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Montag, 24 April 2023 11:20

Fachwissen vs. Erfahrung: Junge Führungskraft führt ältere Mitarbeitende

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Geschätzte Lesezeit: 3 - 5 Minuten
Jung und Alt können voneinander lernen. Ein wichtiges Zauberwörtchen ist Respekt Jung und Alt können voneinander lernen. Ein wichtiges Zauberwörtchen ist Respekt Foto: Studio Romantic/stock.adobe.com

Ich liebe den Film „Man lernt nie aus“ mit Robert de Niro und Anne Hathaway. Die Geschichte handelt von einem 70jährigen Rentner, der ein Praktikum in einem hippen New Yorker Internet-Start-up macht. Total typisch: Alter Mitarbeiter muss sich mit neuen Arbeitsmethoden und modernen Technologien auseinandersetzen. Die junge Gründerin des Start-ups hat nur ihr Unternehmen im Kopf und will alles alleine schaffen, gleichzeitig entgleitet ihr ihre Familie. Die jungen Kolleginnen und Kollegen lernen von ihrem neuen, lebenserfahrenen Praktikanten den Business-Knigge, Umgangsformen und bekommen viel lebenspraktische Unterstützung.

Hier wird ganz deutlich: Jede Generation tickt anders. Jede hat einen anderen historischen, gesellschaftlichen, politischen Hintergrund. Jede ist mit anderen Technologien und Innovationen aufgewachsen. Jede Generation hat mit unterschiedlichen Herausforderungen zu kämpfen und meistert diese anders.

Und trotzdem ähneln sich die Wünsche und Sehnsüchte in jeder Generation: Eine glückliche Beziehung, ein erfülltes Leben, ausreichend finanzielle Polster, Familie, Hobby, Haus. Geld verdienen mit einem sicheren Job.

Wie schafft es nun eine junge Teamleitung einen deutlich älteren Mitarbeiter zu führen?

Führung ist eine verzwickte Angelegenheit und nicht nur junge Führungskräfte stehen vor der Herausforderung, ihr Team – jung wie alt – effektiv zu führen. Wie bei so vielem anderen im zwischenmenschlichen Beisammensein steht gegenseitiger Respekt und die Begegnung auf Augenhöhe ganz oben.

Egal, wie alt jemand ist: Man wird letztendlich nur respektiert, wenn man sein Gegenüber respektiert. Der ältere Mitarbeiter könnte Elternteil oder gar Großelternteil der neuen Teamleitung sein. Alleine bedingt durch die Anzahl der Lebensjahre, hat man bereits viel Lebenserfahrung gesammelt. Erfolge gefeiert und Niederlagen durchlitten. Man weiß, wo es lang geht.

Und jetzt kommt so ein „Jungspund“ und will einem sagen, wo es langgeht. Hach, dem zeigen wir es einmal! … Sind Ihnen solche Gedanken auch schon einmal durch den Kopf geschossen oder hat sie Ihnen jemand bei einem Bier geflüstert?

Die Situation ist also nicht nur für die junge Führungskraft schwierig, sondern fühlt sich auch sehr seltsam für die lang eingesessenen Mitarbeitenden an. Die Werte, die Erziehung, der „gute Ton“, die Technik, all das hat sich im Laufe der Jahre geändert.

Die Werte, die Erziehung, der „gute Ton“, die Technik, all das hat sich im Laufe der Jahre geändert.

Wie kann nun eine junge Teamleitung die Erfahrungen und die Stärken älterer Mitarbeitender aktiv einsetzen?

Ich habe eine große Anlage mit vielen Bädern und unterschiedlichen Prozessen vor Augen. Da sind hochkomplexe, komplizierte, manchmal undurchschaubare Prozesse am Laufen.

Frische Galvaniseurmeister haben die neuesten technologischen Erkenntnisse und unheimlich viel Fachwissen im Kopf. Und kommen mit ihrem erlernten Know-how an ihre Grenzen, wenn es etwas kniffelig wird. Denn sie übersehen sehr häufig, dass reines Fachwissen wertlos ist, wenn sie es als Führungskraft nicht schaffen, ihr Team engagiert zu motivieren und souverän zu führen.

Die alten, erfahrenen Oberflächenbeschichter haben es andererseits quasi im „Urin“. Sie haben ein Gespür, den sechsten Sinn, wenn irgendwo ein faules Ei vergraben liegt. Da benötigen sie kein Schichtdickenmessgerät. Nee, ein erfahrener Blick reicht. Und schon wird in einem ganz bestimmten Bad nachdosiert. Oder die Stromkurve wird leicht variiert.

Und schon ist alles ist wieder paletti.

Meine Empfehlung an eine junge Nachwuchsführungskraft ist folgende: Im ersten Einzelgespräch diese „seltsame“ Situation ganz offen ansprechen. Und weiter unbedingt klarmachen, wie wichtig der Erfahrungsschatz des älteren Mitarbeitenden ist und das dessen Know-how unabdingbar für den Erfolg des ganzen Teams ist.

Würdigen Sie den Erfahrungsschatz Ihrer älteren Mitarbeitenden. Erkennen Sie die geleistete Arbeit an.

Ich habe es im familiären Umfeld bereits erlebt: es werden die Monate bis zum Vorruhestand gezählt. Neuerungen? Nee! Wieso soll ich jetzt noch etwas dazulernen? Die sollen doch ihren Scheiß selbst machen … Solche Aussagen sind sicherlich bekannt. Die kommen unweigerlich, wenn sich erfahrene Mitarbeiter gegängelt fühlen, wenn ihre Erfahrung nicht anerkannt wird.

Lassen Sie los und lernen Sie zu vertrauen! Ältere Arbeitnehmer wissen, was sie tun und wie sie es tun und wann sie es am besten tun.

Wenn es der neuen Führungskraft mit viel Fingerspitzengefühl gelingt, die richtigen motivierenden Worte zu finden, um die alte Riege in den letzten Jahren zu motivieren und an der Stange zu halten, dann bleibt wertvolles Know-how im Unternehmen.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt: Was könnte jetzt die Generation der Babyboomer (Jahrgänge 1956–1965) motivieren, sich weiterhin beruflich zu engagieren?

Hier ein paar Tipps:

  • Ein Einsatz als Coach und Mentor, um wertvolles Know-how und Erfahrung weiterzugeben.
  • Als Vorbild zu fungieren für die nachfolgende(n) Generation(en).
  • Mehr Flexibilität der Arbeitszeit, um mehr Zeit für die Enkelkinder zu haben.
  • Leichtere Arbeit, wenn der Körper die ersten Ermüdungserscheinungen zeigt.
  • Mehr Freizeit, weniger Arbeitszeit, um endlich mit dem Camper länger unterwegs zu sein.

Genau hinhören ist angesagt, und zwar bei jedem Teammitglied! Denn wie so oft, sind es einfach umzusetzende Kleinigkeiten, die die größte Wirkung haben! Und was bei einem Teammitglied ein Motivationsflop ist, kann beim nächsten der absolute Motivationsbooster sein.

Daher meine Empfehlung an jede Führungskraft: Lernen Sie aktives Zuhören! Üben, üben, üben Sie es. Denn das ist eines der wertvollsten, mächtigsten und wichtigsten Werkzeuge einer jeden Führungskraft.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 4
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Manuela Schmied-Wolfsbauer

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