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Donnerstag, 15 September 2022 12:00

Die Notfallübung – das ungeliebte Kind

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Geschätzte Lesezeit: 5 - 9 Minuten

Regelmäßige Notfallübungen in Unternehmen steigern die Sicherheit der Mitarbeiter und helfen, Betriebsvermögen zu erhalten. Durch Paragraf 10 des Arbeitsschutzgesetztes sind solche Maßnahmen auch gesetzlich verankert. Trotzdem sind die Übungen vor allem eines: So beliebt wie Durchfall in den Ferien.

Notfälle können durch unterschiedliche Ereignisse ausgelöst werden, in Galvaniken sind das meistens Explosionen, Brände oder Unfälle mit gefährlichen Stoffen. Auch von außen droht Ungemach: Erdbeben, Blitzschläge oder schwere Unwetter bedrohen die Sicherheit von Menschen und Anlagen. Kurz: Notfälle sind unvorhergesehene Situationen, die das Leben von Mensch und Tier gefährden oder den Bestand von Vermögenswerten.

Bei Eintritt eines Notfalls müssen also verschiedene Maßnahmen getroffen werden, durch die Menschen und ggf. Tiere in Sicherheit gebracht und materielle Schäden so gering wie möglich gehalten werden. Notfallübungen sind ein Teil dieser Maßnahmen. Der VdS empfiehlt jährliche Brandschutzübung (VdS 3412: Galvanotechnische Betriebe – Gefahren, Risiken, Schutzmaßnahmen aus 2018). Alle Galvaniken sollten wegen des erhöhten Gefährdungspotentiales spätestens alle fünf Jahre eine Brandschutzübung mit Beteiligung der Feuerwehr durchführen. Bei Betrieben, die der oberen Klasse der Störfallverordnung unterliegen, sind jährliche Erprobungen des Notfallplanes vorgeschrieben.

Am Anfang steht der Notfallplan

Diese Übungen sind die praktischen Umsetzungen der Notfallpläne, die in jedem Unternehmen vorhanden sein sollten. Diese werden wiederum von einem Notfallmanagementteam erstellt und gelten für bestimmte Ereignisse wie Stromausfall, Feuer, Blitzschläge oder in unserer modernen Zeit auch Hackerangriffe auf EDV oder Produktionssteuerungen.

Das Notfallteam besteht in der Regel und sinningerweise aus einem Personenkreis für diese Aufgabe befähigter Personen. Vorteilhaft ist, wenn dieser (unternehmensinterne) Kreis sich auch Rat externer Berater holt, beispielsweise von der Behörden, der Feuerwehr, dem THW oder Fachfirmen.

Dieser Notfallplan stellt die Grundlage der Notfallübung dar. Das Dokument sollte alle wichtigen Informationen zum Vorgehen in einer Notfallsituation enthalten. Das umfasst insbesondere Hinweise zu Lösch- und Dekontaminationseinrichtungen, der Gestaltung von Flucht- und Rettungswegen sowie der Organisation der Ersten Hilfe. Der Notfallplan sollte gut sichtbar im Unternehmen ausgehangen werden. Außerdem dient er als Schulungsmaterial für die Mitarbeiterunterweisungen. Zum betrieblichen Notfallmanagement gehört es, Ersthelfer, Brandschutzbeauftragte und Brandschutzhelfer zu benennen. In der Notfallübung übernehmen diese wichtige Aufgaben wie z. B. bei einem Arbeitsunfall die Durchführung der lebenserhaltenden Maßnahmen bis zum Eintreffen des Notarztes bzw. die sichere Evakuierung des Gebäudes im Brandfall. Notfallübungen sollten beim ersten Mal angekündigt und danach überraschend durchgeführt werden.

Meistens geht es um die schnelle und vollständige Evakuierung des Unternehmens. Da es jedoch teuer und auch wenig sinnvoll ist, die gesamte Produktion stillzulegen, nur weil es beispielsweise in der Versandabteilung einen Kurzschluss in der Elektrik gab, sehen professionell erstellte Notfallpläne auch andere, weniger umfangreiche Maßnahmen vor, beispielsweise das Abschalten bestimmter Maschinen und Anlagen, die Schließung von Brandschutztüren oder die Evakuierung einzelner Räume, Stockwerke oder Betriebsteile. In einer Notfallübung werden diese Maßnahmen in der Praxis unter möglichst realistischen Bedingungen geübt. Dabei wird oft vom Szenario eines Brandes ausgegangen, weil sich das gut nachstellen lässt.

Notfallübungen sollten von den konkreten Bedingungen vor Ort ausgehen. Wird beispielsweise im Unternehmen mit leicht entzündlichen oder auch giftigen Stoffen gearbeitet oder gibt es Bereiche, die besonders gefährdet sind? Dort kann die Planung der Notfallübung ansetzen und einen Vorfall in diesen Zonen annehmen.

Eine Notfallübung hat nur Erfolg, wenn sie sorgfältig vorbereitet wird. Dafür müssen Strukturen geschaffen werden. Personelle Strukturen sind beispielsweise diejenigen Mitarbeiter, die im Ernstfall das Kommando und die Verantwortlichkeit übernehmen. Dieses Managementteam stellt den Notfall fest und entscheidet, welche Maßnahmen getroffen werden. Es übernimmt die Alarmierungen und erteilt den handelnden Personen im Unternehmen Weisung, was zu tun ist. Idealerweise sind Brandschutzhelfer und/oder Evakuierungshelfer ernannt und regelmäßig geschult worden. Auch die Vorgesetzten benötigen natürlich regelmäßige Fortbildungsmaßnahmen auf diesen Gebieten.

Jeder Brandschutzhelfer oder Evakuierungshelfer ist für seinen Bereich verantwortlich. Ihre wichtigste Aufgabe besteht darin, den Menschen in ihrem Verantwortungsbereich Hilfe zur Selbstrettung zu leisten. Sie sammeln die Menschen um sich und führen sie auf den markierten Flucht- und Rettungswegen zu den festgelegten Sammelpunkten. Sie müssen darauf achten, in ihrer Mobilität eingeschränkte Personen, beispielsweise ältere Mitarbeiter oder Behinderte besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Damit eine Notfallübung erfolgreich verlaufen kann, muss die Zahl der Evakuierungshelfer oder Brandschutzhelfer in einem angemessenen Verhältnis zur Anzahl der Personen stehen, die sich im Gebäude aufhalten. In einem Unternehmen mit 100 Mitarbeitern nur einen Brandschutz- und einen Evakuierungshelfer zu ernennen und auszubilden, reicht also bei weitem nicht. Fachleute gehen davon aus, dass pro 15 Mitarbeitern ein Evakuierungshelfer vorhanden sein muss, zu denken ist auch an eine ausreichende Anzahl an Stellvertretern.

Notfallübung ist nicht gleich Notfallübung

Auch in Puncto Notfallübung gibt es verschiedene, nennen wir sie einmal Eskalationsstufen. Das geht von reinen Simulationen bis hin zu Großübungen, wobei bei letzteren auch externe Rettungskräfte wie Rotes Kreuz und Feuerwehr mit eingebunden werden. So eine Großübung ist dann natürlich den Behörden rechtzeitig vorher anzukündigen. Folgende Unterscheidungen können getroffen werden:

Theoretische Verfahren

Reviews von Plänen und Dokumenten, Planbesprechungen. Hierbei werden anhand konkreter Szenarien erarbeitete Pläne theoretisch durchgespielt und auf ihre Funktionsfähigkeit überprüft. Dazu gehören Stabsübungen, bei denen die Zusammenarbeit im Krisenstab geübt wird.

Praxisübungen

Technische Tests dienen der Überprüfung von redundanten Infrastrukturen wie Server, Stromversorgung oder Fertigungskomponenten. Bei der Simulation von Szenarien werden Prozesse etwa darauf hin getestet, wie gut Alarmierung und Eskalation funktionieren oder wie effizient ein Krisenstab arbeitet. Fortsetzung auf S. 1110

Bei der Ernstfall- oder Vollübung werden alle Beteiligten – auch Rettungskräfte und Behörden – in eine wirklichkeitsnahe Übung einbezogen.

Die einzelnen Übungen sind unterschiedlich aufwändig. Während die theoretischen Tests nur die Zeitkapazitäten eines begrenzten Personenkreises binden, sind bei den Praxistests komplette Betriebsabläufe einbezogen. Experten rechnen bei einer ersten Notfallübung mit einer Planungszeit von drei bis sechs Monaten im Voraus.

Ein Notfalltest im Idealfall

Für Tests und Übungen, die den Betriebsablauf stören oder behindern können, sind vor Beginn Abbruchkriterien festzulegen, falls unvorhergesehene Vorfälle drohen. Dies wäre etwa der Fall, wenn eine Übung so lange dauert, dass erforderliches Personal nicht mehr zur Verfügung steht, um die Sicherheit der Produktion zu gewährleisten oder aber Tests der IT-Infrastruktur den Normalbetrieb beeinflussen würden.

In der Durchführung von Tests und Übungen übernehmen Mitarbeiter entsprechend ihrer Rolle bestimmte Aufgaben:

  • Der Übungsautor entwirft und beschreibt die Szenarien
  • Die Erstellung von Konzepten und Drehbüchern wird von einem Vorbereitungsteam übernommen.
  • Der Übungsleiter – und ergänzend hierzu ein Kernteam – leiten und koordinieren die Aktivitäten.
  • Vor Ort in der Produktion übernehmen die verschiedenen Helfer (Erst-, Brandschutzhelfer usw.) ihre Aufgaben.
  • Die Dokumentation wird von einem Protokollanten erstellt, weitere Beobachter (Feuerwehr, Polizei …) können hinzugezogen werden.

Die Übung startet mit einer Information aller Beteiligten. Dem Szenario entsprechend werden die Akteure nun durch den Test oder die Übung geführt und ihr Verhalten dokumentiert. Der Übungsleiter beendet die Übung und moderiert die Abschlussbesprechung.

Was kommt nach einer Übung?

Das wichtigste Ziel von Übungen und Tests ist es, die Notfallmaßnahmen zu überprüfen und die getroffenen Regelungen zu verbessern. Dies kann unter Umständen auch dazu führen, dass eine zuvor beschlossene Strategie angepasst werden muss. Hierzu werden die Übungsprotokolle und Beobachtungen der Beteiligten analysiert und bewertet. Alle Mängel werden in einem Bericht festgehalten und Empfehlungen an die Verantwortlichen ausgesprochen. Diese werden eine Beseitigung veranlassen. Die Wirksamkeit der Maßnahmen wird wiederum im nächsten Test oder der Übung überprüft. Unter anderem folgende Fragen können beispielsweise die Ziele der Notfallübung überprüfen:

  • Haben alle im betreffenden Bereich anwesenden Personen auf den Alarm reagiert?
  • Wurde die geschätzte Zeit bis zur vollständigen Evakuierung eingehalten?
  • Wurden alle im Notfallplan festgelegten Maßnahmen getroffen?
  • Haben die Evakuierungshelfer oder Brandschutzhelfer ordnungsgemäß Bericht erstattet?
  • Haben die Ersthelfer „Verletzte“ sachgemäß betreut?

Damit die Übung ein realistisches Bild vom Verhalten der Verantwortlichen und aller Beteiligten in einem Notfall ergeben kann, sollte sie grundsätzlich nicht vorher angekündigt werden. Ausnahme dieses Grundsatzes ist jedoch die erste Notfallübung, die ein Unternehmen durchführt. Später gilt: Eine Notfallübung mit Vorankündigung ist wenig sinnvoll, weil dann die Beteiligten Zeit haben, um sich darauf vorzubereiten.

Auf der anderen Seite muss eine geplante Notfallübung rechtzeitig vorher den Behörden angekündigt werden. Insbesondere Feuerwehr und Polizei sollten unterrichtet sein, damit nicht irrtümlicherweise ein echter Alarm ausgelöst wird. Auch die Geschäftsführung des Unternehmens muss über die Notfallübung informiert werden.

Kontrovers diskutiert wird die Einbeziehung extremer Wettersituationen ins Übungsgeschehen. Während eine Seite sagt, man solle bspw. bei Starkregen oder extremem Schneefall auf Notfalltests verzichten, sagen andere Experten, dass Betriebsunfälle aufs Wetter keine Rücksicht nehmen.

Fazit: Eine Notfallübung ist wichtig, damit die Mitarbeiter eines Unternehmens nicht nur die theoretischen Grundlagen zum Umgang mit Krisensituationen kennenlernen, sondern deren Umsetzbarkeit auch einmal an einem möglichst real wirkenden Szenario am eigenen Körper erfahren können. Das nimmt den Beteiligten die Angst vor Notfällen und sorgt dafür, dass diese im Fall der Fälle wissen, was zu tun ist und nicht in Panik zu geraten. Außerdem deckt eine Notfallübung etwaige Unstimmigkeiten im Notfallplan auf, die in der Nachbereitung verbessert werden können.

 

ZUR INFO

Unfallfrei durch den Arbeitstag: Fünf Expertentipps

„Bereits durch kleine Änderungen im Arbeitsalltag können Unfälle verhindert werden. Der erste Schritt ist es, die Dringlichkeit in die Köpfe der Mitarbeiter zu rufen“, erklärt Stefan Ganzke, Experte für Arbeitssicherheit, und gibt fünf Tipps, wie jeder unfallfrei durch den Arbeitsalltag kommt.

1. Grundlegende Strukturen schaffen

Gefährdungsbeurteilungen und Betriebsanweisungen erstellen. Dabei sollten Führungskräfte und verantwortliche Mitarbeiter stets in die Arbeitsschutzprozesse mit eingebunden werden. Ab zwanzig Beschäftigten muss ein Arbeitsschutzausschuss gebildet werden, der mindestens vierteljährlich zusammentreten muss (§11 Arbeitssicherheitsgesetz).

2. Als Führungskraft ein Vorbild sein

Um die Mitarbeiter zu mehr Arbeitssicherheit zu motivieren, sollten die Führungskräfte als positives Beispiel vorangehen. Mitarbeiter regelmäßig auf unsichere Handlungen konstruktiv hinweisen und sicheres Verhalten durch positives Feedback fördern.

3. Eine offene Fehlerkultur leben

Fehler nicht als persönliches Scheitern, sondern als Chance erkennen, um einen Verbesserungsprozess anzustoßen. Arbeitssicherheit beginnt mit der psychologischen Sicherheit, auch Fehler machen zu dürfen.

4. Mitarbeiter verstehen, Einwände behandeln

Führungskräfte wie auch Mitarbeiter sollten lernen, eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Einwände der Mitarbeiter (z. B.: Sicherheitskleidung ist nicht komfortabel oder gar unbrauchbar) ernst nehmen und handeln.

5. Positives Bewusstsein schaffen

Arbeitsschutz stets positiv vermitteln, indem Mitarbeiter durch regelmäßige Unterweisungen und Impulse über die Vorteile informiert werden. Die Menschen sollten das Gefühl haben, dass ihre Sicherheit vor Qualität und Marge geht.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 8
  • Jahr: 2022
  • Autoren: Heinz Käsinger

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