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Dienstag, 26 Januar 2021 10:59

Nachhaltige Handys durch modulare Elektronik

von Marina Proske
Geschätzte Lesezeit: 4 - 8 Minuten
Abb. 1: Wenn modulare Baugruppen – hier ein Kamera-Modul – austauschbar sind, ist Technologie-Upgrade möglich, ohne das alte gegen ein neues Handy tauschen zu müssen Abb. 1: Wenn modulare Baugruppen – hier ein Kamera-Modul – austauschbar sind, ist Technologie-Upgrade möglich, ohne das alte gegen ein neues Handy tauschen zu müssen Bild: Volker Mai / Fraunhofer IZM

Die Modularisierung von Smartphones macht möglicht, Erwartungen bezüglich langlebiger und nachhaltiger Produkte nachzukommen. Die Diskussion dazu gewinnt aktuell stark an Dynamik: Überlegungen über Umweltauswirkungen von Smartphones ändern sich; Umweltkriterien wie Langlebigkeit, Haltbarkeit, Aufrüstbarkeit und Reparaturfähigkeit werden immer wichtiger.

Modularizing smartphones can meet expectations for durable and sustainable products. The discussion is currently gaining momentum: considerations about the environmental impact of smartphones are changing; environmental criteria such as longevity, durability, upgradeability and repairability are becoming increasingly important.

Tablets und Smartphones sind im Alltag ständig im Einsatz und müssen auf aktuellem Stand sein: Technische Leistung, Software-Kompatibilität und der Zugang zu aktuellen Funktionen sind für die Mehrheit der Benutzer sehr wichtig. Deshalb sind unter den Produkten, die regelmäßig ersetzt werden, die wenigsten tatsächlich von technischen Ausfällen oder anderen Alterungs- und Abnutzungsbeeinträchtigungen betroffen.

Tab. 1: Definition der verschiedenen ModularitätslevelTab. 1: Definition der verschiedenen Modularitätslevel

Wenn modular designte Endprodukte nur so lange genutzt werden wie herkömmliche Telefone, ist modulares Produktdesign nicht unbedingt die nachhaltigste Gestaltungsmöglichkeit. Modularität bedeutet zwangsläufig auch Materialverbrauch – in einigen Fällen muss das Produkt möglicherweise größer sein, um alle Konfigurationsoptionen oder die Hinzufügung erwarteter zukünftiger Technologien zu berücksichtigen. Dies muss durch eine längere Nutzung einzelner Geräte und Module ausgeglichen werden.

Abb. 2: Die Fairphone-Generationen 2 und 3 setzen bereits auf die Möglichkeit, einzelne Module auszutauschen und so das Gesamtgerät länger am Leben und bedarfsgerecht aktuell zu haltenAbb. 2: Die Fairphone-Generationen 2 und 3 setzen bereits auf die Möglichkeit, einzelne Module auszutauschen und so das Gesamtgerät länger am Leben und bedarfsgerecht aktuell zu haltenAus der Perspektive der Kreislaufwirtschaft sollte die Modularität als ein potenzieller Beitrag zur Unterstützung von Ressourceneffizienz verstanden werden, da sie eine längere aktive Nutzung ermöglichen kann. Das modulare Smartphone ist ein Konzept mit dem Potenzial, die Funktionalität kontinuierlich aufrechtzuerhalten: Teile des Geräts könnten angepasst oder aufgerüstet werden, ohne das gesamte Produkt ersetzen zu müssen. Gleichzeitig kann die Modularität auch ein Zielkonflikt mit anderen Haltbarkeitsaspekten wie Wasserdichtigkeit darstellen und muss deshalb abgewogen werden.

Die Module, aus denen ein modulares Produkt besteht, sind per Definition strukturell unabhängige Elemente. Dies können eine Monomaterial-Rückwand oder Unterbaugruppen mit definierten Schnittstellen sein, wie z.B. eine herausnehmbare Batterie. Die nächste Stufe in der Entwicklung des modularen Designs könnte eine Plattform sein, die es den Herstellern ermöglicht, wirklich maßgeschneiderte Einheiten zu liefern.

Man kann Modularität nach unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachten. Zwei davon sind hier näher erläutert – sie können miteinander kombiniert werden (Tab. 2). Zum einen lässt sie sich in eine Art Umwelthierarchie einteilen:

  • Add-on-Modularität
  • Materialmodularität
  • Plattformmodularität
  • Reparaturmodularität
  • Mix- Match-Modularität

Add-on-Modularität ist meist eine reine Zweckmäßigkeit, da sie es dem Benutzer ermöglicht, eine Reihe von zusätzlichen Peripheriefunktionen an einen bestimmten Kern (Display-CPU-Einheit) anzuschließen. Konventionelle Umweltdesign-Strategien gelten hier nicht, da sich die individuelle Lebenserwartung der Kernteile durch das Hinzufügen oder Entfernen von Zusatzmodulen nicht ändert.

Die Materialmodularität ermöglicht es den Benutzern einige Bauteile, wie zum Beispiel Abdeckungen und Batterien, leicht zu trennen. Das Fairphone 1 und mehrere andere klassische Smartphones haben diese Art von Materialmodularität bereits erreicht und sind speziell mit Blick auf das Recycling konzipiert.

Ein Produkt auf der Ebene der Plattformmodularität kann für eine Reihe von individuellen Spezifikationen konfiguriert werden. Diese Konfiguration der Smartphones erfordert grundlegendes technisches Wissen und ist potenziell für die Reparatur, Modernisierung oder Wiederverwendung ausgelegt.

Der Grad der Reparaturmodularität ist ebenfalls mit Reparierbarkeit, Modernisierung und Wiederverwendung gegeben. In diesem Fall sind die Schlüsselkomponenten allerdings leicht auszutauschen. Wie beispielsweise beim Fairphone 2 und 3 (Abb. 2).

Die Mix- Match-Modularität umfasst die Reparaturmodularität und beinhaltet zusätzlich standardisierte Modulschnittstellen, was das Risiko eines signifikanten Rebound-Effekts birgt. Es hängt vom Benutzer ab, ob die Möglichkeit, Module zu ersetzen, tatsächlich dazu beiträgt, das Gerät in Betrieb zu halten, oder ob der Benutzer einzelne Module möglicherweise viel häufiger austauscht, um mit den neuesten technologischen Fortschritten Schritt zu halten.

Tab. 2: Matrix aus Modularität nach Hierachie-Ebenen und nach Gesichtspunkten der KreislaufwirtschaftTab. 2: Matrix aus Modularität nach Hierachie-Ebenen und nach Gesichtspunkten der Kreislaufwirtschaft

Modularität im Konzept der Kreislaufwirtschaft

Des weiteren kann man Modularität unter den Gesichtspunkten der Kreislaufwirtschaft, also der Rückgewinnung und Wiederverwendung, betrachten. Hier gibt es sechs definierte Produktstrategien (Bakker et al.) für Kreislaufwirtschaftsmodelle, die für verschiedene Produkte unterschiedlich umgesetzt werden können und bei denen das Modularitätskonzept anwendbar ist:

  • Bindung und Vertrauen
  • Haltbarkeit und Anpassungsfähigkeit
  • Standardisierung und Kompatibilität
  • Wartungs- und Reparaturfreundlichkeit
  • De- und Remontage

Bindung und Vertrauen: Diese Strategie basiert auf der Beziehung zwischen Nutzer und Objekt. Gründe, ein Produkt nicht länger zu benutzen, sind beispielsweise Änderungen an dem Produkt, wie der Ton oder Kratzer. Die Modularität eines Produkts macht es einmalig und vor allem persönlich, was die Bindung an ein Produkt verstärken kann. Erschwinglichkeit und das Image der Marke, tragen ebenso zum Bindungsfaktor bei. Auch Open Source, die Kontrolle über Software und Betriebssystem und die Anpassung der Funktionalitäten und Kreation von Modulen haben eine tragende Rolle in der Bindungsstrategie. Vertrauen wird durch den Glauben an eine lange Lebensdauer beeinflusst: Die Annahme einer geringen Produktqualität und kurzen Lebensdauer führt zu einer geringeren Reparaturbereitschaft.

Haltbarkeit beinhaltet den technischen Aspekt für die optimale Produktzuverlässigkeit, der mit der wirtschaftlichen und stilistischen Lebensdauer in Übereinstimmung gebracht wird. Bei der Haltbarkeit geht es um die Vorstellungskraft, was mit einem Produkt während seiner gesamten Lebensdauer geschieht und um die Erstellung von Mission Profiles. Da zusätzliche Schnittstellen in Geräten typischerweise Schwachstellen in Bezug auf die Zuverlässigkeit darstellen, wird dieser Aspekt meist eher als Argument gegen Modularität verwendet. Die Möglichkeit zur Reparatur durch Modularität trägt zwar zur Haltbarkeit bei, jedoch hat die Reparierbarkeit meist keinen realen Einfluss auf die Lebensdauer: mehr Leistung oder neue Serviceverträge, die mit neuen Smartphones oft einhergehen, sind meist die Hauptgründe für die Anschaffung eines neuen Geräts.

Standardisierung und Kompatibilität: Der Aspekt der Standardisierung bezieht sich v. a. auf Hard- und Software, während Ressourceneffizienz durch Kompatibilität bspw. durch USB-Ladekabel kompatibel für mehrere Gerätegenerationen realisiert werden kann. Kompatibilität ist die Basis für die Mix- and Match- und die Plattformmodularität. Weil sich viele modulare Smartphonekonzepte nur an firmeneigenen Standards orientieren, gibt es bisher kaum Initiativen zur Standardisierung von Interfaces zwischen verschiedenen Smartphones. Um Drittanbieter zu involvieren und kundenspezifische Module zu entwickeln, müssen bei neuen Geschäftskonzepten die Beschreibungen spezieller Interfaces veröffentlicht werden.

Wartungs- und Reparaturfreundlichkeit: Diese Strategie erfordert sowohl beim Hersteller und Serviceprovider als auch beim Nutzer solide Kenntnisse über die Teile, die gewartet und repariert werden müssen. Durch leicht austauschbare Teile kann eine optimierte Lebensdauer erreicht werden. Für den Hersteller kann dieses Design gewinnbringend sein, wenn das Geschäftsmodell statt des Verkaufs eines Produktes den Fokus auf Dienstleistungen liegt.

Anpassungsfähigkeit: Auch bei modularem und kreislaufwirtschaftsorientiertem Design sollen Funktionen durch den Austausch von Teilen gewährleistet werden, bei dem die Fähigkeit zur ,Aufrüstung' eine große Rolle spielt. Zukünftige technologische Entwicklungen müssen antizipiert werden können. Die Erwartungen der Nutzer an ein Smartphone steigen, weshalb die Leistung eines Smartphones dies auch tun sollte.

Durch die Verbindung von De- und Remontage wird eine zusätzliche Perspektive des Designs hinzugefügt, da sie eine zerstörungsfreie Demontage und die Möglichkeit, das gesamte Produkt aus Teilen zusammenzusetzen, erfordert. Die Erleichterung und Beschleunigung des Zerlegungs- und Wiederaufbauprozesses sind Hauptvorteile des modularen Produktdesigns. Obwohl eine manuelle Demontage in der Regel als Hauptziel für das Ende der Lebensdauer verstanden wird, zielt die Demontage als Ökodesign-Maßnahme auf den Recyclingprozess ab. Die Wiedermontage kann auch den Zusammenbau mit Komponenten anderer Produkte umfassen.

Modulares Design passt gut ins Konzept der Kreislaufwirtschaft (siehe Tab. 1 und 2), auch wenn die materielle Modularität nicht perfekt für Kreislaufwirtschaft ist. Add-on-Modularität hat keine offensichtliche Korrelation zu vielen der Strategien, während Plattform-, Reparatur- und Mix--Match-Modularität mit (fast) allen Designstrategien korreliert.

Modulare Elektronik zum Recycling

Die Fraunhofer-Disassembly-Studie 2013 zerlegte Tablet-Computer und unterscheidet zwei Archetypen: Aluminium- und Kunststoffgehäuse. Die Tabletts mit dem Kunststoffgehäuse erhalten ihre erforderliche Stabilität durch einen internen Magnesiumrahmen. Die weltweit rund 200 Mio. verkauften Tablets enthalten etwa 5000 t hochwertige Leiterplatten.

Obwohl das Recycling von Tablets eine Herausforderung darstellt, gibt es einige vielversprechende Gestaltungsmöglichkeiten bei einzelnen Marken. Eine aus der Rückseite des Tablets herausnehmbare Batterie, ist der beste Fall im Hinblick auf die Modularität.

Ein Blick auf die innere Struktur eines Tabletts zeigt, dass die meisten von ihnen bereits in Modulen angeordnet sind. Eine ähnliche Montagestruktur findet sich auch bei vielen Smartphones, bei denen Display, Rückschale, Elektronik und Batterie klar getrennte Teile des Produkts sind, die aber durch Schrauben, Clips, Kabel, Anschlüsse, Klebstoff usw. eng miteinander verbunden sind.

Die Verlängerung der Nutzungsdauer von elektronischen Produkten ist der wichtigste Parameter zur Verringerung der Umweltbelastung. Modularität kann die Nutzer dazu veranlassen, die aktuellen Nutzungs- und Verbrauchszyklen zu verändern. Die Kombination aus den technischen Möglichkeiten, das Verständnis der Umweltauswirkungen und ein reflektierter Umgang mit Produkten können dazu beitragen. Dabei wird es keine ,Einheitslösung' geben, die alle Nutzerbedürfnisse befriedigt und gleichzeitig den Umweltschaden reduziert. Mit einer reellen Verwendungseinschätzung, die das Design beeinflusst und der Annahme, dass die technischen Möglichkeiten wie vorgesehen genutzt werden, soll die Nutzungsdauer nachhaltig beeinflusst werden.

Literatur und Referenzen:

https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/21681015.2016.1172124
http://publica.fraunhofer.de/documents/N-255111.html
‚Modular Products: Smartphone Design from a Circular Economy Perspective' (Lang, Nissen, Proske and Schischke) https://ieeexplore.ieee.org/document/7829810
‚Decreasing obsolescence with modular smartphones? – An interdisciplinary perspective on lifescycles' (Proske and Jaeger-Erben) https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0959652619308078

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