Diese Seite drucken
Mittwoch, 05 Januar 2022 10:59

Eine Tonne Nickel sucht neuen Besitzer

von
Geschätzte Lesezeit: 5 - 9 Minuten
Trieb sich als Mittelsmann in dunklen  Gegenden herum: S. G. alias B. C. war für den Verkauf des Nickels verantwortlich Trieb sich als Mittelsmann in dunklen Gegenden herum: S. G. alias B. C. war für den Verkauf des Nickels verantwortlich

-Oder:- Welche Wellen ein harmloser Kellerfund in der Galvanobranche auslösen kann.

Die Anfänge dieser Geschichte sind zeitlich nicht genau festzumachen. Sie liegen irgendwo im Dunkel der 1970er Jahre, ausgelöst vielleicht durch den Ölpreisschock, die folgenden autofreien Sonntage und die Sehnsucht der Deutschen in wirklich solide Anlagen. Aber das ist Spekulation und das genaue Wann und Warum spielt für den Fortgang der hier geschilderten Ereignisse auch keine Rolle.

Schatzfund: Zahlreiche verplombte rote Eimer bargen  eine Tonne Nickel im Leuze’schen Keller Das Analyseprotokoll des Forschungsinstituts EdelmetalleSchatzfund: Zahlreiche verplombte rote Eimer bargen eine Tonne Nickel im Leuze’schen KellerFest steht: Heinz Leuze, damals Geschäftsführer und Inhaber des Leuze Verlages und schon immer bekannt für seine Weitsicht beschloss, privat in Sachwerte zu investieren. Als Herausgeber der „Galvanotechnik“ lag ihm natürlich nichts näher als Metalle, die in Galvaniken Verwendung fanden – und noch immer finden. Seine Wahl fiel auf Nickel.

Einige Zeit später wurde ins Wohnhaus der Familie Leuze eine Tonne Nickel in Form von Anoden angeliefert. Sauber verpackt in handlichen, verplombten Eimern. Und nun? Wohin mit dem schweren Zeugs? Erst mal in den Keller, da macht man nichts falsch. In der Tat wurde das graue Metall so nachhaltig verstaut, dass es im Verlaufe der Jahrzehnte ebenso nachhaltig vergessen wurde. Zumal zwischenzeitlich der Altverleger längst verstorben ist und seine beiden Töchter Sylvia und Inge das Erbe angetreten haben.

Doch irgendwann, das weiß jeder Häuslesbesitzer, der jahrhundertelang Krimskrams, Kitsch und Krempel auf dem Dachboden, im Keller und meist auch noch in der Garage angesammelt hat, kommt der Tag der Wahrheit. Der Tag, an dem man sich nicht mehr vor dem Entrümpeln drücken kann, man dem Staub der Zeit seine Stirn und seine Atemwege bieten muss.

So geschehen im Hause Leuze im vergangenen Sommer. Und neben längst aus der Mode gekommenen Hand- taschen, Sommerkleidern und einem selbstgefertigten Pappschild von der ersten Schülerdemo der Töchter (Amis raus aus Vietnam!!!) kam auch die Tonne Nickel wieder zum Vorschein. Oder genauer gesagt, es kamen die vielen Eimer in Leuze-Rot wieder zum Vorschein.

Es bedarf nicht viel Phantasie, dass die beiden ratlos auf die geheimnisvollen roten Behältnisse starrten. Sollte darin noch Eingekochtes ihrer Mutter vor sich hin gären? Eingelegter, saurer Hering? Und falls jenes zuträfe, würde das Ganze explodieren, wenn man den Deckel entplombte und der Inhalt mit Sauerstoff in Berührung käme? Die beiden Frauen beschlossen, die brisante Ladung vorerst nicht anzurühren und sich erst einmal bei einer Zigarette draußen, in nicht explosionsgefährdeter Umgebung, zu sammeln.

Die beiden wären keine Zwillinge, eineiige gar, wenn ihnen nicht gemeinsam die Erleuchtung gekommen wäre: „Des isch doch des Niggel!“

Im Folgenden wurde darüber diskutiert, was man damit machen sollte. Noch länger behalten? Womöglich, wie in ihrem eigenen Fall, sogar weiter an die Kinder vererben? Oder verkaufen? Eine weitere Zigarrette später hatte man sich entschlossen. Da die Rohstoffpreise gerade ziemlich hoch waren, würde man den Schatzfund verkaufen. Jetzt.

Wie sich der weitere Ablauf der Aktion ab jenem Entschluss genau abspielte, lässt sich heute nicht mehr zweifelsfrei rekonstruieren, zu widersprüchlich sind die Angaben. Fest steht nur, dass nach 50 Jahren keinerlei Belege mehr über den Kauf gefunden werden konnten. Da es sich um einen Privatkauf des Vaters gehandelt hatte, waren auch in der Verlagsbuchhaltung jener Jahre keinerlei Papiere vorhanden.

An dieser Stelle kommt ein Mann ins Spiel, den wir ab sofort B. C. nennen werden. Er will das so, er legt keinen Wert auf Öffentlichkeit, ist aber ein ausgewiesener Fachmann in der, nennen wir sie einmal etwas unscharf, Metallbranche. Deshalb wurde er von den Erbinnen damit beauftragt, das Nickel dem Markt wieder zuzuführen.

Keine Belege vorhanden

Doch der Experte zögerte. Der wichtigste Grund für sein Zögern war die nicht geklärte Herkunft des Metalls.

„50 Jahre im Keller gelegen, dann wiederentdeckt, klingt leider nicht sehr glaubwürdig, auch wenn es wahr ist“, verriet er unserer Zeitschrift. Und dann war da auch noch ein fehlendes Zertifikat über Art und Beschaffenheit des Metalls. Wie sollten die beiden Auftraggeberinnen das Zögern ihres V-Mannes deuten?

Man kann an dieser Stelle nicht behaupten, dass die Schwestern körperliche Gewalt gegen ihren V-Mann ausgeübt hatten, aber einige schlagkräftige Argumente, die für die Übernahme des Auftrags sprachen, hatten sie schon.

Sagen wir so: Am Ende der Beprechung hatten die Argumente der beiden Schwestern B. C. überzeugt. Es galt, eine Strategie vorzubereiten. Und da war durchaus die Quadratur des Kreises gefragt. B. C. wollte aus taktischen Gründen vermeiden, dass ein potentieller Käufer erfährt, dass der Leuze-Verlag hinter dem Verkauf steckt. Denn er weiß: „Es kommt beim Anodenkauf zunächst einmal gar nicht so auf den Preis an. Aber Material nicht spezifizierter Qualität kann später in Galvaniken einfach technisch mehr Schaden anrichten, als beim Einkauf gespart wurde. Und das könnte dann negativ auf den Verlag zurückfallen.“

Also streckte der Mann seine Fühler Richtung Anodenhandel aus, kleinere Unternehmen vor allem, weil in kleinen Betrieben die Dinge oftmals unkomplizierter ablaufen. Und der Anodenhandel würde das Metall auch relativ leicht selber analysieren können.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt wurde klar, dass man sich mit dem Verkauf des Nickels ohne Papiere in den Dunstkreis des Organisierten Verbrechens begeben hatte. Die Leuze-Damen wurden endgültig zu Patinnen im Hintergrund, B. C. zum Hehler.

„Diese Tonne wird wohl eher die Kriminalpolizei interessieren“, grollte der erste Händler und knallte den Telefonhörer auf die Gabel.

„Eine Tonne Nickel ohne Papiere? Ist mir 9000 Euro Wert, mehr nicht“, ließ einer der potentiellen Käufer, der hier nicht näher genannt werden will, wissen. Ein anderer bot immerhin 10 000 Euro, ebenfalls ohne Rechnung und verlangte diskrete Abwicklung. Zum Vergleich: Zur Zeit des Verkaufs lag der Nickelpreis bei knapp 17 000 Euro, der Anodenpreis gar bei zirka 21 000 Euro pro Tonne.

„Das hieß für mich“, erklärt B. C., „es war den Händlern Wurst, woher das Metall kam, es hätte in der Tat auch geklaut sein können.“ Zeit, das Gespräch abzubrechen. Ein anderer Händler bemängelte immerhin die fehlenden Herkunftsbelege, vor allem aber die fehlenden Qualitätszertifikate. Das hatte B. C. als Kenner der Materie ja gleich zu Anfang der Verkaufsaktion zu bedenken gegeben.

Die beiden Patinnen wurden kontaktiert. B. C. versuchte sie zu überreden, eine Analyse des Stöffchens anfertigen zu lassen. Indes, zu jenem Zeitpunkt schien den Auftraggebern das noch zu früh.

Analyse vom fem

Schatzfund: Zahlreiche verplombte rote Eimer bargen  eine Tonne Nickel im Leuze’schen Keller Das Analyseprotokoll des Forschungsinstituts EdelmetalleDas Analyseprotokoll des Forschungsinstituts EdelmetalleAlso Strategiewechsel. Jetzt waren es die Galvaniken, die direkt und ohne einen Zwischenhändler angegangen wurden. Doch auch da: Fehlanzeige. Acht von zehn Galvanikbetrieben hatten gar nicht geantwortet, zwei sagten von vorneherein ab. Ein Schweizer zeigte immerhin Interesse, fürchtete dann aber die Bürokratie beim Zoll – wobei wieder der fehlende Herkunftsnachweis das größte Problem war. Ein dritter wäre mit einer ganzen Tonne überfordert gewesen, sperrte sich aber auch gegen einen Teilkauf von 250 kg.

Endlich konnte B. C. die Verkäuferinnen im dunklen Hintergrund überreden, eine Analyse des Metalls machen zu lassen. Die Wahl fiel auf das renommierte Forschungsinstitut Edelmetalle (fem) in Schwäbisch Gmünd. Das Analyseprotokoll zeigt beste Ergebnisse.

So ausgestattet, wurden jetzt auch die sozialen Medien bedient – und wieder hagelte es einen Shitstorm wie Schrotkugeln aus der Pumpgun eines Mafiakillers.

Immerhin, es gab über Facebook und Ebay-Kleinanzeigen auch seriöse Kontakte. Und einer davon passte. Wenige Tage nach den geschilderten Ereignissen kam ein Wagen aus dem äußersten Westen der Republik und holte die heiße Ware ab.

Aus den zurückliegenden Tagen und Wochen zieht B. C. ein durchaus gemischtes Fazit. Einige der potentiellen Käufer handelten durchaus korrekt. Sie lehnten einen Kauf ohne Herkunftspapiere rundweg ab, einige drohten sogar mit der Polizei. Angesichts der zahlreichen Einbrüche in Galvanikbetriebe und auf Baustellen mehr als nachvollziehbar.

Einige andere aber machten keinen Hehl daraus, auch an heißer Ware interessiert zu sein – Hauptsache der Preis stimmt. Da spielte es auch keine Rolle, dass im zeitlichen Umfeld dieser Ereignisse aus einer Galvanik in Sachsen und einer Galvanik in der Schweiz wertvolles Anodenmaterial entwendet wurden. B. C.: „Spontan fiel mir dazu ein kluger Spruch von Mark Twain ein. Während sich die Wahrheit noch die Schuhe zubindet, ist die Lüge schon drei Mal um die Welt gereist.“

ZUR SACHE:

„Aufwendige Logistik schließt spontane Diebstähle aus.“

Herr Glodek, wer sind die Diebe metallischer Rohstoffe, wer sind die Auftraggeber?

Jürgen Glodek  ist Erster Kriminalhauptkommissar und Pressesprecher  des LKA StuttgartJürgen Glodek ist Erster Kriminalhauptkommissar und Pressesprecher des LKA StuttgartSolche Diebstähle werden von überörtlich agierenden Tätergruppierungen begangen. Die Tätergruppierungen sind in Kleingruppen, oft auch in wechselnder Besetzung mit Transportfahrzeugen mobil. Sie haben üblicherweise Erfahrungen im Handwerk- oder Baugewerbe und sind deshalb gut über den Wert der Metalle informiert. Die Tätergruppierungen stammen größtenteils aus süd-/osteuropäischen Staaten.

Es kann unterstellt werden, dass diese Kriminalitätsart mit dem Wirtschaftsmarkt in den osteuropäischen Ländern korrespondiert und sich am Prinzip von Bedarf und Nachfrage orientiert. Ob es bestimmte Auftraggeber gibt, welche ihren Bedarf mitteilen, ist nicht bekannt.

Gibt es bestimmte, nennen wir sie Opfertypen?

Metalle werden von leicht zugänglichen Örtlichkeiten und bei günstiger Gelegenheit entwendet. So ist in diesem Deliktsbereich als Beute das Rohmaterial aus Baustellen oder Firmenaußenlagern beliebt. Gelegentlich werden auch Bahnanlagen, Kupferdächer, Grabmahle oder sonstige montierte Metallkonstruktionen entwendet. Die Entwendung von Spezialmetallen für bestimmte Anwendungstechniken, wie in Ihrem Fall beschrieben, spielt eher eine untergeordnete Rolle.

Wer sind die Käufer, wo sind die Märkte?

Zum einen gibt es den gutgläubigen Erwerber, wie beispielsweise ein örtlich ansässiger Altmetallhändler, zum anderen sind Hehler-Strukturen aufgefallen, die eine gezieltere Vermarktung und dadurch höhere Erlöse ermöglichen. Um die Metalle zu legalisieren, werden zum Teil Dokumente wie Frachtpapiere oder Rechnungen gefälscht und Individualmerkmale verändert. Der Rohstoffbedarf besteht weltweit. Es ist zu beobachten, dass der Absatz der Diebstahlsware zunehmend im Ausland geschieht, meist in den Heimatländern der Täterschaft.

Handelt es sich dabei um organisierte Kriminalität oder spontane Aktionen?

Schon allein aufgrund der aufwändigen Logistik und Vorbereitung kann in den überwiegenden Fällen eine spontane Aktion ausgeschlossen und von einer arbeitsteiligen Vorgehensweise ausgegangen werden. Die Einstufung als Organisierte Kriminalität (OK) erfordert regelmäßig die Erfüllung genau definierter OK-Kriterien nach Abstimmung mit den Staatsanwaltschaften. Ob und in welcher Form diese erfüllt werden, prüfen wir in jedem Einzelfall.

Befeuern Rohstoffknappheit und steigende Preise ungesetzliche Aktionen?

Da der Rohstoffmarkt kein Gegenstand polizeilicher Ermittlungen und Beobachtungen ist, kann dazu keine Aussage getroffen werden.

Wie hoch ist etwa der jährliche Schaden solcher Diebstähle in Deutschland und in Europa?

Eine jährliche Schadenssumme kann ich nur für Baden-Württemberg beziffern. In der Polizeilichen Kriminalstatistik wurde in den vergangenen Jahren in Baden-Württemberg eine Schadenssumme von jeweils ca. 2.900 000 Euro pro Jahr verzeichnet, die durch den Diebstahl von Metallen entstand. Die hierbei berücksichtigten Metalle sind Aluminium, Blei, Bronze, Eisen, Kupfer, Messing, Stahl, Zink und Zinn. Edelmetalle, wie z. B. Gold und Silber, sind hierbei nicht enthalten.

Wie hoch ist die Aufklärungsrate?

Die Aufklärungsquote in den vergangenen fünf Jahren lag in der polizeilichen Kriminalstatistik von Baden-Württemberg im Mittel bei circa 23 %.

 

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 12
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Heinz Käsinger

Ähnliche Artikel