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Montag, 05 Oktober 2020 08:59

Äpfel mit Birnen vergleichen

von
Geschätzte Lesezeit: 3 - 6 Minuten
Abb. 1: Äpfel und Birnen in Bezug zueinander zu setzen ist eine hohe, meist kulinarische, Kunst Abb. 1: Äpfel und Birnen in Bezug zueinander zu setzen ist eine hohe, meist kulinarische, Kunst Bild: Britta Kraft / Leuze Verlag

Kann man nun oder kann man es nicht: Äpfel und Birnen vergleichen? Nun, es hängt von den Kriterien ab, die man sich vorgibt. Da wären Farbe oder Geschmack, der Zucker- oder Vitamingehalt sowie der Anwendungsfall, sprich: die gefüllten Torten und Kuchen, die man daraus zubereiten möchte. Und einem guten Bauernmost geben ein paar Birnen, was auch noch so viele von den richtigen Äpfeln nicht können – und umgekehrt.

Die Fachliteratur ist auch in der Lötbranche voll mit Artikeln und Kapiteln, die in irgendeinem Fall ‚das Beste' suchen, sei es bei Leiterplatten, deren Endoberflächen, bei Flussmitteln oder Pasten. Und alle kommen dann nach sorgfältigem Vergleich zu dem Endresultat, dass ‚C' die/der/das ‚Beste' sei. Auch Schablonen oder deren Öffnungen werden solchen Untersuchungen ausgesetzt, ganz zu schweigen von Beschichtungen oder gar Lötmethoden. Besonders beliebt auf einschlägigen Webseiten sind Lötprofile.

Tab. 1: Vergleich einiger Lotpasten – ‚C' ist offensichtlich mal wieder die ‚Beste'

Paste

Wetting (air)

Solder Ball

Solder Beading

Voiding

Hot Slump

Graping

A

X

>

X

X

>

O

B

>

>

X

X

>

O

C

>

>

X

X

>

>

D

>

>

>

X

>

O

E

>

>

X

X

>

O

F

>

>

>

>

>

O

Legende: > = Gut, O = Akzeptabel, X = Inakzeptabel

Mit etwas mehr Kratzen am Kopfe fände man jedoch bald heraus, dass ‚Maximieren' etwas anderes ist als ‚Optimieren'. Erstens kommt es wie bereits bei Birnen und Äpfeln auf das Kriterium oder die Kriterien an und zweitens noch darauf ob das ‚Maximum' oder ‚Optimum’ überhaupt existiert.

Bekannt ist der Vergleich zweier Uhren, wobei die eine still steht und die andere fünf Minuten nachgeht. Die Frage welche die bessere sei, hängt nun von dem angewandten Kriterium ab. Wird danach geurteilt wie oft jeweils die korrekte Zeit angegeben wird, so ist die kaputte Uhr die bessere, da sie zwei Mal am Tag die richtige Zeit anzeigt.

 Abb. 3: Elektronik im Auto heuteAbb. 3: Elektronik im Auto heute

 Abb. 4: Elektronik im Auto morgenAbb. 4: Elektronik im Auto morgen

Optimierung der Pasten

Nehmen wir uns mal wieder Pasten vor. Nach welchen Kriterien sollte man die optimieren? Da ist einerseits die Produktion, bei der es auf die Fehlerrate ankommt, zum Beispiel offene Lötstellen oder Brücken. Also hier stellen sich solche Fragen wie guter Druck, d. h. Auslösung aus den Öffnungen, Verfließverhalten auf der Leiterplatte vor und während des Lötvorgangs und auch Brauchbarkeit nach längerem Stillstand des Druckers.

Überhaupt: Sollte man da nicht auch gleich das Benehmen auf dem Drucker angehen? Verändert sich die Paste beim Drucken, etwa nach dem zehnten oder hunderstens Rakelstrich? Klebt sie etwa nach einer Weile an der Rakel oder verdreckt sie die Schablone schneller als andere?

Wie steht es mit der Haftung der Bauteile auf den Pastendepots direkt nach der Bestückung oder etwa nach kurzer Zwischenlagerung? Benetzung? Diese Fragenstellungen können beinahe beliebig erweitert werden und so kann der Ingenieur sich jene aussuchen, die ihm gerade am ‚besten' gefallen.

Aber Pasten haben ja auch andere Funktionen, wie etwa die elektrische Leitung zwischen Bauteilen und den Leiterbahnen herzustellen. Zudem sollten diese Verbindungen auch haltbar sein, was wiederum sehr vom Gebrauch des Produkts abhängt. Einerseits unterliegt es eventuell Temperaturschwankungen, die extrem sein können. Man stelle sich nur Messgeräte vor, die in tiefe Bohrlöcher hinabgelassen werden oder Sensorik, welche in der Arktis zum Einsatz kommt.

Die Automobilindustrie hat ebenfalls Sonderansprüche, wie etwa Elektronik in Motornähe oder an Bremsbacken, die starken Erschütterungen und hohen Temperaturen ausgesetzt wird. Schließlich senden wir auch noch Raketen ins All und wollen unbedingt wissen was mit der Sonne los ist, die ja, soweit wir das beurteilen können, ziemlich heiß ist. Auf der Reise dorthin schwebt die Rakete durch den freien Raum, der andererseits mächtig kühl sein wird.

Damit ist dann die in der Paste verwendete Legierung angesprochen, die sowohl bezüglich ihres Schmelzpunkts wie auch ihrer Zuverlässigkeit unter den verschiedenen Bedingungen gefordert ist.

Obgleich Untersuchungen immer wieder finden, dass diese oder jene Zubereitung die ‚beste' sei, sollte man in mehrfacher Hinsicht Vorsicht walten lassen. Zuerst schaut man sich die Autoren an und stellt sich die Frage, ob sie oder ihr Arbeitsgeber irgendwelche besonderen Interessen verfolgen, wie etwa Paste verkaufen. Dann überlegt man sich, ob der Versuchsaufbau stimmig sein könnte oder ob er vielleicht das Ergebnis in irgendeiner Weise färben könnte. Statistiker kennen das aus vielen Bereichen in denen alleine schon die Fragestellung das Endergebnis beeinflusst, ein Trick, den besonders Politiker zu schätzen wissen. Im modernen Hochdeutsch nennt man das ‚a hidden agenda'.

Sagen wir mal, dass die Pastenauswahl für den Versuch sich auf das Druckverhalten konzentriert. Damit fallen solche Aspekte wie Benetzung oder gar Haltbarkeit als nebensächlich aus. Das Endergebnis der Studie mag somit zwar eine Paste, die sich gut drucken lässt, aufzeigen, aber beim Kunden könnte die so erstellte Lötstelle vielleicht schlechte Dienste leisten weil sie zu schnell versagt. Und wie steht es mit den Rückständen?

Abweichungen in der Produktion

Ebenfalls außen vor gelassen sind Fragen bezüglich der Chargengleichheit. Schaffen es die Hersteller überhaupt jede Charge identisch herzustellen?

Vielleicht variiert selbst innerhalb Abb. 5: Elektronik in SatellitenAbb. 5: Elektronik in Satelliteneiner Charge die Zusammensetzung und Qualität von einer Dose zur anderen?

Alleine schon eine größere Menge einer Legierung herzustellen ohne innerhalb der Schmelze eine Stratifizierung zu erlauben, ist eine Herausforderung, die mit zunehmender Anzahl von einlegierten Metallen oder Zutaten immer schwieriger wird. Es ist ein bekanntes Phänomen aus der Gießereitechnik, dass sich speziell beim Erkalten die Kristalle in einer ‚bevorzugten' Reihenfolge formen.

Dazu kommt dann beim Löten noch die Reaktion mit den beiden Basismetallen auf Seiten des Bauteils sowie der Leiterplatte. Sie verändern die Legierung in der Lötstelle zusätzlich und da die Beschichtungen unterschiedlich sein können und auch in der Qualität schwanken, wird am Ende nur eine etwas vage statistische Aussage möglich sein.

Literatur und Anmerkungen:

G. Thein et al.: Study of Various PCBA Surface Finishes, IPC APEX EXPO Conference Proceedings
Yong (Hill) Liang et al.: Study on Solder Joint Reliability of Fine Pitch CSP, IPC APEX EXPO Conference Proceedings
M. Durham et al.: Process Optimization for Fine Feature Solder Paste Dispensing, IPC APEX EXPO Conference Proceedings
G. Briceno; M. Sepulveda: Optimization of Stencil Apertures to Compensate for Scooping During Printing, IPC APEX EXPO Conference Proceedings
B. Roggeman et al.: Material Selection and Parameter Optimization for Reliable TMV Pop Assembly, IPC APEX EXPO Conference Proceedings
G. Smith; T. Lentz: An Investigation into the Durability of Stencil Coating Technologie, IPC APEX EXPO Conference Proceedings
N. Agarwal et al.: Evaluation of Stencil Technology for Miniaturization, Proceedings of SMTA International, Sep. 25 - 29, 2016, Rosemont, IL, USA
U. Tosun; J. Patel; Evaluating Rinsing Effectiveness in Spray-In-Air Cleaners, Proceedings of SMTA International, Sep. 25 - 29, 2016, Rosemont, IL, USA

Referenzen:

[1] Heinz Küpper: Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, sieht den Ursprung in der Politikersprache ab 1965

 

Kolumne: Anders gesehenProf. Rahn

Prof. Rahn ist ein weltweit tätiger Berater in Fragen der Verbindungstechnologie.

Sein neues Buch über ‚Spezielle Reflowprozesse' erschien vor Kurzem beim Leuze Verlag. Er ist erreichbar unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, wohin auch Anfragen über In-Haus Seminare gerichtet werden können.

 

 

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 9
  • Jahr: 2020
  • Autoren: Prof. Rahn

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