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Montag, 28 Februar 2022 10:59

Die Welt der Bahn en miniature

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Die Marke Märklin ist seit mehr als 100 Jahren Synonym für Modelleisenbahnen. Begonnen hatte das schwäbische Familienunternehmen Gebr. Märklin & Cie. GmbH als breit aufgestellter Hersteller von Spielwaren. Damals wie heute ist Metall der bevorzugte Werkstoff – und dazu gehört auch jede Art von Oberflächentechnik.

gt 2022 02 0034Gussrohlinge sind einer 100 %-Sichtprüfung unterworfen Öffentliche Modellbahnanlagen gibt es viele in Deutschland: vom Miniatur-Wunderland in Hamburg über die neue Anlage im Märklineum in Göppingen bis zur Hans Peter Porsche Traumwelt in Anger ganz im Süden, fast schon bei Salzburg. Auch der ehemalige Innenminister Horst Seehofer hat bereits in einem TV Bericht einen Einblick in seine private Anlage in seinem Haus im Altmühltal gegeben. Ebenso stehen viele Modellbahnanlagen auch in anderen Haushalten.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es dabei Modellbahnen von Märklin sind, ist hoch, denn mit einem Umsatz von rund 113 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2020/2021 sind die Göppinger Marktführer in diesem Segment.

„Wir machen alles, was den Fahrbetrieb der Bahn ausmacht“, erklärt Gerhard Tastl, der Produktionsleiter des Unternehmens am Standort Göppingen. „Also Züge, Wagen, Gleise, Weichen, Signale und so weiter.“ Zubehör wie Häuser, Bäume und Menschenfiguren gehört nicht zum Fertigungsumfang des Unternehmens.

Obwohl elektrische und elektronische Komponenten zugekauft werden, ist die Fertigungstiefe des Unternehmens unglaublich hoch. Denn alle mechanischen Teile werden selbst hergestellt, bis hinunter zum kleinsten Schräubchen. Karosserien, Achsen, Räder, Kupplungen, Stromabnehmer u. v. m. entstehen durch die jeweiligen Herstellungsmethoden, z. B. gießen, fräsen oder stanzen. Und das in verschiedenen Größen: Mit einem Marktanteil von rund 70 % am weitesten verbreitet sind unter Modelleisenbahnern die Modelle der so genannten Spur H0. Bei einer Gleisbreite von 16,5 Millimetern ergibt das Modelle im Maßstab von 1:87. Die Spur 1, Gleisbreite 45 Millimeter, ergibt Modelle im Maßstab 1:32. Und die Spur Z wiederum erzeugt mit ihrer Breite von 6,5 Millimetern Modelle im Maßstab 1:220 und somit die kleinsten Modelle. Da Märklin 1997 den Hersteller Trix gekauft hat, gibt es außerdem Modelle im Maßstab 1:160 (Minitrix Spur N, 9 Millimeter). Der 2007 übernommene Hersteller Lehmann-Gross-Bahn (LGB) brachte Modelle 1:22,5 mit, – letztere finden wegen des großen Platzbedarfs fast ausschließlich als Gartenbahn Verwendung.

Behutsamkeit: Galvanikkörbe werden händisch be- und entladen    Behutsamkeit: Galvanikkörbe werden händisch be- und entladen „Egal von welcher Spurgröße wir reden, als Faustregel gilt: Je detailreicher ein Modell ausgearbeitet ist, umso teurer ist es“, weiß Gerhard Tastl. „Dabei sind Dampflokomotiven komplexer als E-Loks.“ In der Tat besteht eine fertige E-Lok in der Regel aus 150 bis 200 Einzelteilen, eine Dampflok hingegen aus zirka 300 Teilen.

Der Produktionszyklus beispielsweise einer Lok beginnt in der Regel mit dem Guss der Karosserie. Fast alle Modelle von Märklin verfügen über ein Gehäuse in Zink-Druckguss. An- und Einbauten wie Fenster und Isolatoren werden im Spritzgussverfahren hergestellt. Nach dem Gießvorgang und der anschließenden Qualitätskontrolle werden sofort alle notwendigen Durchführungen und Schraubenlöcher gebohrt, danach kommen die üblichen mechanischen Behandlungen wie trowalisieren, bürsten, strahlen und das Runden der Kanten.

Dann erfolgt die Reinigung des Rohlings und die Phosphatierung. Danach wird die Grundfarbe aufgetragen. Es folgt die partielle Farbgebung und schließlich das Finishing mit dem Design (Aufbringen von Logos, Streifen etc.). Dann geht es in die Endmontage.

Zentraler Bestandteil der Fertigung ist somit die Oberflächentechnik. Deren Leiter ist der Galvanotechniker/-meister Michael Ludwig. „Wir beherrschen in der Galvanik alle klassischen Verfahren wie cyanidisch Kupfer, Nickel oder Schwarznickel. Außerdem können wir jede Größe von Bauteil galvanisieren, von XXS bis XXL“ Besonders hebt Ludwig hervor, dass die Göppinger noch ein altes, mittlerweile selten gewordenes galvanisches Verfahren pflegen, das so genannte Glockengalvanisieren. Dabei handelt es sich um eine besonders schonende Form der Trommelgalvanisierung. Und noch etwas ist Ludwig wichtig: „Märklin betreibt zwei Produktionsstandorte. Eine Galvanik gibt es aber nur am Standort Göppingen.“

Blick in die Gießerei: Gussformen für verschiedene Modelle  Blick in die Gießerei: Gussformen für verschiedene Modelle Neben der Galvanik gibt es selbstverständlich eine Lackiererei, die nahezu jeden Farbton einer original Lokomotive, eines original Wagens erzeugen kann. Ludwig: „Wir können mehr als 350 Farbtöne in den verschiedenen Farbsystemen RAL, RAL design, HKS oder Pantone in unserer Lackiererei und unserer Tampondruckerei erzeugen. Denn natürlich ist es klar, dass ein Kunde, der sich den legendären Schienenbus der DB bestellt, diesen auch in seiner klassischen dunkelroten Grundfarbe haben will und nicht in irgend einem x-beliebigen Rot.

„Eine unserer wichtigsten Abteilungen ist daher die Dokumentationsabteilung“, verrät Michael Ludwig. Diese steht im Kontakt mit den wichtigsten Herstellern der „richtigen“ Züge, fordert (und erhält meistens) die Originalpläne der Lokomotiven und der verschiedenen Wagen an. Ludwig nennt ein anderes Beispiel: „Stellen Sie sich vor, die Größe der Stromabnehmer passt proportional nicht zur Größe der Lok, das würde jedem Sammler sofort auffallen.“ Gut, dass Siemens, Alstom und Co. da kooperativ sind. Schwierig wird es bei der Nachbildung von historischen Zügen. Meistens gibt es da nur noch Schwarzweißbilder und die Designer sind gezwungen, Graustufen farbig zu interpretieren. „Wir machen jedesmal drei Kreuze, wenn wir noch einen Augenzeugen auftreiben können“, zwinkert Ludwig.

Es stellt sich die Frage, welche der zahllos real existierenden Lokomotiven es in die Modelllinie von Märklin schaffen. Da ist Markterfahrung gefragt und trotzdem sind Neuentwicklungen jedes Mal ein Risiko. Produktionsleiter Gerhard Tastl: „Eine komplette Neuentwicklung, von der Idee bis zum ersten Produktionsschritt, kostet das Unternehmen rund 500 000 Euro, komplexe Modelle auch mehr. Ist die Entwicklung einmal angelaufen, gibt es kein zurück.“ Und: Aktuelle Modelle werden in der Regel nur im Jahr der Produktion verkauft und werden später nicht– oder nur in einem sehr begrenzten Umfang – vorgehalten. Wer später ein entsprechendes Teil nachkaufen will, muss dies auf Sammlerbörsen oder in Spezialgeschäften tun. Das Geschäft ist also sehr von Neuauflagen geprägt, aber Klassiker wie der bereits erwähnte Schienenbus, das „Krokodil“ aus der Schweiz oder die deutsche Wirtschaftswunder-Lokomotive V 200.0 gehen immer und sind sozusagen auch laufend im Sortiment.

 

 Das Dach des klassischen Schienenbusses erhält sein typisches Grau  Das Dach des klassischen Schienenbusses erhält sein typisches Grau

 Endmontage: Das Modell einer E-Lok umfasst 150 bis 200 Einzelteile  Endmontage: Das Modell einer E-Lok umfasst 150 bis 200 Einzelteile

 Ab zum Kunden: Attraktive Verpackungen helfen verkaufen  Ab zum Kunden: Attraktive Verpackungen helfen verkaufen

 

Während bis weit in die 1970er Jahre hinein eine (Märklin-) Eisenbahn ganz oben auf der Wunschliste von Kindern stand, hat sich dies mit Erscheinen der Computerspiele in den 1980er Jahren gewandelt. SuperMario und PacMan verdrängten die „Adler“, die „Rockets“ und sogar ICE und TGV. Aber nur vorübergehend. Denn seit einigen Jahren haben Modelleisenbahnen wieder Konjunktur. Und die diversen Lockdowns der Coronakrise haben das Hoch noch beflügelt. Man hat das Dampfross wieder entdeckt. Drei Käufergruppen haben die Göppinger identifiziert: Einsteiger und Kinder, die man mit einfachen, kostengünstigen Sets aus Loks, Wagen und Schienen bedient. Ferner die Modelleisenbahner, die konkrete Fahrsituationen plus einer realistischen Umgebung mit Bergen, Feldern und Dörfern nachbauen und schließlich den klassischen Sammler, der einzelne Modelle in die Vitrine stellt, nur um sie zu betrachten.

Wie so viele Lebensbereiche hat sich, egal welche Käuferschicht angesprochen wird, auch der Markt der Modelleisenbahnen gewandelt. Auch hier hat die Digitalisierung Einzug gehalten. Der Trafo mit Vor- und Rückwärtsfahrt-Umschaltung hat ausgedient. Dank Computersteuerung kann auch der Laie jetzt komplizierte Fahrpläne umsetzen, kann bei einsetzender Dämmerung Lichteffekte setzen, gar das rhythmisch passgenaue Stampfen der Dampflokomotive wummern lassen oder das Quietschen der Bremsen. Und natürlich kann der Modelleisenbahner auch Bahnhofsansagen einspielen. Hier unterscheidet sich der Modellbau jetzt deutlich von der Realität. Unter Modelleisenbahnern ist eine Bahnhofsansage völlig unbekannt: „Der ICE aus Frankfurt hat heute 30 Minuten Verspätung!“

ZUR INFO

Das Unternehmen auf einen Blick

gt 2022 02 00301859 wird Märklin von Theodor Friedrich Wilhelm Märklin gegründet und seine Frau Caroline arbeitet tatkräftig mit. Man sagt, sie sei die erste weibliche Handelsreisende gewesen, schließlich baut sie das Geschäft nicht nur in Süddeutschland auf sondern auch in Österreich und in der Schweiz. Gefertigt werden damals Güter des täglichen Bedarfs aber vor allem auch Zubehör für Puppenküchen, Spielzeugkinderwagen und Kutschen. Aufgrund eines tragischen Unfalls stirbt Theodor Friedrich Wilhelm früh. Neben dem Unternehmen hinterlässt er zwei Söhne. Die übernehmen 1888 das Geschäft und firmieren ab sofort unter Gebr. Märklin. Die Produktpalette umfasst damals Spielzeug für Mädchen, Schiffsmodelle, Karusselle, Kreisel und Bodenläufer. 1891 übernehmen die Brüder den Blechspielzeughersteller Ludwig Lutz in Ellwangen, in demselben Jahr stellen sie auf der Leipziger Frühjahrsmesse erstmals eine Modelleisenbahn vor. Betrieben wird der Zug noch mittels Uhrwerk und er läuft auf einer 8-förmigen Schiene. Seit diesem Zeitpunkt spezialisiert man sich immer deutlicher Richtung Modelleisenbahnen.

 

 Produktionschef in Göppingen: Gerhard Tastl    Produktionschef in Göppingen: Gerhard Tastl

 Herr über die  Oberflächen:  Michael Ludwig   Herr über die Oberflächen: Michael Ludwig

 

Heute ist Märklin Marktführer auf dem Gebiet der Modelleisenbahnen. Es gibt zwei Produktionsstandorte. Der eine ist noch immer im schwäbischen Göppingen, wo rund 470 Mitarbeiter tätig sind und wo auch die Galvanik angesiedelt ist. Der andere ist im ungarischen Györ, wo, saisonabhängig, zwischen 700 und 800 Menschen arbeiten. Im Geschäftsjahr 2020/2021 wurde ein Umsatz von zirka 113 Millionen Euro erzielt.

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