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Mittwoch, 14 September 2022 12:00

Einsatz von Methansulfonsäure in der Galvanotechnik

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Bandanlage bei IMO Oberflächentechnik: In High-Speed-Bädern zur Bandverzinnung wird inzwischen verstärkt  Metansulfonsäure eingesetzt, die auch als grüne Säure bekannt ist Bandanlage bei IMO Oberflächentechnik: In High-Speed-Bädern zur Bandverzinnung wird inzwischen verstärkt Metansulfonsäure eingesetzt, die auch als grüne Säure bekannt ist Foto: IMO

In einem US-Patent von 1945 wird der Einsatz von Gemischen aus Alkansulfonsäuren mit 1 bis 5 Kohlenstoffatomen für die galvanische Abscheidung von Blei und Nickel auf verschiedenen Metallen beschrieben, ohne dass dabei Details über die genaue Zusammensetzung der Elektrolyte und die Elektrolyseparameter angegeben werden [1]. Ab 1982 wird in mehreren Patenten der Einsatz von alkansulfonsauren Elektrolyten für das elektrolytische Verzinnen von Stahl bei der Herstellung von Weißblech als Alternative für die bisher üblichen Fluoroboratelektrolyten beschrieben [2–4]. Durch ein neues Verfahren konnte ab 2003 Methansulfonsäure in der für galvanische Prozesse erforderlichen Reinheit in großen Mengen hergestellt werden [5]. Betrug die jährliche Produktionskapazität 2003 10 000 Tonnen wurde sie aufgrund der steigenden Nachfrage 2012 auf 30 000 t erweitert. Für Ende 2021 ist eine weitere Erhöhung der Produktionskapazität auf jährlich 50 000 t geplant [6]. Vor wenigen Monaten hat BASF darüber hinaus die Kapazität von Methansulfonsäure mit der Inbetriebnahme einer neuen Anlage erneut erhöht (Abb. 1)

Abb. 1: Die industrielle Nutzung von Methansulfonsäure in der Industrie steigt seit 2003 kontinuierlich. Neben der Galvanotechnik wird sie bei der Biokraftstoffsynthese und der industriellen Reinigung eingesetzt. In Ludwigsburg hat BASF mit einer neuen Methansulfonsäure-Anlage kürzlich die Kapazität erneut erhöht Abb. 1: Die industrielle Nutzung von Methansulfonsäure in der Industrie steigt seit 2003 kontinuierlich. Neben der Galvanotechnik wird sie bei der Biokraftstoffsynthese und der industriellen Reinigung eingesetzt. In Ludwigsburg hat BASF mit einer neuen Methansulfonsäure-Anlage kürzlich die Kapazität erneut erhöht In den folgenden Abschnitten wird ein Überblick über den Einsatz von methansulfonsauren Elektrolyten für die Abscheidung von Metallen und Legierungen in der Galvanotechnik gegeben. Die meisten Veröffentlichungen und Patente zum Einsatz von Methanuslfonsäure in der Galvanotechnik befassen sich mit dem Verzinnen von Bandstahl zur Herstellung von Weißblech bzw. der Abscheidung von Zinn und Zinnlegierungen auf Kupfer zur Erzeugung von lötbaren Oberflächen. In diesen Bereichen wird die Säure auch schon in der Industrie eingesetzt. Außerdem gibt es einzelne Untersuchungen zur Abscheidung von Gold, Silber, Kupfer Indium und Bismut aus methansulfonsauren Elektrolyten. Neben dem Einsatz von Methansulfonsäure in galvanischen Bädern wird die Säure auch in umweltfreundlichen Industrie- und Haushaltsreinigern sowie in der chemischen Industrie als Katalysator eingesetzt.

Eigenschaften von Methansulfonsäure

Methansulfonsäure unterscheidet sich von der Schwefelsäure dadurch, dass eine OH-Gruppe der Schwefelsäure durch eine CH3-Gruppe ersetzt ist (Abb. 2). Aufgrund ihrer ähnlichen Struktur sind auch viele Eigenschaften beider Säuren ähnlich [5, 7].

Im Unterschied zur zweibasigen Schwefelsäure ist Methansulfonsäure eine einbasige starke organische Säure (pKs = -1,9), die in einer 0,1 molaren Lösung fast vollständig dissoziiert vorliegt. Sie ist thermisch bis zu einer Temperatur von 180 °C und chemisch und elektrochemisch im Potentialbereich von -1,4 V bis +2,4 V stabil. So wird sie auch bei Zusatz starker Oxidationsmittel wie Wasserstoffperoxid und bei Elektrolysen, bei denen an unlöslichen Anoden eine Sauerstoffentwicklung erfolgt, nicht angegriffen. Sie hat einen niedrigen Dampfdruck, ist farblos, geruchlos und bildet keine toxischen Gase. Die Streu- und Bedeckungsfähigkeit ist im Vergleich zu schwefelsauren oder salpetersauren Elektrolyten besser, so dass bei der Elektrolyse aus methansulfonsauren Elektrolyten glatte hochreine Kupferkathoden ohne Zusatz von Additiven und Silber in kompakter Form abgeschieden werden können [8, 9].

Abb. 2: Strukturformel der MethansulfonsäureAbb. 2: Strukturformel der Methansulfonsäure

Eine wesentliche Voraussetzung für die elektrolytische Metallabscheidung ist eine hohe Löslichkeit der Metalle im Elektrolyten. Wie Tabelle 1 zeigt sind viele Metallsulfonate in Wasser leicht löslich.

Vor allem Blei und Silber, deren Sulfate schwerlöslich sind, haben in methansulfonsauren Elektrolyten eine sehr hohe Löslichkeit. Auch die Löslichkeit von Zinn, Zink, Nickel, Eisen, Kupfer, Kobalt und Cadmium ist im Vergleich zum schwefelsauren Elektrolyten wesentlich höher. Aufgrund der hohen Löslichkeit für viele Metalle, der sehr guten chemischen und elektrochemischen Stabilität, der guten elektrischen Leitfähigkeit und der geringen Toxizität sind methansulfonsaure Elektrolyte für den Einsatz in der Galvanotechnik und für die elektrolytische Gewinnung und Raffination von Metallen geeignet.

Ein Nachteil der Methansulfonsäure ist der im Vergleich zur Schwefelsäure höhere Preis. Des Weiteren ist Calciummethansulfonat leicht löslich, so dass in der Abwasserbehandlung Methansulfonat nicht durch eine Fällung mit Kalkmilch abgetrennt werden kann. Methansulfonsäure ist biologisch leicht abbaubar und wird dabei zu Kohlendioxid und Sulfat zersetzt. Sie ist damit Bestandteil des natürlichen Schwefelkreislaufes und wird deshalb auch als „Grüne Säure“ bezeichnet.

Abb. 3: Elektrolytische Rückgewinnung von MethansulfonsäureAbb. 3: Elektrolytische Rückgewinnung von Methansulfonsäure

Aufgrund des höheren Preises für die Methansulfonsäure bietet sich die elektrolytische Rückgewinnung der Methansulfonsäure in einer Elektrolysezelle an, bei der Kathodenraum und Anodenraum durch eine Anionenaustauschermembran getrennt sind [7]. Abbildung 3 zeigt beispielhaft diesen Prozess für die Aufarbeitung kupferhaltiger Elektrolyte. Der Elektrolyt wird in den Kathodenraum geleitet und dort das Kupfer kathodisch abgeschieden. Das Kupfer kann entweder verkauft oder zu neuen Anoden umgeschmolzen werden. Die Methansulfonationen gelangen über die Ionenaustauschermembran in den Anodenraum und können so in den Prozess zurückgeführt werden. Im Kathodenraum reichern sich die im Elektrolyten enthaltenen Verunreinigungen (z. B. Zersetzungsprodukte der Additive) an, und können bei Überschreitung der vom Prozess definierten Grenzwerte nach weitestgehender Entfernung des Kupfers über die Abwasserbehandlung entsorgt werden.

Abscheidung von Zinn und Zinnlegierungen
Abscheidung von Zinn

Galvanisch abgeschiedene Zinnschichten haben eine große industrielle Bedeutung, da sie das Grundmetall vor Korrosion und Oxidation durch Luft schützen und eine gute Lötbarkeit aufweisen. Wesentliche Anwendungen sind das Verzinnen von Bandstahl (Weißblech), Drähten und Leiterplatten für die Elektro- und Elektronikindustrie. Neben reinem Zinn werden auch verschiedene Legierungen von Zinn mit anderen Metallen wie Blei, Kupfer, Zink, Silber, Nickel und Kobalt eingesetzt.

Prinzipiell kann Zinn elektrolytisch aus sauren, neutralen oder alkalischen Elektrolyten abgeschieden werden. Schwefelsaure Zinnelektrolyte werden außer in der Galvanotechnik auch in der Raffinationselektrolyse zur Erzeugung von hochreinem Zinn eingesetzt. Aufgrund der Gefahr einer Anodenpassivierung ist der schwefelsaure Elektrolyt jedoch nicht für hohe Stromdichten geeignet. Problemtisch ist in diesem Elektrolyten außerdem die Oxidation von zweiwertigem zum vierwertigen Zinn und die damit verbundene Bildung kolloidaler oder gelartiger Zinnsäuren, die schwer filtrierbar sind.

In der Vergangenheit wurden für die industrielle Abscheidung von Zinn und Zinn-Blei-Legierungen bei hohen Stromdichten häufig Elektrolyte auf der Basis von Fluoroborat eingesetzt. Vorteile dieses Elektrolyten sind die gute Löslichkeit von Zinn und Blei, eine gute Streufähigkeit, der Einsatz auch bei hohen Stromdichten und damit die Realisierung hoher Abscheidungsgeschwindigkeiten, hohe Stromausbeuten sowie die Abscheidung feinkörniger Schichten. Fluoroboratelektrolyte haben eine relativ gute chemische Stabilität. In geringem Umfang erfolgt jedoch eine Zersetzung unter Bildung von Fluorwasserstoffsäure:

gt 2022 09 0048

<1>

Dadurch wirkt dieser Elektrolyt stark korrosiv und es besteht die Gefahr der Emission von toxischem Fluorwasserstoff. Ein weiterer Nachteil ist die sehr aufwändige Abwasserbehandlung. Methansulfonsäure ist im Vergleich zur Tetrafluorborsäure deutlich weniger korrosiv und hat leicht reduzierende Eigenschaften, sodass die Gefahr der Bildung von vierwertigem Zinn und damit einer Schlammbildung etwas geringer ist. Sie ist außerdem weniger toxisch. So beträgt der LD50-Wert für Tetrafluorborsäure 495 mg/kg und für Methansulfonäure 1158 mg/kg. Methansulfonsaure Elektrolyte weisen somit für die elektrolytische Abscheidung von Zinn bzw. Zinn-Blei-Legierungen gegenüber tetrafluorborsauren bzw. schwefelsauren Elektrolyten deutliche Vorteile auf. Deshalb erfolgen seit ca. 1985 systematische Untersuchungen zur elektrolytischen Verzinnung aus methansulfonsauren Elektrolyten vor allem für die Verzinnung von Bandstahl und von Kupfer.

Die jährliche weltweite Produktionskapazität für verzinntes Stahlblech (Weißblech) beträgt über 10 Millionen Tonnen. Weißblech wird vor allem in Form von Büchsen und Dosen für Lebensmittel/Tiernahrung (ca. 45 %), Chemisch-technische Produkte (ca. 21 %); Getränke (ca. 16 %) und Verschlüsse (ca. 18 %) eingesetzt. Vor der elektrolytischen Verzinnung erfolgen die Prozessschritte Kaltwalzen, Entfetten, Glühen und Nachwalzen. Nach der elektrolytischen Verzinnung kann ein induktives Aufschmelzen der Zinnschicht, eine Passivierung der Oberfläche zur Vermeidung der Bildung von Zinnoxiden, ein Lackieren oder eine Folienkaschierung erfolgen. Die Bandverzinnungsanlagen arbeiten meist mit Stromdichten zwischen 1000 und 6000 A/m2 und Bandgeschwindigkeiten bis zu 600 m/min, wobei das Stahlband ein- oder zweiseitig verzinnt werden kann. Je nach Forderung der Kunden beträgt die Zinnauflage 1 bis 15 g/m2, was Schichtdicken von ca. 0,1 bis 1,5 µm entspricht. Die Zinnauflage bei Weißblech muss sehr hohe Qualitätsanforderungen erfüllen. Sie muss das Grundmaterial vollständig bedecken, da es sonst zur Korrosion kommen kann. Besondere Anforderungen werden auch an die Haftung der Zinnschicht auf dem Grundmaterial gestellt, da das Umformen zu Büchsen oder Dosen nach dem Verzinnen erfolgt. Bei dem Umformprozess dient die Zinnschicht gleichzeitig als Schmierstoff. Bei lackiertem Weißblech sind das Benetzungsverhalten und die Lackhaftung und bei nicht lackiertem Weißblech das optische Aussehen, insbesondere der Glanz, von großer Bedeutung.

Die bei der Bandstahlverzinnung in tetrafluorborsauren Elektrolyten eingesetzten Additive wirken in dem methansulfonsauren Elektrolyten nicht optimal. Deshalb war die Suche bzw. Entwicklung neuer, hoch wirksamer Additivsysteme für die Zinnabscheidung notwendig.

Die für die Zinnabscheidung notwendigen Additivsysteme bestehen meist aus oberflächenaktiven Stoffen, Kornverfeinerern, primären und sekundären Glanzbildnern sowie Oxidationsstabilisatoren [10]. Vor allem in der Patentliteratur [3, 11–15] werden verschiedene Additivsysteme für die Bandstahlverzinnung bei hohen Stromdichten beschrieben, deren vollständige Darstellung den Rahmen dieser Veröffentlichung sprengen würde. So wird in dem Patent DE3902043 [15] für die Glanzzinnabscheidung bei hohen Stromdichten ein Elektrolyt mit 20 g/L Zinn, 70 bis 100 g/L Methansulfonsäure sowie ein Additivsystem aus einem Nonyphenolpolyglykoläther mit 15 Mol Ethylenoxid, einem Aldolkondensationsprodukt mit acyklischen Ketonen sowie Methanal beschrieben. Wehner [16] untersuchte in ihrer Dissertation die Wirkung verschiedener nichtionischer polyethoxylierter Tenside wie ein Propylen-Ethylen-Oxid-Polymer (Pluronic RPE 310), Naphthalinethoxylate (Lugalvan), verschiedene Nonylphenolethoxylate (Lutensol AP) und Polyeoxythylenlarylether auf die Abscheidung von Zinn und ZinnSilber-Legierungen aus methansulfonsauren Elektrolyten.

Obwohl Methansulfonsäure schwach reduzierend wirkt, wird durch den Eintrag von Sauerstoff aus der Luft in den Elektrolyten ein Teil des zweiwertigen Zinns zur vierwertigen Stufe oxidiert. In langsam ablaufenden Prozessen bilden sich Niederschläge aus basischen Zinnoxiden, die schwer filtrierbar sind und teilweise in die kathodisch abgeschiedene Zinnschicht eingebaut werden. Vor allem bei der Bandstahlverzinnung kommt es aufgrund der hohen Bandgeschwindigkeiten zu einem verstärkten Eintrag von Luft im Elektrolyten. Als Oxidationsinhibitoren werden in den methansulfonsauren Elektrolyten vor allem Kresolsulfonsäure Hydrazin, Ascorbinsäure sowie Hydrochinon und seine Derivate eingesetzt.

Aufgrund ihrer Vorteile gegenüber den tetrafluorborsauren Elektrolyten werden heute bei einigen Produzenten von Weißblech methansulfonsaure Elektrolyte in der elektrolytischen Verzinnung eingesetzt. Neben Vorteilen im technologischen Ablauf und bei der Abwasserbehandlung konnte dadurch auch die Qualität des Weißblechs weiter verbessert werden.

In der Regel enthalten die bei der elektrolytischen Weißblechherstellung eingesetzten Zinnanoden geringe Gehalte an Blei. Aufgrund der nahezu identischen Standardelektrodenpotentiale für Zinn und Blei (siehe nächstes Kapitel) geht das Blei mit dem Zinn anodisch in Lösung, reichert sich im Elektrolyten an und wird kathodisch mit dem Zinn abgeschieden. Vor allem bei der Anwendung von Weißblech für die Verpackung von Lebensmitteln darf die Bleikonzentration in der Zinnschicht maximal 100 µg/g betragen. Deshalb werden dem methansulfonsauren Elektrolyten bis zu 5 g/L Sulfat zur Abtrennung von Blei als schwerlösliches PbSO4 zugesetzt. Martyak und Seefeldt [17] ermittelten, dass Sulfat nur einen geringen Einfluss auf die Qualität der Zinnschicht hat.

Neben der Abscheidung von Zinn auf Stahl erfolgten auch Untersuchungen zur Abscheidung auf Kupfer. Nach Rosenstein [18] ist die optimale Elektrolytzusammensetzung für die Zinnabscheidung auf Kupfer 200 bis 250 g/L Methansulfonsäure, 35 bis 55 g/L Zinn und eine Elektrolyttemperatur von 21 bis 54 °C.

Außer in der Galvanotechnik werden heute auch methansulfonsaure Elektrolyte industriell in der Zinnraffinationselektrolyse eingesetzt.

Tab. 1: Vergleich der Löslichkeit von Metallsalzen in Wasser Sättigungskonzentration in g/L bei 23 °C [5, 7] 

Metallion

Methansulfonat (g/L)

Sulfat (g/L)

Ag+

713

9

Ca2+

656

3

Cd2+

975

646

Co2+

630

335

Cu2+

546

215

Fe2+

690

266

Fe3+

502

440

Hg2+

707

0

Mg2+

378

317

Mn2+

849

532

Ni2+

665

378

Pb2+

1075

0

Sn2+

1066

305

Zn2+

792

536

Abscheidung von Zinn-Blei-Legierungen

Beschichtungen aus Zinn-Blei-Legierungen sind aufgrund ihres niedrigen Schmelzpunktes, den guten mechanischen Eigenschaften und der technischen Zuverlässigkeit als Lotwerkstoff weit verbreitet. Zinn und Blei sind über den gesamten Konzentrationsbereich ineinander mischbar und bilden keine intermetallischen Verbindungen. Als Lotmaterial ist vor allem die eutektische Legierung mit 63 % Sn und 37 % Pb und einem Schmelzpunkt von 183 °C von Interesse.

Für die elektrolytische Legierungsabscheidung ist von großem Vorteil, dass Sinn und Blei nahezu gleiche Standardelektrodenpotentiale aufweisen:

gt 2022 09 0049

Da in additivfreien Elektrolyten die Stromdichte-Potential-Kurven für die kathodische Abscheidung von Zinn und Blei fast identisch verlaufen, ist die Abscheidung von Zinn-Blei-Legierungen über den gesamten Konzentrationsbereich relativ problemlos möglich. Die Einstellung der gewünschten Legierungszusammensetzung erfolgt über das Konzentrationsverhältnis von Zinn und Blei im Elektrolyten [14, 17]. Nach Rosenstein [17] ist für die Abscheidung einer Legierung mit 60 % Sn und 40 % Pb die optimale Elektrolytzusammensetzung 16 g/L Sn und 10 g/L Pb und für eine Legierung mit 90 % Sn und 10 % Pb 21 g/L Sn und 3 g/L Pb.

Nach verschiedenen Patenten können für die elektrolytische Abscheidung von Zinn, Zinn-Blei-Legierungen sowie von Blei die gleichen Additive eingesetzt werden [2–4, 13, 19, 20]. Die chemische Zusammensetzung der abgeschiedenen Schicht wird dabei im Wesentlichen durch die chemische Zusammensetzung des Elektrolyten gesteuert, während die Stromdichte und die Elektrolyttemperatur meist nicht geändert werden.

Für das Herstellen gleichmäßiger Lötverbindungen mit Zinn-Blei-Loten sind Temperaturen zwischen 240 und 250 °C erforderlich, die damit deutlich über dem Schmelzpunkt der eutektischen Legierung liegen. Diese relativ hohen Temperaturen können bei der Herstellung von Lötverbindungen zwischen Solarzellen zu Problemen führen. Für dieses Einsatzgebiet werden in [21] ternäre ZinnBlei-Bismut-Legierungen mit 2,5 bis 5 % Bi vorgeschlagen, die einen deutlich niedrigeren Schmelzpunkt im Vergleich zu den binären Legierungen haben. Die elektrolytische Abscheidung dieser Legierung erfolgte aus methansulfonsauren Elektrolyten. Die chemische Zusammensetzung der Schicht wurde über Konzentrationen von Sn, Pb und Bi im Elektrolyten gesteuert. Als Additive wurden dem Elektrolyten eine Mischung aus Octylphenolethoxylat, Tamol NN8906, Phenylharnstoff, Methylhydrochinon und Phenolsulfonsäure zugesetzt.

Da Blei toxisch ist wurde durch die Europäische Union die Richtlinien des WEEE (Waste from Electrical and Electronic Equipment) und der RoHS (Restriction of Certain Harzardous Substances) der Einsatz von Blei in elektronischen Bauelementen verboten. Als bleifreie lötbare Oberflächen werden neben Reinzinn, wo allerdings Probleme durch die Bildung von Whiskern auftreten können auch binäre und ternäre Zinnlegierungen mit Silber, Kupfer und Bismut beschrieben.

Abscheidung von Zinn-Bismut-Legierungen

Eine Alternative zum Blei in Lötlegierungen ist Bismut, das mit Zinn über den gesamten Konzentrationsbereich lückenlos mischbar ist. Die eutektische Legierung mit 43 % Sn und 57 % Bi schmilzt bei 138 °C. Der Schmelzpunkt dieser Legierung liegt damit deutlich niedriger als von Zinn (232 °C) und der eutektischen Zinn-Blei-Legierung (183 °C). Die Zugabe von Bismut ist eine wirkungsvolle Maßnahme zur Minimierung der Whiskerbildung.

Das Standardelektrodenpotential für die Reaktion

gt 2022 09 0046

<4>

ist im Vergleich zum Zinn (Reaktion <2>) deutlich elektropositiver, sodass aus komplexfreien Lösungen Bismut gegenüber Zinn bevorzugt abgeschieden wird.

Goh und Mitarbeiter [22] führten elektrochemische Grundlagenuntersuchungen zur Abscheidung von binären Zinn-Bismut-Legierungen auf Kupfer als Grundmetall aus methansulfonsauren Elektrolyten durch. Zinn wurde dem Elektrolyten als Zinnsulfat zugesetzt, sodass der Elektrolyt auch Sulfat enthielt. Die Untersuchungen ergaben, dass aus additivfreien Elektrolyten nur Bismut abgeschieden wird. Durch Zugabe von Hydrochinon und Gelatine war die gemeinsame Abscheidung von Zinn und Bismut möglich. Die chemische Zusammensetzung der abgeschiedenen Legierung ist abhängig von der Stromdichte, wobei die Bismutkonzentration in der Schicht mit steigender Stromdichte sank. Höhere Stromdichten führten außerdem zur Abscheidung dendritischer Kristalle aus Bismut.

Abscheidung von Zinn-Silber-Legierungen

Als bleifreie lötbare Beschichtung werden in der Literatur Zinn-Silber-Legierungen beschrieben. Die eutektische Legierung mit 96,5 % Sn und 3,5 % Ag hat einen Schmelzpunkt von 221 °C. Die Legierung weist eine gute Festigkeit und ein gutes Kriechverhalten auf. Das Legierungsverhältnis muss allerdings genau eingehalten werden, da bereits geringfügig höhere Silbergehalte zu einem deutlichen Anstieg der Schmelztemperatur führen. Durch Alterung kann sich auf der beschichteten Oberfläche eine stärkere Oxid- bzw. Sulfidschicht bilden, die die Lötbarkeit negativ beeinflusst.

Das Standardelektrodenpotential der Reaktion

gt 2022 09 0047

<5>

ist im Vergleich zum Zinn wesentlich elektropositiver, sodass der Zusatz eines starken Komplexbildners für Silber unbedingt erforderlich ist. Meist wird in der Literatur der Zusatz von Thioharnstoff in Konzentrationen zwischen 20 und 200 g/L als Komplexbildner beschrieben [16, 23–25]. Wehner [16] untersuchte die Abscheidung von ZinnSilber-Legierungen auf Kupfer mit einem Elektrolyten aus 25 g/L Zinn, 1 g/L Silber , 90 g/L Methansulfonsäure und verschiedenen Thioharnstoffkonzentrationen bei Stromdichten von 50 bis 1000 A/m2 in einer Hull-Zelle. Als weiteres Additiv enthielt der Elektrolyt 0,002 Mol/L Polyoxyethylenlaurylether. Damit sich ein stabiler SilberThioharnstoff-Komplex bildet, war ein mindestens 20-facher Überschuss von Thioharnstoff zu Silber erforderlich. Der mittlere Silbergehalt in der Schicht hing von der Thioharnstoffkonzentration und der Stromdichte ab und sank mit steigender Stromdichte von ca. 50 % auf 10 bis 14 % Ag. Der Silbergehalt in der Schicht lag damit immer noch deutlich über der Silberkonzentration im Eutektikum. Mit EDX durchgeführte Punktanalysen ergaben außerdem eine stark inhomogene Silberverteilung in der Schicht. Die unter diesen Bedingungen abgeschiedenen Zinn-SilberLegierungen erfüllen somit nicht die Bedingungen für eine technische Anwendung als Lötlegierung.

In einem US-Patent [26] wird die Abscheidung von Zinn-Silber-Legierungen aus methansulfonsauren Elektrolyten unter Zusatz von aromatischen Thiolverbindungen bzw. aromatischen Sulfidverbindungen beschrieben. Die Zinnkonzentration im Elektrolyten betrug 25 g/L, die Silberkonzentration 1 bzw. 2g/L und die Methansulfonsäurekonzentration 350 bzw. 1150 g/L. In den Ausführungsbeispielen wurden als Additive 20 g/L 2-Aminothiophenol bzw. 5 g/L 2,2-Dipyridyldisulfid eingesetzt. Die Abscheidungen erfolgten in einer Hull-Zelle auf poliertem Edelstahl. Die Silberkonzentration in den abgeschiedenen Schichten lag unter optimalen Bedingungen zwischen 3,0 und 3,6 % und damit im Bereich des Eutektikums. Es gibt in dem Patent keine Angaben über die Struktur und die chemische Homogenität der erzeugten Schichten. Als weiterer Vorteil wird in dem Patent genannt, dass der Elektrolyt mindestens 60 Tage stabil ohne Bildung von Niederschlägen blieb.

Abscheidung weiterer Metalle

In Untersuchungen zur Kupferabscheidung aus methansulfonsauren Elektrolyten zeigten Felicita et al. [27], dass die erzeugten Schichten im Vergleich zur Abscheidung aus schwefelsauren Elektrolyten deutlich geringere Korngrößen und weniger Sauerstoffeinschlüsse aufwiesen. In einem Patent [28] wird die galvanische Abscheidung von Kupfer aus alkansulfonsauren Elektrolyten beschrieben. Ein weiteres Patent [29] beschreibt ebenfalls die galvanische Abscheidung von Kupfer in einem zweistufigen Prozess bestehend aus Vorbehandlung und elektrolytischer Abscheidung. Nach [30] ist der methansulfonsaure Elektrolyt auch zur Abscheidung dünner Kupferschichten bei hohen Stromdichten bis 5000 A/m2 geeignet. Untersuchungen zum Einsatz methansulfonsaurer Elektrolyte in der Kupferraffinationselektrolyse ergaben, dass im Unterschied zur herkömmlichen Elektrolyse aus schwefelsauren Elektrolyten die Abscheidung glatter hochreiner Kupferkathoden aus additivfreien Elektrolyten möglich ist [8].

In der Galvanotechnik werden für die Abscheidung von Gold und Silber häufig cyanidische Elektrolyte eingesetzt. Vor allem wegen der hohen Toxizität dieser Elektrolyte und der aufwändigen Abwasserbehandlung ist hier ein Ersatz durch andere Elektrolyte anzustreben. Ehnert [31] untersuchte in seiner Dissertation die Herstellung von Gold(I)-Dithioharnstoffmethansulfonat und der Einsatz für die elektrolytische und außenstromlose Abscheidung dünner Goldschichten. Die Herstellung des Elektrolyten erfolgte durch anodisches Lösen von Gold in einem Elektrolyten aus Methansulfonsäure und Thioharnstoff in einer Elektrolysezelle, bei der der Anodenraum vom Kathodenraum durch ein Diaphragma abgetrennt war. Bei der kathodischen Abscheidung von Gold auf Kupfer kam es bereits bei relativ geringen Stromdichten zur einer Schwarzfärbung der Schicht. Außerdem haftete die Schicht schlecht auf dem Substrat. Dagegen konnten bei der außenstromlosen Abscheidung von Gold nach dem ENIGVerfahren sehr gut haftende lötbare Goldabscheidungen erreicht werden.

In einem Patent [32] wird die Wirkung verschiedener Additive auf die Silberabscheidung aus cyanidfreien Elektrolyten beschrieben. In den meisten Ausführungsbeispielen wird ein Grundelektrolyt mit 10 bis 30 g/L Silber und 80 g/L Methansulfonsäure eingesetzt. Die Stromdichten lagen zwischen 100 und 250 A/m2.

Dressler [9] untersuchte in seiner Dissertation den Mechanismus der Abscheidung von Silber aus methansulfonsauren Elektrolyten für den Einsatz in der Silberraffinationselektrolyse. Während bei der „klassischen“ Abscheidung aus schwach salpetersauren Elektrolyten (Möbius-Elektrolyse) an der Kathode nur locker haftende Kristallite abgeschieden werden, ist aus dem methansulfonsauren Elektrolyten eine kompakte Silberabscheidung möglich.

In weiteren Patenten wird die galvanische Abscheidung von Bismut [33] bzw. von Indium und Indiumlegierungen [34] aus methansulfonsauren Elektrolyten mit verschiedenen Additiven beschrieben.

Zusammenfassung

Methansulfonsäure ist aufgrund der großen Löslichkeit für viele Metalle, der hohen chemischen und elektrochemischen Stabilität und der niedrigen Toxizität eine sehr interessante Säure für die Galvanotechnik. In der Fach- und Patentliteratur werden vor allem Untersuchungen zur Abscheidung von Zinn, Zinnlegierungen sowie Kupfer und Silber beschrieben. Technische Anwendung findet die Säure heute bei dem Verzinnen von Bandstahl für die Herstellung von Weißblech, in der Zinnraffinationselektrolyse sowie zur Herstellung hochreiner Zinn-Blei-Legierungen. Vor allem in den letzten Jahren erfolgten an verschiedenen Forschungseinrichtungen auch in der Zusammenarbeit mit der Industrie Untersuchungen zu weiteren Einsatzgebieten in der Galvanotechnik sowie für die elektrochemische Raffination und Gewinnung verschiedener Metalle.

DIE AUTOREN

Dr.-Ing. Hartmut Bombach
Institut für NE-Metallurgie und Reinststoffe TU Bergakademie Freiberg
Univ.-Professor Dr.-Ing. Alexandros Charitos
Direktor Institut für NE-Metallurgie und Reinststoffe TU Bergakademie Freiberg

Literatur

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[5] Lutropur the friendly acid Firmenschrift der BASF (2011)
[6] BASF Presseinformation P115/20 vom 20.01.2020
[7] Gernon, M.; Wu, M.; Buszta, T.; Janney, P.: Green chemistry (1999) 6, 127–139
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[9] Dressler, A.: Untersuchungen zur Abscheidung von Silber aus Methansulfonsäure, Dissertation TU Bergakademie Freiberg, (2020)
[10] Jordan, M.: Die galvanische Abscheidung von Zinn und Zinnlegierungen, Leuze Verlag, (1993)
[11] US Patent 4662999 (1987)
[12] DE Patent 69606062 (1998)
[13] US Patent 5296128 (1993)
[14] US Patent 6342148 (2002)
[15] DE Patent 3902043 (1990)
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[17] Martyak, N.; Seefeldt, R.: Galvanotechnik (2004), 2372–2385
[18] Rosenstein, C.: Metal Finishing, Jan. 1990, 17–21
[19] US Patent 4701244 (1985)
[20] US Patent 4885064 (1989)
[21] EP Patent 3290147 (2018)
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[26] US-Patent 5911866 (1999)
[27] Felicita, S.; Nisha, F. et al.: International Journal of ChemTech Research (2011) 3, 1318–1325
[28] US-Patent 6605204 (2000)
[29] US-Patent 7575666 (2006)
[30] US-Patent 6676823 (2002)
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[32] US Patent 2007/0284258
[33] EU-Patent 3150743 (2017)
[34] EU-Patent 3199666A1 (2018)

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 9
  • Jahr: 2022
  • Autoren: Dr.-Ing. Hartmut Bombach; Dr.-Ing. Alexandros Charitos; Dr. Aaron Weigelt

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