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Mittwoch, 28 September 2022 12:00

4 Fragen an... Prof. Thomas Lampke

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Prof. Thomas Lampke Prof. Thomas Lampke

Professor für Werkstoff- und Oberflächentechnik an der TU Chemnitz, Interview: Robert Piterek

Herr Prof. Lampke, Sie sind Sprecher der neuen DFG-Forschungsgruppe „Funktionsflächen durch adiabatische Hochgeschwindigkeitsprozesse“. Um welche Forschungen geht es?

Im Fokus steht das in der Blechteilefertigung eingesetzte Hochgeschwindigkeitsscherschneiden (HGSS), wobei wir die Schnittflächen der Werkstücke näher erforschen wollen. Eigene Vorarbeiten zeigen, dass sich in Abhängigkeit von Blechwerkstoff und Prozessparametern adiabatische Scherbänder bilden können, in denen dann die Werkstofftrennung stattfindet. Auf diese Weise lassen sich Schnittflächen mit außergewöhnlichen Eigenschaften erzeugen, die im Idealfall ohne weitere Nachbearbeitung als Funktionsflächen einsetzbar sind. In unserer Forschungsgruppe bündeln wir das Wissen der 6 beteiligten Forschungseinrichtungen, um ein werkstoffwissenschaftlich und prozesstechnologisch fundiertes Modell zu entwickeln, das die Scherbandbildung möglichst umfassend beschreibt, d. h. für verschiedene Werkstoffe und in einen weiten Prozessparameterbereich. Neben hoch- und ultrahochfesten Stählen untersuchen wir auch eine Aluminiumlegierung sowie die niedrigschmelzenden Werkstoffe Zinn und Zink. Die Fördersumme beträgt 3,7 Mio. Euro bei einer Laufzeit von zunächst 4 Jahren.

»Wir erzeugen Schnittflächen mit außergewöhnlichen Funktionen«

Die beim HGSS entstehenden adiabatischen Scherbänder sollen verschiedene Vorteile für die Oberfläche liefern. Wie kann das sein?

Die Bildung adiabatischer Scherbänder beeinflusst die Qualität der Schnittfläche hinsichtlich deren Geometrie und Gebrauchseigenschaften, z. B. Härte, Ermüdungsfestigkeit sowie Verschleiß- und Korrosionsbeständigkeit. Adiabatische Scherbänder sind lokalisierte, stark gescherte Werkstoffbereiche, die sich bei hohen Verformungsgeschwindigkeiten bilden, wobei die genauen Voraussetzungen, unter denen diese Effekte auftreten, noch nicht systematisch erforscht sind. Es ist jedoch bekannt, dass das für Scherbänder charakteristische, äußerst feinkörnige Gefüge lokal zu einer signifikanten Härtesteigerung führt, die vermutlich auch die Abrasionsbeständigkeit erhöht. Darüber hinaus gibt es Indizien, dass die als White Etching Bands bezeichneten Scherbänder weniger anfällig gegenüber bestimmten korrosiven Medien sind. Dies wollen wir erforschen.

Sie wollen die Eigenschaften der Schnittfläche gezielt einstellen. Wie soll das gelingen?

Sobald wir die Zusammenhänge zwischen den Prozessparametern, der entstehenden Mikrostruktur und den daraus resultierenden Eigenschaften verstehen, ist es möglich, über die gezielte Einstellung von Schnittgeschwindigkeit, Schneidspalt und Schneidenergie eine definierte Mikrostruktur in der Schnittfläche einzustellen, die zu einem anforderungsgerechten Eigenschaftsprofil führt. Hierfür soll es eine enge Zusammenarbeit und Rückkopplung zwischen den produktionstechnisch und werkstoffwissenschaftlich orientierten Teilprojekten der Forschungsgruppe geben.

Spart die Oberflächenfunktionalisierung ohne Beschichtung schlussendlich Zeit und Energie?

Das ist zutreffend. Konventionell geschnittene Bauteile müssen oft nachbearbeitet werden. Nach dem Trennprozess erfolgt häufig noch das sog. Nachschneiden, um eine gratfreie, rechtwinklige Schnittfläche zu erzeugen. Anschließend kommen zur Erhöhung der Verschleißbeständigkeit häufig thermische oder thermochemische Randschichtverfahren zum Einsatz. Für einen verbesserten Korrosionsschutz werden Schichten u. a. galvanisch aufgebracht. Unsere Vision besteht darin, auf Nachbearbeitungsschritte im Idealfall zu verzichten, weil die Schnittfläche bereits direkt nach dem Prozess das geforderte Eigenschaftsprofil aufweist. Diese Verkürzung der Prozesskette birgt großes ökonomisches und ökologisches Potenzial.

ZUR PERSON

Prof. Thomas Lampke
studierte zunächst Maschinenbau in Bremen und dann Werkstoffwissenschaft mit Hauptfach Oberflächentechnik an der TU Chemnitz. Nach seiner Promotion im Jahr 2001 habilitierte er sich 2008 und ist seit Dezember des selben Jahres Professor für Werkstoff- und Oberflächentechnik der Fakultät für Maschinenbau an der TU Chemnitz.

 

Mehr zum Thema unter: www.tu-chemnitz.de/tu/pressestelle/aktuell/11363

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 9
  • Jahr: 2022
  • Autoren: Robert Piterek

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