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Freitag, 27 November 2020 13:00

Neue Aufgaben und Möglichkeiten in der Standardisierung für den IPC

von Dr. Hartmut Poschmann
Geschätzte Lesezeit: 10 - 19 Minuten
©Audrius Merfeldas - stock.adobe.com ©Audrius Merfeldas - stock.adobe.com

Obwohl die Elektronikindustrie in den USA von der Corona-Pandemie ebenso gebeutelt wird wie in Europa, entwickelt sie sich dort unbeirrt weiter. Dem Branchenverband IPC ist es trotz der massiven Arbeitseinschränkungen bisher gelungen, seine Arbeit zu neuen Standards zielgerichtet weiterzuführen. Doch die fortschreitende Diversifizierung der Elektronikkonstruktionen und -technologien beschert ihm neue Aufgaben, deren Lösung seine jetzige Leistungsfähigkeit übersteigt. Er hat sich darum neue Kooperationspartner gesucht, die vor allem in den USA ihren Sitz haben. Ist das eine Folge der Politik von US-Präsident Trump?

Die Corona-Pandemie hat auch in der US-amerikanischen Leiterplattenindustrie ihre Spuren hinterlassen. Seit dem Beginn von Covid-19 im Frühjahr dieses Jahres gleicht sie eher einer Achterbahn.

Shawn DuBravac, Chefökonom des Branchenverbandes IPC, beschreibt die Situation in seinem Monatsbericht über die Entwicklung der PCB-Branche Nordamerikas für August 2020 so: „In den ersten Monaten der Pandemie verzeichnete man ein historisches Wachstum, da das Angebot aus China wegen der Pandemie eingeschränkt war und viele Hersteller sich um alternative Kapazitäten bemühten (Anmerkung: eine teilweise ähnliche Situation war zu der Zeit auch in Deutschland). In den letzten zwei Monaten hat sich der Auftragsfluss jedoch rapide verlangsamt, da die wirtschaftliche Erholung nachlässt und die Kunden in der nachgelagerten Industrie angesichts der zunehmenden Unsicherheit vorsichtiger werden. Im August wurden die niedrigsten Bestelleingänge seit Juli 2016 verzeichnet. Die Lieferkette ist zwar nach wie vor gesund, aber die sich verlangsamende, nachgelagerte Nachfrage lastet auf der Leiterplattenbranche und wird wahrscheinlich auch in den kommenden Monaten für Gegenwind sorgen“.

Die Gesamtlieferungen für Leiterplatten in Nordamerika lagen im August 2020 gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres um 2,5 % niedriger. Im Vergleich zum Juli 2020 gab es im August einen deutlichen Absturz. Schlimmer noch sah es im Juli und August mit den Bestelleingängen aus. Im August sind die Bestelleingänge im Vergleich zum Vorjahresniveau drastisch um 24,9 % gefallen. Ein böses Zeichen für die PCB-Produzenten zumindest im 2. Halbjahr 2020. Doch hofft man, dass es 2021 wieder aufwärts geht.

Stabile Standardisierungsarbeit trotz Corona

Obwohl niemand in den USA und damit auch im IPC weiß, wie es mit der Corona-Pandemie einerseits und mit den Handelsauseinandersetzungen bzw. Sanktionen zwischen den USA und China andererseits weitergeht, ist man sich im Branchenverband bewusst, dass die internationale Normungsarbeit trotz momentan grundlegend veränderter Arbeitsbedingungen der zuständigen Normenarbeitsgruppen (Committees) und internationalen wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen zwingend weitergeführt werden muss. Sie ist essenzieller Bestandteil des Voranschreitens der globalen Elektronikindustrie und darf weder durch die jetzigen Probleme der Corona-Pandemie noch durch nationale wirtschaftspolitische ‚Spiele' Schaden nehmen. Auch im Arbeitsregime der IPC-Committees musste man verstärkt auf Remote Working bzw. Videokonferenzen übergehen, anstatt sich wie bisher üblich anlässlich großer Branchen-Events wie IPC APEX persönlich zu treffen.

Ein Blick in den IPC Status of Standardization in [1] ergibt, dass es dem Fachverband gelungen ist, in der Zeitspanne von April bis Oktober diesen Jahres 13 neue bzw. aktualisierte Standards zu publizieren. Hinzu kommen 25 Übersetzungen, die als englische Originalausgabe hauptsächlich 2019 und 2020 erschienen sind. Beispiele für Sprachen: Deutsch, Japanisch, Chinesisch, Thai, Russisch, Spanisch, Französisch, Polnisch, Niederländisch. Bezüglich der Anzahl der Übersetzungen liegen Chinesisch, Spanisch und Deutsch vorn. Es sind Belege dafür, dass die globale Akzeptanz der IPC-Standards ungebrochen ist.

Der Übersicht IPC Status of Standardization ist auch zu entnehmen, dass Mitte Oktober dieses Jahres 47 Standards (dabei drei Hand Books, also Dokumente, die bestimmte Normen untersetzen) in Arbeit waren, wobei 19 von ihnen thematisch völlig neu sind. In Arbeit bedeutet hier, dass sie sich gegenwärtig in einer der vier beim IPC üblichen Arbeitsstufen befinden:

  • Neue Projekte (Project Approved)
  • Arbeitsentwurf (Working Draft)
  • Endfassung für Industrieabstimmung (Final Draft for Industry Review)
  • Publikationsvorschläge (Proposed Standard for Ballot)

Sechs in Bearbeitung befindliche Standards befassen sich mit Printed Electronics, darunter auch solcher auf flexiblen Substraten. Printed Electronics wird seit etwa sechs Jahren als ein Themenschwerpunkt im IPC eingestuft, wobei er immer mehr Platz einnimmt.Entwicklung des Book-to-Bill-Verhältnisses und der Gesamtentwicklung der Umsätze bzw. Bestelleingänge in der Leiterplattenindustrie Nordamerikas von August 2019 bis August 2020 Entwicklung des Book-to-Bill-Verhältnisses und der Gesamtentwicklung der Umsätze bzw. Bestelleingänge in der Leiterplattenindustrie Nordamerikas von August 2019 bis August 2020

Auch die Erstellung von Standards für E-Textiles ist ein neues Betätigungsfeld für den Branchenverband. In Erarbeitung sind:

  • IPC-8941 – Guideline on Connections for E-Textiles
  • IPC-8981 – Quality and Reliability of E-Textiles Wearables

Mit der erstmaligen Erarbeitung eines neuen Standards zur Realisierung von Baugruppen auf Basis von Polymeren erweitert der IPC sein Arbeitsfeld auf organische Elektronik weiter:

  • IPC-5262 – Design, Critical Process and Acceptance Requirements for Polymeric Applications

Zwei kommende Dokumente zu allgemeinen Themen von übergreifender Bedeutung sollen die Unternehmen in der Sicherung der Produktion unterstützen:

  • IPC-2551 – International Standard for Digital Twins
  • IPC-1792 – Standard for Cybersecurity Management in the Manufacturing Industry Supply Chain

Bedenkt man, dass die Standards des IPC vor 30 Jahren fast ausschließlich die Belange der klassischen Leiterplattentechnik behandelten, ist das jetzige Arbeitsspektrum entschieden breiter geworden und folgt sowohl dem Diversifizierungstrend der Elektronik als auch der politischen Entwicklung.

Aktualisiert und präzisiert: IPC-2222, IPC-A-600, J-STD-001, IPC-A-610

Vier der Dokumente, die der IPC in der Zeitspanne Juli-Oktober 2020 erneut in aktualisierter, präzisierter und erweiterter Fassung herausgebracht hat, gehören zu den langjährigen ‚Basics' für die Elektronikfertigung. Mit Ausnahme von IPC-2222 werden sie etwa alle zwei bis drei Jahre überarbeitet. IPC-2222 macht hier eine Ausnahme, weil der Vorgänger IPC-2222A bereits im Dezember 2010 herauskam und seine Revision als Basis-Standard für das Design lange überfällig war.

Die vier aktualisierten Basis-Standards sind:

  • IPC-2222B – Sectional Design Standard for Rigid Organic Printed Boards (Designrichtlinie für starre, organische Leiterplatten), 36 Seiten, Oktober 2020
  • IPC-A-600K: Acceptability of Printed Boards (Abnahmekriterien für Leiterplatten), 190 Seiten, Juli 2020. Das überarbeitete ‚Tochterdokument' dazu, IPC-6012E Qualification and Performance Specification for Rigid Printed Boards (Qualifikation und Leistungsspezifikation für starre Leiterplatten), erschien bereits im März 2020
  • IPC J-STD-001H: Requirements for Soldered Electrical and Electronic Assemblies (Anforderungen an gelötete elektrische und elektronische Baugruppen), 108 Seiten, September 2020
  • IPC-A-610H: Acceptability of Electronic Assemblies (Abnahmekriterien für elektronische Baugruppen), 416 Seiten, September 2020

Ein kleiner formeller Vergleich von vier der genannten neuen Dokumente mit ihren Vorgängern von 2010 ergibt, dass die Standards von Ausgabe zu Ausgabe nicht nur inhaltlich präzisiert wurden, sondern auch seitenmäßig zugelegt haben (Tab. 1). Der Grund ist einfach: Die Vielfalt der Elektroniklösungen, z. B. beim Bauteilsortiment und bei den Einsatzbedingungen, aber auch bei den Technologien, hat mit den Jahren zugenommen.Tab. 1: Anwachsen der Seitenzahlen der vier Basisdokumente IPC-6012, IPC-A-600, IPC J-STD-001 und IPC-A-610 zwischen 2010 und 2020Tab. 1: Anwachsen der Seitenzahlen der vier Basisdokumente IPC-6012, IPC-A-600, IPC J-STD-001 und IPC-A-610 zwischen 2010 und 2020

Gleichzeitig wachsen die Zuverlässigkeitsanforderungen im Einsatz, nicht zuletzt wegen der steigenden schaltungstechnischen Komplexität der Geräte und Systeme. Beispiele dafür sind die Medizin-, Militär- und Luftfahrt/Weltraumtechnik. Dafür erarbeitet der Verband zusammen mit der Industrie Addendums, also ergänzende bzw. untersetzende Dokumente zu den Basisdokumenten mit speziellen Anforderungen an die Boards oder Baugruppen. Im Oktober 2020 kam so auch IPC/WHMA-A-620D-S heraus: Space and Military Applications Electronic Hardware Addendum to IPC/WHMA-A-620D.

Was ist neu in den Basisdokumenten?

Nachfolgend werden Beispiele für Aktualisierungen in drei der neuesten Standards gegenüber ihren Vorgängerdokumenten gebracht.

IPC-A-600K

  • Aktualisierte Pattern-Definitionen: Leiterbreite, externer Restring und Oberflächenbeschichtung
  • Aktualisierte dielektrische Materialien, Laminat-Hohlräume (Voids) bzw. Laminatrisse, Entfernung von Lochwandverunreinigungen, negative Rückätzung, Layer-zu-Layer-Abstand
  • Leiterzugüberhang, Foil Plus Plating, Lötmaskenstärke
  • Wesentliche Änderungen im Abschnitt für durchkontaktierte Löcher: Dimensionierung von Microvia-Kontakten, Kupfer-Wrap-Beschichtung, Kupfer-Cap-Beschichtung, kupfergefüllte Durchkontaktierungen, rückgebohrte Löcher
  • Wesentliche Änderungen an Metallkern-Leiterplatten
  • Aktualisierte Kriterien für die Prüfung der Lötbarkeit und für Haar-Rissbildung
  • Änderungen der Akzeptanz von Basismaterial-Oberflächen

IPC J-STD-001H

An der Überarbeitung dieses Standards haben jetzt Vertreter aus 27 Ländern mitgearbeitet, was einen Zuwachs von neun Ländern bedeutet. Das zeugt von der wichtigen Koordinierungsrolle des Dokuments in der internationalen Elektronikindustrie.

  • Die Ergänzung IPC-J-STD-001G-AM1 zum Basisdokument, welche 2018 gesondert mit einer Revision der mehr als 25 Jahre alten Empfehlungen zum Thema Board-Reinigung und Restrückstände herauskam, wurde nun endlich in IPC-J-STD-001H integriert
  • Abschnitt 8.0 (Cleaning and Residue Requirements Section) ist ein völlig neuer, mit der Industrie allseitig abgestimmter Teil des Standards. Er enthält branchenübliche Anforderungen an die Reinigung von Baugruppen und Rückständen auf ihnen
  • Die Festlegung von 1,56 μg NaCl-Äquivalenz/cm2 als Wert für den spezifischen Widerstand des Lösungsmittelextrakts (ROSE) ist keine akzeptable Grundlage mehr für die Qualifizierung eines Herstellungsprozesses
  • IPC-WP-019B (An Overview on Global Change in Ionic Cleanliness Requirements) enthält als White Paper Erläuterungen und Begründungen zu Abschnitt 8.0 „Reinigungs- und Rückstandsanforderungen“
  • Der als Anhang D hinzugefügte Punkt enthält Vorschläge zum Verwenden von Röntgenstrahlen zur Abnahme von Lötverbindungen
  • Verweise auf das Symbol der Internationalen Raumstation wurden entfernt
  • Mit der Herausgabe eines zusätzlichen Automobilzusatzes (IPC J-STD-001GA/IPC-A-610GA, ‚Automotive Addendum to IPC J-STD-001G Requirements for Soldered Electrical and Electronic Assemblies and IPC-A-610G Acceptability of Electronic Assemblies‘ im März 2020 wurden alle Referenzsymbole aus dem Basisdokument entfernt, um Verwirrung bei den Lesern zu vermeiden. Anmerkung: Weil sich das Addendum auf IPC J-STD-001G und IPC-A-610G bezog, ist zu erwarten, dass das Addendum in nächster Zeit an IPC J-STD-001H angeglichen wird
  • Neue Kriterien für Wickelanschlüsse

IPC-A-610H

An der Überarbeitung dieses Standards haben Vertreter aus 29 Ländern mitgearbeitet, was ein Zuwachs von elf Ländern gegenüber dem Vorgängerdokument bedeutet. Somit wurde auch bei diesem Dokument ein hoher internationaler Konsens erreicht.

  • Im Dokument wurden alle Zielbedingungen (Target Conditions) entfernt wie bereits in IPC/WHMA-A-620D ‚Requirements and Acceptance for Cable and Wire Harness Assemblies‘. Dieser Standard erschien schon im Januar 2020
  • Allgemeine Updates im gesamten Standard
  • Neue Kriterien für Wickelanschlüsse
  • Die ESD-Problematik wurde in einen separaten Anhang verschoben
  • Trennung der Baugruppe (Board Assembly) von Kabel bzw. Kabelbaum
  • Die Kriterien für Jumper-Drähte wurden in einem eigenen Kapitel zusammengefasst
  • Neue technische Kriterien z. B. für Lot am Kunststoffgehäuse von Bauteilen
  • Aufnahme neuer Bauteilanschlüsse wie P-förmige und vorverzinnte Stoßlötstellen/I-Anschlüsse (Butt/I)
  • Wesentliche Überarbeitung des Kapitels über Schutzbeschichtungen

Smarte Fabrik bringt neue Herausforderungen

Betrachtet man die Tendenz zur smarten Einzelfabrik gemäß Industrie 4.0 unter Einsatz von lokalen 5G-Netzen sowie die Verknüpfung von Gruppen smarter Fabriken unter Anwendung globaler 5G-Netze wird klar, dass vor der Standardisierung der Elektronikfertigung neue Aufgaben stehen: Gewährleistung höchster Zuverlässigkeit der Produktion selbst als auch der Zuverlässigkeit der elektronischen Baugruppen, Geräte und Systeme sowie Gewährleistung der Cybersicherheit. Für die breite Akzeptanz zukünftig autonom fahrender Fahrzeuge gilt dies in besonders hohem Maße. Der in Erarbeitung befindliche neue Standard IPC-1792 (Standard for Cybersecurity Management in the Manufacturing Industry Supply Chain) lässt erkennen, dass sich der Verband der wachsenden Bedeutung dieses Themas bewusst ist und die Firmen in dieser Hinsicht unterstützt werden sollen.

Auf der Suche nach Partnern

Der IPC will mit seinem Logo-Text ‚Build Electronics Better' dem Betrachter vermitteln, dass er bemüht ist, in seiner Standardisierungsarbeit mit der technischen, technologischen als auch betriebsorganisatorischen Entwicklung Schritt zu halten. Dafür sprechen auch die bereits vorn erwähnten neuen Themen, die in die Standardisierungsarbeit eingeordnet wurden. Das zu bearbeitende Themenfeld wird beim Verband so stetig breiter.Verschiedene LogosVerschiedene Logos

Doch wie bereits in diesem Beitrag angeschnitten, ist es für einen einzelnen Branchenverband aufgrund der zunehmenden Diversifizierung der Elektroniklösungen bezüglich Design, Komponentenbasis, Herstellungstechnologien und auch der Einsatzfelder nicht einfach, mit dem wachsenden Aufgabenfeld der Elektronikfertigung aus eigener Kraft zurechtzukommen. Das gilt besonders dann, wenn es um spezielle Erfahrungen zu spezifischen Einsatzgebieten von Elektronik geht.

Zwar arbeitete der IPC deshalb in der Vergangenheit bereits mit anderen US-amerikanischen Verbänden wie WHMA (Kabel, Kabelbäume), JEDEC (Bauteile) oder SMEMA (SMD-Montageausrüstungen, seit 1999 im Verbund mit dem IPC als SMEMA Council of IPC) zu bestimmten Themen in der Normenarbeit zusammen. Auch Kooperationen mit ausländischen Verbänden wie JPCA (japanischer Verband der PCB-Hersteller) und CPCA (chinesischer Verband der PCB-Produzenten) wurden eingegangen. Die Zusammenarbeit scheint aber inhaltlich und zeitlich recht unterschiedlich, ja sporadisch zu verlaufen. Selbst der JPCA öffnete für den IPC offensichtlich nur im Spargang seinen großen Erfahrungsschatz für die Normungsarbeit. Die gemeinsamen IPC/JPCA-Standards zu HDI-Boards beispielsweise stehen schon lange vor einer Revision. Inzwischen ist bei führenden Board-Produzenten der Übergang zu hochkomplexen Chipsubstraten vollzogen worden und der Weg geht bereits in Richtung von sehr komplizierten Trägern für die Chiplet-Technik. Das alles (und noch mehr) fehlt bisher beim IPC.

Lediglich zu Printed Electronics gibt es zwischen IPC und JPCA eine gewisse aktuelle Zusammenarbeit. Im vorn erwähnten Status of Standardization des IPC ist gegenwärtig nicht ein einziger von den früheren gemeinsamen IPC/JPCA-Standards zu finden, der eine Aktualisierung durchlaufen würde. Neue gemeinsame Dokumente sind wahrscheinlich auch nicht in Sicht [1]. Doch die Technik entwickelt sich unerbittlich weiter, so dass neue Partner gewonnen werden müssen oder aber die Zusammenarbeit mit vorhandenen aktiviert und auf ein höheres Niveau gehoben.

Die in den letzten Jahren vom IPC initiierte Zusammenarbeit mit dem chinesischen CPCA zur arbeitsteiligen Erstellung neuer Standards hat trotz einiger konkreter Erstaktivitäten bisher zu wenig Ergebnissen geführt. Die jetzige, insbesondere in der Elektronikindustrie angespannte Situation zwischen den USA und China sowie die von den USA forcierte ‚Heimführung' ausländischer Fertigungen bietet China kaum Anreiz, sich in US-amerikanischen Verbänden wie dem IPC zu engagieren. Das ist kein Wunder, denn der IPC hat sich in letzter Zeit mehrfach und immer deutlicher in Richtung Rückführung amerikanischer Fertigungen in die USA positioniert, darunter natürlich vor allem Produktionen aus China. Dabei hat der IPC mehrere Büros als Vertretungen in China.

‚America first' wurde zu einer unübersehbaren Leitlinie des Verbandes, ebenso die Forcierung der Unabhängigkeit von Produktionsstandorten in Asien und auch in Europa. Der IPC begrüßte in einer Pressemitteilung vom 24. Juli 2020 ausdrücklich den vom US-Senat beschlossenen National Defense Authorization Act (NDAA). Dieser wurde mit vom IPC vorbereitet und enthält Maßnahmen, die die Ausfallsicherheit und Sicherheit der industriellen Basis der US-amerikanischen Verteidigungselektronik stärken. Es geht darum, dass kommerzielle (Nicht-ITAR) Leiterplatten und Leiterplattenbaugruppen, die für die Herstellung sensibler US-Verteidigungssysteme in den USA benötigt werden, in den nächsten zehn Jahren zunehmend in den USA selbst oder als Ausnahme eventuell noch in solchen Ländern produziert werden sollen, die den USA vertrauenswürdig sind. Was aber gehört alles nach amerikanischer Lesart zu ,sensiblen Systemen'? Ist es – wie in der Vergangenheit bei Sanktionen – ein ,Gummiband' wie bei dual nutzbaren Produkten?

Auch die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Fachverbänden in Europa kam in den vergangenen Jahren nicht sonderlich voran. So hat sich der IPC darauf verlegt, Konferenzen, Seminare und ähnliches vermehrt über sein in Brüssel angesiedeltes eigenes Büro in direkter Konkurrenz zu verschiedenen europäischen bzw. deutschen Leistungsanbietern zu organisieren. Das Büro in Brüssel ist ursprünglich zunächst deshalb dort angesiedelt worden, um bei den EU-Behörden kräftig Lobby-Arbeit zu leisten – meist im Sinne der Verzögerung neuer EU-Beschlüsse, die den USA ,schaden' könnten. Zusammengefasst ergibt sich für den IPC unter der Trump-Administration eine zunehmend kompliziertere Situation in der eigenen Arbeit und bei der Suche nach leistungsfähigen Kooperationspartnern im Ausland.

Eher sind noch größere europäische Unternehmen aus rein subjektiven Gründen bereit, an ausgewählten Standardisierungsthemen des IPC zeitweise direkt mitzuarbeiten, wie es zum Beispiel bei IPC-9797 ‚Press-fit Standard for Automotive Requirements and other High-Reliability Applications' jetzt der Fall war. Das Dokument erschien im Juni 2020.

Bleib im Lande

Die diesjährigen Aktivitäten des IPC zur Gewinnung neuer Partner für die Normungsarbeit und die darauf aufbauenden Weiterbildungsaktivitäten führen zu der Vermutung, dass sich der Verband unter Berücksichtigung der merkwürdigen Politik der Trump-Regierung entschlossen hat, vor allem die in den USA selbst vorhandenen Möglichkeiten stärker als bisher auszuschöpfen und nicht mehr so auf ausländische Verbände zu setzen. Motto: USA first, Safety first – bleib zu Hause. Das gilt besonders für neue bzw. Spitzentechnologien.

Schon vor etwa zwei Jahren nahm der IPC mit dem US-amerikanischen Verband SGIA (angesiedelt in der Screen Print-Branche) Arbeitsbeziehungen auf [2]. SGIA steht für Printing United Alliance und ist der Fachverband für Fachleute aus den Bereichen Industrie, Grafik, Bekleidung, Textil, Elektronik, Verpackung und kommerzieller Druck. Seit der Aufnahme der Zusammenarbeit ist der gemeinsame Standard IPC/SGIA-5222 ‚Process Guideline for Screen Printing for Printed Electronics (Additive Manufacturing)' in Arbeit. Momentan wurde das Arbeitsstadium Working Draft, also Normenentwurf erreicht. Hier ist anzumerken, dass Printed Electronics in Militär- und Sicherheitselektronik eine wachsende Rolle spielt.

Ob der IPC bei seiner Partnersuche mehr durch die Corona-Epidemie oder durch die Politik von Präsident Trump inspiriert wurde, sei dahingestellt, jedenfalls hat er in der Zeit von Mitte Juni bis Mitte September 2020 eine Aktivitätsphase entwickelt, in der er gleich mit vier verschiedenen US-amerikanischen Interessengruppen Verhandlungen zur Intensivierung der Zusammenarbeit aufnahm und mit ihnen entsprechende Vereinbarungen abschloss. Eine solche Aktionsphase hat der Autor beim IPC bisher noch nicht erlebt – und er befasst sich bereits fast 30 Jahre mit ihm.

Automotive Industry Action Group (AIAG)

Am 22. Juni 2020 wurde mitgeteilt, dass IPC und die Automotive Industry Action Group (AIAG) ihre Kooperationsvereinbarung erneuert haben mit dem Ziel einer vertieften Zusammenarbeit, darunter auch in der Standardisierung [3]. Die AIAG ist eine gemeinnützige mächtige Organisation mit 3903 Mitgliedsfirmen, in der OEMs, Zulieferer, Dienstleistungsanbieter, Regierungsbehörden und Einzelpersonen aus dem akademischen Bereich seit mehr als 38 Jahren zusammenarbeiten, um Kosten und Komplexität in der Automobilzulieferkette zu senken.

Für die verstärkte Zusammenarbeit von IPC und AIAG gibt es laut Pressemitteilung gute Gründe: Da elektronische Systeme bis 2030 voraussichtlich 50 Prozent der gesamten Fahrzeugkosten erreichen werden, sind Elektronikunternehmen in der Automobilzulieferkette von entscheidender Bedeutung als Treiber für Qualität und Unterstützung der OEM-Entwicklungsziele. Neben der Vermittlung von Best Practices für Qualität und Lieferkette werden die Branchenverbände gemeinsam die Automobilzulieferkette über Compliance-Anforderungen informieren, IPC-Standards und AIAG-Richtlinien beider Branchen aufeinander abstimmen und gemeinsam Schulungen vorbereiten, die auf professionellen Standards aufbauen. Teil der IPC-AIAG-Partnerschaft ist die Möglichkeit einer kostenlosen AIAG-Mitgliedschaft für IPC-Mitglieder, die direkte Zulieferer der Automobilindustrie sind.

High Density Package Users Group (HDP)

Eine Pressemitteilung vom 24. Juni 2020 besagt, dass der IPC und die High Density Package Users Group International Inc. (HDP) ein Memorandum of Understanding (MoU) unterzeichnet haben, welches eine verstärkte Partnerschaft bzw. technische Zusammenarbeit als Ziel hat. Es sollen gemeinsam Wege zu neuen und disruptiven HDI-Technologien (High Density Interconnect) gesucht werden [4]. Die HDP User Group ist eine gemeinnützige Organisation von Unternehmen, die an der Lieferkette zur Herstellung von Produkten mit hochdichtem Komponenten-Packaging beteiligt sind. Ihre Mission sieht sie darin, Innovationen in der Elektronikindustrie voranzutreiben, indem Kosten und Markteinführungszeiten durch aktive Zusammenarbeit reduziert werden.

Unter [5] gibt es eine umfangreiche Übersicht über die in den vergangenen Jahren bereits gelaufenen zahlreichen Projekte sowie über die momentan laufenden Arbeiten. Dem IPC dürfte hier eine Fundgrube für die Aktualisierung bzw. Fortschreibung seiner HDI-Standards zur Verfügung stehen.

Beispiele für in den letzten zwei Jahren abgeschlossene Projekte:

  • Counterfeit PCB Materials
  • Future HDI (Trend BGA Pitch, HDI PCB Layer-Zahl usw.)
  • FCBGA Package Warpage
  • High Density BGA
  • High Frequency Loss from Copper Topology
  • Lead Free PWB Materials Reliability
  • Ultra-Thin HDI Multi-Purpose Test Vehicle

Beispiele für laufende bzw. 2020 abgeschlossene Projekte:

  • Backdrill under BGA
  • Component Rework Reliability
  • Design Related PWB Material Damage
  • Innerlayer Copper Balancing
  • Photonic Soldering
  • Low Ag Alloy Solderpaste Reliability – BGA Leg
  • Reliability and Power Cycles

International Electronics Manufacturing Initiative (iNEMI)

Am 3. August 2020 wurde informiert, dass IPC und iNEMI ein Memorandum of Understanding (MoU) unterzeichnet haben, welches die Stärkung der Zusammenarbeit zum Ziel hat und sich auf die Zukunft der Elektronikfertigung konzentriert. iNEMI ist nach eigener Definition ein gemeinnütziges, hocheffizientes F/E-Konsortium führender Elektronikhersteller, Zulieferer, Verbände, Regierungsbehörden und Universitäten mit etwa 90 Mitgliedern, darunter viele namhafte Firmen wie Dell, Lenovo, DuPont, Ibiden, HP, Intel, von deutscher Seite auch Fraunhofer IZM und Heraeus [6]. Das Konsortium sieht es als seine Mission, Verbesserungen in der Elektronikindustrie für eine nachhaltige Zukunft zu erforschen und zu beschleunigen.

IPC und iNEMI haben schon zwei Jahrzehnte lang erfolgreich an IPC-Standards sowie an Projekten gearbeitet, die Round-Robin-Tests für verschiedene Programme erfordern, an Roadmaps und Veranstaltungen der beiden Organisationen. Zuletzt entstand ein Best-Practice-Dokument zur Desinfektion von Elektronikprodukten und -baugruppen, das auch in der Corona-Zeit angewendet werden kann. Die Vereinbarung soll es ermöglichen, eng zusammenzuarbeiten, um die technologischen Anforderungen der Lieferkette der Elektronikfertigung zu untersuchen und einen größeren Nutzen für die jeweilige Mitgliedschaft zu erzielen. Unter [7] sind zahlreiche Beispiele für Projekte zu finden, beispielsweise

  • Eco-Design Leadership Best Practices for Sustainable Electronics
  • Impact of Voiding on Thermal Performance of BTCs

Power Sources Manufacturers Association (PSMA)

Am 17. September 2020 unterzeichneten der IPC und PCMA (Power Sources Manufacturers Association) ein Memorandum of Understanding (MoU), in dem sie sich verpflichten, eine enge Beziehung zwischen den beiden Organisationen aufzubauen, wobei die Schwerpunkte Entwicklung von Standards sowie Aus- und Weiterbildung sind [8]. PSMA ist eine gemeinnützige Organisation im US-Bundesstaat Kalifornien, die sich mit Stromversorgungen (Power Electronics Packaging) für elektronische Geräte und Anlagen unterschiedlicher Art befasst. Ihre Mitglieder kommen aus Regierungskreisen, Hochschulen und Unternehmen der gesamten USA sowie auch aus dem Ausland.Beispiele für internationale Mitglieder von PSMABeispiele für internationale Mitglieder von PSMA

Standards für Entwicklung und Produktion von Leistungselektronik sind bis heute ein Schwachpunkt der Normenarbeit des IPC, obwohl das Thema Stromversorgung beispielsweise für Datenzentren und E-Mobility immer mehr an Bedeutung gewinnt, ebenso die Entwicklung hin zu integrierten Netzteilen mit eingebetteten Komponenten (Embedded Components). Ein wichtiges Dokument von PSMA ist die Power Technology Roadmap, die laut Verband einen konsolidierten Ausblick auf die Trends in den Energieumwandlungstechnologien für die nächsten zwei bis fünf Jahre gibt [9].

Fazit: Viele Möglichkeiten für den IPC

Den IPC zeichnete bisher aus, dass er vor allem ein Branchenverband der Industrie ist: von Praktikern für die Praxis. Durch die Intensivierung der Zusammenarbeit mit den vorgestellten Organisationen erhält er Zugang zu neuen Wissens- und Erfahrungsquellen, darunter viele wissenschaftliche Einrichtungen aus dem universitären Bereich, aber auch viele Anwender von Elektronik. Es liegt nun auch wesentlich am IPC, wie er es versteht, seine Partnerorganisationen mit ihrem großen Potential in seine Arbeit einzubinden. Es scheint ja, dass reichlich Stoff für die erfolgreiche Weiterführung und Ausweitung seiner Standardisierungsarbeit vorhanden ist. Das wäre auch für die deutsche Elektronikindustrie von Vorteil, denn der IPC bleibt immer noch diejenige Normungsorganisation für sie, die es bisher auf wichtigen Gebieten der Elektronikfertigung mit viel Anstrengung am besten geschafft hat, wichtige Standards relativ schnell bereitzustellen und zu aktualisieren. Es bleibt zum Schluss jedoch eine wichtige Frage: Wird es wegen ‚America First' dazu führen, dass das aus den neuen Kooperationen abgeschöpfte Wissen nicht mehr global zur Verfügung stehen wird? Denn man darf nicht vergessen, dass neue aktuelle Standards auch gleichzeitig Wissensvermittlung sind, zum Beispiel an die Chinesen.

Referenzen:

  1. www.ipc.org/Status.aspx
  2. www.sgia.org/
  3. www.aiag.org
  4. https://hdpusergroup.org/
  5. https://hdpusergroup.org/completed-projects/
  6. www.inemi.org
  7. www.inemi.org/new-initiatives
  8. www.psma.com
  9. www.psma.com/technical-forums/roadmap

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 11
  • Jahr: 2020
  • Autoren: Dr. Hartmut Poschmann

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