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Mittwoch, 17 November 2021 11:00

Korrosionsdiagnostik mit Gel-Elektrolyten – Teil 1 – Gel-Elektrolyt oder flüssige Elektrolyten?

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Geschätzte Lesezeit: 10 - 20 Minuten

In der Oberflächentechnik besteht häufig der Bedarf, korrosionsrelevante Eigenschaften von Metallprodukten zuverlässig und schnell zu überprüfen. Doch entweder ist das mit Standard-Prüfmethoden nicht möglich oder es ist einfach viel zu aufwändig, langwierig und nicht sinnvoll in den Herstellungs- oder Lebensdauerzyklus integrierbar.

1 Einleitung

Die Korrosionsdiagnostik mit elektrochemischen Methoden kann für viele Fragestellungen in der Oberflächentechnik mittlerweile funktionierende Lösungen anbieten. Dabei ist die Verwendung gel-artiger Elektrolyte auf Agar-Basis eine sinnvolle Alternative zu flüssigen Elektrolyten, denn dies macht neue Untersuchungskonzepte möglich und einfacher umsetzbar. Gel-Elektrolyte bilden einen dünnen Elektrolytfilm an ihrer Oberfläche und der restliche Prüf-Elektrolyt bleibt im Gel immobilisiert und gespeichert. Dadurch ist die Handhabung einfacher und es ermöglicht minimal-invasive elektrochemische Untersuchungen, aus denen sich Kennwerte ableiten lassen, die eine Qualitätskontrolle oder sogar eine Lebensdauerabschätzung ermöglichen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über Forschungsarbeiten zum Thema Gel-Elektrolyte für die Korrosionsdiagnostik und stellt einige praktische Anwendungen vor.

Korrosionsschutz ist und bleibt eine wichtige Maßnahme in nahezu allen Bereichen der Industrie, um die Funktion und Lebensdauer von Produkten zu gewährleisten. Um die Wirksamkeit von Korrosionsschutzmaßnahmen vorab zu überprüfen, werden überwiegend Versuche unter verschärfter Korrosionsbelastung durchgeführt. Damit erhofft man sich eine möglichst schnelle Aussage über die Wirksamkeit und die korrekte Ausführung der Schutzmaßnahmen. Häufig erhält man kein vergleichbares Abbild zum realen Korrosionsverhalten, was allerdings nicht zwingend notwendig ist. Ausschlaggebender ist, wenn sich durch eine Verschärfung der Prüfbedingungen und die dadurch erzielte Zeitraffung die Korrosionsmechanismen verändern. Dadurch kann sich entweder eine scheinbare Sicherheit ergeben (Produkt besteht Test, versagt dann aber in der Praxis), oder bestimmte Schutzmaßnahmen sind überdimensioniert oder gar unnötig. Beides ist schlecht!

Trotz dieser Ausgangslage müssen regelmäßig Korrosionsprüfungen durchgeführt werden, um die Qualität der hergestellten Produkte sicherzustellen und weil Regeln und Vereinbarungen es so verlangen. Die zumeist genormten oder zwischen Unternehmen vereinbarten Tests sind häufig sehr zeit- und ressourcenintensiv. Vielfach stellt sich daher die Frage, ob neue Prüfansätze und -methoden existieren, mit denen schneller und mit weniger Aufwand korrekte Aussagen zur Qualität von Produkten und Wirksamkeit von Korrosionsschutzmaßnahmen möglich sind. Hier kann die Anwendung elektrochemischer Methoden weiterhelfen. Mit ihrer Hilfe lassen sich Korrosionssysteme sehr schnell charakterisieren, eine Korrosionsbelastung zielgenau verschärfen oder Korrosionsversuche überwachen. Jedoch treten die Kollegen aus der Industrie den elektrochemischen Methoden häufig mit Skepsis entgegen. Man hört beispielsweise: Was hat denn der Kasten mit den Kabeln überhaupt mit Korrosion zu tun ? – Machen Sie doch bitte auch einen Salzsprühtest! Teilweise ist diese Abneigung verständlich. Per se hat ein Potentiostat ja auch nichts mit Korrosion zu tun, er wird erst mit der Expertise des Benutzers zum wertvollen Instrument. Es ist daher eine ständige Herausforderung, die elektrochemische Methodik potenziellen Anwendern zu erklären und methodisch weiter zu vereinfachen, ohne dass daraus falsche Aussagen hervorgehen.

Bei der Korrosionsdiagnostik versucht man einen Weg zu gehen, der eine andere Strategie als herkömmliche Korrosionsprüfungen verfolgt und häufig auf messtechnischen Konzepten der elektrochemischen Analytik beruht. Unter Ausnutzung elektrochemischer Zusammenhänge und darauf angepasster Methoden wird versucht, schnell und sicher potenzielle Korrosionsprobleme zu identifizieren oder eine schnelle qualitative Einschätzung des momentanen Zustands eines Korrosionsschutzsystems vorzunehmen. Ein wesentlicher Vorteil ist dabei, dass sich korrosionsrelevante Informationen in kurzer Zeit und oft nahezu zerstörungsfrei erfassen lassen, die für die Entwicklung, Verbesserung, aber besonders auch für eine zeitnahe Qualitätsüberwachung genutzt werden können. Damit ist auch in diesen Anwendungsbereichen der Schritt zu mehr Digitalisierung möglich, denn es stehen augenblicklich relevante Daten für die weitere Nutzung im Unternehmen zur Verfügung.

Ein erfolgversprechender Teil dieser Strategie ist der Einsatz von Gel-Elektrolyten, die als Träger einer speziellen Prüflösung und zur Ankoppelung von Elektroden an eine Prüffläche dienen. Als Gel-Bildner hat sich besonders das Agarose-Polymer bewährt, das in der Gel-Elektrophorese, als Nährboden in der Biologie oder als Verdickungsmittel bei Nahrungsmitteln bekannt ist. Durch die Immobilisierung des flüssigen Elektrolyten kann der Messaufbau einfacher gestaltet und damit die elektrochemischen Messungen, ob im Labor oder im industriellen Umfeld, ebenfalls deutlich vereinfacht werden. Darüber hinaus ergeben sich weitere einzigartige Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten der Agar-Gele, aber auch einige Besonderheiten. In diesem Artikel wird über den aktuellen Stand der Entwicklungen auf diesem Gebiet berichtet und einige Anwendungen exemplarisch vorgestellt.

2 Stand der Technik

Agar ist das Grundgerüst für einen Gel-Elektrolyten und wird allgemein als gelbildendes, makromolekulares Polysacharid beschrieben, das aus den Zellwänden verschiedener Rotalgen durch Extraktion mit heißem Wasser, Gefrier-Tau-Prozesse oder Sprühtrocknung gewonnen wird. Es besteht aus ca. 70 % Agarose (gelierend) und ca. 30 % Agaropektin (sulfatisiert, nicht-gelierend). Eine Auftrennung hin zur reinen Agarose wird für die Anwendung in der Gel-Elektrophorese vorgenommen. Agar ist in Wasser mischbar, jedoch bei Raumtemperatur unlöslich. Es schmilzt bei 80 bis 100 °C und vernetzt sich physikalisch beim Abkühlen. Schon relativ geringe Konzentrationen von 0,5–1 % Agar in Wasser führen zu stabilen Gelen. Die Struktur der erstarrten Makromoleküle wird als Doppelhelices beschrieben, die sich räumlich vernetzen und dabei, abhängig von der Konzentration der Agarose, Hohlräume im Bereich einiger hundert Nanometer bilden, die mit dem Lösemittel gefüllt sind.

Die gezielte Erforschung und Verwendung von Agar- Gelen für Korrosionsuntersuchungen sind noch vergleichsweise begrenzt. Bereits 1955 nutzten Laque et al. mit Indikatoren versetzte Gelelektrolyte, um Teilreaktionen von Korrosionsprozessen für Lehrmaterialien zu visualisieren [1]. In ähnlicher Weise haben viele Jahre später Isaacs et al. Agar-Gel-Pads mit Chlorid und pH-Indikatoren versetzt und zur Untersuchung von Aluminium und Aluminiumlegierungen verwendet [2]. Sie konnten Ort und Ablauf anodischer und kathodischer Teilreaktionen bei lokaler Korrosion am Aluminium durch Indikatoren im Gel visualisieren. Die Visualisierung von Korrosion durch einen Indikator für Eisenionen ist auch das Grundprinzip des elektrographischen Ferroxyl-Tests. Dieser Test dient bis heute der Bestimmung der Porosität von metallischen Überzügen [3] oder auch für die Porositätsprüfung von Phosphatierungen auf Stahl, wobei häufig die Verwendung von Gelatine anstatt Filterpapier als Elektrolytträger empfohlen wird. Bereits 1959 wurde der Ferroxyl-Test mit Gelen als Prüfmethode bei Implantatwerkstoffen aus nichtrostenden Stählen eingesetzt [4]. Vor einigen Jahren wurde die Methodik als „Auflage für den Nachweis lokaler Korrosion bei nichtrostenden Stählen“ von der Bundesanstalt für Materialforschung und prüfung (BAM) gezielt weiterentwickelt [5], patentiert [6] und ist als Prüfmittel „Korropad“ käuflich zu erwerben. Es basiert auf einem kreisförmigen Gel-Pad mit einem Agar-Anteil von 3 % in Wasser sowie Gehalten von 0,1 mol/L NaCl und 0,001 mol/L Kalium-hexacyanoferrat(III). Letzteres führt zur Ausbildung eines stabilen Redox-Potentials, das als Prüfpotential in einem Bereich liegt, in dem auch kritische Potentiale liegen, wenn der Werkstoff korrosionsempfindlich ist. Durch die Chlorid-Ionen werden Schwachstellen in der Passivschicht aktiviert und es findet eine lokale Metallauflösung statt. Die dabei mit in Lösung gehenden Eisen-Ionen werden durch das Kaliumhexacyanoferrat(III) zu Berliner Blau komplexiert, einem schwer löslichen Farbpigment, welches die Stellen lokaler Korrosion farblich indiziert und bewertbar macht. Das Korropad wurde in den letzten Jahren vermehrt in der Industrie als Prüfmittel eingesetzt und kam bei Fragestellungen zu nichtrostenden Stählen in Industrie und Forschung zur Anwendung [7], z. B. um deren Wärmebehandlung zu optimieren [8], den Einfluss von Oberflächenbehandlungen aufzuzeigen [9] oder für den Sensibilisierungsnachweis [10].

Eine Anwendung von gel-artigen Elektrolyten zur Nachstellung spezieller korrosiver Bedingungen wurde z. B. durch Newton und Sykes [11] aufgezeigt. Sie verwendeten mit NaOH und NaCl versetztes Agar-Gel zur Untersuchung von Stahl in mörtel-ähnlichen Elektrolyten und konnten durch ihre Untersuchungen deutliche Unterschiede zu Messungen in bulk-Elektrolytlösungen dokumentieren. Spark et al. [12] beschreiben in ihren Studien, wie unter Zuhilfenahme von Agar-Gelen Korrosionsvorgänge in lehmhaltigen Böden mit den dort herrschenden komplexen physikalisch-chemischen Bedingungen nachgestellt werden können. Die Untersuchungen wurden an einem unlegierten Stahl durchgeführt und es wurden Freie Korrosionspotentiale und Stromdichten aus Polarisationskurven ermittelt. In weiteren Veröffentlichungen beschreiben die gleichen Autoren Untersuchungen mit Agar-Gelen, denen Peptide zugesetzt wurden [13], um mikro- biologisch-induzierte Korrosion von Pipelines in Böden zu simulieren [14]. Vanbrabant et al. nutzten Gel-Elektrolyte auf Agar-Basis ebenfalls als Korrosionsmedium zum Nachstellen spezieller Medienbedingungen, mit gleichzeitiger elektrochemischer Instrumentierung zur Durchführung elektrochemischer Messungen [15]. Sie sehen in der Verwendung von Gelen den Vorteil, näher an praxisrelevanten Medienbedingungen zu sein, insbesondere dort, wo der Transport von Korrosionsprodukten gehemmt ist. Als weiteren Vorteil sehen sie, dass die einzelnen Phasen der Korrosion sich im Verlauf der Versuche besser visualisieren lassen. Es wurden Anwendungen vorgestellt, die Bedingungen von Stahlfasern in Beton, verzinkter Stahl (Zink und Zink-Aluminium-Legierungen) in landwirtschaftlicher Atmosphäre und in der Tierhaltung besser simulieren.

Weitere Verwendung im Bereich der Korrosionsforschung finden Agar-/Agarose-Gele für maß-geschneiderte, häufig miniaturisierte Bezugselektroden, in denen die Brückenelektrolyte durch das Gel immobilisiert werden [16]. Über die Verwendung der Gele als Elektrolyt zur Elektrodenankopplung berichten in den letzten Jahren zahlreiche Autoren. Monrabal et al. versetzten z. B. Agar-Gele mit hohen Anteilen an Glycerin (20–70 %), um flexiblere Aufsatzmesszellen zu realisieren [17] und diese besser an geformte Bauteile anzukoppeln. Sie versuchen damit z. B. Schwachstellen an Schweißnähten von nichtrostenden Stählen zu identifizieren [18] und führten zahlreiche weitere elektrochemische Untersuchungen durch [19, 20]. Von Cano et al. wurde ebenfalls eine Messzelle auf Basis von Agar-Gel als Ankoppel-Elektrolyt entwickelt, die es ermöglicht, an Denkmälern und Skulpturen elektrochemische Impedanzmessungen durchzuführen, ohne diese nennenswert zu schädigen [21]. Das gleiche Ziel verfolgten Di Turo et al. mit dem Einsatz gel-basierter Elektrolyte zur elektrochemischen Charakterisierung von Bronze- Patina an historischen Münzen [22]. Erste eigene elektrochemische Untersuchungen mit Gel-Elektrolyten wurden bereits 2014 begonnen und führten u.a. zu einer methodischen Herangehensweise, mit der elektrochemische Kennwerte an verzinkten Stählen unter atmosphärischer Exposition bestimmt werden können, um den aktuellen Zustand der schützenden Deckschichten zu bestimmen [23]. Basierend darauf ist eine schnelle Ermittlung von elektrochemischen Kennwerten möglich [24], mit denen zukünftig eine Lebensdauerabschätzung denkbar ist. Die Verwendung von Gel-Elektrolyten für Korrosionsversuche lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  • Auslösen und Visualisieren von Korrosionsvorgängen durch Indikatoren im Gel-Elektrolyten
  • Elektrochemische Instrumentierung von Gel-Elektrolyten zur einfacheren Charakterisierung von Korrosionsschutzsystemen und zur Kennwertermittlung
  • Nachstellen spezifischer Korrosionsbedingungen (Baustoffe, Böden, Nahrungsmittel, biologisches Gewebe) mit fest/flüssig Phasen und gehemmtem Stofftransport.

Dieser Artikel wird sich vornehmlich mit der Verwendung von Gel-Elektrolyten zur Visualisierung von Korrosionsvorgängen und der elektrochemischen Instrumentierung zur Kennwertermittlung befassen. Die Korrosionsdiagnostik erschließt sich in diesen Feldern neue Anwendungsbereiche und kann für zusätzliche Akzeptanz bei Anwendern beitragen, da die praktische Umsetzung der Messungen deutlich vereinfacht wird. Die vorgestellten Untersuchungen und Ergebnisse sind zum größten Teil in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsvorhaben mit dem Thema „Gel- Elektrolyte auf Agar-Basis für die Korrosionsdiagnostik“ entstanden.

3 Korrosions-relevante Eigenschaften von Agarose-Gelen

Bei der Anwendung von Gelen als Elektrolyt für Korrosionsuntersuchungen ist es wichtig, im Vorfeld die korrosions-relevanten Eigenschaften der Gele zu ermitteln. Der Gel-Bildner, in diesem Fall Agar oder reine Agarose, wird zu einem bestimmten Prozentsatz dem wässrigen Elektrolyten zugesetzt. Daher ist die chemische Zusammensetzung der Ausgangsprodukte zu beachten und in welchem Maße die Korrosivität des Elektrolyten dadurch zusätzlich verändert wird. Durch Erhitzen der wässrigen Mischung schmilzt die Agarose und beim Abkühlen wird das Gel- Netzwerk gebildet. Durch die Vernetzung wird aus der Elektrolytlösung ein Gel mit veränderten mechanischen bzw. rheologischen Eigenschaften. Bei der Verwendung des Gel-Elektrolyten in einem Sensor muss darauf geachtet werden, dass die Gel-Struktur nicht zerstört wird, wenn man es auf die Prüffläche aufsetzt und die Elektroden ankoppelt. Daher sind auch rheologische Eigenschaften von Interesse, um z. B. den zulässigen Anpressdruck mit einem Sensor einzuhalten, damit das Agarose-Gel nicht irreversibel geschädigt wird. Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Elektrolytfilm, der sich auf dem Gel bzw. zwischen Gel und Prüffläche durch den so genannten Synärese-Effekt bildet. Die Elektrolytfilmdicke auf dem Gel, bzw. generell das Angebot an flüssigem Elektrolyt an der Oberfläche, ist ebenfalls eine wichtige Eigenschaft, die Korrosionsreaktionen und elektrochemische Messungen beeinflusst und die von der Agar-Konzentration und der Elektrolytzusammensetzung abhängen können. Darüber hinaus bestimmt die Agar-Konzentration die Porengrößen und damit den Stofftransport im Gel. Dadurch können An- und Abtransport von Ionen und Korrosionsprodukten in unterschiedlicher Größenordnung beeinflusst werden.

Die Herstellung der Gel-Elektrolyte erfolgt durch Vermischen einer bestimmten Menge an Agar bzw. Agarose, die im Laborhandel zumeist als Pulver in unterschiedlichen Reinheitsgraden erworben werden kann. Für den Großteil der eigenen Untersuchungen wurden Gele im Konzentrationsbereich von 1,5 bis 6 % untersucht, wobei sich für die meisten korrosionsdiagnostischen Anwendungen Gel- Elektrolyte mit 3 % Polymeranteil bewährt haben. Das mit dem wässrigen Elektrolyten vermischte Agarpulver wird unter Rühren langsam auf 88 °C (Agarose) bzw. 95 °C erhitzt, bis das Polymer geschmolzen ist. Für temperatursensitive Elektrolytbestandteile ist eine Zugabe bei ca. 65 °C und ein schnelles Abkühlen von Vorteil. Danach kann die Mischung abgegossen werden, die zwischen 60 und 40 °C ihren Gelpunkt erreicht, an dem das Polymer sich vernetzt und die Lösung erstarrt. Die Gele wurden in eckige Petrischalen aus Acryl mit Dicken zwischen 2 und 6 mm abgegossen. Aus den resultierenden Gelplatten lassen sich beliebige Formteile für die weitere Verwendung ausschneiden. Gelagert werden die Gele in den Schalen idealerweise unter Luftabschluss und im Kühlschrank bei ca. 5 °C, um eine Veränderung des organischen Materials durch Verschimmeln oder starken Flüssigkeitsaustritt bei Lagerung über mehrere Wochen zu unterdrücken. Nachfolgend sind ausgewählte Untersuchungsergebnisse zu den korrosions- relevanten Eigenschaften von Agar-/Agarose-Gelen zusammengestellt.

3.1 Chemische Zusammensetzung der Gel-Elektrolyte

Die chemische Zusammensetzung des Gel-Elektrolyten wird für die jeweilige Anwendung gezielt eingestellt, um eine bestimmte Korrosivität zu erreichen. Auch wenn der Anteil an Gel-Bildner üblicherweise sehr gering ist (2 bis maximal 6 % sind sinnvoll), kann es doch zu einem unerwünschten Eintrag von Fremd-Ionen kommen. Vor allem Chloride, Sulfate, Phosphate und Nitrate muss man in Betracht ziehen, da diese Anionen bereits in geringer Konzentration die ablaufenden Korrosionsreaktionen beeinflussen können. Wünschenswert sind möglichst reine Ausgangsstoffe, da das Agar-Gel nur als Träger des Prüfelektrolyten dienen soll. Die erwähnten Ionen haben ebenfalls einen Einfluss auf die Leitfähigkeit. Überprüft wurde auch der pH-Wert der Mischungen vor der Gelbildung und die Redoxpotentiale (an Platin) vor, direkt nach und 3–72 h nach der Gelbildung, da durch das Erwärmen auf bis zu 95 °C bei der Herstellung eine Beeinflussung des Sauerstoffgehalts zu erwarten ist. Tabelle 1 fasst die Ergebnisse dieser Untersuchungen zusammen. Betrachtet wurden hierbei zwei nominal gleiche Agar-Varianten (Extra Pure) der Fa. Merck sowie Agarose Basic der Fa. AppliChem, stellvertretend für ein Agarose-Produkt. 

Tab. 1: Korrosivitätsbestimmende Bestandteile und Eigenschaften von Agar/Agarose-Substanzen

Agar-Typ

Cl [ppm]

SO4 2– [ppm]

PO4 3– [ppm]

NO3 [ppm]

γ 3% in H2O [µS/cm]

pH

ERedox 3% in H2O [mV, NHE]

ERedox 3% Gel, frisch [mV, NHE]

ERedox 3% Gel, 3h alt [mV, NHE]

Agar Extra Pure (Merck, 2015)

176

25,3

73,5

3,7

406

7,7

483

382

462

Agar Empore Extra Pure (Merck, 2017)

50,3

9,7

0,7

0,7

233

7,6

539

414

472

Agarose Basic (AppliChem, 2017)

12,3

3,3

1,0

0,7

24,5

8,0

551

440

489

 

Auffällig ist der Unterschied bei den beiden Agar-Substanzen, die zwar als „Extra Pure“ vom gleichen Hersteller, aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten erworben wurden. Die ältere Charge enthält deutlich mehr Chloride sowie Sulfate/Phosphate, was sich auch in der Leitfähigkeit der hergestellten Lösungen wiederspiegelt. Die Agarose hingegen hat eine sehr hohe Reinheit, was auf die aufwändigere Herstellung zurückzuführen ist (zusätzliche Abtrennung des Agaropektins). Dies schlägt sich allerdings deutlich im Preis nieder (ca. 400 €/kg für Agarose vs. ca. 200 €/kg für Agar Extra Pure). Hinsichtlich pH-Wert unterscheiden sich die Stoffe nur wenig und verändern den neutralen pH-Wert des verwendeten destillierten Wassers kaum. Interessant sind auch die Redoxpotentiale, insbesondere nach den Einzelschritten der Gel-Herstellung. Durch das Erwärmen auf 88 bzw. 95 °C wird Sauerstoff aus dem Gemisch ausgetrieben, was zu ca. 100 mV niedrigeren Potentialen bei frisch hergestellten Gelen führt. Bereits nach 3 h liegen die Redoxpotentiale aufgrund der Sauerstoffaufnahme wieder positiver. Eine Überprüfung nach 72 h zeigte keinen signifikanten Anstieg oder Abfall mehr. Als Fazit der Untersuchungen zur Korrosivität der Agar-Grundsubstanzen lässt sich feststellen, dass sie sich relativ neutral verhalten. Mischungen mit 3 % in destilliertem Wasser ergeben selbst bei 176 ppm Chlorid im Agar-Pulver letztendlich nur ca. 5,3 ppm Chlorid im fertigen Gel, was auf sehr niedrigem Niveau liegt. Für besonders chlorid-sensitive Anwendungen müsste die Einschleppung über den Gel-Bildner allerdings berücksichtigt werden.

– wird fortgesetzt –

Literatur

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Weitere Informationen

  • Ausgabe: 11
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Dr.-Ing. Andreas Heyn

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