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Donnerstag, 20 Oktober 2022 11:29

Geschichten der Galvanotechnik - Oberflächenbestimmung in der Galvanotechnik

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Geschätzte Lesezeit: 4 - 8 Minuten
Abb. 1: Schmuckteile, die mit Impulsgrenzstrom- Technik gemessen worden sind Abb. 1: Schmuckteile, die mit Impulsgrenzstrom- Technik gemessen worden sind

Mittels Computer Aided Design (CAD) ist es heute möglich, die Oberfläche vieler Teile einfach und schnell herzuleiten. Dabei geraten herkömmliche Methoden zusehends aus dem Blick. Damals wie heute gilt: Bei galvanischen Prozessen ist die Kenntnis der genauen Oberfläche eines zu beschichtenden Körpers für die Einstellung der Stromdichte als relevantem Parameter erforderlich.

Abweichungen von der Soll-Stromdichte können Defekte verursachen, insbesondere Aufrauhungen, „Anbrennungen“, unregelmäßiges Aussehen, schlechte Schichtdickenverteilung, unkontrollierte Legierungszusammensetzung, nicht konformes Karat, nicht konforme metallurgische Eigenschaften, zu dünne und daher nicht funktionelle Schichten, zu dicke Schichten, die unerwünschte Edelmetallkosten verursachen.

Die Oberfläche kann als Makro- oder Mikrorelief angesehen werden. Bei der Bearbeitung wird die Oberfläche durch Ätzen oder Strahlen häufig vergrößert und durch Polieren oder einebnende Beschichtungen verkleinert. Die Eindringtiefe ins Oberflächenrelief ist vom Beschichtungsverfahren abhängig und kann die relevante Oberfläche beeinflussen. In der Praxis wird aber meistens die geometrische ebene Fläche als maßgebend für die Einstellung der Stromdichte berücksichtigt. Diese Annäherung ist normalerweise ausreichend, zumal die Stromverteilung auf der Kontur des Teils nicht homogen verteilt ist. Zudem ist die Eindringtiefe ins Oberflächenrelief auch von der Oberflächenmessmethode abhängig. Deshalb können verschiedene Messmethoden an gleichen Teilen zu unterschiedlichen Werten führen. Tabelle 1 [1] gibt eine vergleichende Gegenüberstellung von acht Verfahren zur Oberflächenbestimmung, die den Stand der 80er Jahre widerspiegelt. Nachfolgend wird ein Überblick über die bisher wesentlichen Oberflächenmessverfahren gegeben.

Tab. 1: Vergleichende Gegenüberstellung von Verfahren zur Oberflächenbestimmung [1] 
 

Geometrisch

Gravimetrisch

Photometrisch

BET

Wirbelschicht

Galvanisch

Elektrochemisch

DIM

MeßbereichGrößenord.

cm2 - m2

cm2 - m2

dm2

cm2 - m2

cm2 - dm2

cm2 - m2

cm2 - m2

cm2 - m2 je nach Gerät

Auflösungsvermögen

mittelgroß

mittelgroß

groß

Sehr groß

Mittel

Mittel

Mittel

Sehr groß

Zeitaufwand für 1 Messung

Minuten

Minuten

Minuten

ca. 1 h

ca. 1 h

ca. 1 h

ca. 1 Min.

ca. 1 Min.
Eichung /2 h

Messgröße

Fläche

Gewicht

Photostrom

Druck

Gewicht

Gewicht

elek. Signal

elek. Signal

automatisierbar

nein

nein

nein

nein

nein

nein

ja

ja

Handhabung

einfach

einfach

einfach

schwierig

einfach

relativ einfach

einfach

einfach

Geräteaufwand

Gering (Planimeter)

Gering (Waage)

Mittel {Spez. Gerät)

Hoch (BET-Gerät)

Gering (Waage)

Mittel (Galv. Bad, Waage)

Mittel (Spez. Gerät)

Hoch (DIM-Gerät)

Einschränkungen

Einfache geometrische Teile

Dichte des Werkstoffs, konstante Dicke, wenig Kanten und Löcher

Nur ebene Teile

Kleinteile, Rauhtiefe geht mit ein

Keine Feinstrukturen, Scharfe Kanten und Löcher

galv. Verfahren

Geometrie und Badkennlinie

 

Geometrische, gravimetrische und chemische Messmethoden

Die erste Methode, die dem Galvaniker in den Sinn kommt, besteht darin, die Form des Teils in einfache Geometrie wie Rechtecke, Kugeln und Kegel zu unterteilen und dann deren Oberflächen aufzuaddieren. Diese Methode scheitert oft daran, dass ein einfaches Modell für komplexe Formen nicht ohne weiteres gefunden werden kann.

Die Oberfläche von flachen Teilen kann mit einem Planimeter gemessen werden. Die Oberfläche von Teilen mit konstanter Dicke kann gravimetrisch bestimmt werden. Zur Oberflächenvermessung von gedruckten Schaltungen wurden optische Verfahren eingesetzt. Aufgrund der Vielfalt der galvanisch zu bearbeitenden Objekte sind diese drei Methoden jedoch nur für eine begrenzte Anzahl von Teilen anwendbar.

Deshalb wurden Methoden mit einem breiteren Anwendungsbereich entwickelt. Die Methode von H. Schlegel [2] besteht darin, das zu messende Teil mit einem langsam trocknenden Lack zu beschichten. Nach einigen Minuten Exposition an der Luft verliert der aufgetragene Lack einen Großteil seines Lösungsmittels durch Verdunstung und wird klebrig. Anschließend wird das Teil in einen Behälter getaucht, der Glaskugeln mit einem Durchmesser von ca. 0,2 mm enthält, die kompakt in einer Einzelschicht auf der Oberfläche des zu messenden Teils angeordnet sind. Die Oberfläche ist dann proportional zur Anzahl der auf dem Lack fixierten Kugeln, die gewogen werden. Der Oberflächenwert wird vergleichend anhand einer Normoberfläche auf diesem Wege abgeleitet.

Durch Beschichten einer Oberfläche mit Zink, anschließendem Chromatieren, Auflösen des Chromatfilms und Bestimmen der Chromkonzentration kann ein zur Oberfläche proportionaler Wert ermittelt werden (H.W. Lieber [3]).

Ein anderes Verfahren von H. Lieber [3, 4], das eigentlich auf dem gleichen Prinzip wie das Kugelverfahren beruht, besteht darin, anstelle von Kugeln chemisches Nickel oder chemisches Kupfer auf das zu messende Teil aufzubringen. Da die Ablagerungen ohne Strom eine regelmäßige Dickenverteilung aufweisen, kann die Oberfläche gravimetrisch im Vergleich zu einem Normteil vermessen werden. Stromlose Ablagerungen können auch in einer Lösung bekannten Volumens wieder aufgelöst und analysiert werden. Alle diese Verfahren haben jedoch den Nachteil, langsam und umständlich zu sein.

Elektrochemische Messmethoden

Einige elektrochemische Messmethoden basieren auf der Proportionalität zwischen Spannung und Stromdichte aufgrund der Kinetik der elektrochemischen Reaktion der Abscheidung [5, 6] oder Auflösung [7, 8]. Andere elektrochemische Verfahren [9–11] beruhen auf der Proportionalität zwischen dem Leitwert des Elektrolyten und dem für den Stromfluss verfügbaren Querschnitt des Elektrolyten. An der Elektrode stimmt der Querschnitt des Elektrolyten mit der Elektrodenfläche überein.

Ferner wurden Methoden entwickelt, die einen pulsierenden Strom anwenden [12–14]. So werden kapazitive Effekte der elektrischen Doppelschicht berücksichtigt die sich bei kurzen Stromimpulsen stark bemerkbar machen, wie zum Beispiel beim MIM-Gerät, das Anfang der 80er Jahre auf dem Markt gebracht wurde. Diese Geräte kombinieren Messung und Metallabscheidung [15–18]. Der Messimpuls entsteht repetitiv während einer Unterbrechungszeit des Abscheidestromes. Die Geräte funktionieren als selbstregulierende Gleichrichter. Dies ist besonders nützlich bei Abscheideverfahren, bei denen die Oberfläche der Kathode kontinuierlich wächst. Die Stromdichte, z. B. während Schmuckelektroformungsprozessen oder Prozessen zur Herstellung mehrstufiger Mikroelektroformteile, wird durch kontinuierliche und automatische Stromstärkeeinstellung konstant gehalten.

Kapazitive Effekte werden auch benutzt, um Flächen von porösen Elektroden zu messen [19, 20]. Mit einer bestimmten Anwendungsform der Doppelschichtkapazitätsmessung [21] konnte der Rauheitsfaktor einer ultraschwarz geätzten Nickel-Phosphor Schicht [22] ermittelt werden. Dadurch konnte gezeigt werden, dass die geätzte ultraschwarz Nickel-Phosphor Schicht, ein 88-mal raueres Relief als die ungeätzte NiP Schicht aufweist. Diese Methode hat eine Eindringtiefe, die allen anderen Messmethoden weit überlegen ist.

Ein weiteres Verfahren [23–26], basierend auf einem gepulsten Strom, nutzt die diffusionsgesteuerte Verarmung des Elektrolyten an Ionen vor der Kathode, die bei einem Strompuls im Grenzstrombereich auftritt. In einem speziell formulierten Elektrolyten wird eine Spannung an das zu messende Teil angelegt, wobei der Grenzstrom augenblicklich erreicht wird. Der erfasste Verlauf des Impulsgrenzstromes als Funktion der Zeit in den ersten Millisekunden erlaubt über Stofftransportgesetze die Stromdichte und daraus die Oberfläche abzuleiten. Nach Normalisierung eines Kalibrierbogens ist eine schnelle und sehr genaue Vermessung der geometrischen Oberfläche möglich. Die Reproduzierbarkeit ist sehr gut [1]. Beispielsweise beträgt bei 24 aufeinanderfolgenden Messungen mit einem nach diesem Prinzip arbeitenden Gerät der Marke „DIM-40“ die Standardabweichung für eine durchschnittliche Fläche von ca. 100 cm2 weniger als 1 %. Je nach Ausführung sind unterschiedliche Messbereiche des Gerätes zugänglich. Das Gerät kann auch zur automatischen Badstromeinstellung mit den dafür benötigten Instrumenten gekoppelt werden. Dieses Messsystem besitzt ein hervorragendes Streuvermögen und ist daher für stark profilierte Teile sehr geeignet. Die Oberfläche komplizierter Formen wird schnell und präzise gemessen. Einige typische Teile, die erfolgreich gemessen wurden, sind in Abbildung 1 dargestellt.

Schlussbemerkungen

Die Messmethoden, basierend auf einem Doppelschichtkapazitäts-Effekt sowie auf Impulsgrenzstrom, beruhen auf „unkonventionellen“ Pulse Parametern, die normalerweise für die Metallabscheidung zu vermeiden sind. Eine eingehende Erklärung dieser Methoden wird in [27] präsentiert.

Heute ermöglicht das CAD-Zeichnen, die Oberfläche vieler Teile einfach und schnell herzuleiten. Trotzdem bleibt die experimentelle Oberflächenbestimmung sehr wichtig. Es gibt zahlreiche Teile in verschiedenen Anwendungsbereichen, deren Oberfläche unbekannt ist. Die Anwendungen mit Edelmetallen und Legierungen sind diejenigen, die den größten Nutzen aus Oberflächenmesstechniken ziehen. Zudem ist die Möglichkeit der selbstregulierenden Stromdichte während des Abscheideprozesses bei modernsten Anwendungen von großer Bedeutung.

Literatur

[1] U. Heuberger; J.-C. Puippe; Ch. J. Raub: Galvanotechnik, 76, 1985
[2] H. Schlegel: Galvanotechnik, 59, 12, 1968
[3] H.W. Lieber: Jahrbuch Oberflächentechnik, 35, 1979, 229
[4] H.W. Lieber, German Patent 1964, 354 (July1 1971)
[5] C. Uyemura, Japanese patent 81 160, 608, 1980.
[6] Ibigawa Denki KoyoK.K.; Takeo Oki, Jap Patent 56-87802 (Dec. 18, 1979)
[7] J.J. Hentz, U.S. Patent 3,166,484 (Jan. 19 1965)
[8] Y. Niskikawa, Fukakura, Japanese patent 80 47, 402, 1978
[9] Pabl. Dietrich, German Patent 2,303,717 (August 1, 1974)
[10] Russian Patent 883197 (Nov. 23, 1981)
[11] Russian Patent 694563 (Oct. 30, 1979)
[12] F.P. Bowden; E.K. Rideal: Proc. Royal Soc. Of London, 120A, 1928, 80
[13] C. Wagner: J. Electrochem. Soc., 97, 1950, 72
[14] R.J. Brodd; N.Hackerman: J.Electrochem. Soc., 104, 1957, 704
[15] E. Robert, Swiss patent 617, 508 (May 30, 1980)
[16] E. Robert: Oberfläche-Surface 22, 8 (1981) 261
[17] E. Robert: Oberfläche-Surface 24, 9 (1983) 310
[18] E. Robert: Proceedings of the AES 8th Symposium on Plating in the Electronics Industry, Phoenix, Jan. 20-21 (1981)
[19] J. McCallum; J.F. Walliny; C.L. Faust: Battelle Memorial Inst., Columbus, Ohio, Report Nr BATT-7138-Q1 (April 2, 1965)
[20] J. McCallum; R.F. Redmond; C.L. Faust: Battelle Memorial Inst., Columbus, Ohio, Report Nr BATT-7138-Q2 (July 2, 1965)
[21] T.C.VanVecten; D.S. Lashmore; C.E. Johnson; J.-C. Puippe: Electrochemical Measurement of Surface Area, Plating and Surface Finishing, December 1986, 45–47
[22] C.E. Johnson Sr. U.S. patent 4,233,107, 1980
[23] J.-C. Puippe, CH 660 080 (March 13, 1987), DE 3408726 C2, F 2542443, USA 4, 840, 708 (June 20, 1989)
[24] J.-C. Puippe: Oberfläche-Surface, 26, 6, 1985
[25] J.-C. Puippe: Theory and Practice of Pulse Plating, chap 14, American Electroplaters and Surface Finishers Society, 1986
[26] A. Michalski; J.-C Puippe: IEEE Instrumentation and Measurement Magazine, Sept 2003, 70–75
[27] J.-C. Puippe: Unconventional pulse plating parameters for surface area measurement applications, Transactions of the IMF, Vol 99, No 1, 2021, 19–22

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 10
  • Jahr: 2022
  • Autoren: Jean-Claude Puippe

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