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Mittwoch, 26 April 2023 11:59

Mehrwert schaffen mit funktionalisierten Oberflächen

von
Geschätzte Lesezeit: 5 - 9 Minuten
De Martin-Hauptzentrale im schweizerischen Wängi De Martin-Hauptzentrale im schweizerischen Wängi Fotos: Robert Piterek

Der Oberflächenveredler De Martin mit Hauptsitz in Wängi bei Winterthur vereinigt über 20 Oberflächenveredlungsverfahren unter einem Dach und wird bald auf sechs Werke anwachsen. Die Expansion wird von Geschäftsführer und Eigner Thomas De Martin vorangetrieben. Sein Unternehmen ist eine gute Adresse für alle Wünsche rund um funktionalisierte Oberflächen – und verfolgt mittels Diversität bei den Kundenbranchen einen stabilen Wachstumskurs.

Technologie und Know-how auf Spitzenniveau

Liaqat Nabawi kontrolliert Textilmaschinenteile, die eine Nickeldispersionsschicht erhaltenLiaqat Nabawi kontrolliert Textilmaschinenteile, die eine Nickeldispersionsschicht erhaltenWenn es um Hochtechnologie und Zulieferunternehmen mit Anspruch geht, ist die Schweiz schon seit längerem ein interessanter Standort: Im Alpenvorland zwischen Bodensee und den wuchtigen Gebirgsmassiven der Hochalpen verbreiten Hochschulen wie die ETH Zürich und die Hochschule St. Gallen akademische Strahlkraft, während Forschungsinstitute wie die Eidgenössische Mess- und Prüfanstalt (Empa) auf höchstem Niveau forschen und kontinuierlich spannende Neuerungen entwickeln.

Doch es ist nicht nur die Theorie, in der die Schweiz ohne weiteres mit ihren Nachbarn Schritt halten kann: Denn Produktionsbetriebe gibt es trotz Spitzenlohnniveau und Credit Suisse-Krise auch weiterhin – wenngleich aus naheliegenden Gründen überwiegend im High-End-Bereich. Auch Unternehmen der Galvano- und Oberflächentechnik sind darunter. Den hohen Stellenwert der Branche deuten schon die zahlreichen relevanten schweizerischen Vortragsveranstaltungen wie der Winterthurer Oberflächentag oder die Technische Fachtagung der Schweizerischen Gesellschaft für Oberflächentechnik (SGO) in Biel an. Märkte für Oberflächentechnik sind die Uhrenindustrie in der Westschweiz, eine florierende Medizintechnikbranche sowie die nahen wirtschaftsstarken deutschen Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern mit ihren Wirtschaftssäulen Automotive sowie Maschinen- und Anlagenbau.

Von der Nähe zu Deutschland profitiert auch das Unternehmen De Martin unweit von Winterthur. Zwei Galvaniken mit rund 200 Mitarbeitern beschichten in der 5000Einwohner-Stadt Wängi im zwei und drei Schicht-Betrieb Teile für die Halbleiterindustrie, für Textilmaschinen, den Form- und Werkzeugbau sowie die Maschinen- und Automobilindustrie. Die Erfolgsgeheimnisse sind Diversität bei den Kundenbranchen sowie Exzellenz beim Know-how, wie schnell deutlich wird. Allein etwa 50 der mittlerweile rund 300 De Martin-Mitarbeiter in den vier Werken in Deutschland und der Schweiz sind Ingenieure oder Techniker mit höherer Fachausbildung. Menschen mit Leidenschaft für die Galvanotechnik und ihren verschiedenen Ausprägungen geht angesichts der Fülle von Verfahren hier das Herz auf. Mit über 20 unterschiedlichen Prozessen bietet De Martin funktionelle Beschichtungslösungen für Korrosionsschutz, Verschleißschutz sowie Reibwertreduktion oder -erhöhung und erzielt damit aktuell Umsätze im mittleren zweistelligen Millionenbereich.

Geschäftsführer und Eigner Thomas De Martin und  CFO Karin KollerGeschäftsführer und Eigner Thomas De Martin und CFO Karin Koller

Beschichtungstechnik ohne Tabus

Wie viel sich die Oberflächentechniker aus Wängi selbst zutrauen, zeigt sich gleich zu Beginn der Besichtigung im werkseigenen Werkstofflabor. Hier prüft Alex Schellenberg, der Leiter des De Martin-Technikums, gerade eine Dispersionsschicht mit Diamanten, deren Anwendungsbereich geheim bleiben soll. Schichten dieser Art kommen z. B. im Werkzeugbau zum Einsatz. Bei De Martin werden neben Diamanten u. a. Bornitrid, Borcarbid, PTFE und Siliciumcarbid in Dispersionsschichten eingelagert. Neben Schellenberg überwacht seine Kollegin Susanne Ribau die Fertigung an Produktionslinie 5. Während sie die gemessenen Schichteigenschaften am Bildschirm abliest, ist die hochspezialisierte Fertigung im unteren Teil der Halle durch ein Fenster zu sehen. Dort befindet sich der Dünnschichtbereich mit DLC-, Chrom-Nitrid und Titankarbonid-Beschichtungen, die per physikalischer Gasphasenabscheidung (PVD) auf die Bauteile aufgebracht werden. Um die Funktionalität von Oberflächen zu optimieren gibt es hier keine Tabus: Beschichtet wird nicht nur einschichtig (Single Layer) oder mehrschichtig (Multilayer), sondern auch als sogenannte Hybrid Layer in Kombination mit galvanischen oder außenstromlosen Beschichtungen.

Abhängigkeiten abbauen durch Diversifizierung

Dass der dunkelhaarige 45-Jährige heute eine kleine Firmengruppe der Oberflächentechnik leitet, hat er ursprünglich seinem aus Italien eingewanderten Großvater zu verdanken. Der in der nahegelegenen Pfannenfabrik Sigg ausgebildete Beschichter startete 1947 damit, für sein Umfeld Alltagsgegenstände wie geschliffene Scheren und Mundstücke von Blasinstrumenten zu galvanisieren. Später kamen Pfannen, Möbel, Sanitärarmaturen, Teile von Kaffeeautomaten und von Textilmaschinen dazu, die Mitte des vergangenen Jahrhunderts noch in der Region Winterthur gebaut wurden.

Susanna Ribau kontrolliert die Produktion einer Produktionslinie  für physikalische Oberflächenbeschichtung im WerkstofflaborSusanna Ribau kontrolliert die Produktion einer Produktionslinie für physikalische Oberflächenbeschichtung im Werkstofflabor

Kathrin Fröhlich und Laura Fodor (v. l. n. r.) mit Indikatoren zur  ElektrolytanalyseKathrin Fröhlich und Laura Fodor (v. l. n. r.) mit Indikatoren zur Elektrolytanalyse

Als Thomas De Martin das Geschäft 2004 mit nur 26 Jahren übernahm, fand er einen Betrieb vor, der überwiegend für die Textilindustrie fertigte. Zu riskant, befand der junge Manager, dessen Bildungshintergrund praktische Oberflächenbeschichtung sowie Management und Betriebswirtschaft umfasst. „Die Textilindustrie ist eine sehr zyklische Branche. Wir haben uns schnell diversifiziert und uns auch geografisch erweitert“, blickt Thomas De Martin zurück.

Heute wird für sechs Branchen gefertigt. Der größte Block ist mit etwas über einem Viertel des Geschäftsvolumens der Bereich Halbleiter und Leistungselektronik, dahinter folgen die Textilindustrie und der Maschinenbau. Und die Expansion geht weiter: Im ersten Halbjahr 2024 eröffnet eine Galvanik in Essingen im Remstal und auch in Wängi soll noch ein weiteres Werk gebaut werden. Spezialität in Essingen wird die Beschichtung mit Chemisch Nickel und Chemisch Nickel Dispersionsbeschichtungen sein.

Eigenschaften erzeugen mit Beschichtungen

Im zweiten Werk in Wängi, nur wenige Straßen entfernt, geht es jetzt an den Bädern für eben diese Beschichtungen vorbei. De Martin hat hier die größte Expertise, zudem beschichten drei der aktuell vier Werke mit Chemisch Nickel. Diese Oberflächenbeschichtung ist etwa für die Veredelung von Aluminium elementar, das im Automobilbau aufgrund seines geringen Gewichts immer häufiger verwendet wird. Mit Chemisch Nickel wird zum Beispiel die Traglastfähigkeit von Aluminiumbauteilen im Rennsport verbessert. Um die Verschleißbeständigkeit zu erhöhen werden Hartstoffpartikel in die Chemisch Nickel-Schicht eingelagert. Danach kann noch eine PVD-Schicht als Topcoat abgeschieden werden, um einen geringen Reibwert mit hoher Verschleißbeständigkeit zu erreichen. „Der Kunde nutzt die guten Eigenschaften von Aluminium und über die Beschichtungen holt er sich die ganzen Funktionalitäten, wie Korrosionsschutz, Verschleißschutz und die guten Reibwerte“, beschreibt Thomas De Martin die umfassenden Möglichkeiten von Oberflächentechnik aus seinem Haus. Mit Chemisch Nickel werden bei De Martin u. a. auch Planetenträger für Fahrzeuge, elektronische Parkbremssysteme und Gurtstraffsysteme beschichtet.

Thomas De Martin beschreibt die Funktionalität  eines KunstoffspritzgussformkernsThomas De Martin beschreibt die Funktionalität eines Kunstoffspritzgussformkerns

Kathrin Fröhlich zeigt ihr Tatoo. Sie ist Chemikantin im nasschemischen LaborKathrin Fröhlich zeigt ihr Tatoo. Sie ist Chemikantin im nasschemischen Labor

Besonders verschleißbeständig muss auch ein weiteres Bauteil sein, das Thomas De Martin am Rande der Bäder von einem Träger nimmt. Es ist ein Kunstoffspritzgussformkern, der in Kürze in einer speziellen Kunststoffspritzgießanlage in Osteuropa für die Fertigung von PET-Kunststoffdeckeln zum Einsatz kommen wird. Pro Schuss mit flüssigem Kunststoff entstehen je nach Form 72, 96 oder 128 Deckel. Der Kern ist aus Kupfer-Berillium, dessen Kupferanteil leicht an der rötlich glänzenden Farbe des Bauteils zu erkennen ist. „Das ist ein butterweicher Werkstoff, der zwar die richtigen Wärmeleiteigenschaften hat, aber für diesen Zweck nicht geeignet wäre, wenn nicht unsere Schichten darauf kommen würden“, erklärt der Unternehmer. Eine spezielle Hybridschicht schenkt dem Kern die richtigen Hafteigenschaften sowie den nötigen Verschleiß- und Korrosionsschutz, um den rauen Bedingungen im Werkzeug zu widerstehen: Der Kunststoff wird dort flüssig bei 200 °C in die Form geschossen, erkaltet und wird dann entnommen – und das alle zwei Sekunden. „Der Verschleiß ist heute ein Riesenthema“, betont Thomas De Martin. „Dabei können wir durch die Erhöhung des Lebenszyklus' von Komponenten einen wesentlichen Beitrag leisten.“

Physik austricksen mit Verfahrenstechnik

Weiter geht es ins nasschemische Labor, wo Laura Fodor und Kathrin Fröhlich mit Gläsern hantieren, in denen eine pinke Flüssigkeit schwappt. „Wir analysieren die Chemie der einzelnen Bäder und schauen, wo der Umschlagpunkt ist“, erklärt Chemikerin Kathrin Fröhlich. Wie eine Dispersionsschicht entsteht, ist anschließend im Werk zu besichtigen, wo ein Mitarbeiter einen Warenträger mit Teilen für die Textilmaschinenindustrie überprüft. Damit sich die einzulagernden Partikel in die Schicht aus Chemisch Nickel per Sedimentation einlagern, müssen sich die Bauteile drehen. Große Zahnräder, mit deren Hilfe die eingehängten Teile im Bad rotieren, sind am Rand des Trägers deutlich zu erkennen. Grund für das aufwendige Verfahren ist das Gewicht der Partikel, die schwerer sind als der Elektrolyt. Durch die Badbewegung werden sie in der Schwebe gehalten und lagern sich dann ein. Um in Sachen Oberflächentechnik alles unter einem Dach zu haben, werden im De Martin-Technikum auch Oberflächen per Laser strukturiert. Weitere Verfahren sind u. a. Hartchrom, Chromatieren und Passivieren.

Chemisch Nickel-BäderChemisch Nickel-Bäder

Die De Martin-Mitarbeiterinnnen Klaudia Kapron und Erika Ambrus bestücken WarenträgerDie De Martin-Mitarbeiterinnnen Klaudia Kapron und Erika Ambrus bestücken Warenträger

Vollautomatisierte Produktionslinie für chemisch Nickel-DispersionsbeschichtungenVollautomatisierte Produktionslinie für chemisch Nickel-Dispersionsbeschichtungen

Mit der Akquisition des ehemaligen Wettbewerbers Novoplan in Aalen richtet sich der Fokus des Unternehmens seit 2021 zunehmend auf die Produktion von Halbleitern. Offenbar mit Erfolg, denn die Belegschaft in der Stadt am Rande der Schwäbischen Alb wächst und wird bald 50 erreichen.

Aalen, wo De Martin eine Forschungskooperation mit der HS Aalen und Fachprofessor Timo Sörgel pflegt, ist als Hochschulstandort für die Fachkräftegewinnung günstig. Doch grundsätzlich ist die Suche nach Fachkräften angesichts niedriger Arbeitslosenzahlen und einer massiv „nach oben geschossenen Lohnspirale“ nicht einfach. Thomas De Martin beschäftigt deshalb eine sogenannte Employer-Branding Managerin, die sich um die Weiterentwicklung von Mitarbeitern, Jobattraktivität und Incentives kümmert. Bei den Neubauten wird zudem eine angenehme Arbeitsumgebung mit Sozialräumen und einer klimatisierten Produktion Wert gelegt, um Interessenten von dem Schweizer Beschichtungs-Allrounder zu überzeugen.

Die Schweiz – Insel der Glückseligen?

Und wie geht’s weiter bei De Martin? Die Bedingungen für Familienunternehmen in der Schweiz sind grundsätzlich gut und trotz der Beschränkungen im Warenverkehr des Nicht-EU-Mitglieds Schweiz sind Produktion und grenzübergreifendes Geschäft beim aktuellen Status Quo machbar. Geschäftspartner Nr. 1 ist Deutschland, dahinter folgen der Rest von Europa und punktuell auch Nordamerika und Asien. Wettbewerber sitzen derweil auch in Japan und Singapur. Beim Ausblick in die Zukunft sieht der Vater zweier 13- und 15jähriger Söhne Licht und Schatten: Die Lieferkettenschwierigkeiten angesichts von Corona und Ukrainekrieg hält er für überwunden, weil sich die Lage bei Preis und Verfügbarkeit von Salzsäure, Natronlauge und Natriumhypophosphit inzwischen etwas entspannt hat. Allerdings beunruhigen ihn EU-Entwicklungen wie das Verbrennerverbot ab 2035 und eine „desaströse“ Energiepolitik.

Beim Blick durch die großen Fenster der De MartinHauptzentrale wird klar, dass der durch das Panorama sanft ansteigender grüner Almen in der Ferne suggerierte Eindruck von immerwährender Stabilität, Wohlstand und Lebensqualität trügt. Die Komplexität der sich wandelnden globalisierten Welt hat auch in diesem vermeintlichen ruhigen Winkel Mitteleuropas längst Einzug gehalten. Thomas De Martins Rezept: „Nichts ist so stetig wie der Wandel, wir müssen uns rasant weiterentwickeln – idealerweise schneller als der Markt.“

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 4
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Robert Piterek

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