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Dienstag, 12 Mai 2020 11:28

Sitzt, wackelt und hat Luft

von
Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten
Abb. 1: Dieser Autofahrer hat vielleicht den Spruch falsch verstanden Abb. 1: Dieser Autofahrer hat vielleicht den Spruch falsch verstanden
Die Redensart gehört für Norbert, einer meiner kanadischen Freunde und ein hervorragender Schreiner, zu den liebsten aus der einstigen Heimat. Dennoch waren seine Tische und Stühle so genau gerabeitet, dass sie auch ohne kalten Leim und heiße Nägel nicht wackelten. Aktuell wirbt auch die Textilbranche mit diesem Spruch für ein Online-Tool, mit dem Frauen einen BH in richtiger Passform und Größe finden. Ob Feministinnen an diesem Bedeutungswandel etwas auszusetzen haben, ist bislang nicht bekannt – aber die ursprüngliche Sinnverbindung zum Handwerklichen scheint mehr und mehr verloren zu gehen.
Ob vielleicht deshalb viele Prozessingenieure oft wunderliche Fragen zum Beispiel über die Durchmesser von durchkontaktierten Löchern in ihren Leiterplatten stellen, statt dies ihren mehr oder weniger fähigen Kollegen im Layout-Büro zu überlassen? Nein, sie stecken ihren Kopf weit heraus und wollen diese diffizile Frage ergründen.
 
Wie so viele Detailfragen beim Löten hat auch diese einen weitgestreuten Hintergrund, so dass man inzwischen schon einige Bezeichnungen für gewisse Charakteristika gefunden hat. ‚Aspect Ratio‘ bezeichnet etwa das Verhältnis des kleinsten Durchmessers einer Durchkontaktierung einer Leiterplatte zu deren Dicke.
Abb. 2: Moderne Leiterplatten-Bohrmaschine (DrilCare)Abb. 2: Moderne Leiterplatten-Bohrmaschine (DrilCare)
 
Zu diesem Begriff hat man sich durchgerungen, weil das mit Kosten zu tun hat. Die Hersteller von Leiterplatten, die Fab-Häuser, sehen sich immer mehr gefordert, dicke Leiterplatten mit sehr feinen Durchkontaktierungen herzustellen.
 
Abb. 3: Maximale Belastung einer DK während thermischer Wechselbelastung bei 150 °C [2]Abb. 3: Maximale Belastung einer DK während thermischer Wechselbelastung bei 150 °C [2]
Je dicker die Leiterplatte, desto anspruchsvoller ist es, dünne Löcher mechanisch zu erzeugen. Dabei muss man sich stets daran erinnern, dass keine einzelnen Leiterplatten mehr gebohrt werden sondern Stapel – und dabei kommen teure Maschinen zum Einsatz. Die kleinsten mechanisch gebohrten Löcher werden mit 0,006“ (0,1524 mm) angegeben. Alles darunter wird an den Laser delegiert, der auch noch 0,002“ (0,0508 mm) schafft. Zwingt man das Fab-Haus den Laser zu verwenden, kostet das extra Moneten.
 
Zudem sind dünne Löcher in dicken Leiterplatten auch schwer mit Kupfer zu beschichten. Ein gleichmäßiger Kupferbelag ist dann nur, wenn überhaupt, mit einer ausnehmend vorsichtigen und langsamen und eventuell wiederholten Beschichtung machbar, was wiederum die Kosten nach oben treibt.
 
Der Kupferbelag ist nicht nur für die elektrische Leitfähigkeit wichtig, sondern auch für das Lot und dessen Benetzung sowie für die Zuverlässigkeit. Wird die Leiterplatte gestresst, wie etwa in einer Klimakammer, kann es bei ungenügender Kupferdicke und -gleichmäßigkeit zu Rissen kommen.
 
Abb. 4: Verbleibender Stress nach drei ZyklenAbb. 4: Verbleibender Stress nach drei Zyklen
‚Aspect Ratios‘ von 1:4 stellen keine Probleme dar, aber wenn es in Richtung 1:10 geht, wird die Auswahl an Fab-Häusern schon sehr ausgedünnt und bei 1:15 erreicht man derzeit wohl das Ende der Fahnenstange.
 
Übersetzen wir das noch schnell in tatsächliche Maße, so spricht man bei einer 1,60 mm dicken Leiterplatte mit einer kleinsten Durchkontaktierung von 0,40 mm von einem ‚Aspect Ratio‘ 1:4.
 
Unser vorhin angeführter Ingenieur sollte auch nicht vergessen, mit dem Bestücker zu sprechen, denn die Vorgaben für Lochdurchmesser hängen zum Teil davon ab, wie die Bauteile eingefädelt werden. Handbestückung ist anders als Maschinebenstückung. Gute Handbestücker*innen bekommen die Bauteile in viel engere Löcher als Maschinen, bei denen es natürlich auch noch Unterschiede gibt. Also Toleranzberechnung geht in die Überlegung auch mit ein.
 
Grundsätzlich hängt der Lochdurchmesser vom Draht des Bauteils ab, wenn es sich nicht nur um Umsteiger handelt. Je dicker der Draht desto größer muss das Loch sein. Stecker mit vielen Stiften verlangen gröbere Toleranzen als Bauteile mit nur zwei Drahtanschlüssen. Runde Drähte werden anders berechnet als quadratische oder rechteckige Stifte.
 
Schließlich will man auch noch Lot in den Spalt bekommen und da meldet sich wieder die Benetzung und was man so unter Kapillaren versteht. Lot netzt in die Durchkontaktierung, es wird nicht hineingepresst, was uns sofort dann noch auf die Lötmethode bringt, die Lötbarkeit der Leiterplatte und der Anschlussdrähte.
 
Schwalllöten ist anders als Selektivlöten und das ist wiederum anders als durchkontatiertes Reflowlöten. Bleifrei wirft nun auch Sand ins Getriebe, denn bleihaltig war nicht nur einfacher zu handhaben sondern benetzte wegen der Überhitze (Schmelzpunkt am Eutektikum von SnPb etwa 183 °C, Löttemperatur ca. 250 °C und somit eine ‚Übertemperatur‘ von ca. 67 K – Schmelzpunkt von eutektischem SnAgCu etwa 217 °C, Löttemperatur ca. 265 °C und somit eine ‚Übertemperatur‘ von 48 K – bei anderen bleifreien Legierungen sieht die Chose noch schlechter aus) auch besser.
 
Abb. 5: Pin-in-Paste Lötstelle mit wenigen Lunkern – PtH-Ratio > 0,625 (B. Coleman)Abb. 5: Pin-in-Paste Lötstelle mit wenigen Lunkern – PtH-Ratio > 0,625 (B. Coleman)
Das hängt mit solchen Parametern wie Kontaktzeit und Löttemperatur zusammen. Dabei wollen wir auch nicht den Einfluss des Flussmittels verschweigen.
 
Kontaktzeiten beim Schwalllöten liegen meist zwischen 3 und 7 Sekunden. Die Lottemperatur am Scheitel des Schwalls ist etwas niedriger als die im Tiegel selbst gemessene, der Abstand der Vorheizung vom Schwall meist nur einige Sekunden. Der ganze Lötprozess ist also recht gut unter Kontrolle.
 
Beim Selektivlöten kommt es auf den Typ der Maschine an. Wird mit einem Transportband gearbeitet, so sieht die bestückte Baugruppe die Vorheizung auch nur einige Sekunden vor dem Kontakt mit dem Lot. Die Kamine sind jedoch weit kleiner und höher und somit die Kontaktzeit kürzer. Zwar können sie durch einen langsameren Transport auch verlängert werden, aber dann verschlechtert sich nicht nur der Abriss sondern die Produktion muss Einbußen in Kauf nehmen – es fallen weniger Produkte vom Band als ursprünglich geplant.
 
In Selektivanlagen ist wegen der hohen Kamine auch die Lottemperatur anders gewählt: 285 °C und drüber bedeutet jedoch nicht, dass man 265 °C am Scheitel des Minischwalls messen kann.
 
Wird ein Robotersystem zum Halten der Baugruppe verwendet, dann ist der zeitliche Abstand zwischen Vorheizung und Löten meist länger. Wird simultan auf mehrere Mini-Schwälle abgesenkt, läuft man gelegentlich in Koplanaritätsbedingungen, die mit normalen Pumpen kaum gelöst werden können. Wird sequentiell gearbeitet sieht der Mini-Schwall an der ersten Lötstelle eine heißere Leiterplatte als an der letzten. Alles potentielle Benetzungsprobleme für die angefragte Durchkontaktierung.
 
Abb. 6: Pin-in-Paste Lötstelle mit Lunkern – PtH-Ratio < 0,625 (B. Coleman)Abb. 6: Pin-in-Paste Lötstelle mit Lunkern – PtH-Ratio < 0,625 (B. Coleman)
Einige weitere jedoch andersgeartete Ansprüche findet man bei PiP Prozessen. Da Paste gedruckt wird, ist die Lochgröße auch hier von Bedeutung. Nicht nur das Füllen wird hinterfragt sondern auch das Durchfallen der Paste, besonders bei Temperaturunterschieden und dem Einstecken der Bauteile. Fehlt Paste, ist die Lötstelle mager.
 
Weniger ‚aspect ratio‘ als vielmehr ‚pin-to-hole ratio‘ hat einen Einfluss auf Blasen und Lunker in den Lötstellen, natürlich in Abhängigkeit von der verwendeten Paste. Das Verhältnis des Durchmessers des Drahtes zum Durchmesser der Durchkontaktierung beeinflusst wie viel entstehendes Gas sich in der Lötstelle ansammeln kann. Bei derartigen Versuchen muss man jedoch nicht nur die verwendete Paste in die Überlegungen mit einbeziehen sondern auch das Reflowprofil genau unter die Lupe nehmen, denn die Viskosität des geschmolzenen Lots hängt stark von der erlebten Temperatur ab.
 
Empfehlungen, die lichte Weite des Durchkontaktierung eng zu fassen, sehen auf die Schwierigkeit, die geforderte Menge an Metall zur Verfügung zu stellen. Wird das jedoch ‚übertrieben‘ findet man mehr Lunker in der Lötstelle.
 
Proportionen so um die 0,625 und etwas größer scheinen sich in vielen Fällen bezüglich Lunker gut zu schlagen. Darunter hat man mehr Luft, sprich: Gas in der Lötstelle.
 
Referenzen
  1. umgangssprachlich-scherzhafter Kommentar (besonders von Handwerkern), wenn etwas zwar nicht perfekt, aber doch erfolgreich angebracht, befestigt, an- oder eingebaut wurde. Laut www.redensarten-index.de ab etwa 1930 in Gebrauch
  2. Craig Hillman, Ph.D.¸ Reliable Plated Through Via Design and Fabrication

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  • Ausgabe: 5
  • Jahr: 2020
  • Autoren: Prof. Armin Rahn
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