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Montag, 27 Juni 2022 12:00

Strategien zur Transformation der Branche

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Geschätzte Lesezeit: 4 - 8 Minuten
Schauplatz einer der ersten Präsenzveranstaltungen der Branche war der Tagungssaal im Edwin Scharff Haus in Neu-Ulm, wo Forscher, Unternehmer und Branchenvertreter beim Ulmer Gespräch zusammentrafen Schauplatz einer der ersten Präsenzveranstaltungen der Branche war der Tagungssaal im Edwin Scharff Haus in Neu-Ulm, wo Forscher, Unternehmer und Branchenvertreter beim Ulmer Gespräch zusammentrafen

DasUlmer Gespräch 2022 vom 4./5. Mai 2022 in Neu-Ulm mit dem Schwerpunkt „Nachhaltigkeit und Klimaneutralität – Herausforderungen und Chancen für elektrochemische Prozesse und Galvanotechnik“ im Rückblick.

Den mit 3000 Euro dotierten Nasser Kanani-Preis erhielt Dr. Martin Leimbach von der TU Ilmenau für seine Arbeit über die Erzeugung qualitativ hochwertiger Chrom III-SchichtenDen mit 3000 Euro dotierten Nasser Kanani-Preis erhielt Dr. Martin Leimbach von der TU Ilmenau für seine Arbeit über die Erzeugung qualitativ hochwertiger Chrom III-SchichtenDie Oberflächentechnik ist eine Querschnittstechnologie für den gesamten industriellen Bereich. Dieser Satz gehörte mit zu den ersten, die Veranstaltungsleiter Prof. Wolfgang Paatsch auf dem ersten „Ulmer Gespräch“ nach zwei Jahren Corona-Pandemie äußerte. Und wie es zu einer Querschnittstechnologie passt, bot die mit etwas über 60 Besuchern noch recht spärlich besuchte Veranstaltung am 4. und 5. Mai im Vergleich zu früher wohl auch ein deutlich breiteres Themenspektrum. Es ging um Klima- und Nachhaltigkeitsüberlegungen, um Batterietechnologien und Erneuerbare Energien, Dekarbonisierung und die digitale Vernetzung in der Oberflächentechnik, um nur einige Themenbereiche zu nennen. Zugleich passte die Themenauswahl zum Veranstaltungsschwerpunkt Nachhaltigkeit und Klimaneutralität.

Bevor die Vorträge starteten, stand aber die erstmalige Preisverleihung des Nasser Kanani-Preises auf dem Programm. Prof. Kanani ist in der Branche durch zahlreiche Fachbücher sowie Auszeichnungen bekannt. Er ist Professor an der TU Berlin. Der von ihm für Fortschritte in der elektrochemischen Oberflächentechnik gestiftete Preis ist mit 3000 Euro dotiert und ging an Dr. Martin Leimbach von der TU Ilmenau, der ihn für seine Arbeit über die Charakterisierung der elektrochemischen Abscheidung von dekorativem Chrom III erhielt. Die von ihm gewonnenen Erkenntnisse sind insofern preiswürdig als sie zu einem größeren Verständnis prozessbedingter Farbunterschiede galvanischer Chromschichten beitragen. Er wies nach, dass eine Kombination aus Gleichstromausscheidung und kurzzeitiger Pulsabscheidung qualitativ hochwertige Chrom III-Schichten erzeugt. Wenn es um die Arbeitssicherheit geht, sind Chrom III-Schichten deutlich unbedenklicher als die herkömmlichen Chrom VI-Schichten. Daher sind Leimbachs Erkenntnisse nicht nur technologisch wegweisend, sondern sind auch im Kontext nachhaltiger Produktion interessant.

Anschließend trat Prof. Franz-Josef Radermacher vom Forschungsinstitut für anwenderorientierte Wissensverarbeitung in Ulm vor die Teilnehmer und sprach über die Mobilität der Zukunft. Eine Verengung auf die Elektromobilität sieht er kritisch und erinnerte daran, dass klimaneutrale Mobilität auch mit Hilfe synthetischer Kraftstoffe möglich ist, die z. B. Porsche gemeinsam mit Partnern in Chile gewinnen will. Um „der Explosion von CO2-Emissionen und des entsprechenden Ressourcenverbrauchs“ zu begegnen, schlägt Radermacher als ganzheitliche Lösung zur weltweiten Emissionssenkung einen Ansatz vor, der inzwischen auch vereinzelt in der öffentlichen Diskussion auftaucht: das Abfangen von CO2 aus industriellen Prozessen. Dies könne gespeichert und als Energieträger eingesetzt werden. Ein Vorschlag, der wohl nur durch einen globalen Kraftakt und den Einsatz modernster Technologie möglich ist.

 

Einen schonungslosen Blick richtete Prof. Radermacher auf das Thema Mobilität der Zukunft  Einen schonungslosen Blick richtete Prof. Radermacher auf das Thema Mobilität der Zukunft

Ehrung am Ende der Tagung: Dr. Andreas Dietz vom Fraunhofer IST  erhielt Medaille und Zertifikat für 25 Jahre DGO von Prof. PaatschEhrung am Ende der Tagung: Dr. Andreas Dietz vom Fraunhofer IST erhielt Medaille und Zertifikat für 25 Jahre DGO von Prof. Paatsch

Branchenvertreter nahmen Radermachers Überlegungen nachdenklich auf, wie die anschließende Mittagspause zeigte. Schließlich hatte der Wissenschaftler mit Kontakten zur Nachhaltigkeitsinitiative Club of Rome sowie zum ehemaligen Entwicklungshilfeminister Gerd Müller unter anderem vorgerechnet, dass die Herstellung von grünem Wasserstoff den industriellen Bedarf nicht erfüllen wird und die Klimaziele, wie die Begrenzung der Erderwärmung auf +1,5 bzw. 2 Grad, bei realistischer Betrachtung nicht eingehalten werden können. Gespräche am Rande der Tagung zeigten jedoch, dass die Dringlichkeit einer industriellen Transformation hin zu einer klimafreundlicheren Produktion in der Branche grundsätzlich aber unumstritten ist, wenn aktuell auch Sorgen über die Aufrechterhaltung der Gasversorgung wegen des Krieges in der Ukraine herrschen, die als Brückentechnologie im Energiesektor unerlässlich bleibt.

Tagungssaal beim Vortrag von Karl Joachim Becker, der über die Senkung des Energieverbrauchs u. a. durch niedrigere Badspannungen  in Galvaniken sprachTagungssaal beim Vortrag von Karl Joachim Becker, der über die Senkung des Energieverbrauchs u. a. durch niedrigere Badspannungen in Galvaniken sprach

Die folgenden Vorträge von Dr. Peter Fischer vom Fraunhofer Institut für Chemische Technologie ICT in Pfinztal und von Dr. Michael Roscher von der Liovolt GmbH in Limbach-Oberfrohna konzentrierten sich auf moderne Batterietechnologien, letzterer stellte auch Methoden zur Darstellung galvanisch abgeschiedener Kupfer- und Nickelschichten auf Aluminiumfolien dar. Diese könnten als Ersatz für durch Walzen beschichtete Durchleiterfolien dienen. Dann folgte Dr. Holger Kühnlein vom Hersteller nasschemischer Anlagen Rena Technologie aus Freiburg. Er beschrieb ein elektrochemisches Wafering-Verfahren auf der Basis von Siliziumcarbid. Als Metallisierung kommt statt Siebdruck von Silber auch eine elektrochemische Kontaktierung mit einer Nickel-Kupfer-Legierung in Frage. Dr. Kühnlein rechnete vor, dass für Solarzellen mit einer Kapazität von 1 GW heute 20 Tonnen Silber eingesetzt werden. 120 GW machen dann schon 10 % des weltweiten Silberangebots aus. Die Diskussionsleitung dieses ersten Themenblocks hatte Prof. Andreas Bund von der TU Ilmenau inne.

Die Diskussionsleitung wechselte jeweils nach zwei oder drei Vorträgen. Der neue Technische DGO-Geschäftsführer Dr. Daniel Meyer  führte am zweiten Tag durch mehrere Redebeiträge   Die Diskussionsleitung wechselte jeweils nach zwei oder drei Vorträgen. Der neue Technische DGO-Geschäftsführer Dr. Daniel Meyer führte am zweiten Tag durch mehrere Redebeiträge Im Zusammenhang mit der Elektrochemie spielt auch das Recycling von Metallen, insbesondere mit Blick auf die Rohstoffeffizienz, eine wichtige Rolle. Die Elektrochemie erlaubt hier eine relativ einfache Gewinnung von z. B. Metallen aus Elektroschrott sowie Seltenerdmagneten, wie Klaus Schmid, Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) aus Stuttgart darlegte. Das Interesse daran ist offenbar groß: Im Projekt sind Unternehmen wie Bosch, BASF sowie Veolia vertreten. Über Batterierecycling referierte im Anschluss Dr.-Ing. Sabrina Zellmer vom Fraunhofer Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST in Braunschweig. Diskussionsleiterin des Recycling-Themenblocks war Katja Feige vom Fraunhofer IPA.

Auf der Abendveranstaltung im Brauhaus Drei Kannen in Ulm konnten die Vorzüge eines Präsenzevents mit persönlichen Gesprächen und Diskussionen zur aktuellen Lage bei gutem Essen genossen werden – für viele der angereisten Forscher, Unternehmer und Vereinsvertreter der DGO war es das erste Mal nach den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie der vergangenen beiden Jahre. Mit dabei war auch eine große Gruppe aus Coventya-Vertretern, die seit einiger Zeit zum ehemaligen Wettbewerber MacDermid Enthone gehören und sich in Ulm erstmals unter der neuen Firmierung präsentierten.

Am nächsten Tag bestritt den ersten Vortrag mit Karl Joachim Becker auch ein Mitglied dieser Gruppe. Die Diskussionsleitung des ersten Themenblocks zum Themenschwerpunkt „Betriebe/Energie/Energiemanagement“ lag diesmal beim neuen Technischen DGO-Geschäftsführer Dr. Daniel Meyer. Becker beschrieb am Beispiel von 3S Anoden in alkalischen Zink-Nickel-Elektrolyten, wie der Stromverbrauch reduziert und die Wirkungsgrade erhöht werden können. Die CO2-Reduktion kann dabei maximal 75 % betragen. U. a. sind eine niedrigere Badspannung sowie verbesserte Elektrolytleitfähigkeiten hier die Ursachen. Interessant, aber auch mit Risiken behaftet ist die Methode zur Nutzung anfallenden Wasserstoffs, die Stefan Funk vom Forschungsinstitut Edelmetalle + Metallchemie (fem) im Anschluss vorstellte. Beispiel war das Eloxieren von Aluminiumbauteilen, bei dem an der Kathode sehr viel Wasserstoff entsteht. Durch gesteuerte Knallgasreaktion entsteht Wärme, die bei der anschließenden Verdichtung eingesetzt werden kann. Zur Vermeidung einer Explosion ist hierbei jedoch eine exakte Steuerung unerlässlich. Ein Vortrag aus der Praxis der Saxonia Galvanik aus Halsbrücke beschrieb anschließend die Möglichkeiten der Energieoptimierung durch ein Energie-Management-System nach der Norm ISO 50001. Bei Wärme wurde ein Einsparpotenzial von 610 MWh und bei Strom ein Einsparpotenzial von 717 MWh ermittelt, auch Leckagen wurden überprüft und Undichtigkeiten entdeckt. Das Unternehmen bereitet sich auf Klimaneutralität in Scope 1 und 2 bis 2030 vor.

Wasserstoffnutzung beim Eloxieren: Stefan Funk vom fem  präsentierte eine Methode mittels gesteuerter KnallgasreaktionWasserstoffnutzung beim Eloxieren: Stefan Funk vom fem präsentierte eine Methode mittels gesteuerter KnallgasreaktionUnter der Diskussionsleitung von Dr. Heidi Willing vom fem ging es dann um Dekarbonisierung. In zwei Vorträgen von Florian Ansgar Jaeger von Siemens und Jan Mehlberg von MW Enamic ging es um den CO2-Footprint für die Klimabilanz, die bald alle Unternehmen auf dem Weg zur

Klimaneutralität vorlegen müssen. Ein System von Siemens stellte Jaeger vor, das alle Emissionsdaten entlang der Lieferkette beinhaltet, ein ganzheitliches Vorgehen zur Dekarbonisierung beschrieb Mehlberg.

Die Diskussion des letzten Themenblocks leitete Dr. Andreas Dietz vom Fraunhofer IST, der von Prof. Paatsch zuvor mit Medaille und Zertifikat für seine 25-jährige DGO-Mitgliedschaft geehrt worden war. Zunächst wurden von Felix Pag von der Universität Kassel die Möglichkeiten der Solarthermie, also die Umwandlung von Sonnen- in thermische Energie vorgestellt, die Pag als besonders hervorhob. Er stellte verschiedene Unternehmen aus der Lackbearbeitung und Galvanik vor, die Solarthermie bereits einsetzen. Die letzten beiden Vorträge fielen mit ihren Themen Digitalisierung und Metalle als Brennstoffe etwas aus dem Rahmen, boten aber Verbindungen zur Oberflächentechnik bzw. Elektrochemie. Während Edgar Kaufmann von B+T, Hüttenberg, die Chancen digitaler Vernetzung in der Oberflächentechnik beleuchtete, sprach Volker Weiser vom Fraunhofer ICT abschließend über Metalle als speicherbare Energieträger, die verstromt werden können. Das Recycling der Reaktionsprodukte ist mittels elektrochemischer Verfahren möglich.

Prof. Paatsch attestierte der Veranstaltung zum Abschluss einen etwas anderen Charakter als gewohnt und unterstrich Chance und Herausforderung der industriellen Transformation hin zur Klimaneutralität, indem er noch einmal auf Radermachers Impulsvortrag einging. Er habe das Thema schonungslos präsentiert, „aber auch Lichtblicke gezeigt!“ Der Termin für das Ulmer Gespräch 2023 steht noch nicht fest, die Veranstaltung dürfte aber wie gewohnt im Mai kommenden Jahres stattfinden.

 

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 6
  • Jahr: 2022
  • Autoren: Robert Piterek

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