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Mittwoch, 31 August 2022 12:00

Silber-Dispersionsschichten – 50 Jahre bekannt – weiterhin aktuell

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Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten
Die Nagelfeile ist eine typische Anwendung der Nickeldispersion Die Nagelfeile ist eine typische Anwendung der Nickeldispersion

Die galvanische Abscheidung von Dispersionsschichten ist bereits seit etwa hundert Jahren bekannt. Dabei werden die einzulagernden Partikel in Form von Pulvern oder als Suspension zu einem Metallmatrixelektrolyten gegeben und durch Umpumpen, Rühren, Lufteinblasung, etc. in Schwebe gehalten. Durch die Wahl geeigneter Elektrolytzusätze und Abscheideparameter kann ein Partikeleinbau in die Schicht stattfinden [1].

Silberdispersionsabscheidung in der PraxisSilberdispersionsabscheidung in der PraxisBereits in den 1930er-Jahren wurden Diamantpartikel in Nickelschichten eingelagert, z. B. für Anwendungen in der Zahnmedizin oder als Beschichtung für Nagelfeilen[2]. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte wurden für verschiedenste Anwendungen nahezu unzählige Metall-Dispersoid-Kombinationen abgeschieden und charakterisiert. Ausgehend von den zunächst empirischen Versuchen wurden ab den 1960erJahren verschiedene Modelle erarbeitet und diskutiert, um den Mechanismus der Co-Abscheidung zu beschreiben [1, 3–5]. Ein weithin bekanntes Modell stammt von Gugliemi aus dem Jahr 1972, das von einem zweistufigen Adsorptionsmechanismus ausgeht und Partikel- und Elektrolyteigenschaften berücksichtigt. Von anderen Autoren wurde dieses Modell um weitere Einflussparameter erweitert bzw. verfeinert, wie z. B. Stromdichte [6] oder hydrodynamische Bedingungen [7]. Es existieren eine Vielzahl weiterer Ansätze, z. B. das von Celis und Mitarbeitern, welches die Abschätzung des Dispersoideinbaus bei einer bestimmten Stromdichte erlaubt. Eine ausführlichere Darstellung der verschiedenen Modelle ist in [1] und [5] zu finden.

Unstrittig ist, dass sich eine Vielzahl an Einflussgrößen auf die Mitabscheidung von Partikeln auswirkt

Unstrittig ist, dass sich eine Vielzahl an Einflussgrößen auf die Mitabscheidung von Partikeln auswirkt, z. B. Abscheidebedingungen, Hydrodynamik, Elektrolytzusammensetzung und Additive, Art und Konzentration der Partikel [6].

Leitfähige Dispersionsschichten

Für Anwendungen im Bereich elektrischer Kontakte bietet sich Silber als Matrix für Dispersionsschichten an. Silber weist von allen Elementen die höchste elektrische Leitfähigkeit auf, zusammen mit einer guten Korrosionsbeständigkeit und einem für Edelmetalle vergleichsweise niedrigen Preis. Als Nachteile von Silber sind die Verschweißneigung, die geringe Anlaufbeständigkeit und die niedrige Härte zu nennen [8]. Speziell zur Herabsetzung der Kaltverschweißneigung stellen Legierungen oder Verbundwerkstoffe eine gute Alternative zur Verwendung von Reinsilber dar. Aus der Pulvermetallurgie bekannte Systeme sind Silber-Nickel bzw. Silber-Graphit. Beim System Silber-Graphit wird durch den Einbau von Graphit-Partikeln die Verschweißneigung stark herabgesetzt. Gleichzeitig besitzt Graphit eine sehr gute Schmierwirkung, weshalb bei einer Einlagerung parallel zur Oberfläche auch die tribologischen Eigenschaften deutlich verbessert werden. Das System Silber-Graphit in Form einer galvanisch abgeschiedenen Dispersionsschicht findet laut [9] seine erste Erwähnung in der Patentschrift DE-AS1496927, wo sie jedoch nicht als Funktionsschicht, sondern als strukturgebende Unterschichtung zur Erzeugung mikrorissiger Chromschichten eingesetzt wird.

Siemens übernimmt Pionierrolle

Silber-Graphit beschichtetes Bauteil vor (links) und (rechts) nach dem KugelpolierenSilber-Graphit beschichtetes Bauteil vor (links) und (rechts) nach dem KugelpolierenDie eigentliche Entwicklung galvanisch abgeschiedener Silber-Graphit-Dispersionsschichten für die Anwendung in elektrischen Kontakten schließlich ist eng mit der Firma Siemens verbunden. Das erste hierzu veröffentlichte Patent wurde im Jahr 1975 angemeldet [9]. Dort wird ein cyanidischer Silberelektrolyt beschrieben, in welchem Graphitpartikel der Größe 1–10 µm dispergiert sind. Die Partikel werden durch Umpumpen des Elektrolyten in Schwebe gehalten. Die so abgeschiedenen Dispersionsschichten können – je nach Graphitkonzentration im Elektrolyten - bis zu 3 Gewichtsprozent Graphit enthalten und weisen eine hervorragende Abriebbeständigkeit auf, womit sie sich für die Anwendung in Relaiskontakten eignen.

Ein weiteres Patent der Fa. Siemens aus dem Jahr 1991 [10] beschreibt ein Verfahren zur Abscheidung von SilberGraphit-Schichten, bei dem höhere Stromdichten angewandt werden können. Im Gegensatz zum früheren Patent [9] enthält der Elektrolyt kein freies Cyanid mehr, sondern alternative Leitsalze wie z. B. Kaliumhydrogenphosphat, Kaliumphosphat oder Natriumcitrat. Mit dieser Rezeptur können Stromdichten bis zu 20 A/dm2 erreicht werden, und die Beschichtungen können in einer Durchlaufanlage vorgenommen werden. Wie in [11] erläutert wird, hat sich die Silber-Graphit-Oberfläche bei Fa. Siemens über die Jahre bzw. Jahrzehnte zu einem kommerziellen Produkt mit breitem Anwendungsspektrum entwickelt. Erst in 2021 wurde bedingt durch die Schließung des hauseigenen Technologiezentrums deren Herstellung aufgegeben bzw. zur Fa. Pieper Oberflächentechnik GmbH Hermsdorf transferiert.

Parallel zu Silber-Graphit wurden von der Fa. Siemens auch Schichten aus Silber-Nanodiamant zur Erhöhung der Verschleißbeständigkeit in den industriellen Maßstab überführt [11]. Die Patente [12] und [13] beschreiben sowohl ein Verfahren zur entsprechenden Aufbereitung der Nanodiamanten als auch die Abscheidung einer entsprechenden Dispersionsschicht aus einem cyanidischen Elektrolyten.

Gemäß [14] können zur Mitabscheidung von Nanodiamanten auch Kaliumhexacyanoferrat-basierte Elektrolyte eingesetzt werden.

Literatur nennt weitere Dispersoide

Neben Graphit und Nanodiamant werden in der Literatur und in Patenten zahleiche weitere Dispersoide beschrieben, welche in Silbermatrices eingelagert wurden. Hierunter fallen beispielsweise andere kohlenstoffbasierte Materialien wie Graphen oder Carbon Nanotubes [15] sowie PTFE [17], Zirkonoxid [16] u.v.m. Diese erlangten aber offenbar nicht dieselbe industrielle Relevanz wie SilberGraphit.

 

Querschliffaufnahme von Silberdispersionsschichten; links: Ag-Graphit-Schicht, rechts: Ag-hBN (hexagonales Bornitrid) [19]Querschliffaufnahme von Silberdispersionsschichten; links: Ag-Graphit-Schicht, rechts: Ag-hBN (hexagonales Bornitrid) [19]

gt 2022 08 0101

 

Aufgrund der stetig steigenden Anforderungen an Kontaktoberflächen sowie der Eröffnung neuer Anwendungsfelder beispielsweise im Bereich der E-Mobilität sind Silber-Dispersionsschichten nach wie vor Gegenstand von Forschungsarbeiten. Beispielsweise konnten Graphitpartikel erfolgreich in Silberschichten aus cyanidfreien Elektrolyten eingebaut werden [18]. Weiter wird aktuell im Rahmen eines Verbundprojekts des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die Substitution von Graphit durch alternative selbstschmierende Partikel und die resultierenden Eigenschaften dieser Schichten untersucht [19]. In den Querschliffaufnahmen von SilberDispersionsschichten dieses Artikels sind links Ag-Graphit, rechts Ag-hBN (hexagonales Bornitrid) zu sehen. Dies bedeutet, dass Silber-Dispersionsschichten auch noch fünfzig Jahre nach ihrer „Entdeckung“ nichts von ihrer Attraktivität und Aktualität eingebüßt haben und für aktuelle Fragestellungen eine sinnvolle Alternative darstellen.

Literatur

[1] Meyer, J.; Sörgel, T.: Chemische und elektrochemische Dispersionsbeschichtung, WOTech, Jg. 2013, Nr. 9, https://www.wotech-technical-media.de/womag/ausgabe/2013/09/24_w_soergel_dispersion_09j2013/24_w_
soergel_dispersion_09j2013.php

[2] Praktische Galvanotechnik, 1988, 4. Auflage, Eugen G. Leuze-Verlag, S. 279
[3] Wielage, B.; Lampke, T.; Dietrich, D.; Zacher, M.: Abscheidung und Werkstoffaufbau galvanischer Dispersionsschichten; Werkstoffe und werkstofftechnische Anwendungen Band 31, Hrsg.: B. Wielage, 11. Werkstofftechnisches Kolloquium, Chemnitz 2008, S. 135–140
[4] Walsh, F.C. et al.: A review of the electrodeposition of metal matrix composite coatings by inclusion of particles in a metal layer: an established and diversifying technology, Transactions of the IMF 92 (2014) 2, S. 83–98
[5] Low, C.T.J.; Wills, R.G.A.; Walsh, F.C.: Electrodeposition of composite coatings containing nanoparticles in a metal deposit, Surface & Coatings Technology 201 (2006), S. 371–383
[6] Hwang, B.J.; Hwang, C.S.: J. Electrochem. Soc. 140 (1993) 979, zitiert in [5]
[7] Berçot, P.; Pena-Munoz, E.; Pagetti, J.: Surf. Coat. Technol. 157 (2002) 282, , zitiert in [5]
[8] Keil, A.: Elektrische Kontakte und ihre Werkstoffe; Springer-Verlag, Berlin, 1984
[9] DE2543082: Cyanidischer Silberelektrolyt zur galvanischen Abscheidung von Silber-Graphit-Dispersionsüberzügen
[10] DE 4010346: Verfahren zum Aufbringen von Silber-Graphit-Dispersionsüberzügen
[11] Dambrowsky, N.: Silbergraphit – mehr als nur eine Silberabscheidung, Galvanotechnik 5 (2021), S. 589–593
[12] DE10125290: Verfahren zum Aufbereiten von Nanodispersanten
[13] DE10125289: Verfahren zum Herstellen einer abriebfesten, galvanischen Schicht auf Teilen und danach hergestellte Teile
[14] Kuzjmar, I. et al.: Galvanische Dispersionsbeschichtung elektronischer Bauteile auf Silberbasis; PLUS 5 (2008), S. 1039–1045
[15] Litovka, Y. et al.: Electrodeposition of MWCNTs / silver composite coatings with enhanced mechanical characteristic, IOP Conference Series: Materials Science Engineering, 693 (2019) 012005
[16] Gay, P.-A.; Berçot,P.; Pagetti, J.: Electrodeposition and characterisation of Ag-ZrO2 electroplated coatings; Surface and Coatings Technology 140 (2001), S. 147–154
[17] US2016032479: Electrodeposition of silver with fluoropolymer nanoparticles
[18] https://www.zvo.org/aktuelles/detailansicht/herstellung-und-charakterisierung-galvanischer-silber-graphitdispersionsschichten-aus-einem-cyanidfreien-elektrolyten, ZVO report 3/2021, Masterarbeit Jan Thiergarten, TU Ilmenau, 2021, abgerufen am 06.05.2022
[19] BMWi 03EI6011C: Kontakt- und Langzeitverhalten selbstschmierender Beschichtungen in stromtragenden Verbindungen der Elektroenergietechnik (SEBEEL), Laufzeit 01.09.2019-31.08.2022

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 8
  • Jahr: 2022
  • Autoren: Dr. Heidi Willing; Dr. Elke Moosbach

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