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Mittwoch, 23 Februar 2022 09:00

„Die Elektromobilität ist zum Selbstläufer geworden“

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Geschätzte Lesezeit: 6 - 11 Minuten
Es wird erwartet, dass schon kommendes Jahr in Deutschland mehr E-Mobile als Verbrenner vom Band laufen. (Im Bild: Der Audi-E-Tron) (FOTO: AUDI) Es wird erwartet, dass schon kommendes Jahr in Deutschland mehr E-Mobile als Verbrenner vom Band laufen. (Im Bild: Der Audi-E-Tron) (FOTO: AUDI)

Wie Galvaniken auf den Wandel der Mobilität reagieren sollten. Ein Gespräch mit ESI-Manager und ZVO-Automobilexperte Rainer Venz.

Teslas Gigafactory eröffnet dieses Jahr, bei Volkswagen und anderen deutschen Autobauern rollen in absehbarer Zeit nur noch E-Mobile statt Verbrennerfahrzeuge vom Band. Das Zeitalter der Elektromobilität scheint unausweichlich. Es ist wie bei einem beschleunigenden Zug: Der Wandel der Mobilität nimmt immer mehr an Fahrt auf. Statt im Jahr 2032 wird der weltweite Break Even, also der Zeitpunkt, an dem mehr Fahrzeuge mit elektrischem als mit Verbrennungsmotor gebaut werden, nun bereits im Jahr 2029 erwartet. In Deutschland ist es schon im kommenden Jahr so weit. Höchste Zeit also, der künftigen Realität ins Auge zu blicken, denn mit dem Wandel werden viele Beschichtungen über kurz oder lang Geschichte sein. Welche davon mehr und welche weniger zukunftsfähig sind und wie sich Galvaniken in diesen Zeiten aufstellen können, ist die Galvanotechnik im Gespräch mit Rainer Venz nachgegangen. Venz ist Global Director Automotive Customer Loyalty, Quality, & Performance Programs bei der Element Solution Inc. (ESI), zu der inzwischen auch MacDermid Enthone und seit dem 1. September 2021 auch Coventya gehören. Der neue Branchenriese gilt inzwischen als größte galvanotechnische Fachfirma weltweit. Der ausgebildete Galvaniker und heutige ESI-Manager Rainer Venz ist auch Stv. Vorstands­vor­sitzender im Zentralverband der Ober­flächentechnik e.V. (ZVO), wo er das Kompetenznetzwerk Automobil und Oberfläche leitet.

Grüne Welle für E-Autos

Herr Venz, mit der Übernahme Ihres Arbeitgebers Coventya sind Sie nun Mitarbeiter von ESI. Was hat sich dort aus galvanotechnischer Sicht verändert?

Rainer VenzRainer VenzVenz: Eine Besonderheit ist, dass wir unter einem Dach jetzt sehr viel mehr als die klassische Galvanotechnik vereinen. Klassische galvanische Verfahren sind beispielsweise Kupfer, Nickel, Chrom und Zinklegierungen, also alles zu Korrosions-, Verschleißschutz und Dekoration. Durch die neue Konstellation gehört jetzt auch der Bereich Electronics, der Materialien zur Herstellung von Halbleitern und elektronischen Baugruppen entwickelt, herstellt und vertreibt, zum Unternehmen. Über alle Unternehmen der Gruppe hinweg ist die Automobilindustrie der größte Abnehmer. Und die E-Mobilität verändert den Markt.

Was haben Sie hier genau beobachtet?

Ich verfolge die Produktionszahlen seit vielen Jahren, denn wir verdienen nur Geld, wenn etwas gebaut wird. Nach heutigen Prognosen kommt der weltweite Break Even schon 2029 und nicht wie vorher prognostiziert 2032. Wir werden dann 55 Millionen Fahrzeuge mit alternativen Antrieben weltweit produzieren. Positiver Vorreiter wird vor allem Europa sein, weil es dort CO2-Flottenziele gibt. Kommendes Jahr werden hier in Deutschland schon 18 Millionen Fahrzeuge mit alternativen Antrieben erwartet. Letztendlich zeigt das, dass die Elektromobilität weltweit im Fokus steht und zum Tragen kommt. Unabhängig davon, welcher Antrieb es ist: Alle alternativen Antriebe bringen uns an den Punkt, wo wir uns komplett neue Technologien anschauen müssen.

Sie haben kürzlich eine Einschätzung zur Bedeutung der E-Mobilität für Galvaniken veröffentlicht. Wie können Galvaniken vom Trend zur E-Mobilität im Autobau profitieren?

Galvaniken müssen offen sein für Veränderungen. Die E-Mobilität ist ein Selbstläufer geworden. Die Frage ist, wie können Galvaniken auf den Zug aufspringen. Abwarten ist da meines Erachtens der falsche Weg, man muss proaktiv sein. Die reinen Verbrennungsmotoren haben viele Komponenten, die bei vollelektrischen Fahrzeugen schlichtweg nicht mehr verwendet werden. Abgasanlagen, Tanks, Getriebe etwa. Die Liste dieser Bauteile ist ziemlich lang. Galvaniken müssen sich fragen, für wen sie arbeiten und was sie eigentlich machen. Bin ich für ein Auslaufmodell tätig oder bin ich schon dabei, für andere Hersteller zu arbeiten, die Komponenten für die E-Mobilität herstellen? Dafür sollten sich Galvaniken mit ihren Kunden unterhalten und herausfinden, ob diese künftig Produkte für die E-Mobilität herstellen und wie sie diese Fertigungsprozesse unterstützen können. Entscheidend ist, sich nicht nur auf das enge Spektrum des eigenen Portfolios zu verlassen, sondern auch darüber hinauszublicken. Eventuell sind dafür Verfahrensveränderungen erforderlich. Für diejenigen, die nichts ändern, wird es nicht so gut ausgehen.

Welche Verfahren sind mehr betroffen, welche weniger?

Galvaniken, die für den Automobilbau fertigen, sollten offen für Veränderungen sein, z. B. bei den Verfahren (Foto: Chromorange Budget - stock.adobe.com)Galvaniken, die für den Automobilbau fertigen, sollten offen für Veränderungen sein, z. B. bei den Verfahren (Foto: Chromorange Budget - stock.adobe.com)Wenn wir die klassischen Verfahren sehen, etwa Nickel-Chrom zur Veredelung von Kunststoffteilen, dann haben die etwas mit dem Fahrzeugdesign zu tun. Das ist vom Trend zur Elektromobilität zunächst einmal nicht betroffen, obwohl zu beobachten ist, dass E-Mobile immer futuristischer aussehen und immer weniger Metallanteile haben. Bei dekorativen Oberflächen dürfte es also schon zu einem Rückgang kommen. Das ist aber losgelöst von der Elektromobilität.

Beschichtung von Elektronik nimmt zu

Beim Bereich Korrosionsschutz ist zu berücksichtigen, dass der Trend zu alternativen Antrieben bzw. zur E-Mobilität auch die Hybridantriebe umfasst. Bei Hybriden gibt es immer noch gewisse mechanische Bauteile, die korrosionsgeschützt werden müssen. Vereinfacht gesagt kann man jedoch festhalten, dass künftig nur noch die Hälfte an Bauteilen korrosionsgeschützt werden müssen. Die Branche wird sich zunehmend dahin entwickeln, mehr elektrische Komponenten zu beschichten.

Wie ist hier der Stand der Technik bei der Oberflächentechnik?

Es gibt zwei verschiedene Bereiche, die wichtig sind. Zum einen das klassische Galvanisieren von Oberflächen und zum anderen das Verbinden und Montieren verschiedener Baugruppenelemente. Früher wurde dabei verschraubt, geklebt oder auch gelötet. Heute müssen zum Beispiel elektronische Komponenten direkt etwa auf Wärmetauscher aufgebracht werden. Eine Technik dafür ist das Sintern mit Silber oder silberhaltigen Materialien, wodurch eine feste Verbindung entsteht. Das wiederum führt dazu, dass deutlich weniger klassische Verbindungselemente wie Verschraubungen benötigt werden. Momentan sieht es allerdings noch so aus, dass E-Mobile mehr Verbindungselemente enthalten als klassische Verbrenner. Weil immer mehr geklebt, gelötet und gesintert wird, ist aber mit zunehmend rückläufigen klassischen Verbindungselementen zu rechnen.

Wird das Sintern als neues Fügeverfahren einen breiten Anwendungskreis finden?

Ja, denn es bietet viele Vorteile. Wenn man sich ein Fahrzeug anschaut, das über unebene Fahrbahnen wie Kopfsteinpflaster fährt, so findet bei hohen Geschwindigkeiten eine große Torsion statt, hinzu kommen Schlechtwetterbedingungen, Luftfeuchtigkeit und eventuell auch Streusalze. Klassische Verbindungen können so Risse bekommen – mechanisch durch Vibration, aber auch durch Korrosion oder Spannungsrisskorrosion. Das führt dazu, dass nach einer relativ geringen Laufleistung Komponenten ausfallen können. Die Zuverlässigkeit von Komponenten spielt aber eine ganz große Rolle. Da kann die Oberflächentechnik sehr viel beitragen: Mit Sintersystemen aber auch mit weiteren Verfahren der Oberflächentechnik. Das gilt ganz besonders beim zukünftigen autonomen Fahren und bei Fahrassistenzsystemen.

Leichtbau bleibt bei der E-Mobilität im Trend. Welche Rolle spielt die Galvanotechnik dabei?

Künftig dürfte es weniger klassische Verbindungselemente im Fahrzeug geben. Dafür wird mehr geklebt, gelötet und gesintert. (Foto: Preferi - Fotolia)Künftig dürfte es weniger klassische Verbindungselemente im Fahrzeug geben. Dafür wird mehr geklebt, gelötet und gesintert. (Foto: Preferi - Fotolia)Der Leichtbau ist sowohl in der E-Mobilität als auch bei klassischen Fahrzeugen im Trend. Deshalb werden mehr und mehr höchstfeste Stähle eingesetzt, die aufgrund der Wasserstoffversprödung aber nicht für die Galvanisierung zulässig sind. Es gibt aber spezielle Systeme wie Zink-Nickel und besonders alkalisches Zink-Nickel, bei denen die Gefahr der Wasserstoffversprödung deutlich geringer ist. Das bedeutet, dass klassische Zinksysteme, was die Korrosion angeht, künftig weniger Bedeutung haben werden und dafür der Einsatz hochlegierter Schichten wie Zink-Nickel zunimmt.

Wie sieht das bei Aluminium aus?

Aluminium kann galvanisiert werden. Das ist aber aufwändig und schwierig. Heute ist u. a. üblich, zu eloxieren. ­Hierdurch entstehen verschleiß- und kor­rosionsf­este Schichten, die eine gute Optik aufweisen und bereits seit Jahrzehnten erfolgreich im Fenster- und Fassadenbau eingesetzt werden.

Beim Aluminiumleichtbau geht es aber auch um Strukturbauteile und z. B. Bremssättel. Diese müssen aus herstellungstechnischen Gründen höher legiert sein. Wenn man jedoch höher legierte Werkstoffe hat, die mehr als 7 Prozent oder mehr Silizium enthalten, ist mit den klassischen Galvanisierverfahren eigentlich schon Schluss, weil die das nicht mehr schaffen. Es gibt aber andere Verfahren, mit denen Bauteile sowohl dekorativ als auch funktional anodisiert werden können. Das Lackieren von Aluminium wird sicherlich immer wichtiger, was aber, z. B. bei Aluminiumstrukturbauteilen im Fahrzeug auch bedeutet, dass zunehmend Beschichtungen zur Haftvermittlung er­for­derl­ich sind. Die sind bei Mag­nesium­werkstoffen übrigens ebenfalls erforderlich.

Können über Beschichtungen die Materialeigenschaften von Magnesium verbessert werden?

Ja, für mich haben Werkstoff- und Oberflächentechnik immer eine symbiotische Beziehung. Manchmal kann man Abstriche beim Werkstoff machen und die Eigenschaften über die Beschichtung erhalten oder man kann auf eine Beschichtung verzichten oder eine einfachere nutzen und dafür hochwertigere Werkstoffe nehmen. Da gibt es kein Universalrezept. Beschichtungen bieten viele Vorteile wie das Verhindern der Filifomkorrosion, also der Unterwanderung von Lacken, Die Korrosion hört dann an der Schnittkante auf. Unabhängig vom Magnesium kommen in der Galvanotechnik 50 % der Eigenschaften aus den Elektrolyten und 50 % aus der Anwendungstechnik, so unsere Beobachtung.

Leichtbauanteil steigt von 30 % auf 65 %

Können Sie Zahlen zum Einsatz von Werkstoffen im Automobilbau bei zunehmendem Trend zur E- Mobilität nennen?

Im Jahr 2010 sind ungefähr 30 % Leichtbauwerkstoffe verwendet worden – höchstfeste Stähle, Aluminium, Magnesium und Kunststoffe. 2030 sollen das schon 65 % sein. Hier verändert sich sehr viel. Die Oberflächentechnik muss damit Schritt halten und in Zusammenarbeit mit den Fahrzeugherstellern die richtigen Verfahren entwickeln.

Stichwort Verfahrenstechnik. Welchen Einfluss hat die E-Mobilität hier auf die Galvanotechnik?

Alles, was in den Bereich Elektronik hineingeht, wird wachsen. Die Bandgalvanisierung wird im Bereich Steckverbinder für Elektronik weiter interessant sein. Steckverbinder werden am Band veredelt, das kann auch selektiv erfolgen, womit Edelmetall gespart wird. Der Einsatz von Steckverbindern wird zunehmen. Auch das Thema Leiterplattentechnik wird wachsen. Wir haben heute schon im Elektroauto ca. 15 sogenannte Kontrollboxen mit Elektronikelementen. Da muss die Leiterplatte beschichtet werden, aber auch die Aluminiumbox mit der Elektronik. Es ist wichtig, dass die Oberfläche so gestaltet ist, dass keine Unterwanderung durch Korrosion stattfinden kann, so dass die Elektronikbauteile langfristig vor Feuchtigkeit geschützt sind und so eine hohe Produktsicherheit und Funktionalität gewährleistet ist.

Und auf den Elektrolyte-Einsatz?

Aus meiner Sicht werden sogenannte alkalische Elektrolyte eine höhere Bedeutung haben als saure. Aus mehreren Gründen: Mit ihnen ist die Schichtverteilung deutlich gleichmäßiger und genauer, darüber hinaus wird die Nachhaltigkeit mit dünnen metallsparenden Schichtdicken unterstützt. Außerdem zeigen alkalische Elektrolyte bei der Wasserstoffversprödung positive Effekte – dies ist zumindest bei ZnNi Verfahren bereits nachgewiesen.

Welche Chancen bietet die Batterietechnik?

In Automobilbatterien sind viele einzelne Zellen verbaut, die eine gewisse Steifigkeit erfordern, um vor mechanischen Schäden zu schützen und Brände zu vermeiden. Daher benötigen sie ist ein sehr stabiles Gehäuse. Um diese Stahlgehäuse vor Korrosion zu schützen, wird häufig Zink-Nickel eingesetzt. Und beim Aluminium wird entweder lackiert, was bedeutet, dass eine Konversionsschicht nötig ist, damit der Lack haftet, oder anodisiert, um das Bauteil noch etwas mehr vor Korrosion zu schützen. Das Anodisieren bietet auch einen Isolationsvorteil, da das Verfahren eine elek­trisch nicht leitende Oberfläche erzeugt.

 

TIPP:

Car Symposium Bochum vom 31.5. bis 1.6.2022

Rainer Venz spricht in Bochum über autonomes Fahren, definiert Anforderungen und liefert Zahlenmaterial und Prognosen.

Wird gezielte Leitfähigkeit also immer wichtiger?

Ja, weil bereits heute mit sehr hohen Spannungen gearbeitet wird, in den USA gibt es beispielsweise schon einen Elektromobilitätshersteller, der mit 1000 Volt im Pkw-Bereich arbeitet. Die eingesetzte Spannung wird steigen und je höher die Spannungen, desto widerstandsfähiger müssen die Isolatoren sein. Um die Funktionsfähigkeit dieser Fahrzeuge zu gewährleisten, müssen Kriech- und Fremdströme vermieden werden. Und dazu ist es wichtig, Strom gezielt zu lenken, mit gezielter Leitfähigkeit oder gezielter Isolation. Bei vielen Oberflächen, gerade Versiegelungen, die z. B. noch Reibwerte einstellen, sind die elektrischen Widerstände oft nicht genau bekannt. Galvaniseure müssen daher mit Komponenten­herstellern sprechen und anhand der Anforderungen passende Ober­flächen einsetzen oder entwickeln.

Ein weiterer Aspekt der Leitfähigkeit ist aber auch die thermische Leitfähigkeit. Gerade bei E-Autos spielt Thermomanagement eine Riesenrolle, weil Baukomponenten durch hohe Temperaturen gefährdet sind. Dafür müssen Wärmeisolatoren verbaut werden, die den Wärmefluss hemmen oder reduzieren. Bei anderen Anwendungen ist es wichtig, die Wärme gezielt abzuführen.

Leitfähigkeit ist ein großes Thema, bei dem die Branche noch sehr viel zu tun hat. Es hapert aber schon daran, dass es keine vernünftigen Prüfmethoden gibt. Die Branche muss gemeinsam daran arbeiten, die Anforderungen und auch die Prüfmethoden zu spezifizieren und einheitliche Normen zu entwickeln. Im ZVO-Kompetenznetzwerk Auto­mobil und Oberfläche kümmern wir uns in Arbeitsgruppen gemeinsam mit VDA-Vertretern um das Thema Elektromobilität und elektrische Eigenschaften. Dort diskutieren wir diese Themen gerade.

 

ZUR PERSON

Rainer Venz

hat 8 Jahre in Lohngalvaniken und später als Leiter der Beschichtungsabteilung bei Schäffler in Herzogenaurach gearbeitet. Nach der Übernahme seines langjährigen Arbeitgebers Coventya ist Rainer Venz heute Global Director Automotive Customer Loyalty, Quality, & Performance Programs bei der Element Solution Inc. und steht in engem Kontakt zu OEMs und Zulieferern der Automobilbranche.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 2
  • Jahr: 2022
  • Autoren: Robert Piterek

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