Diese Seite drucken
Freitag, 27 Januar 2023 10:59

Klimaneutralität und Nachhaltigkeit als Herausforderungen für KMU

von
Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten

Klimaneutralität und Nachhaltigkeit sind die Themen, die uns in den kommenden Jahren herausfordern werden. 2019 stellte Ursula von der Leyen die 10 Ziele des Green Deal vor, mit dem Europa als erster Kontinent bis 2050 Klimaneutralität erreichen soll. Ein Erfahrungsbericht.

Zwei dieser zehn Ziele sind für die Branche vorrangig und sollten, nicht zuletzt aufgrund der fortschreitenden Klimaveränderungen, zeitnah umgesetzt werden. Das sind die Themen CO2-Neutralität und Kreislaufwirtschaft (vgl. Abb. 1). Für deren Umsetzung ist ein umfangreiches Datenmaterial notwendig, das mit Hilfe der Digitalisierung gesammelt, ausgewertet und für diese und andere Themen eingesetzt werden kann.

Abb. 2: Die 3 Bereiche des CO2-FußabdrucksAbb. 2: Die 3 Bereiche des CO2-Fußabdrucks

Der CO2-Fußabdruck ist eine Voraussetzung, die CO2Neutralität zu erreichen. Dieser unterteilt sich in drei Bereiche (vgl. Abb. 2), die in der Literatur auch mit Scope 1, 2 und 3 bezeichnet werden. Die direkten Emissionen (Scope 1) werden aus fossilen Brennstoffen, z. B. zur Erzeugung von Wärme oder durch Fahrten mit dem Firmenfahrzeug, erzeugt. Die indirekten Emissionen (Scope2) stammen aus Energiequellen wie Strom oder Fernwärme, bei deren Erzeugung bereits CO2 entstanden ist. Weitere indirekte CO2-Quellen (Scope 3) entfallen auf die Produktionstätigkeit, Transporte von Erzeugnissen und Rohstoffen, und nicht zu vergessen, die Fahrten der Mitarbeiter zum Arbeitsplatz. Zur Erstellung des CO2-Fußabdrucks stehen kostenlose Programme im Internet zur Verfügung. Umfangreicher und genauer erstellt der Energieberater den CO2-Fußabdruck, der auf Wunsch nach DIN EN ISO 140641 durchgeführt werden kann. Eine Datenerhebung, z. B. über 3 Jahre, kann im Allgemeinen aus der Buchhaltung entnommen werden. Die vorhandenen Programme arbeiten und bewerten unterschiedlich, so dass die Ergebnisse nicht untereinander vergleichbar sind.

Im Frühjahr dieses Jahres folgten einige Mitgliedsunternehmen dem ZVO-Aufruf zur Erstellung eines branchenweiten CO2-Fußabdrucks über die Jahre 2019–2021, mit der Option einer Einzelauswertung für die teilnehmenden Unternehmen. Die in Abbildung 3 dargestellte Grafik ist das Ergebnis dieser Auswertung, beispielhaft für die Lohngalvanik Moosbach & Kanne GmbH. Wie erwartet, stammt der Hauptanteil an CO2-Emission aus Strom und Wärme (Scope 1+2). Scope 3 setzt sich zum überwiegenden Teil aus den Anfahrtswegen der Mitarbeiter zusammen.

Möglichkeiten zur Senkung von Emissionen durch technische Neuerungen

Während man im Jahr 2019 auf einen normalen Geschäftsbetrieb zurückblickt, musste die Geschäftstätigkeit durch den coronabedingten Lockdown im darauffolgenden Jahr heruntergefahren werden, was sich in den Emissionswerten widerspiegelt. 2021 normalisiert sich der Geschäftsbetrieb, jedoch sind die Emissionen nicht auf das Niveau von 2019 angestiegen. Grund hierfür ist die Installation von PV-Anlagen. Energie- und CO2-Einsparung stehen in der Lohngalvanik Moosbach & Kanne schon seit 2015 im Fokus. Insgesamt konnte der CO2-Ausstoß durch technische Änderungen (LED-Licht, Gleichrichteraustausch, Dach- und Fensterisolierung, Wärmerückgewinnung aus der Abluft und die Inbetriebnahme eines Blockheizkraftwerks) von 2015–2021 um insgesamt 205 t pro Jahr gesenkt werden. Wirdas primäre Ziel der Klimaneutralität weiter verfolgt, müssen Stellschrauben für die CO2-Emissionssenkung gefunden werden.

Diese Maßnahmen wurden im Rahmen von notwendigen Gebäude- und Anlagensanierungen und effektiverer Nutzung der eingesetzten Energiequellen durchgeführt.

Abb. 3: CO2-Fußabdruck der Moosbach & Kanne GmbH, SolingenAbb. 3: CO2-Fußabdruck der Moosbach & Kanne GmbH, Solingen

Reduzierung des CO2-Fußabdrucks durch digitalisierte Prozessdaten

Um weitere CO2-Senkungen zu erreichen, wären beispielsweise der Austausch von intakten aber weniger effizienten Anlagen und der Einsatz von grünem Strom zur Wärmeerzeugung zu nennen. Die Erzeugung von „grünem Strom“ aus Solarenergie reicht in unseren Breiten nicht aus und weitere Quellen (Windkraft) können nicht an jedem Standort genutzt werden. Welche Hebel können gefunden werden, um das primäre Ziel der Klimaneutralität in absehbarer Zeit zu erreichen?

Abb. 4: Digitalisierung zur Auffindung der StellschraubenAbb. 4: Digitalisierung zur Auffindung der Stellschrauben

Im Vordergrund stehen Einsparmöglichkeiten durch Änderungen von Verhalten und Arbeitsgewohnheiten, die kostenneutral sind, z. B. Heiz- und Reisegewohnheiten sowie das Zusammenlegen von Produktions- und Logistikabläufen. Mit Kosten verbunden sind technische Änderungen, beispielsweise: Dach-, Fassaden- und Fensterisolierung, PV-Anlagen, Wärmetauscher, Energiespeicher, Wannen- und Leitungsisolation, Beleuchtung, E-Mobilität, Verfahrensumstellung. Um diese Stellschrauben sinnvoll anzuwenden, sind zunächst Daten aus den unterschiedlichen Arbeitsbereichen erforderlich (vgl. Abb. 4). Werden diese Daten digitalisiert, aus- und bewertet, ergeben sich

  • stabile Prozesse mit mehr Prozesssicherheit
  • Reduktion von Chemikalienverbrauch im Prozess und der Abwasserbehandlung
  • ein geringerer CO2-Fußabdruck.

Abb. 5: Prozessstabilisierung und -optimierung am Beispiel einer DickschichtpassivierungAbb. 5: Prozessstabilisierung und -optimierung am Beispiel einer Dickschichtpassivierung

Zum Beispiel wurde die Badführung einer Dickschichtpassivierung über fünf Jahre begleitet und die Daten über den Verlauf aufgezeichnet (vgl. Abb. 5). Mit Hilfe der digitalen Erfassung und Auswertung der Prozessdaten konnten zunächst der Eingriffsbereich verkleinert und im weiteren Verlauf die Prozesstemperatur gesenkt, die Lufteinblasung eingestellt und schließlich die Prozess- und Abwasserchemikalien um 27 % reduziert werden. Durch Absenken der Prozesstemperatur um 40 °C von 60 °C auf Raumtemperatur wird Wärmeenergie und damit CO2 eingespart. Das Erwärmen von 1 m³ Wasser von 20 °C auf 60 °C erfordert 58 kWh, was einer Gasmenge von 5,4 m3 mit einer CO2-Emission von 12,5 kg entspricht. InTabelle 1 sind die CO2-Äquivalente der Energieträger Strom, Erdöl und Erdgas gegenübergestellt.

Tab. 1: Energieinhalt und CO2-Emission der Energieträger 

Energieträger

Menge

Energie

CO2Aquivalente

Strom

10 kWh

10,0 kWh

4,0 kg

Heizöl

1 l

12,5 kWh

3,09 kg

Erdgas

1 m3

10,8 kWh

2,31 kg

Nachhaltigkeit mithilfe galvanischer Schichten

Bei Betrachtung der galvanischen Schichten sind bereits Anforderungen im Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft erfüllt. Sie leisten einen Beitrag zur Nachhaltigkeit eines Produkts, indem sie

  • die Lebensdauer verlängern
  • den Korrosionsschutz optimieren
  • die Haltbarkeit im Gebrauch verbessern
  • vor Umwelteinflüssen schützen.
Abb. 6: Brausearmatur bestehend aus 4 verschiedenen GrundmaterialienAbb. 6: Brausearmatur bestehend aus 4 verschiedenen Grundmaterialien

Weiterhin ermöglicht die Galvanotechnik eine wirtschaftlich sinnvolle Wahl der Grundmaterialien für die Bauteile eines Produkts, welches durch die galvanischen Beschichtungen einheitlich erscheint. Die in Abbildung 6 gezeigte Sanitärbrausearmatur besteht aus vier verschiedenen Grundmaterialien, was im Gesamtbild für den Verbraucher nicht zu erkennen ist.

Galvanisch beschichtete Metallteile sind recyclebar und können in den Materialkreislauf zurückgeführt werden. Zusätzlich zeigen Ergebnisse neuer Prozesse, dass galvanisierte Kunststoffe in die Bestandteile Kunststoff und Metall zerlegt und der hierbei anfallende Kunststoff erneut zu Spritzgussteilen verarbeitet werden kann. Mit dem Produktionsausschuss wird dieses Verfahren in Kunststoffgalvaniken bereits erfolgreich angewendet, wie etwa die Vorträge „Kreislaufwirtschaft durch Nutzung von Rezyklaten bei galvanisierten Kunststoffen“ von Dr. Felix A. Heinzler, BIA Kunststoff- und Galvanotechnik GmbH & Co. KG., und „Recycling von metallisierten Kunststoffen durch hochenergetische Impulsbehandlung“ von David Zapf von der Hansgrohe SE auf den Oberflächentagen in Leipzig in diesem Jahr zeigten. Galvanische Oberflächen werden zwar mit einem hohen Energieeinsatz erzeugt, demgegenüber stehen in der Gesamt-CO2-Bilanz die hier aufgeführten Nachhaltigkeitsvorteile.

Abb. 7: Der Digitale ProduktpassAbb. 7: Der Digitale Produktpass

Um dem Verbraucher Informationen über die, bei der Herstellung angefallenen Treibhausgase und Angaben über Nachhaltigkeit und Möglichkeiten zum Recyceln an die Hand zu geben, wurde von der EU die Idee des Produktpasses (Abb. 7) ins Leben gerufen. Bei jeder Unternehmenstätigkeit fallen, wie in Abbildung 8 gezeigt, in internen und externen Bereichen große Datenmengen an, die gespeichert werden sollten. Durch interne Vernetzung und Verarbeitung der Daten (vgl. Abb. 9) können die für den Produktpass relevanten Daten extrahiert werden. Für die EU ist der Produktpass, auch wenn es aktuell noch keinen festen Termin hierfür gibt, beschlossene Sache. Deshalb lautet die Empfehlung an jeden Hersteller, bereits heute alle produkt- und produktionsspezifischen Daten zu digitalisieren, auszuwerten und betriebsintern zu katalogisieren.

Abb. 8: Digitale Daten aus der IndustrieAbb. 8: Digitale Daten aus der Industrie

Abb. 9: Interne Vernetzung der DatenAbb. 9: Interne Vernetzung der Daten

Recherchen im Internet zeigen auf, dass die wenigen aktuell existierenden Produktpässe den Anforderungen der EU nicht entsprechen. Es fehlen allerdings bis heute genaue Richtlinien. Fest steht, dass komplexe Lieferketten, zu denen Galvaniken als Binde- oder Zwischenglied zählen, in die Erarbeitung von Richtlinien für Produktpässe einbezogen werden sollten, um den Aufwand so gering wie möglich und das Ergebnis so umfangreich wie nötig zu gestalten. Wirtschaftsverbände, wie der ZVO, dienen als Bindeglied zwischen Wirtschaft und Politik.

Green Deal – die Herausforderung für KMU

Im Hinblick auf Klimaneutralität und Nachhaltigkeit stehen die kleinen und mittelständischen Unternehmen der Oberflächenbranche vor großen Herausforderungen, die gemeistert werden können, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • • die technischen Möglichkeiten sind gegeben
  • • Energieversorger und Netzbetreiber spielen mit
  • • Bürokratie wird bewältigt
  • • Anträge werden zeitnah bearbeitet
  • • Fördermittel stehen bereit
  • • Finanzierung ist gesichert
  • • Wirtschaftlichkeit ist absehbar.

Weitere Informationen

  • Jahr: 2023
  • Autoren: Dr. Elke Moosbach, Moosbach & Kanne GmbH, Solingen; Dr. Elke Spahn, Gravitech GmbH, Rodgau

Ähnliche Artikel