loop-Regelungsmodells. Das fortschrittliche Regelungsmodell ermöglicht eine gute Stabilisierung der Säurekonzentrationen. Es liegt eine gute Übereinstimmung zwischen Online-Analysedaten und den BFI-Referenzanalysewerten vor. Zur Einsparung von frischer HF und HNO3 wird die Dosierung von Mischsäure- Regenerat bevorzugt. Liegen an den Online-Messystemen Störungen vor, schaltet die Anlagenprozesstechnik nach einer definierten Zeitspanne auf das Andritz-Standard- Dosiermodell um, bzw. wieder auf das Closed-Loop- Dosiermodell zurück, wenn die Störung beseitigt ist.

Abb. 8: Konzentrationsverlauf im Beizsäurekreislaufsystem während aktiviertem Closed-Loop-KonzentrationsregelungsmodellAbb. 8: Konzentrationsverlauf im Beizsäurekreislaufsystem während aktiviertem Closed-Loop-Konzentrationsregelungsmodell

– wird fortgesetzt –

Symbol- und Abkürzungsverzeichnis

Symbol

Beschreibung

Einheit

Cx

Säure- oder Metallsalz- Konzentration

g/L

k_x_y

Polynomkoeffizienten

g/L

MGx

Messgröße (vUS, λel, nD)

diverse

nD

Brechungsindex

-

T

Temperatur

°C

vUS

Ultraschallgeschwindigkeit

m/s

λel.

Elektrische Leitfähigkeit

mS/cm

 

Abkürzung

Beschreibung

CPN

Causal-Probabilistic-Networks

Cx

Konzentration

Cr

Chrom

E-CTFE

Ethylen-Chlortrifluorethylen

EDS

Energy Dispersive Spectroscopy

FFKM / FKM

Perfluorkautschuk / Fluorkautschuk

Fe

Eisen

FEG-SEM

Field Emission Gun-Scanning Electron Microscopy

GUI

Graphical User Interface

H+

Wasserstoff-Ionen

H2SO4

Schwefelsäure

HCl

Salzsäure

HF

Flusssäure

HNO3

Salpetersäure

IRS

Infrarot-Spektroskopie

kx_y

Polynomkoeffizienten

Ni

Nickel

PFA

Perfluoralkoxylalkan

PTFE

Polytetrafluorethylen

PVDF

Polyvinylidenfluorid

RFA

Röntgen-Fluoreszenz-Analytik

SOM-(NG)

Self-Organizing-Map-(Neural Gas)

Literatur

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Weitere Informationen

  • Ausgabe: 8
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Matthias Werner; Matthias Kozariszczuk; Ralf Wolters (VDEh-Betriebsforschungsinstitut (BFI)); Jonas Engblom (RISE KIMAB AB)

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