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Donnerstag, 13 Mai 2021 11:59

Eins, zwei, drei! Im Sauseschritt läuft die Zeit…

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Geschätzte Lesezeit: 3 - 5 Minuten
Abb. 1: Passend zum Titel der Sensenmann des wort- und bildstarken Humoristen. Doch das angerissene Gedicht endet weniger dramatisch: ,Fortuna lächelt, doch sie mag/Nur ungern voll beglücken;/Schenkt sie uns einen Sommertag,/So schenkt sie uns auch Mücken‘ Abb. 1: Passend zum Titel der Sensenmann des wort- und bildstarken Humoristen. Doch das angerissene Gedicht endet weniger dramatisch: ,Fortuna lächelt, doch sie mag/Nur ungern voll beglücken;/Schenkt sie uns einen Sommertag,/So schenkt sie uns auch Mücken‘

Trotz oder gerade Einsteins wegen haben die Physiker nach wie vor Schwierigkeiten mit der Zeit. Vor allem aus dem All oder aus einem der nicht billigen Beschleuniger kommen immer wieder Daten an, die irgendwie nicht leicht mit der Theorie zwischen Licht und Zeit in Einklang zu bringen sind [2]. Auch zu den Problemen, die Psychologen mit großem Aufwand studieren, gehört individuell empfundene Zeit [3]. Warum sollte es Lötern da anders gehen?

Letztere haben es neben dem Prozess und den Vorbereitungen dazu auch mit der fertigen Lötstelle zu tun, die – sollte sie in irgendeiner Form belastet werden – mit Bestimmtheit nach einer gewissen Zeit bricht und somit ausfällt. Die Zeit ist hier ein offensichtlicher Faktor – sowohl was die Struktur der Lötstelle betrifft als auch die Belastung. Das hat stets verwundert und zu Spekulationen gereizt. Fast ausschließlich wird die Schuld der gebeutelten Diffusionszone (amerikanisch: intermetallic compound layer) in die Schuhe geschoben und sie wird obendrein als ‚spröde' diffamiert – was den Bruch ‚durch' diese Metallschicht ja ganz klar erklärt, nicht wahr?Abb. 2: Metallurgischer Aufbau einer Lötstelle auf KupferAbb. 2: Metallurgischer Aufbau einer Lötstelle auf Kupfer

Jedoch ist eines der Probleme mit dem die Menschheit zurecht kommen muss, das ungeprüfte und gedankenlose Nachplappern irgendwelcher Aussagen. So auch in diesem Fall, denn wenn man wissenschaftlich vorgeht, dann kommt man zu dem gleichen Schluss wie etwa Lee, C. C. et al.: There is no sufficient scientific data to support the statement of ‚IMCs are brittle' (Es existieren keine hinreichenden wissenchaftlichen Daten, die die Aussage ‚die Diffusionszonen sind spröde' unterstützt). Autsch! Aber wenn dem nicht so ist, warum entstehen denn die Bruchstellen?

Löter und deren Kollegen, die sich mit der Zuverlässigkeit beschäftigen, hätten schon frühzeitig an den sorgfältig ausgeführten Schliffbildern bemerken können, dass der Riss allgemein nicht durch die Diffusionszone geht sondern direkt neben ihr verläuft. So kommen Lee, C. C. et al. auch zu dem wohl richtigeren Schluss: … this interfacial fracture is caused by insufficient bond strength along the boundary (... dieser Grenzflächenbruch wird durch eine unzureichende Haftfestigkeit entlang der Grenze verursacht). Mit ‚Grenze' ist hier der Übergang zwischen der Diffusionszone und dem Restlot in der Lötstelle gemeint.

 Abb. 3: Wachstum der Diffusionszonen bei 70 °C nach Stunden (logarithmische Skala)Abb. 3: Wachstum der Diffusionszonen bei 70 °C nach Stunden (logarithmische Skala)

 Abb. 4: Wachstum der Diffusionszonen bei 200 °C nach Stunden (logarithmische Skala)Abb. 4: Wachstum der Diffusionszonen bei 200 °C nach Stunden (logarithmische Skala)

Zum Verständnis überlegt man sich, dass die Diffusionszone eine Reaktion des Zinns mit dem Basismetall ist. Zinn muss also aus der Lötstelle wandern und hinterlässt notgedrungen eine an Zinn verarmte Schicht an dieser Grenze, denn dort sind die Distanzen für die Festkörperbewegung eben am geringsten. Diese Reaktion findet auch dann statt, wenn die Lötstelle erkaltet ist, jedoch weit langsamer als im geschmolzenen Zustand, was sofort die Frage nach der Temperatur aufwirft.

Lötstellen sind nicht dauernd auf Raumtemperatur sondern solange das Gerät unter Strom ist, produzieren die Bauteile und hier speziell die Prozessoren, eine Menge Hitze. Es ist nicht ungewöhnlich dass in einigen Fällen Temperaturen bis ca. 200 °C erreicht werden, was bei bleifreien Loten noch nicht zum Schmelzen der Legierung führt.

Vielleicht ist es somit angeraten, anhand der beiden Graphiken die Temperaturabhängigkeit des Wachstums der Diffusionszonen aufzuzeigen. Dazu unterstreichen wir hier mal die Tatsache, dass die Dicke der Diffusionszonen nach 100 Stunden bei einer Temperatur von 200 °C jener entspricht, die bei 70 °C erst nach 40 Jahren erreicht wird, was ja ziemlich erstaunlich ist.Abb. 5: Auswirkungen der Erwärmung eines Prozessors (2019 Tyler Ferris)Abb. 5: Auswirkungen der Erwärmung eines Prozessors (2019 Tyler Ferris)

Wäre es tatsächlich allein die Haftung auf der Diffusionszone, dann wunderte man sich darüber, dass die Haltbarkeit der Lötstelle mit der Zunahme an Dicke dieser Zone abnimmt. Alte Lötstellen fallen schneller aus als frisch gemachte, was etwa Scherversuche nachgewiesen haben.

Für sich alleine genommen – also nicht als Lötstelle – sind die kristallinen Verhaltensentwicklungen im Diffusionsmaterial, die bei bleifreien Loten auftreten, bis zu 25x größer als die entsprechenden Änderungen, die in herkömmlichen Sn-Pb-Baugruppen auftreten. Jedoch auch das erklärt den langfristigen Ausfall nicht zur vollen Zufriedenheit, denn zwischen bleihaltigen und bleifreien Loten ergeben entsprechende Tests wenigstens in einigen kritischen Parametern signifikante Unterschiede. So scheinen sich die Kriechdehnungsraten für Sn-Pb mit größeren Alterungszeiten nahezu zu stabilisieren, während die für die SAC-Legierungen selbst nach über 60 Tagen bei Raumtemperatur-Alterung weiterhin schnell anstiegen. Hat das etwa einen Einfluss auf die Bruchbildung?

All diese Untersuchungen sind nützlich, haben aber bisher den eigentlichen Mechanismus der Bruchbildung nicht eindeutig identifizieren können und so kommen die einschlägigen Forscher fast unisono zumindest in einem Punkt zu dem nämlichen Schluss: dass all die mathematischen Modelle, die für die Voraussagen beim Entwurf von Produkten zur Anwendung kommen, zumindest als ‚verbesserungswürdig' eingeschätzt werden, wenn nicht gar als unnütz oder gefährlich.

Literatur und Anmerkungen:

Lasky, R.C.: Copper-Tin Intermetallics: Their Importance, Growth Rate, and Nature, Proceedings of SMTA International, Rosemont, IL, USA, Oct. 14–18, 2018

Lee, C.C. et al.: Are Intermetallics Really Brittle?, Proceedings 57th Electronic Components and Technology Conference, 2007

Ma, H. et al.: Reliability of the aging lead free solder joint, Proceedings – Electronic Components and Technology Conference, January 2006

Vianco, P.T.: Understanding the Reliability of Solder Joints Used in Advanced Structural and Electronics Applications: Part 1 – Filler Metal Properties and the Soldering Process, SAND2017-1069J

Vianco, P.T.: Understanding the Reliability of Solder Joints Used in Advanced Structural and Electronics Applications: Part 2 – Reliability Performance, SAND2017-1070J

Referenzen:

[1] Wilhelm Busch: Julchen (1877)

[2] J. Hakkila; R. Nemiroff: Time-reversed Gamma-Ray Burst Light-curve Characteristics as Transitions between Subluminal and Superluminal Motion, The Astrophysical Journal, Volume 883, Number 1

[3] M. Wittmann: The inner experience of time, Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci., 9 Jul 12

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  • Ausgabe: 4
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Prof. Rahn

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