
Ernst Peter Fischer
Der diplomierte Physiker, promovierte Biologe und habilitierte Wissenschaftshistoriker ist Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Uni Heidelberg. Er ist Buchautor und hat zahlteiche Auszeichnungen erhalten.
Mensch oder Maschine?
Anfang 2023 ist viel von KI – künstlicher Intelligenz – die Rede, die schon länger Schachchampions schlagen kann und inzwischen auch den Weltmeister im Brettspiel Go besiegt hat. Solche Triumphe haben dazu geführt, die KI höher zu bewerten als menschliche Intelligenz. Zwar erinnern Philosophen daran, dass intelligente Entscheidungen – auch Züge beim Schach – in die Zukunft reichen und Maschinen nichts von einer Zeit wissen, die vor ihnen liegt.
Die Zukunft bleibt unvorhersehbar
"Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.“ Diese Formulierung stammt von Wilhelm Busch. Seit seinen Tagen hängen das Leben und der Wohlstand in europäischen Breiten von Wissenschaft und Technik ab. Bevor beide zum Beruf wurden, ließen sich Menschen wie Alexander von Humboldt oder Johann Wolfgang von Goethe von ihrer Neugierde auf die Natur treiben, und sie unternahmen ihre Beobachtungen, um ihren eigenen Platz im kosmischen Gefüge finden zu können.
Im Gegenteil - Fiktive Physik
Wer die Frage stellt, was die Spezies Homo sapiens so erfolgreich gemacht hat, bekommt als eine mögliche Antwort, dass es den Menschen gelungen ist, der realen Welt mit ihren Bäumen und Bergen eine fiktive Ausgabe erst an die Seite zu stellen und diese ausgedachte Sphäre anschließend wichtiger als die Wirklichkeit werden zu lassen. Beispiele für solche Fiktionen sind Staaten, Menschenrechte, Geld, Unternehmen und vieles mehr, was nur in Gedanken existiert.
Im Gegenteil - Atome und Mystik
Im Juni 1938 hat der Literaturkritiker und Philosoph Walter Benjamin aus Paris einen Brief an seinen jüdischen Freund Gershom Scholem geschrieben, in dem aus dem Buch „Weltbild der Physik“ von Arthur S. Eddington zitiert wird, das 1934 erschienen ist. Eddington geht auf die Einsichten seiner Wissenschaft ein, und es scheint ihm „leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn dass ein Physiker eine Türschwelle durchschreite“, schließlich hat ein „Brett keine feste Substanz“, wie die Quantentheorie der Atome zeigen kann.
Im Gegenteil - Fuchs und Igel
In seinem Essay „Der Igel und der Fuchs“, in dem Ideenhistoriker Isaiah Berlin das Geschichtsverständnis von Leo Tolstoi beschreiben will, erklärt er zuerst den wunderlichen Titel, der auf den griechischen Dichter Archilochos zurückgeht, von dem zu lesen ist: „Der Fuchs weiß viele Dinge, aber der Igel weiß eine große Sache.“ Berlin unterteilte große Geister auf diese Weise in Kategorien, zum Beispiel Dante als Igel und Shakespeare als Fuchs, was er fortsetzte, um Goethe und Joyce den Füchsen und Proust und Dostojewski den Stacheltieren zuzuschlagen.
Im Gegenteil - Bitch - von der Ähnlichkeit zwischen Frau und Mann
Das Schimpfwort „bitch“ ist auf den ersten Blick kein Kompliment, was aber nicht so bleiben muss. Die britische Zoologin Lucy Cooke hat jetzt ein Buch mit dem Titel „Bitch“ publiziert, in dem sie das bietet, was im Untertitel als „a revolutionary guide to sex, evolution and the female animal“ angekündigt wird.
Im Gegenteil - Der Tanz um eine Mitte
Wer Medizin studiert, muss durch den Fluss waten, den die Biochemie seit dem 19. Jahrhundert immer weiter verbreitert. Noch bevor künftige Ärztinnen und Ärzte ihre ersten Patientinnen und Patienten zu sehen bekommen, müssen sie auswendig lernen, was die Lehrbücher auf engbedruckten Seiten mit oftmals unverständlich bleibenden Namen präsentieren.
Im Gegenteil - Man sieht nur die im Lichte
"Und die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht. Und man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ So kann man es in der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht hören oder lesen, und was im Theater als Hinweis auf soziale Missstände und die ungerechte Verteilung von Wohlstand gemeint war, kann auch auf die Geschichte der Wissenschaft übertragen werden, wie der britische Historiker James Poskett in seinem Buch über „die globale Geschichte der Wissenschaft“ herausgearbeitet hat, der er den Titel „Horizonte“ gegeben hat.
Im Gegenteil - Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt
Menschen streben von Natur aus nach Wissen und wollen erfahren, was ihnen die Zukunft bringt. Aus diesem Grund haben aufrecht Gehende schon immer mit erhobenem Haupt die Sterne am Himmel beobachtet, um dort nach Zeichen zu suchen, und so haben sie angefangen, Astrologie zu treiben, was sich im öffentlichen Leben der Moderne als breites Interesse an Horoskopen gehalten hat und in einer sich als aufgeklärt verstehenden Wissensgesellschaft verwundern sollte. Das gilt auch für die Tatsache, dass Menschen heute lieber mit abgeknickten Köpfen nach unten auf ihre iPhones starren als mit den Augen zu den Sternen aufzublicken.
Im Gegenteil - Romantische Umkehrungen
Wie Copernikus machens alle guten Forscher – Aerzte, und Beobachter und Denker – Sie drehn die Data und die Methode um, um zu sehen, obs da nicht besser geht. Der Satz kommt mit eigenwilligen Wortbildungen daher, aber als der junge romantische Dichter Friedrich von Hardenberg (1772–1801) um 1798 einige „Fragmente“ wie den zitierten Satz verfasste, hatte die deutsche Sprache ihren klassischen Zustand noch nicht erreicht.