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Mittwoch, 31 Mai 2023 10:44

Wo Tradition und Innovation zusammenpassen

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Die Führungsmannschaft von Thoma Metallveredelung: Robert Rohn, Andrea Thoma-Böck, Hannes Kircher, Christine Thoma-Kemser und Reiner Kiefer (v.l.n.r.) Die Führungsmannschaft von Thoma Metallveredelung: Robert Rohn, Andrea Thoma-Böck, Hannes Kircher, Christine Thoma-Kemser und Reiner Kiefer (v.l.n.r.) (Foto: Robert Piterek)

Thoma Metallveredelung aus Heimertingen hat das EHLA-Verfahren eingeführt, um das Beschichtungsspektrum auf XXL-Bauteile zu erweitern. Der Hartverchromer schlägt damit einen alternativen Wachstumspfad ein.

Eingespannt in die Anlage rotiert die Teststange aus S235-Stahl, während das Pulver für das Extreme Hochgeschwindigkeits-Laserauftragsschweißen (EHLA) in einem Nebenraum der Fertigungszelle vorbereitet wird. Kurz darauf dringt ein gleißender Lichtstrahl aus dem Laserkopf, schmilzt einen kleinen Bereich an die Substratoberfläche funkensprühend auf und spritzt anschließend eine Schicht geschmolzenen Metallpulvers auf die Fläche – je nach gewünschter Oberflächeneigenschaft mit Eisen, Nickel, Carbid oder einer Mischung daraus. Das Verfahren, das hinter dem kleinen Sichtfenster der hochmodernen Fertigungszelle zu beobachten ist, beschichtet extrem energieeffizient. 1,5 bis 4 kW Leistung richten sich nur auf den Laserspot mit einer Größe von nur rund 1 bis 2 Millimeter und doch werden beachtliche Beschichtungsgeschwindigkeiten von 40 bis 200 Metern pro Minute bei Schichtstärken ab 25 μm erreicht. Damit hat das vor rund zehn Jahren vom Fraunhofer Institut für Lasertechnik ILT entwickelte Verfahren den industriellen Reifetest bestanden.

Die galvanische Beschichtung mit Zink und Zinklegierung ist eine weiteres Standbein des Geschäfts von Thoma Metallveredelung

Pionier der industriellen Erprobung

Ort des Geschehens ist nicht etwa ein neuer industrieller Laserfertigungskomplex, Pionier bei der industriellen Erprobung des Verfahrens ist das Galvanikunternehmen Thoma Metallveredelung in Heimertingen nahe Memmingen, ein Betrieb, der auf eine 99jährige Unternehmensgeschichte zurückblickt. „Mit EHLA habe ich keine Haftungsprobleme, es bietet eine supereffiziente Energieeinbringung und auch das Pulver wird extrem effizient eingesetzt“, schwärmt Thoma-Geschäftsführerin Andrea Thoma-Böck, die den Familienbetrieb mit ihrer Schwester Christine Thoma-Kemser leitet. Ihr Technischer Werksleiter und Galvanotechniker Hannes Kircher beschreibt das Fertigungsverfahren als Mischung aus normalem Laserauftragsschweißen und thermischem Spritzen, bei dem per Gasstrom aufgeschmolzenes Metallpulver auf Oberflächen geschleudert wird. Daher stammen auch die in Heimertingen verwendeten Pulver. Unterschiede gibt es nur bei der Korngröße.

Kircher und sein Kollege und Stellvertreter Michael Tönnjes, ebenfalls Galvanotechniker, betreuen die Produktionsvorbereitungen der EHLA-Anlage und arbeiten sich seit einiger Zeit emsig in die Materie ein. Das Unternehmen hat sich ohne vorliegende Kundenaufträge für die Einführung des Verfahrens mit einem siebenstelligen Betrag entschieden. Eine Investition in die Zukunft nach dem Motto „Tradition und Innovation“, einer Unternehmensphilosophie, die das Bestehen des Familienunternehmens Andrea Thoma-Böck zufolge seit fast einem Jahrhundert sicherstellt. Aktuell wird ein Labor aufgebaut, um Schliff- und Schichtanalysen eigenständig durchzuführen und neue Pulver- und Werkstoffkombinationen zu testen. Bis hier aber per Laser in großem Stil beschichtet wird, kommt noch einige Entwicklungsarbeit auf die Heimertinger Galvaniker zu.

EHLA: Beschichten, Reparieren, Ausbessern

Auch wenn keine Kundenaufträge die bevorstehende Einführung untermauern, hat es handfeste wirtschaftliche Gründe, warum Thoma Metallveredelung auf den neuartigen Prozess setzt. Der Betrieb mit seinen rund 130 Mitarbeitern ist bekannt für die Hartverchromung. Die Kunden kommen aus der Hydraulikindustrie, dem Bereich Erdbewegung, der für Kräne und Bagger spezielle rotationssymmetrische Bauteile braucht, und der Walzenindustrie. Bislang werden in den speziellen Chrombädern der Werkshallen Hydraulikstangen und weitere XXL-Komponenten von bis zu 3,80 Meter Länge verschleiß- und korrosionsbeständig gemacht. Von Kundenseite gewünscht sind aber auch größere Abmessungen.

Das Verfahren ist in der Lage, bis zu 6 Meter lange rotationssymmetrische Bauteile zu beschichten.

Michael Tönnjes, Stellvertretender, und Hannes Kircher, Technischer Leiter (v.r.n.l.). Die beiden Galvanotechniker betreuen die Produktionsvorbereitungen der EHLA-Anlage und haben sich seit 2021 in die Materie eingearbeitetUnd hier kommt EHLA ins Spiel: Das Verfahren ist in der Lage, bis zu 6 Meter lange rotationssymmetrische Bauteile zu beschichten. Doch nicht nur die Dimensionen des Beschichtungsspektrums erweitern sich, es bieten sich auch andere Möglichkeiten: „Stellen können ausgefräst und mit EHLA aufgefüllt werden“, beschreibt Thoma-Böck begeistert die Reparaturbeschichtung mit dem Laserverfahren. Hinzu kommen die Anpassung von Bauteilen z. B. mit Untermaß und die nahezu unbegrenzt variierbaren Pulverzusammensetzungen, mit denen sich die Eigenschaften von Oberflächen steuern und gezielt auf die Kundenanforderungen anpassen lassen. „Carbid verschafft der Oberfläche Härte, Nickel Korrosionsbeständigkeit und Eisen von Beidem etwas“, skizziert Vertriebsleiter und Galvanomeister Robert Rohn die Optionen, die allein die bislang eingesetzten Metallpulver bieten.

Umweltpreis für ausgefeilte Galvanotechnik

In den Werkshallen wird unterdessen wie eh und je in Chrombädern beschichtet, galvanisch verzinkt und chemisch vernickelt. Auch die Hybridbeschichtung aus Chemisch Nickel und Hartchrom ist beliebt und der größte Umsatzbringer. 600 bis 800 Kunden verlassen sich auf die Qualitätsarbeit aus dem Hause Thoma.

Bei der Besichtigung geht es vorbei an der mechanischen Bearbeitung, auf dem Weg zeigt Kircher mit der Hand in Richtung weiterer Fertigungsbereiche wie Abwasserbehandlung, Qualitätsmanagement und Versand. Vier Handverchromungsanlagen sind in Heimertingen im Einsatz. Über einem runden Bad ist ein Bauteil – mutmaßlich eine überdimensionale Kolbenstange – fest fixiert und partiell abgeklebt, dann wird es ins Bad hinabgelassen. Im Unterschied zum Verzinken und Vernickeln wird beim Verchromen deutlich mehr Strom benötigt. Die feste Fixierung der Bauteile sichert die erforderliche kontinuierliche Kontaktierung. Wird der Strom dann angestellt, fließen bis zu 8000 Ampere. Das ist erforderlich, weil die Stromausbeute beim Verchromen mit 25 % deutlich schlechter ist als bei anderen galvanischen Verfahren. Viel bringt viel – aber nicht nur.

In der Anlage bewegen sich 8000 Liter 88 Grad warmer Elektrolyt

Hartchromspezialist Thoma Metallveredelung hat mit einer Anlage den Umweltpreis gewonnen, bei der die Stromausbeute beim Prozess zwar unverändert bleibt, aber der Wirkungsgrad, also die Prozesseffizienz der Anlage, auf 95 % erhöht werden konnte – „mit Rückgewinnung, Stromführung und Reaktortechnik“, wie Kircher stolz erklärt. Der heutige Technische Leiter hat sein Handwerk ursprünglich bei Prof. Unruh in Nürnberg gelernt. Beim feinen Unterschied zwischen Wirkungsgrad und Stromausbeute, der für Prof. Unruh immer wichtig war, erinnert sich Kircher immer noch gern an die Galvanotechnik-Koryphäe.

Rotationssymmetrische Bauteile sind die Spezialität von Thoma Metallveredelung in HeimertingenDie Anlage hat auch einen praktischen Vorteil: Sie ist doppelt so schnell. Stolz ist man hier auch auf die beliebten Hybridschichten, bei denen Thoma Metallveredelung schon einmal zu den Technologiepionieren gehört hat: „Diese Anlage ist von 1992“, erklärt Kircher. „Sie kann bis zu 3 Meter lange Bauteile chemisch vernickeln. In der Anlage bewegen sich 8000 Liter 88 Grad warmer Elektrolyt – sehr energieintensiv, aber es ist auch eine sehr gute Beschichtung in Sachen Korrosionsschutz“, betont er. Was auffällt: Viele Anlagen wurden mit neuen, größeren Gleichrichtern ausgestattet. Die Technik ist auf dem neuesten Stand. Effizienz, Umweltschutz, Rückgewinnung und Arbeitsschutz sind hier die Zauberwörter.

Reglementierung bremst Wachstum

Ein interessanter Service ist die mobile Galvanik. Mittels Tampongalvanisierung können kleinere Stellen repariert und selektiv ausgebessert werdenNeben dem Innovationsbekenntnis gibt es dafür aber noch einen anderen Grund. Bei der recht hohen Mitarbeiterzahl des Familienunternehmens und der damit einhergehenden Menge an eingesetzten Chemikalien gilt Thoma Metallveredelung als sogenannter Störfallbetrieb. „Wir sind immer auf dem Schirm“, betont Robert Rohn, der ursprünglich aus dem Eloxal-Bereich kommt. Störfallbetriebe dürfen sich nicht ohne weiteres vergrößern und werden regelmäßig überprüft. Diese Reglementierung ist mit ein Grund, warum Thoma Metallveredelung in die nicht energieintensive und nicht elektrochemische EHLA-Technologie einsteigt, auch wenn das Verfahren – wie Andrea Thoma-Böck betont – derzeit nur eine Ergänzung des bisherigen Beschichtungsangebots darstellt.

„Die Eigenschaften einer Hartchromschicht sind derzeit technisch mit keinem anderen Verfahren vollumfänglich zu reproduzieren“

„Die Eigenschaften einer Hartchromschicht sind derzeit technisch mit keinem anderen Verfahren vollumfänglich zu reproduzieren“, betont die Unternehmerin, die in der Branche zu einer Galionsfigur für einen Industriestrompreis und eine transparente Chemikaliengesetzgebung geworden ist und darüber hinaus den allgemeinen Investitionsstau beklagt. Für die Firmenchefin, die gemeinsam mit ihrer Schwester Veranstwortung für eine Belegschaft von weit über 100 Mitarbeitern trägt, ist die Entwicklung des Unternehmens durch die Unklarheiten der aktuellen Chemikaliengesetzgebung stark beeinträchtigt. Die gewünschte Substitution von Hartchrom in Form galvanotechnischer Verfahren, sei erst dann sinnvoll möglich, wenn die vom „essential use“ im Rahmen des Green Deal betroffenen Stoffe bekannt seien, argumentiert sie. Hintergrund: Solange hier Unklarheit herrscht, können keine zielgerichteten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten stattfinden. Nachdem Thoma Metallveredelung fast ein Jahrhundert gut mit der Unternehmensphilosophie Tradition und Innovation gefahren ist, dürfte diese Strategie auch in diesem Fall aufgehen – denn ein innovativer und vielversprechender Weg ist die EHLA-Technologie allemal.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 5
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Robert Piterek

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