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Freitag, 17 Juli 2020 07:00

Auf den Punkt gebracht: Ein Schweizer Konditor unter Großbäckern

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Geschätzte Lesezeit: 4 - 8 Minuten
Abb 4: Hochfrequenz Leiterplatten bis 110 GHz mit Basismaterial von Neltec, Rogers, Taconic, Panasonic, Isola etc. Abb 4: Hochfrequenz Leiterplatten bis 110 GHz mit Basismaterial von Neltec, Rogers, Taconic, Panasonic, Isola etc.

Manche Geschichte beginnt außergewöhnlich und setzt sich außergewöhnlich fort. Sie ist ein Beispiel für Initiative, Engagement und Mut, sprich Entrepreneurship. Hier ist es die Geschichte des Schweizer Leiterplattenherstellers Varioprint, der vielleicht nach dem Motto „in jeder Krise liegt eine Chance“ stolze 50 Jahre in einer wettbewerbsintensiven Branche erfolgreich überlebt hat.

50 Jahre Varioprint und ein besonderer Eigentümerwechsel

Am 16. Februar 1970 wurde Varioprint AG von Juan Jans und einigen anderen als Leiterplattenhersteller in Heiden im schweizerischen Appenzeller Land gegründet Abb 1: Wie alles begann, Varioprint AG in den 70ernAbb 1: Wie alles begann, Varioprint AG in den 70ern  (Abb. 1). Anfang der 90er Jahre, die konjunkturelle Lage war schwierig, geriet die Varioprint mit ihren 80 Mitarbeitern in eine finanzielle Schieflage.

Der damalige Geschäftsführer Andreas Schmidheini von Tyco Electronics und vier weitere dazugestoßene Führungskräfte entschlossen sich 1993 zu einem Management Buy Out (MBO), um die Firma mit ihren Mitarbeitern und ihre eigenen Arbeitsplätze zu retten.

„Wir glauben an die Zukunft dieser Firma, denn wir sind technisch an vorderster Front dabei. Doch es braucht auch unheimlich viel Mut, um dieses Projekt anzugehen“ fasste Andreas Schmidheini damals die Stimmung zusammen. 

1993 versus 2020, eine Erfolgsgeschichte

Während 1993, beim 1. Management Buy Out (MBO) der Varioprint AG, nur 5% der Leiterplatten Weltproduktion in Asien produziert wurde, sind es heute 90%.
Dagegen ist der AnAbb. 2: Varioprint AG heute in Heiden/Appenzellerland oberhalb vom BodenseeAbb. 2: Varioprint AG heute in Heiden/Appenzellerland oberhalb vom Bodenseeteil von Europa und den USA auf 10% geschrumpft.

Vor 30 Jahren gab es in Europa über 1000 Leiterplattenhersteller, in diesem Jahr bleiben kaum mehr als 180 Unternehmen, heute inclusive Ostblock, übrig.

Varioprint erwirtschaftete 1993 rund 12 Mio. Schweizer Franken Umsatz mit 83 Mitarbeitern. Im Coronajahr 2020 hat man sich 33 Mio. CHF mit einer Belegschaft von 145 Mitarbeitern als Ziel gesetzt.

Damals waren Leiterbahnbreiten von 200 µm (Breite von 3 menschlichen Haaren) die Herausforderung, heute sind 35 µm (1/2 menschliches Haar) State of the Art, um wettbewerbsfähig zu sein.

Auch zwischen den Preisen 1993 versus 2020 liegen Welten. Erzielte man seinerzeit für eine Leiterplatte für einem Stromzähler von Landis & Gyr stolze 19 CHF, gibt es diese heute für 2,10 CHF aus Asien.

Abb. 3: Branchenmix Varioprint AGAbb. 3: Branchenmix Varioprint AG

 Branchenmix Varioprint AG: Etwa 25% der Leiterplatten gehen jeweils in Medizin- und in Industrie- Applikationen, rund 15% werden in der Telekommunikation und in der Militärtechnik eingesetzt, rund 10% im Segment Hightech & Life Science sowie im Automotive (Abb. 3).

Hohe Investitionsrate sichert Zukunft

Abb. 5: Flex-Leiterplatte min. Materialdicke 12,5 µm und minimale Leiterbahnbreite 35 µmAbb. 5: Flex-Leiterplatte min. Materialdicke 12,5 µm und minimale Leiterbahnbreite 35 µmEine zukunftsgerichtete und langfristig orientierte Innovationspolitik deckt die Anforderungen von morgen ab. Man investiert jährlich durchschnittlich 10 % des Umsatzes in neue Anlagen/Technologien und dokumentiert damit den hohen Innovationsgrad.

Mit der Strategie der Konzentration auf wertschöpfungsstarke Produkte hat sich ein rasanter Wandel von der einfachen Leiterplatte mit einer Leiterbahnbreite von 150 µm bis hin zu hochkomplexen Strukturen mit 35 µm Leiterbahnen vollzogen (Abb. 4/5). Seit kurzem integriert die Varioprint AG als weltweit erste Firma auch optische Wellenleiter in der Leiterplatte – eine Technologie, welche die Übertragungsgeschwindigkeit um Faktoren erhöht und Anwendung sowohl in der Telekommunikation als auch in der Sensortechnik findet. 

Fragen an den Alt-Eigentümer

PLUS: Welche Trends sehen Sie heute als Markttreiber?

Andreas Schmidheini: Der Trend Richtung Miniaturisierung und höherer Packungsdichte setzt sich weiterhin fort. Damit verbunden sind hohe Anforderungen an die Feinstleitertechnik (Leiterbahnbreite/Leiterbahnabstand, Lochdurchmesser), auf die wir mit Investitionen in neueste Anlagen schnell reagiert haben. Materialmässig sind dünnere Materialien mit hoher Stabilität gefordert.

Welche Technologien werden zukünftig von erfolgreichen LP Herstellern in Europa gefordert?

Nebst obigen Trends der Miniaturisierung wird die Beherrschung von Frequenzen im mm- und µm-Wellenbereich zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor, welcher hohe Kompetenzen im Materialbereich und bei der Metallisierung von dünnen Schichten erfordert. Die Chip- und die Leiterplattenindustrie wachsen zunehmend zusammen und die Technologie integrierter optischer Wellenleiter wird dabei ein wichtige Rolle spielen.

Wie hat sich Ihr Unternehmen durch die Corona-Krise verändert?

Mit der Corona-Krise haben wir unsere interne Vernetzung zu Homeoffices und die Fähigkeit von Video-Kommunikation mit Kunden und Lieferanten stark ausgebaut. Unser rasches Krisenmanagement und die getroffenen Schutzmaßnahmen erlaubten es uns, die Fertigung im Schichtbetrieb ohne Unterbruch aufrecht zu halten.

In welchen Marktsegmenten sind sie hauptsächlich tätig und wo erwarten Sie weiteres Wachstumspotential für Ihr Unternehmen?

Traditionell sind wir sehr breit diversifiziert und unser Technologieportfolio ermöglicht weiteres Wachstum im Speziellen in den Märkten Medizin und Telekommunikation. Als Beispiele seien hier komplexe Hochfrequenz-Schaltungen, Überformat-Leiterplatten, Starrflexboards und Hybridaufbauten oder optische Leiterplatten erwähnt. Wir differenzieren uns über neue Technologien und durch unsere kompetente Beratung und Unterstützung bei anspruchsvollen Projekten.

Varioprint ist im Hochlohnland Schweiz beheimatet. Welche Bedeutung hat der Export für Ihr Unternehmen?

Varioprint ist global tätig und betrachtet sich als Spezialist für komplexe Anforderungen. Der Export beträgt mittlerweile 75% und ist ein tragender Pfeiler unserer Firma. Für große Projekte im Automobilbereich arbeiten wir erfolgreich mit der Firma Dynamic aus Taiwan zusammen.

Haben Sie mit der Vernetzung der Arbeitsabläufe in Richtung Industrie 4.0 begonnen?

Seit Jahren achten wir darauf, dass unsere Anlagen Schnittstellen aufweisen, damit wir über die gesammelten Daten Prozesse überwachen und steuern können. Industrie 4.0 hat bei uns eine sehr hohe Bedeutung, diese wird weiter zunehmen.

Haben Sie noch ausreichend Lieferanten in Europa?

Wenn man sich die Frage nach Risiken stellt, steht an erster Stelle die Lieferantenbasis. Diese bröckelt leider weiter und verlagert sich zunehmend nach Asien. Zurzeit werden wir noch ausreichend aus Europa versorgt. Die langjährigen und engen Partnerschaften mit unseren Lieferanten helfen uns sehr, die Risiken der Versorgungssicherheit zu minimieren, gerade in der momentanen Phase von Covid-19.

Was macht Varioprint erfolgreich? Warum kommen die Kunden zu Ihnen?

Nebst den technologischen Fähigkeiten, gestützt auf langjähriger Erfahrung und modernsten Anlagen, sind es unsere Werte: Vertrauen – Verantwortung – Verlässlichkeit und die schnellen und kurzen Entscheidungswege, die unsere Kunden begeistern. Als inhabergeführte Firma verstehen wir die Kundenbedürfnisse und wollen diese mit einer engagierten Belegschaft übertreffen.

Sie sind seit 1993 mit Ihren Kollegen den harten Weg eines MBO gegangen. Was motiviert Sie und die Alt-Aktionäre diesen Weg bisherigen Mitarbeitern einer neuen Kadergeneration zu öffnen?

Meine Kollegen und ich erreichen mit dreißig und mehr Jahren Betriebszugehörigkeit das Pensionierungsalter. Es wird damit Zeit loszulassen. Wir übergeben unser Lebenswerk an die nächste Generation, um damit langfristig die Firma, den Standort, die Kultur, den Spirit und die Verbindlichkeit unseren Geschäftspartnern gegenüber zu sichern und die technologische Weiterentwicklung zu garantieren. Die Firma bleibt inhabergeführt – der entscheidende Erfolgsfaktor auch für die Zukunft!

Welche Eigenschaften waren für Sie bei den neuen Eigentümern wichtig, die ein Finanzinvestor oder Mit-bewerber als Käufer vielleicht nicht mitgebracht hätte?

Mein Nachfolger Nicolas Härtsch (oben) und sein Team kennen durch ihre Tätigkeit die Komplexität der Branche, die Produkte und unsere Prozesse und sind deshalb in der Lage, die Firma konzeptionell und strategisch weiterzuentwickeln. Sozialkompetenz, Führungserfahrung, Unternehmergeist und Leidenschaft sind wesentliche Eigenschaften. Bei einem Finanzinvestor als möglichen Käufer wäre die interne Akzeptanz nicht gegeben gewesen. Das Risiko eines Kulturwandels und einer zu erwartenden Personalfluktuation wollten wir nicht eingehen. Mit dem gewählten Konzept kann das vorhandene „feu sacré“ weiterhin erfolgreich eingesetzt werden (Anm. d. Red. Das heilige Feuer, die Begeisterung, das Brennen für eine Aufgabe).

Begleiten Sie Varioprint noch in der Zukunft?

Ich wechsle Ende Juni 2020 aus meiner CEO-Position in die Funktion des Verwaltungsratspräsidenten (Anm. ähnlich Aufsichtsratsvorsitzender) und werde somit in den nächsten Jahren die Firma weiterhin mit voller Energie strategisch unterstützen.

Alle Bilder: VarioprintAlle Bilder: Varioprint

Auf den Punkt gebracht:

  1. 1993 wurden 5% der Leiterplatten weltweit in Asien produziert, heute sind es 90%. Die USA und Europa zusammen haben einen Weltmarktanteil von 10%

  2. Die Varioprint AG erzielte beim MBO 1993 einen Umsatz von 12 Mio. CHF bei Null Exportumsatz, in diesem Jahr möchte man 33 Mio. CHF umsetzen, bei einem Exportanteil von 80%

  3. Technologisch ist Varioprint in vielen Hochtechnologie-Segmenten tätig. Diese reichen von HDI Multilayer über Hochfrequenz Leiterplatten, starr-flex LP und flexible Leiterplatten bis Metallkern-Leiterplatten etc.

  4. Das Unternehmen hat für seine Leistungen viele namhafte Auszeichnungen erhalten wie den Unternehmerpreis Ostschweiz, den Swiss Technology Award oder den ‚Entrepreneur of the Year' Preis von Ernst & Young

Beim Interview fragte der Autor den scheidenden Gesellschafter und CEO Andreas Schmidheini: Wenn er einen Wunsch an die europäische LP-Branche frei hätte, was würden er sich wünschen? Seine Antwort: Trotz strukturellen Veränderungen sollte die Zusammenarbeit unter den verbliebenen europäischen Herstellern weiter intensiviert werden. Die Stärkung unserer Branche in Europa erfordert zudem ein Bekenntnis der Lieferanten, ihre Entwicklungsbasis in Europa zu erhalten und vom Markt die Einsicht einer total-cost-of-ownership Betrachtung über die gesamte Wertschöpfungskette.

Dem kann man nur einen weiteren Wunsch hinzufügen: Möge die Varioprint AG mit ihrem neuen CEO Nicolas Härtsch und den engagierten Mitarbeitern, die dieses Unternehmen im Besonderen tragen, auch weiterhin in der rauen See der Leiterplattenbranche auf Erfolgskurs segeln.

Mit besten Grüßen in das Appenzellerland

Ihr

Hans-Joachim Friedrichkeit

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  • Ausgabe: 7
  • Jahr: 2020
  • Autoren: Hans J. Friedrichkeit

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