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Dienstag, 11 Mai 2021 11:59

Der Weg der USA zur Stärkung und Sicherung ihrer Elektronikindustrie

von Dr. Hartmut Poschmann
Geschätzte Lesezeit: 16 - 31 Minuten

US-Regierung, Pentagon und IPC bemühen sich seit 2019 vermehrt, die einheimische Elektronikindustrie durch verschiedene Maßnahmen zu stärken. Sie soll wieder führend in der Welt sein. Hier ein Überblick über die 2020 erfolgten und 2021 erfolgenden Schritte.

Im Mittelpunkt der Bemühungen stehen die Sicherheit der Zulieferketten und geeignete Reaktionen auf die bereits erkennbaren bevorstehenden Struktur- und Technologieveränderungen. Einen vorderen Platz nimmt dabei die Elektronikbasis für systemrelevante Einsatzbereiche wie die Verteidigungsindustrie ein.

Die bereits erfolgten und kommenden Schritte werden Auswirkungen auf deutsche Firmen haben. Viele deutsche Zulieferer für die Elektronikindustrie und Hersteller von Elektronik sind IPC-Mitglieder und auch Handels- bzw. Kooperationspartner von US-Firmen. Dieser Beitrag will ihnen wichtige Informationen über das Geschehen in den USA im Elektroniksektor geben, denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ein Teil von ihnen durch die dortigen politischen, wirtschaftlichen als auch technischen Entwicklungen beeinflusst werden wird.

Schon seit einigen Jahren kann man feststellen, dass der amerikanische Branchenverband IPC in vieljähriger beharrlicher Arbeit immer mehr Einfluss auf die US-amerikanische Elektronikindustrie gewinnt. Dabei insbesondere auf den Teil, der sich mit Entwicklung und Fertigung hochzuverlässiger sensibler Elektronik befasst. Gemeint sind damit in erster Linie Geräte und Systeme für den Sicherheits- bzw. Verteidigungssektor. Darüber hinaus versucht der Branchenverband ebenfalls, seinen Einfluss auf die Elektronikindustrie der mit den USA verbündeten Länder zu erweitern, beispielsweise die NATO-Länder. Dazu nutzt er die Anordnungen bzw. Aufträge, die ihm als Ergebnis seiner erfolgreichen Lobby-Arbeit von der US-Regierung erteilt werden. Seit 2020 nahm diese Seite des IPC eine neue Qualität an. Nachfolgend wird die entstandene Situation skizziert.

Während Präsident Trump mit seinem Politik- und Wirtschaftskurs gegenüber der EU, insbesondere Deutschland, doch eher zu Konfrontationen als zu Kooperation und Abstimmung neigte und damit in der deutschen Wirtschaft manche Verunsicherung hervorrief, hat sein Nachfolger in einer Rede Anfang März die Gemeinsamkeiten der USA und der EU beschworen und eine deutliche Wiederannäherung mittels Politikwechsel zu erkennen gegeben. Doch sind die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Probleme, die Trump auch gegenüber Deutschland wiederholt ins Spiel gebracht hat, mit dem Amtsantritt von Präsident Biden wirklich vom Tisch?

Die deutsche Elektronikindustrie exportiert in die USA vieles – von Bauelementen über Produktionsausrüstungen bis hin zu fertigen Elektronikgeräten. Kann sie sich nun wieder zufrieden zurücklehnen in einer Zeit, wo die Aktivitäten der USA bezüglich sicherer Lieferketten und noch strengerer Sanktionen unter Präsident Biden wahrscheinlich eine neue Schärfe erfahren werden? Jedenfalls gibt es Anzeichen dafür, wie in diesem Beitrag belegt wird.Abb. 1: Zulieferer nach Ländern für die Produktion kleiner unbemannter Flugzeugsysteme (sUAS) im Bereich des DoD der USA Abb. 1: Zulieferer nach Ländern für die Produktion kleiner unbemannter Flugzeugsysteme (sUAS) im Bereich des DoD der USA

Es wäre gut, wenn insbesondere diejenigen deutschen Elektronikfirmen bzw. Maschinen- und Materialhersteller, welche Geschäfte mit China, Russland oder den USA selbst machen, mindestens aus einem Augenwinkel die Politik der US-Regierung verfolgen würden, um auf eventuelle Einflüsse auf ihr Export- und Importgeschäft vorbereitet zu sein und reagieren zu können. Die nachfolgenden Ausführungen sind besonders für solche deutschen Firmen interessant, die Exporte tätigen, die mit den Sicherheitsinteressen der USA Berührung haben könnten. Abbildung 1 lässt allein schon an dem Beispiel Zulieferer für kleine unbemannte Flugzeugsysteme (‚small Unmanned Aircraft Systems, sUAS‘) erkennen, dass deutsche Firmen bisher fester Bestandteil der US-Rüstungsindustrie sind – und Firmen aus vielen anderen Ländern ebenso. Ebenso, dass China bisher zu den größten Zulieferern zählt, was ja die US-Regierung schnellstmöglich wesentlich ändern will. Diese und weitere Informationen kann man dem Fiscal Year 2020 Industrial Capabilities Report to Congress des US-Verteidigungsministeriums DoD vom Januar 2021 entnehmen [1].

Zurück zu ,guten alten‘ Zeiten

Die USA bemühen sich seit einigen Jahren, vor allem unter Präsident Trump, zu ihren ,Wurzeln‘ alter Leistungsfähigkeit zurückzufinden. Davon ist die Elektronikindustrie in ihrer gesamten Breite besonders betroffen. Insbesondere ab 2000 ist eine Situation entstanden, die das Land nach Meinung der US-Regierung und auch des US-amerikanischen Branchenverbandes IPC zunehmend abhängig und angreifbar macht. Dazu ein kurzer Rückblick anhand einer Pressemitteilung des IPC vom 24. Februar 2021. Dort führte der Branchenverband folgendes aus:

  • Seit etwa dem Jahr 2000 hat der Drang nach kostengünstiger Elektronik die Hardware-Fertigung der USA ins Ausland getrieben, häufig in Länder, die die strategische Bedeutung der Elektronikfertigung verstanden und das Wachstum ihrer heimischen Industrie stark gefördert als auch subventioniert haben (Anmerkung des Autors: Die Rede ist unausgesprochen vor allem von China)
  • Die US-amerikanische Leiterplattenindustrie, auf die früher mehr als 30 % der weltweiten Gesamtproduktion entfielen, macht heute weniger als 5 % aus
  • Nur vier der 20 größten Unternehmen der Elektronikfertigung (EMS) haben ihren Sitz noch in den USA
  • Der Anteil der weltweiten Halbleiterfertigungskapazitäten in den USA ist laut der Semiconductor Industry Association (SIA) von 37 % im Jahr 1990 auf heute 12 % gesunken

Der Rückgang in der einheimischen Halbleiterfertigung sei nach Meinung der SIA hauptsächlich auf erhebliche Subventionen ausländischer Regierungen in diesem Sektor zurückzuführen, die die USA bei der Errichtung von Neubauten von Halbleiterfabriken im Wettbewerb benachteiligt haben. Darüber hinaus waren die Investitionen der USA in die Halbleiterforschung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) unverändert, während andere Regierungen erheblich in Forschungsinitiativen investiert haben, um ihre eigenen Halbleiterfähigkeiten zu stärken.

Der sich gegenwärtig abzeichnende lähmende Mangel an bestimmten wichtigen Halbleiterchips hat seine hauptsächlichen Ursachen eben darin, dass die US-Firmen die Fertigung aus Profitgründen größtenteils nach Südostasien verlegten und die dortigen Produzenten mehr oder weniger ihre eigene Entwicklungs-, Produktions- und Wirtschaftspolitik machen.

Der Rückgang in der nationalen amerikanischen Fertigung generell und die Probleme der Corona-Epidemie im Besonderen haben die Volatilität des Landes erhöht und die Lieferketten untergraben, die für einen reibungslosen Betrieb der Elektronikfertigung und anderer Wirtschafts- bzw. Politiksektoren von entscheidender Bedeutung sind. US-amerikanische Hersteller haben kürzlich berichtet, dass die Lieferengpässe eine robustere Expansion der Branche bremsen.

Es ist nicht das erste Mal in der jüngeren Vergangenheit, dass die USA Engpässe erleben. Während der laufenden Corona-Pandemie verlangsamte ein Mangel an Leiterplatten beispielsweise zusätzlich die Produktion von Beatmungsgeräten, als diese in Krankenhäusern auf der ganzen Welt dringend gebraucht wurden. Zu Beginn der Covid-19-Krise in China wurden dort Materialien und Produktionskapazitäten zu den eigenen Herstellern von Produkten für die medizinische Versorgung und von Medizintechnik umgeleitet. Als die Pandemie über den Globus rollte, schränkte man Lieferungen an andere Nationen ein.

Die Covid-19-Pandemie hat die Abhängigkeit der Vereinigten Staaten von ausländischen Lieferungen wie Halbleitern und Materialien für PSA (persönliche Schutzausrüstungen), medizinischen Tests und Arzneimitteln deutlich aufgezeigt. Das Vertrauen in ausländische Lieferquellen ist nach Meinung der US-Regierung tief erschüttert worden. Das sei aber kein neues Thema in der Elektronik. (Anmerkung des Autors: Vergisst die US-Regierung ‚ganz nebenbei‘ ihre harten Sanktionen, die sie 2019 gegen China bei Designsoftware, Materialien und Ausrüstungen für die Fertigung höchstintegrierter Schaltkreise erlassen hat?).

Das alles unterstreicht unter dem Blickwinkel der wirtschaftlichen und nationalen Sicherheit die Bedeutung der Wiederherstellung der Führungsposition der USA in der Elektronikfertigung.

Die neue US-Regierung unter Präsident Biden hat im Februar 2021 als eine der ersten Amtsmaßnahmen angeordnet, innerhalb von 100 Tagen die Situation in den kritischen US-Lieferketten zu überprüfen. Dabei fasste sie folgende Schwerpunkte ins Auge: fortschrittliche Batterien, Pharmazeutika, kritische Mineralien und Halbleiter. Sie teilte weiter mit: „Die Vereinigten Staaten sind zunehmend auf Importe dieser Waren angewiesen – ein potenzielles nationales Sicherheits- und Wirtschaftsrisiko, das die Biden-Regierung mit der geplanten 100-Tage-Überprüfung und der Möglichkeit einer Steigerung der Inlandsproduktion angehen möchte“.

Der IPC reagierte in seiner Pressemitteilung vom 24. Februar 2021 darauf und fordert die Regierung auf, dringend zwei wichtige Realitäten in Bezug auf die Elektronikfertigung zu erkennen:

  • Die Elektronikfertigung ist eine entscheidende Grundlage für das verarbeitende Gewerbe in der gesamten US-Wirtschaft. Nahezu jeder andere Sektor ist mehr oder weniger stark auf Elektronik angewiesen.
  • Führende US-Unternehmen müssen die Lieferkette der Elektronik als Ökosystem betrachten. Grundsätzlich alle Segmente der Elektronikindustrie müssen stark sein, damit das gesamte Ökosystem gedeihen kann. Die Halbleiterfertigung ist nur ein Segment in einer hoch entwickelten globalen Lieferkette für Elektronik. Die Leiterplatten- und Geräteproduktion sind weitere nicht zu vernachlässigende Segmente.

Vorbereiten auf die Zukunft

Der IPC führt in seinem Statement vom 24. Februar 2021 weiter folgendes aus: Die gute Nachricht ist, dass die Zeit reif ist für eine stärkere Unterstützung der Fertigung durch die US-Regierung. Die Elektronikbranche steht kurz vor dem Wandel, angetrieben von Technologien für künstliche Intelligenz, Automatisierung, Quantencomputer und Blockchain. Mit Unterstützung der US-Regierung werden amerikanische Unternehmen neue Möglichkeiten finden, sich auf dem globalen Markt zu behaupten und gleichzeitig neue, qualifizierte Arbeitsplätze für amerikanische Arbeitnehmer zu schaffen.

Die von Präsident Biden zu Jahresbeginn angeordnete Überprüfung der US-Lieferketten sollte die Elektronikfertigung ganzheitlich bewerten. Lobenswerte Investitionen in die Halbleiterherstellung (einschließlich der im CHIPS for America Act vorgesehenen) erfordern auch Investitionen in andere Industriesegmente [2]. Die Regierung sollte die Migration der Branche in die Fabrik der Zukunft unterstützen, indem sie entsprechende Programme erstellt und aufrechterhält, um Investitionen, Ausbildung und Qualifizierung der Arbeitskräfte, Forschung und Entwicklung von Kerntechnologien sowie eine robustere Verfügbarkeit von Rohstoffen im Inland voranzutreiben.

Dazu nachfolgend eine erklärende Anmerkung des Autors zum CHIPS for America Act: Das im Juni 2020 noch unter Trump vom US-Kongress beschlossene CHIPS-Gesetz sieht eine Reihe von Bundesinvestitionen vor, um die nächste Generation der Halbleiterfertigung in den USA zu fördern, darunter:

  • rückzahlbare Steuergutschriften von 40% für Investitionen in Halbleiterausrüstungen oder Produktionsanlagen bis 2024, die bis 2028 übertragen werden können
  • Bundesprogramm in Höhe von 10 Mrd. $, das staatliche und lokale Anreize für die Errichtung einer Halbleiter-Foundry (Auftragsfertigung) mit fortschrittlichen Fertigungskapazitäten bietet
  • bis zu 12 Mrd. $ für US-Institutionen wie NIST, NSF, DoD, DoE und DARPA zur Durchführung und Förderung von Grundlagen-Forschungsprogrammen für fortschrittliche Halbleiterfertigungstechnologien, um die Führungsposition der USA zu behaupten

Um die Bedeutung des CHIPS for America Act und der weiteren Ausführungen in diesem Beitrag bezüglich der USA besser verstehen zu können, soll zunächst ein Blick auf die vergangenen 20 Jahre geworfen werden. In ihnen wurden die vom IPC beklagten prekären Grundlagen für die heutige Situation der Elektronikindustrie in den USA hauptsächlich gelegt, darunter auch in der Chip-Industrie.

Fake Electronics und ihre Folgen

Der IPC hat sich nach der Jahrtausendwende verstärkt dem Thema ‚Fake Electronics‘ bzw. ‚Fake Components‘ (Counterfeited Electronic Components) zugewandt. Ein wesentlicher Grund dafür: Eine wachsende Anzahl von in die USA gelieferten integrierten Schaltkreisen erwies sich als unzuverlässig bzw. fehlerhaft, so dass deren Einbau in kritische Elektronik zu Zuverlässigkeitsproblemen führte. Auch passive Bauelemente wie Multilayer-Keramikkondensatoren machten massive Probleme. Davon betroffen war vor allem Elektronik für den militärischen Einsatz, etwa Aufklärungs- und Steuersysteme für Raketen und Flugzeuge.

Ein deutlicher Anteil dieser Fake-Komponenten stammte aus Alt-Elektronik, die nach Südostasien gelangt war, dort demontiert wurde und deren Bauteile man für den Wiederverkauf vorbereitete. Ein anderer Teil von IC war bezüglich seiner Eignungsklassifikation in Richtung hochzuverlässiger Elektronik gefälscht worden und somit teurer im Verkauf. Als ,Heimatland‘ solcher Bauteile wurde vor allem China benannt. Das dortige ,Geschäftsmodell‘ beruhte zu einem wesentlichen Teil darauf, dass einerseits die Entwicklungsprojekte in der Militärtechnik für neue Waffensysteme oft viele Jahre laufen, sehr teuer sind und es bei Aufnahme der Produktion im ungünstigen Fall Probleme gibt, in nicht mehr ausreichender Menge auf die ursprünglich implementierten Komponenten zugreifen zu können. Aber auch Zivilelektronik wurde zunehmend betroffen, wenn es um Wartung und Reparatur langlebiger Elektronik ging. Der sich forcierende Trend nach generellen Kostensenkungen in der Elektronikindustrie, ja in der gesamten Wirtschaft, und zu immer schnelleren Generationswechseln hatte in den USA zusammen mit dem Outsourcing der Fertigungen nach Fernost zu dieser entstandenen Mangelsituation geführt. Die beschleunigten Generationswechsel in der westlichen Bauteilindustrie beruhten einerseits auf den Fortschritten in den Design- als auch Fertigungstechnologien, andererseits auf den sich verschärfenden ökonomischen Zwängen. Also schauten sich die Unternehmen verstärkt auf dem ,freien‘ Markt nach noch vorhandenen preiswerten Bauelementen um und kauften bei mehr oder weniger dubiosen Quellen.

Viele der nun in der Fertigung von Sonderelektronik oder in der Instandhaltung benötigten Komponenten waren längst als ,obsolet‘ (veraltet, abgekündigt) erklärt. Im Ergebnis dessen entwickelte sich in den westlichen Ländern eine neue lukrative Kommerzrichtung, die Gründung von Bauteilhändlern, die sich mit dem Aufbau großer Lager für später obsolete Komponenten befassen.

Der von Präsident Trump gegenüber China eingeleitete Konfrontations- und Sanktionskurs in der Elektronikindustrie war per se nicht geeignet, langfristig die Sicherheit der Lieferketten von Südostasien in die USA zu erhöhen. Weil die neue Biden-Regierung angekündigt hat, den Kurs von Trump gegen Länder wie China und auch Russland nicht nur weiterzuführen, sondern noch zu verstärken, sind die USA gezwungen, sich mehr als bisher mit der Realisierung sicherer und zuverlässiger Lieferketten im eigenen Land und darüber hinaus zu befassen. Es ist doch eine einfache Logik: Man kann seitens der USA nicht immer stärker die Vorwärtsentwicklung der Mikroelektronik in China durch Sanktionen behindern und sich andererseits dann über unzuverlässige Lieferquellen beschweren.

Dass das Thema ‚Counterfeited Components‘ immer noch ein extrem großes Problem für die USA sind, belegt der ‚Fiscal Year 2020 Industrial Capabilities Report to Congress‘ vom Januar 2021 [1]. Auf 184 Seiten werden die Situation und die Probleme in der Verteidigungsindustrie der USA detailliert dargelegt und eine Defense Industrial Strategy for America für das 21. Jahrhundert vorgeschlagen. DoD-Organisationen arbeiten immer noch an der Verfeinerung der Anforderungen, mit denen man gefälschter Mikroelektronik Herr werden kann. Beispiele sind die Richtlinie NAVSEAINST 4855.40 Counterfeit Materiel Prevention von April 2019 bzw. die im November 2019 neue herausgegebene Verordnung FAR 52.246-26.

Der IPC hatte in der Trump-Zeit (eigentlich aber schon früher) begonnen, sich auch mit dem Thema zuverlässiger Lieferketten auseinanderzusetzen und dafür entsprechende Aktivitäten geleistet.

Vorarbeit des IPC für mehr Sicherheit

Seit 2015 etwa befasste sich der IPC mit der Erarbeitung von Richtlinien, die das Sicherheitsproblem bei Design und Fertigung von Leiterplatten, Baugruppen und Elektronikgeräten zum Inhalt haben, dass alles aber noch unter dem Blickwinkel der vorhandenen Produktionsstrukturen und Lieferketten. Das Ergebnis waren Grundsatzstandards, die sich mit der Auswahl vertrauenswürdiger Partnerunternehmen, der Sicherheit in der Lieferkette und dem Aufbau vertrauenswürdiger Lieferketten beschäftigen. Die ersten von ihnen wurden 2020 bereits wieder aktualisiert, d. h. an die sich konkret weiterentwickelnde Situation angepasst:

  • IPC-1791A: Trusted Electronic Designer, Fabricator and Assembler Requirements (Erstausgabe 9/2018, aktualisiert veröffentlicht im Januar 2020) (Abb. 2)
  • IPC 1782A: Standard for Manufacturing and Supply Chain Traceability of Electronic Products (Erstausgabe 11/2016, aktualisiert veröffentlicht im November 2020)
  • IPC-1792: Standard for Cybersecurity Management in the Manufacturing Industry Supply Chain (neu, Working Draft, d. h. in Arbeit)

Diese Dokumente sind für das DoD so wichtig, dass sie auch in dem vorn erwähnten Fiscal Year 2020-Report namentlich als wichtige Maßnahme erwähnt werden. Andererseits darf nicht vergessen werden, dass der IPC aufgrund seiner großen Nähe zum DoD auch für solche wichtigen nationalen Regierungsberichte zuarbeitet und damit seine Bedeutung für das Land unterstreicht.Abb. 2: Urkunde dafür, dass sich die amerikanische EMS-Firma Zentech Manufacturing nach IPC-1791 als zuverlässiges Glied in der Zulieferkette qualifiziert hatAbb. 2: Urkunde dafür, dass sich die amerikanische EMS-Firma Zentech Manufacturing nach IPC-1791 als zuverlässiges Glied in der Zulieferkette qualifiziert hat

National Defense Authorization Act (NDAA) von 2019

Der Problemkreis Sicherheit mit seinen verschiedenen Facetten begann in der Regierungszeit von Präsident Trump noch stärker als zuvor in das Blickfeld der US-Regierung und damit auch der amerikanischen Elektronikindustrie zu rücken. Dementsprechend gewann er in der Arbeit des IPC weiter an Bedeutung, nicht zuletzt wegen des gegen China eingeleiteten Handelskrieges. Dem Branchenverband kam dabei zugute, dass er seine Beziehungen zum US-Kongress und zum US-Verteidigungsministerium (DoD, Department of Defence) seit den 90er Jahren durch entsprechende Lobbyarbeit stetig ausgebaut hatte. Damals ging es zum Beispiel darum, veraltete MIL-Standards für die Fertigung von Elektronik für den Militärsektor teilweise durch IPC-Standards der Klasse 3 oder spezielle Ergänzungen zu ihnen (Addendums) zu ersetzen. Das DoD übertrug also bestimmte Aufgaben, mit denen es sich früher selbst beschäftigte, an den IPC. Wie die weiteren Ausführungen zeigen werden, hat sich dieser Kurs seit 2019 noch deutlich verstärkt und weist dem Branchenverband immer größere Bedeutung zu.

Eine neue Stufe der Zusammenarbeit mit dem Weißen Haus bzw. dem DoD erreichte der IPC im Jahr 2019. Durch seine sehr aktiven Lobbyisten im Weißen Haus hat er entscheidend bei der Erarbeitung des National Defense Authorization Act (NDAA) for Fiscal Year 2020 mitgewirkt. Er wurde von der US-Regierung am 20.12.2019 veröffentlicht [3]. Er ist ein weiteres Beispiel dafür, wie der politische Einfluss des IPC auf die Arbeit des Kongresses zu wachsen scheint.

Im NDAA geht es darum, dass sicherheitsrelevante Elektronik in den nächsten zehn Jahren zunehmend in den USA selbst oder als Ausnahme eventuell noch in solchen Ländern produziert werden soll, die den USA vertrauenswürdig sind.

Der IPC hat weiterhin im NDAA Festlegungen durchgesetzt, nach denen das DoD neue Beschaffungsanforderungen und -beschränkungen für unbestückte und bestückte PCBs implementieren muss. Diese sollen vor allem auf eine Produktion in den USA hinauslaufen.

Die Rückverlagerung bestimmter sicherheitsrelevanter Produktionen in die USA bzw. die Konzentration neuer sicherheitsrelevanter Produktionsrichtungen ausschließlich in den USA ist für andere Staaten durchaus mit gewissen Problemen als auch Gefahren verbunden. Letztere könnten nämlich von einem Teil des wissenschaftlich-technischen Fortschritts in den USA abgekoppelt werden, wie es schon zu Zeiten des ‚Kalten Krieges‘ mit den osteuropäischen Ländern war (CoCom) und jetzt in neuer Stärke mit China und Russland praktiziert wird. Im Ergebnis dessen müssen die abgekoppelten Länder viel mehr eigene Ressourcen aufwenden, um mit dem technischen Fortschritt mithalten zu können, wenn sie dazu denn finanziell, personell und zeitmäßig in der Lage sind. Vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt in der internationalen Arbeitsteilung ausgegliedert zu werden, bedeutet immer, dass der Betroffene viel größere Ressourcen einsetzen muss (wenn er sie denn hat), um zu versuchen, weiterhin Schritt zu halten mit den führenden Ländern.

Vergegenwärtigt man sich, was in der modernen digitalisierten Welt bereits alles sicherheitsrelevant ist oder dabei ist, es zu werden, könnte die Produktpalette sehr groß sein. Das wird noch dadurch bestärkt, wenn man auch die duale Nutzbarkeit vieler Elektronikerzeugnisse, darunter integrierte Schaltkreise, für militärische als auch zivile Zwecke berücksichtigt. In Russland beispielsweise wurden durch die in den letzten 10 Jahren erlassenen US-Sanktionen auch bedeutende Teile von dessen Zivilproduktion massiv behindert. Das aber bedeutet Minderung des Wohlstands des betroffenen Landes. Das weiß die US-Regierung sehr genau.

Die im NDAA vorgeschlagene Politik für sicherheitsrelevante Elektronik ist gerade für ausländische Firmen mit gewissen Gefahren verbunden. Was sind denn für die USA ,vertrauenswürdige Staaten‘? Ob die NATO-Länder in jedem Fall immer dazu gehören, kann seit den Sanktionen, die die US-Regierung gegen die an North Stream 2 beteiligten europäischen bzw. deutschen Firmen erlassen hat und nach neuesten Meldungen weiter erlassen will, angezweifelt werden.

Es entsteht also die Frage, ob manche deutsche Firmen aus Sicht der US-Regierung zukünftig noch in jedem Fall vertrauenswürdig sein werden, wenn sie dual einsetzbare Materialien, Komponenten oder Maschinen nach China oder Russland liefern, die möglicherweise ebenfalls in die USA exportiert werden – und die US-Regierung diese aber als sicherheitsrelevant bzw. dual einsetzbar ansieht. Der Autor erwartet, dass komplizierte Jahre bevorstehen.

USPAE 2020 – Aufbau vertrauenswürdiger Lieferketten

Anfang 2020, nach der Verabschiedung des vorhin erwähnten National Defense Authorization Act (NDAA), gelang dem IPC ein weiterer wichtiger Schritt in seiner Arbeit: die Gründung der U. S. Partnership for Assured Electronics (USPAE, deutsch: US-Partnerschaft für sichere Elektronik) [4]. Bei der Gründung von USPAE ging es um die konkrete organisatorische Umsetzung der Festlegungen des NDAA für die USA, also eines wichtigen ersten Schrittes zur Realisierung sicherer Zulieferketten.thumb Verbaende

USPAE wurde als Non-Profit-Organisation deklariert, deren Mitglieder in den USA oder einem ihrer verbündeten Länder organisiert sind [5]. Sie ist eine gemeinnützige Organisation, welche am 19. Februar 2020 im US-Staat Colombia registriert wurde. Nicht mitgeteilt wird dort, dass sie vom IPC als Tochtergesellschaft unter ihrem Dach geführt wird. Der für dieses Unternehmen hinterlegte registrierte Vertreter ist Chris Mitchell unter der Adresse 1331 Pennsylvania Avenue, Nw Suite 625 South, Washington, DC 20004. Diese ist gleichzeitig als die Hauptadresse der Organisation angegeben und auch die Adresse des Repräsentantenbüros des IPC Washington DC zum US-Kongress. Ob Dr. John Mitchell, der CEO und Präsident des IPC, und Chris Mitchell in einer verwandschaftlichen Beziehung stehen, ist offiziell nicht erkennbar. Aber Tatsache ist, dass der IPC wahrscheinlich schon mehrere Jahre eine entsprechende Strategie verfolgt hat.

Chris Mitchell wurde 2018 als Vice President of Global Government Relations des IPC eingeführt. Bereits damals legte man als seinen zukünftiger Platzierungsort das IPC-Büro in Washington fest. Damit sollte Chris Mitchell gleichzeitig der Haupt-Lobbyist des IPC selbst und damit auch der IPC-Mitgliedschaft in der Hauptstadt der USA sein.

Die Langfristigkeit des IPC bezüglich der Zusammenarbeit mit den US-Behörden kann man einer Pressemitteilung vom 5. März 2018 entnehmen. Sie sagte zur Funktion von Chris Mitchell folgendes aus: In dieser neuen Rolle wird Mitchell für die Entwicklung und Umsetzung der globalen Lobbyarbeit und der politischen Agenda der Organisation verantwortlich sein, wobei der Schwerpunkt auf der Verbesserung des Geschäfts der Elektronikindustrie liegt. Im Blickfeld sind Umweltschutz, Gesundheit, Sicherheit, Initiativen im Verteidigungssektor. Er wird eng mit dem IPC-Lenkungsausschuss für Regierungsbeziehungen und den Mitarbeitern des IPC Washington DC zusammenarbeiten, um den IPC und die Elektronikindustrie vor wichtigen politischen Entscheidungsträgern weltweit zu vertreten und Probleme und Möglichkeiten zu identifizieren, bei denen der IPC seine globale Führungsrolle in Regierungsbeziehungen und in der Öffentlichkeit unter Beweis stellen kann. Durch mehrjährige Mitarbeit in der Prime Policy Group, einer führenden Government Relation-Firma in Washington, kann Mitchell auf entsprechende Erfahrungen zurückgreifen.

Mit der Etablierung von Mitchell unternahm der IPC einen wesentlichen Schritt, seine Rolle in der nationalen US-Politik als auch in der globalen Elektronikindustrie deutlich aufzuwerten. Ein erstes herausragendes Ergebnis der Arbeit von Mitchell ist die Gründung von USPAE.

Grundsätze und Ziele von USPAE

Gründungsgrund für USPAE ist, die Elektronikindustrie der USA, darunter auch ihrer Partnerländer, enger mit der US-Regierung zu verbinden und zu helfen, die Ziele der US-Regierung zu erfüllen [4]. Die Organisation soll dazu beitragen, der Regierung Zugang zu stabilen und vertrauenswürdigen Lieferketten für Elektronik zu gewähren. Als vertrauenswürdiger Dritter koordiniert die USPAE die Interaktionen zwischen der Regierung und führenden Unternehmen der Elektronikindustrie und der Wissenschaft. Sie erleichtert die Zusammenarbeit bei Elektronikinnovationen, hilft bei der Lösung staatlicher Herausforderungen und beschleunigt die Einführung neuer Technologien.

Insofern stellt die Non-Profit-Organisation eine weitere Einrichtung neben der DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency), der Technologieagentur des US-Verteidigungsministeriums, dar, allerdings mit anderer Struktur und anderem Status. Letztere leitet als professioneller Wissenschaftsarm des DoD zum großen Teil die Forschungsarbeiten der USA im Militärsektor, welche von den Universitäten, Forschungsinstituten und Unternehmen der Vereinigten Staaten durchgeführt werden [6]. USPAE soll dagegen ein gewisses Bündnis von Firmen sein, die sich verpflichtet oder geeignet fühlen, zu sicheren Lieferketten und zum technologischen Fortschritt im Sinne des Pentagon beizutragen. Executive Director der USPAE war mit Stand Februar 2021 Christopher Peters. Der Vorteil dessen, dass USPAE eine Tochterfirma des IPC ist, liegt unter anderem darin, dass etwa 3600 IPC-Mitgliedsfirmen weltweit einen gewichtigen Hintergrund bilden, darunter viele weltbekannte Großunternehmen. Allein in den USA düften es mindestens um 2000 Firmen bzw. Institutionen sein. Zahlreiche akademische Einrichtungen und Forschungsinstitute kommen noch hinzu.

Laut Pressemitteilung vom 17. Februar 2021 lädt die USPAE Elektronikhersteller und verbundene Unternehmen ein, sich an ihren Programmen zu beteiligen, und hebt die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit Branchenkollegen und der US-Regierung hervor.

Die Mitgliedschaft in der USPAE steht Unternehmen, akademischen Institutionen und gemeinnützigen Organisationen mit Sitz in den Vereinigten Staaten oder in verbündeten Ländern offen. Eingeladen sind Vertreter aus der gesamten Lieferkette, von der Forschung bis hin zu Design, Fertigung und Montage.

Als Mitglieder werden jedoch insbesondere solche angesprochen, die führend in der Erforschung und Entwicklung innovativer Technologien und Experten in Entwicklung, Prototyping und Herstellung fortschrittlicher Elektronik sind. Alle verpflichten sich zu hohen Standards in den Anforderungen bezüglich Qualität, Cybersicherheit und Supply Chain-Risikomanagement. Das bedeutet praktisch, dass nicht alle Firmen Mitglied werden können, die es wünschen. Geht man vom Gründungsgedanken der USPAE aus, nämlich beizutragen, dass die weltweite Führungsrolle der USA in wichtigen Technologien wiederhergestellt bzw. gesichert werden soll, sind eigentlich nur die Besten gefragt. Unter dem Schirm der USPAE dürfte sich eine Elite zusammenfinden.

In [4] werden unter anderem folgende Vorteile für Mitglieder versprochen:

  • Besserer Zugang zu Vorhaben und Angeboten der US-Regierung
  • Stärkeres Branchenwachstum
  • Bessere Kenntnisse über den Technologietrend
  • Verbesserte globale Wettbewerbsfähigkeit

Die US-Regierung erhofft sich Vorteile von der USPAE und ihren Mitgliedern:

  • Schneller Zugriff auf vertrauenswürdige Elektronikquellen
  • Reduziertes Supply-Chain-Risiko
  • Widerstandsfähigere heimische Industriebasis
  • Mehr Innovation in weniger Zeit

Sie argumentiert so: Viele Unternehmen, dabei vor allem kleinere und mittelständische, haben keinen direkten Zugang zu den Angeboten als auch Möglichkeiten der US-Regierung (USG), sei es, um wichtige Herausforderungen zu lösen, neue Produkte zu erfinden oder einfach nur einen bestehenden Bedarf zu erfüllen. Dies schränkt den Zugang zu USG-Mitteln ein, die Unternehmen dabei helfen könnten, geistiges Eigentum zu schaffen, in neue Märkte zu expandieren oder den Umsatz zu steigern.

Die US-Regierung geht bei der neuen Organisation USPAE von folgender Arbeitsweise aus:

  • Helfen, Mitglieder mit USG-Möglichkeiten zu verbinden und über entsprechende Tools und Veranstaltungen Projektpartner zu finden
  • Zugriff auf fortschrittliche Techniklösungen bekommen, über die beispielsweise DoD und NASA oft verfügen und deren Breitenwirksamkeit vergrößert werden soll
  • Gemeinsame Industrie- und Regierungsveranstaltungen sponsern, um die direkte Interaktion zu erleichtern
  • Einsatz für Programme und deren Finanzierung, um die globale Wettbewerbsfähigkeit der USA zu verbessern

Diese wenigen Textausschnitte demonstrieren bereits, dass der USPAE und damit auch dem IPC als Träger der USPAE zukünftig eine entscheidende Mammutaufgabe für die US-amerikanische Elektronikindustrie zukommen wird. Es ist zu erwarten, dass der IPC selbst die Ergebnisse der Arbeit der zukünftigen Mitgliedsfirmen von USPAE in die Aktualisierung seiner vorhandenen Normenbasis und auch in die Entwicklung neuer Standards für fortschrittliche Technologien einfließen lässt. Hier schließt sich dann der Kreis zwischen dem IPC als Mutterverband und der USPAE, was eine Win-Win-Situation zur Folge haben kann. Eine Schlussfolgerung für deutsche Firmen: Es ist zu erwarten, dass IPC-Standards zukünftig noch größere Bedeutung für ihre Arbeit gewinnen werden und die Anwendung von IPC-Standards weltweit noch forciert wird.

Gemäß Pressemitteilung von USPAE vom 17. Februar 2021 stellte das DoD der USPAE für die nächsten fünf Jahre 42,2 Millionen US-Dollar für die eigenen Belange und für Gründung als auch Management eines weiteren Arbeitsarms des DoD, des Defense Electronics Consortiums, zur Verfügung.

Defense Electronics Consortium

Aus der Arbeit des USPAE ergibt sich eine Menge konkreter Aufgaben zur praktischen Realisierung vertrauenswürdiger Lieferketten bei bestimmten Projekten und zur Betreuung der Mitgliedsfirmen. Das neu zu bildende Defence Electronics Consortium (DEC) soll sich dieser Aufgaben annehmen. Es ist ein Arbeitsarm des DoD, um Verträge mit vertrauenswürdigen Partnern in Industrie und Wissenschaft abzuschließen, einschließlich kleiner und mittlerer Firmen, die normalerweise keine Geschäfte mit dem DoD machen. Durch eine Vielzahl von Programmen wie Konferenzen, Networking-Events, White Papers und geförderte Projekte wird das DEC zahlreiche Herausforderungen und Innovationen in der Verteidigungselektronik angehen. Mitglieder von USPAE, die sich dafür qualifiziert haben, bekommen automatisch Zugriff auf das DEC. Der Verwaltungsrat und der Exekutivdirektor von USPAE werden für die gesamte DEC-Strategie, die Governance und die Rekrutierung von Mitgliedern verantwortlich sein. Zieht man Bilanz über bisher in diesem Beitrag zitierten Institutionen, lässt sich das in Abbildung 3 gezeigte Organigramm erstellen.Abb. 3: Organisationsstruktur der um den IPC herum angesiedelten Institutionen zur Realisierung sicherer und vertrauenswürdiger Lieferketten und zur Steuerung des technischen Fortschritts in der Elektronikindustrie des Verteidigungssektors der USAAbb. 3: Organisationsstruktur der um den IPC herum angesiedelten Institutionen zur Realisierung sicherer und vertrauenswürdiger Lieferketten und zur Steuerung des technischen Fortschritts in der Elektronikindustrie des Verteidigungssektors der USA

Für die konkrete Betreuung des DEC hat USPAE die Non-Profit-Organisation Advanced Technology International (ATI) ausgewählt. Letztere ist seit über 20 Jahren auf dem Gebiet der Projekt- und Wissenschaftsorganisation tätig und hat bis dato 1350 Projekte realisiert [7]. Sie verzeichnet etwa 3600 aktive Mitglieder. ATI-geführte Teams lieferten bisher wertvolle Technologien und Prozessverbesserungen für DoD, Bundesbehörden und Industrie. Damit kann sich das DoD mit IPC und ATI auf zwei Organisationen stützen, die über große Erfahrungen und Potentiale in unterschiedlichen Richtungen verfügen.

Bleifreie Militärelektronik als erstes Projekt

Das erste Projekt, das durch das DEC angegangen werden soll und welches auch bereits im National Defense Authorization Act (NDAA) 2020 eingeordnet war, wird laut Pressemitteilung des IPC vom
5. März 2021 das Lead-Free Defense Electronics Project sein. Es soll 2021 mit 13,9 Millionen US-Dollar gefördert und gemeinsam von der Purdue University, der University of Maryland und der Auburn University geleitet werden. Innerhalb von fünf Jahren sollten es 40 Millionen US-Dollar werden. Das Projekt will zielgerichtete Forschung und Maßnahmen unterstützen, um den Übergang zu bleifreier Elektronik in der Luft- und Raumfahrt, Verteidigungs- und anderer Hochleistungselektronik zu beschleunigen. Das Vorhaben wird so begründet: In den letzten 15 Jahren hat die kommerzielle Elektronikindustrie die Verwendung von Blei in elektronischen Bauteilen und Baugruppen weitgehend eingestellt. Die Sektoren Luft- und Raumfahrt, Verteidigung und Hochleistung (ADHP) zögerten jedoch, auf bleifreie Elektronik umzusteigen, da unzureichende Daten zur Zuverlässigkeit bleifreier Komponenten in ADHP-Anwendungen vorlagen. Die heutige Verteidigungselektronik liegt nun 15 bis 20 Jahre hinter dem kommerziellen Markt zurück, was die zugrunde liegenden Materialien und dazugehörigen Technologien betrifft. Das alles untergräbt nach Einschätzung des DoD die Stabilität der Lieferketten für ADHP-Elektronik sowie die technologische Überlegenheit der USA.

Weiterer Appell an Biden

In einem neunseitigen detaillierten Brief vom 3. März 2021 an den US-Präsidenten unterstrich IPC-Präsident und CEO Dr. John Mitchell noch einmal die Forderungen des Branchenverbandes an die US-Regierung: „Die US-Regierung muss über die rhetorische Unterstützung hinausgehen und sinnvolle und greifbare Programme bereitstellen, die gemeinsam eine koordinierte, überparteiliche Vision für die Zukunft der Fertigung darstellen.“

In dem Schreiben werden politische Empfehlungen in fünf Schlüsselbereichen dargelegt, die in der Kurzform etwa so lauten:

  • Stärkung der industriellen Basis der Verteidigungselektronik
  • Entwicklung und Umsetzung einer Strategie zur Förderung der Fabriken der Zukunft
  • Erweiterung und Qualifizierung der personellen Basis
  • Wiederherstellung der Handelsbeziehungen
  • Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt durch praktische Richtlinien und Vorschriften

In Punkt 4 geht es um die Wiederbelebung multilateraler Handelspakte und um Streitbeilegungsgremien. Biden soll eine North American Manufacturing Initiative unterstützen und implementieren (voller Wortlaut des neunseitigen Briefes unter [8]).

Unter dem Motto ‚Build Electronics Better‘ begrüßt der IPC die ehrgeizigen Ziele des Biden-Planes ‚Made in All of America‘. Er bezeichnet ihn als die expansivste und umfangreichste detaillierte Fertigungsstrategie, die jemals von einer Präsidentschaftskampagne entwickelt wurde. Dies bildet nach Meinung des Branchenverbandes zusammen eine koordinierte, parteiübergreifende Vision für die Zukunft der Fertigung.

In seinem Brief zitiert der IPC den bereits vorn erwähnten ‚Fiscal Year 2020 Industrial Capabilities Report to Congress‘ vom Januar 2021 [1]. Laut diesem Bericht über die industriellen Fähigkeiten der Verteidigungsindustrie der USA für das Geschäftsjahr 2020 an den Kongress ging die Zahl der kleinen und mittleren PCB-Hersteller, die das DoD beliefern, im Jahr 2020 weiter zurück. Sie verringerte sich allein 2020 um 16,3 % und in den letzten fünf Jahren um insgesamt 25,6 %. Das DoD sei aufgrund von Fusionen und Übernahmen von kleinen inländischen PCB-Firmen durch größere Unternehmen einem Kapazitätsverlust ausgesetzt. Die Nischenprodukte und -dienstleistungen kleiner Unternehmen, die für nationale Verteidigungssysteme erforderlich sind, bieten ihren neuen, größeren Eigentümern möglicherweise keine ausreichenden Einnahmen oder Wachstumschancen. Das wird laut Prognose der Autoren des Reports die kleinen Leiterplattenproduzenten, die wesentliche Produkte und Dienstleistungen für nationale Verteidigungssysteme anbieten, weiter verdrängen. Der Bericht ist auch für die deutsche Elektronikindustrie interessant wegen gewisser Parallelitäten in Deutschland.

Der Brief endet mit der Aufforderung an Präsident Biden, die Lieferketten zurück in die USA zu bringen. Eine robuste Fertigungsstrategie erfordere ein lokaleres Ökosystem für Rohstoffe, Komponenten und Teile. Die Vereinigten Staaten haben zugelassen, dass sich ein Großteil der Lieferkette in das Ausland verlagert hat, was die Fertigung in den USA weniger flexibel macht.

ESG-Initiative des IPC

Nachdem schon im Februar 2021 klar wurde, dass der neue Präsident der USA den Kampf gegen die Klimaveränderungen im Gegensatz zum früheren Präsidenten zu einem seiner Arbeitsschwerpunkte macht, hat der IPC in einer Pressemitteilung vom 5. März 2021 nachgezogen. Er stellte eine neue ESG for Electronics-Initiative vor, um Leitlinien für Elektronikhersteller zu einem branchenspezifischen Ansatz für ESG-Praktiken (Environment, Social and Governance) und die dazugehörige Berichterstattung zu entwickeln. Als Grundlage dafür sollen ehrgeizige Ziele dienen, zu deren Erreichung die Branche zusammenarbeitet.

Im Rahmen dieser Initiative hat der IPC führende Vertreter der Elektronikindustrie und ESG-Experten beauftragt, Leitlinien zu Schlüsselaspekten der Berichterstattung zu entwickeln und zu publizieren, die ein Bekenntnis zu den ESG-Grundsätzen belegen. Diese Leitlinien sollen der Branche helfen, die ESG-Ziele zu erreichen, indem sie branchenspezifische Definitionen, Benchmarks, Selbstbewertungen und Empfehlungen bereitstellen [9]. Bei der Entwicklung seiner Leitlinien wird der IPC Praktiken anwenden, die dem globalen Prozessablauf zur Entwicklung seiner Standards ähneln.

„Diese Initiative bekräftigt das Engagement unserer Branche, Elektronik besser zu bauen“, verkündete John Mitchell, Präsident und CEO von IPC, und weiter: „Um Elektronik besser zu bauen, müssen Hersteller dies mit Bewusstsein und Verantwortung für Umwelt-, Sozial- und Corporate-Governance-Faktoren tun und diese vollständig in ihren Geschäftskern integrieren.“

Vordenker-Programm

Neben den hier vorgestellten Aktivitäten des IPC zur Stärkung des für den Verteidigungssektor wichtigen Teils der US-Elektronikindustrie sieht sich der IPC als Vertreter Tausender Unternehmen auch in der Pflicht, die Treiber der bevorstehenden Veränderungen in der Elektronikbranche und deren Vernetzung bewusst zu machen.

Deshalb informierte der Branchenverband am 11. März 2021über einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung der Zukunft der US-Elektronikindustrie. Er startet das Thought Leaders Program, etwa als Vordenker-Programm zu übersetzen. In ihm sollen führende Fachleute den IPC bei der Vermittlung von Wissen über Schlüsselprobleme der Elektronikbranche unterstützen. Ziel ist die gemeinsame Umsetzung des IPC-Mottos ‚Build Electronics Better‘ und des Biden-Planes ‚Made in All of America‘. John Mitchell, President und CEO von IPC, äußerte dazu: „Mit diesem Vorhaben will der Branchenverband seine Führungsrolle in solchen Fragen ausbauen, die den Wandel in der Elektronikindustrie vorantreiben“. Für die Führung und Koordinierung des Thought Leaders Program konnte Mike Carano gewonnen werden, leitender Mitarbeiter von RBP Chemical Technology und verdientes IPC-Mitglied.

Der IPC hat eine Expertengruppe ausgewählt, um im Rahmen des neuen Programms Ideen und Erkenntnisse in fünf Bereichen zu generieren:

  • Bildung und Arbeitskräfte
  • Technologie und Innovation
  • Wirtschaft
  • Schlüsselmärkte
  • Umwelt, Gesundheit und Sicherheit

Als Vordenker-Experten wurden folgende Fachleute benannt:

  • Mike Carano (Chair), VP of Technology & Business Development, RBP Chemical Technology
  • Olivier Coulon, Consultant, Decision Etudes & Conseil
  • Payman Dehghanian, Assistant Professor of Electrical and Computer Engineering, The George Washington University
  • Bryan Erwin, Managing Partner, BlueWave Merchant Partners
  • Denny Fritz, Consultant
  • Savita Ganjigatti, VP of Engineering, Sienna Ecad Technologies
  • Carol Handwerker, Professor of Materials Engineering, Purdue University
  • Matt Holzmann, President, CGI Americas
  • Meredith LaBeau, Director of Process Engineering, Calumet Electronics
  • Joe O‘Neil, CEO of Green Circuits
  • Leslie Weinstein, Founder/CEO, CMMC Consulting

Zu den Aufgaben der Thought Leaders gehören:

  • Bereitstellung von veröffentlichungsfähigem Material in ihren Fachgebieten
  • Kennzeichnung von Möglichkeiten für ein IPC-Engagement
  • Teilnahme an vierteljährlichen Roundtable-Gesprächen

Es wird erwartet, dass jeder Sachverständige mindestens eine 12-monatige Amtszeit erfüllt, in der mit vierteljährlichen Beiträgen zu rechnen ist. Eines der ersten Projekte des Programms wird ein Bericht über die Cybersecurity Maturity Model Certification (CMMC) des US-Verteidigungsministeriums sein, ein ehrgeiziges Bemühen, die Cybersicherheit der industriellen Basis der Verteidigungsindustrie besser zu schützen [10] (Abb. 4). Die Elektronikindustrie unterstützt diese Initiative, hat aber Bedenken hinsichtlich ihrer laufenden Umsetzung. Trotzdem wird man zukünftig wohl oft ihr Logo auf den Firmen-Internetseiten sehen. Die Darpa versucht bereits seit 2017, integrierte Schaltkreise zu entwickeln, die gegen Software-Hacking immun sind (Abb. 5) [11].Abb. 4: Mit der Cybersecurity Maturity Model Certification (CMMC) überwacht die US-Regierung die Sicherheit ihrer potenziellen Anbieter von Zulieferungen für die Verteidigungsindustrie Abb. 4: Mit der Cybersecurity Maturity Model Certification (CMMC) überwacht die US-Regierung die Sicherheit ihrer potenziellen Anbieter von Zulieferungen für die Verteidigungsindustrie

Abb. 5: Darpa forscht zu ICs, die gegen Software-Hacking immun sindAbb. 5: Darpa forscht zu ICs, die gegen Software-Hacking immun sindWeitere Informationen zum IPC Thought Leaders Program einschließlich einer eigenen Webseite werden nach Angaben des IPC in Kürze verfügbar sein.

Wo steht Deutschland?

Hält man sich allein die hier vorgestellten laufenden Aktivitäten der USA (und beispielsweise auch Japans) zur Verringerung der Abhängigkeit ihrer Elektronikindustrien von China vor Augen (Stichworte: Rückführung der Fertigungen in das Heimatland bzw. Verlagerung der Produktion in andere Länder, Vergrößerung der Produkt- und Liefersicherheit), kommt sofort die Frage auf, wie es mit Deutschland steht.

Auch die deutsche Regierung widmet der nationalen Sicherheit und der Sicherung stabiler sicherer Lieferketten seit dem Sommer 2020 mehr Aufmerksamkeit, wenn auch sehr zögerlich und bisher weniger konsequent als die USA. Auch hier ist die erhöhte Aufmerksamkeit das Ergebnis der Folgen der Corona-Epidemie für die globalen Lieferketten. Nicht zuletzt zur Unterstützung einer eigenen wirtschaftlichen Elektronikfertigung in Deutschland hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Leitinitiative ,Vertrauenswürdige Elektronik‘ gestartet. Bei der Auftaktveranstaltung im Juni 2020 sagte die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, folgendes: „Deutschland ist Innovationsland und will das auch bleiben. Dafür ist es wichtig, dass wir uns bei Schlüsseltechnologien im internationalen Wettbewerb behaupten und technologisch souverän sind. Das gilt insbesondere für die Elektronik, die immer mehr sicherheitskritische Funktionen übernimmt.“ Darin ist selbstverständlich auch die Leiterplattenindustrie als entscheidendes Glied in der Elektronikfertigung eingeschlossen [12]. Man darf gespannt sein, ob seitens der Regierung und der für die Elektronikindustrie zuständigen deutschen Branchenverbände neben den Vorschlägen für den Ausbau der Mikroelektronik in Deutschland noch weitere konkrete Aktivitäten für den ,Rest‘ der Elektronikbranche folgen werden und welche.

Referenzen:

[1] https://media.defense.gov/2021/Jan/14/2002565311/-1/-1/0/FY20-Industrial-Capabilities-Report.pdf

[2] https://www.semiconductors.org/chips-for-america-act-would-strengthen-u-s-semiconductor-manufacturing-innovation/

[3] https://congress.gov/116/plaws/publ92/PLAW-116publ92.pdf

[4] www.uspae.org

[5] www.bizapedia.com/dc/us-partnership-for-assured-electronics.html

[6] www.darpa.mil

[7] www.ati.org

[8] https://emails.ipc.org/links/030321IPC-Letter-Biden.pdf

[9] www.ipc.org/esg-electronics

[10] https://frsecure.com/cmmc-cybersecurity-maturity-model-certification

[11] www.defenseworld.net/news/18995/

[12] Plus 1/2021, S. 42ff

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 4
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Dr. Hartmut Poschmann

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