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Mittwoch, 23 Juni 2021 11:59

3D-Elektronik-Design auf der Höhe der Zeit?

von Hanno Platz
Geschätzte Lesezeit: 4 - 8 Minuten
3D-Elektronik Design 3D-Elektronik Design

Dreidimensionale Elektronikkonzepte haben in den letzten 10 Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Doch an die korrespondierenden 3D-Fähigkeiten der Design-Werkzeuge müssen viele Fragen gestellt werden. Damit beschäftigte sich der virtuelle EDA-Round Table des FED.

Leistungssteigerung, Miniaturisierung, funktionale Integration oder ergonomische Gerätekonzepte sowie eine einfachere Produktion lassen sich mit 3D-Elektronik optimal realisieren. Weiteres Potenzial bieten neue Materialien und Fertigungstechnologien wie der 3D-Druck, Embedding oder Kunststoffelektronik, die inzwischen serientauglich sind.

Aber wie steht es um Entwurfswerkzeuge und erforderliche Datenformate? Was bieten aktuell die Elektronik-CAD-Werkzeuge an echter 3D-Entwurfsuntertützung? Ermöglichen sie es, die Vorteile der neuen 3D-Technologien auszuschöpfen? Das wollte der Fachverband Elektronik Design (FED e. V.) von den führenden EDA-Herstellern (EDA, Electronic Design Automation) wissen und hatte deshalb zu einem ,Virtuellen Runden Tisch' eingeladen. Die Hersteller der Top 5-eCAD-Systeme, d. h. Altium, Cadence, Siemens EDA-Mentor Graphics, Pulsonix, Zuken präsentierten kurz ihre neuen 3D-Funktionen und -Highlights, und der FED-Arbeitskreis 3D-Elektronik steuerte Fragen zur Entwurfsmethodik der 3D-AVT bei. Markus Biener, Zollner Elektronik AG, Michael Matthes, Wittenstein SE, und Hanno Platz, GED mbH, moderierten die Vortrags- und Fragerunde. Während der Veranstaltung, die mehr als 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zählte, gab es zwei Umfragen zum Einsatz und Bedarf der 3D-Integration heute und in Zukunft. Die Ergebnisse wurden zum Abschluss präsentiert.

Die Leiterplatte wird zum ,Leiterkörper'

In mehreren Branchen haben sich in den letzten Jahren 3D-Elektronik-Technologien im Serieneinsatz etabliert. Getrieben vom Bedarf an mehr Leistung auf kleinem Bauraum, an steigenden Frequenzen, an höherer Zuverlässigkeit und ergonomischen Gerätekonzepten wird auch der Einsatz in moderner Industrieelektronik immer wichtiger.

Der Hauptvorteil der 3D-Elektronik besteht darin, dass im Unterschied zu starren Leiterplatten die elektronischen Bauteile und Verbindungen auch auf gewölbte Oberflächen eines Gehäuses montiert oder im Substrat bzw. Gehäuse eingebettet werden können. Das Ersetzen von einzelnen Leiterplatten mit Kabeln und Drähten durch eine integrierte Funktionalität bietet viele Vorteile:

  • reduzierte Formfaktorbeschränkungen – kleinere Bauform
  • reduziertes Gewicht, weil Leiterplatten, Stecker und Kabel entfallen
  • Verbesserung der elektrischen Performance durch Reduktion parasitärer Verluste
  • einfachere Montage von Elektronik, Beleuchtung, Sensoren, SMT-Komponenten
  • höhere Zuverlässigkeit durch Einbetten von Elektronik in Träger oder Gehäuse – erhöht die Beständigkeit gegen Umwelteinflüsse wie Feuchtigkeit und Vibration

Der Begriff der 3D-Elektronik steht für mehrdimensionale Aufbau- und Verbindungslösungen, die sich mit unterschiedlichen Material- und Fertigungsverfahren umsetzen lassen. Neben den klassischen Flex- und Starrflex-Leiterplatten, wie sie bereits seit 50 Jahren zur mehrdimensionalen Integration verwendet werden, sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe von neuen Aufbau- und Verbindungslösungen entstanden.

 Zur 3D-Integration in der Elektronik stehen unterschiedliche neue AVT-Technologien zur VerfügungZur 3D-Integration in der Elektronik stehen unterschiedliche neue AVT-Technologien zur Verfügung

 Sensorgehäuse mit USB-Stecker, kapazitivem Sensor, LED und Antenne hergestellt im 3D-MultimaterialdruckSensorgehäuse mit USB-Stecker, kapazitivem Sensor, LED und Antenne hergestellt im 3D-Multimaterialdruck

Zu den neuen AVT-Lösungen für die Realisierung von 3D-Elektroniken gehören:

  • IME – In Mould Elektronik
  • MID – Spritzguss mit Leiterstrukturen (Mechatronic Integrated Device)
  • Embedded PCB – Leiterplatten mit integrierten Bauteilen
  • 3D-Hybrid-Druck, Aerosol-Druck, Jet-Printing
  • FHE – Flexible Hybrid-Elektronik
  • OA – Organische Elektronik, Träger mit integrierten Sensoren oder Aktoren
  • Wearable, Stretchable Elektronik
  • funktionale Träger, z. B. die Kombination von Elektronik und Fluidtechnik oder Optik

Generative Fertigung

Besonders interessant sind die Generativen Herstellungsverfahren, weil sie keine Werkzeuge benötigen und die Elektronik praktisch direkt aus dem CAD-System gefertigt werden kann.3D: keine Lagen, dafür Verbindungen auch quer durch den Aufbau sowie Stege zur Vergrößerung der Kriechstrecken und Any Shape Vias3D: keine Lagen, dafür Verbindungen auch quer durch den Aufbau sowie Stege zur Vergrößerung der Kriechstrecken und Any Shape Vias / Bildquelle: Semikron

Mit dem 3D-Drucker lassen sich sehr einfach Änderungen ohne neue Werkzeuge oder Variantenproduktionen mit Seriengröße 1 Stück herstellen. Hybride 3D-Drucker bieten die Möglichkeit, dielektrische Materialien (Kunststoff, Keramik) und leitfähige Materialien in einem Gerät und einem Durchlauf herzustellen. In Kombination mit SMT-Bauteilen oder Silizium-Dies lassen sich komplexe Mehrschichtaufbauten realisieren (Embedded Components).

Individuelle eCAD-Software-Funktionalität

Viele Leiterplatten-CAD-Tools bieten Unterstützung für das Leiterplattendesign von Starrflex-Leiterplatten. Einige unterstützen bereits auch das Einbetten von Bauteilen (Embedding) oder sogenannte 2,5D-Technologien. Für den 3D-Druck oder Mechatronic Integrated Devices (MID) werden jedoch ‚echte', also vollumfängliche 3D-Funktionalitäten von Mechanik und Elektronik benötigt. Denn Bauteile müssen sich in allen Rotationen platzieren und die Anschlüsse mit Leiterstrukturen verbinden lassen. Es gibt keine Lagen und Vias können auch quer durch den Verbindungsträger geführt werden.

Was müssen die CAD-Tools können, wie wird das Arbeiten im 3D-Raum unterstützt? Die Herausforderungen sind:

  • kein fester Lagenbezug (Endless Layer, Any Angle Traces)
  • keine Vias, direkte Verbindungen (Vertical Fanout für µBGA oder Bare Dies)
  • Twisted Pair, koaxiale Schirmungen, Harness Design
  • vertikale Fläche, Conductive 3D-Area (z. B. EMV-Shielding-LP-Kante)
  • 3D Line/Spacing, 3D DRC, (z. B. min. Abstand zur Substratkontur)
  • Beschreibung von Any Angle Holes, Tunnel
  • Isolationsflächen, Berechnung von Pastenflächen
  • 3D-Abstandsregeln, Isolationsstege, 3D-Soldermask u.v.a.m.

Die interdisziplinären Aufgabenstellungen von Elektronik, Mechanik, Photonik, Robotik, Bionik, Sensorik u. v.a.m. werden sich in der Zukunft weiter rasant verstärken. Dafür wird auch für den CAD-Entwurf eine neue Denkweise für die Konstruktionswege von ‚Organischer Elektronik' benötigt.

Der EDA-Round Table verdeutlichte, dass für den Entwurf von 3D-Elektronik folgende Features unbedingt benötigt werden:

  • Interoperabilität von eCAD- und mCAD-Tools, also das barrierefreie Umschalten dazwischen
  • erweiterte Simulationsschnittstellen zur Feldsimulation direkt aus den EDA-Systemen aufrufbar
  • Thermo-Simulation
  • Simulationen der deutlich komplexeren, individuellen und fertigungsspezifischen Designrules

Diskutiert wurde auch, wieweit Künstliche Intelligenz den Technologie-Design-Flow unterstützen oder übernehmen könnte. Aus den Erfahrungen der letzten 20 Jahre in der EDA-Branche lässt sich jedoch sagen, dass eher nur versierte und erfahrene Elektronikdesigner die hohe Komplexität der interdisziplinären Aufgabenstellungen optimal lösen können. Allerdings können intelligente, regel- und technologiegetriebene Tools die Arbeit der Entwickler dabei erheblich unterstützen.

Der digitale Zwilling – Design Thinking

In der Konzeptphase ist oft noch nicht klar, ob eine – und welche – der verschiedenen 3D-AVT-Lösungen, geeignet ist. Wie beim Design Thinking-Prozess wird iterativ evaluiert, welche Lösung für die komplexe Aufgabenstellung optimal ist. Mit der Methode kann unter Abwägung von Wirtschaftlichkeit, Machbarkeit und Erwünschtheit eine überlegene Lösung entwickelt werden. Auch hier sind Tools für die Simulationen und Verifikation zur Unterstützung für den Entwickler dringend erforderlich. Denn nicht jede 3D-Verbindungslösung lässt sich mit jeder Technologie umsetzen.

In der Diskussion wurde klar, dass alle beteiligten EDA-Hersteller in den letzten Jahren 3D-Features entwickelt haben, aber auf die Nachfrage des Marktes warten. Projekte wie das Embedding PCB Projekt ,HERMES' wurden bisher oft nur in Forschungsprojekten umgesetzt. Wie weit die mehrdimensionalen Aufgabenstellungen, die der FED-Arbeitskreis 3D-Elektronik zusammengetragen hatte, von den EDA-Herstellern bereits unterstützt werden, konnte aufgrund des begrenzten Zeitrahmens in der Runde nicht erörtert werden.Interoperabilität der Systeme – Methodologisches Design – Design Thinking / Bildquelle: GEDmHInteroperabilität der Systeme – Methodologisches Design – Design Thinking / Bildquelle: GEDmH

Die Umfrage innerhalb des Round Tables zeigt deutlich, dass die Tendenz zu 3D-Elektronik in den letzten 3 Jahren erheblich zugenommen hat.

Der Paradigmenwechsel der Digitalisierung und ‚More than Moore' stellen neue, weitergehende Anforderungen an die Leiterplatte sowie an die Aufbau- und Verbindungstechnik. Die Kombination von Digital- mit Analogtechnologie, die Verbindung vom Siliziumchip zu Analog- und Hochfrequenzbauteilen, von Hochvolt- und Hochspannungsbauteilen, zu Sensoren und Aktoren stellen in den nächsten Jahren große Herausforderungen an die Entwickler und auch die EDA-Tools. Immer häufiger wird eine Integration in die dritte Dimension benötigt.

Heterogene Integration mit 3D-Elektronik

Im BMBF-Forschungsprojekt ,FreiForm' entwickelte die GED mbH zusammen mit dem Fraunhofer Institut IZM, Schaeffler und anderen Partnern Konzepte mit verschiedenen AVT-Lösungen für einen IoT-Sensor mit freier Formgebung. Die Partner entwickelten erfolgreich drei verschiedene Technologiedemonstratoren mit unterschiedlichem Integrationsgrad. Dank der ,3-dimensionalen' FreiForm-Lösung wurden mittels 3D-CSP-Technologie ein IoT-Multisensor inklusive BLE-Antenne und Energy-Harvesting in Baugröße 8 x 20 mm realisiert.

Welche 3D-eCAD Datenformate?

Für die unterschiedlichen Fertigungsverfahren wie 3D-Druck, 3D-CSP und Hybridflex werden Daten in den Formaten IDF, STL oder GDSII für die Produktion benötigt. Wichtiges Thema war daher auch die Erzeugung der unterschiedlichen 3D-Fertigungsformate. Die verschiedenen Technologien werden mit ganz unterschiedlichen Maschinen und Materialien hergestellt. Gerberdaten sind da nicht brauchbar. Der MID-Prozess z.B. benötigt einen Datensatz für das Gehäuse im STEP-Format und einen für die Leiterstrukturen im IDF-Format. Unterschiedlich waren die Meinungen, wie weit das vom IPC propagierte Format IPC 2581 allen 3D-Anforderungen gerecht wird. In internationalen Normungsgremien wie DKE und IEC beteiligt sich der Arbeitskreis aktiv an der Definition der Designregeln und Datenformate, vertreten durch FED-Mitglied Michael Schleicher. Zudem ist der FED im IPC 2581-Gremium in den USA aktiv.

Ergebnis des EDA-Round Table

Zur schnellen, erfolgreichen Entwicklung von komplexer 3D-Elektronik werden regelbasierende, leistungsstarke CAD- und Simulationstools mit erweitertem Funktionsumfang dringend benötigt – die Hersteller sind zum Handeln aufgerufen. Die Teilnehmer erwarten von den EDA-Herstellern mehr Technologieunterstützung aus dem CAD-Tool, angefangen bei einfachen Standardregeln, wie z. B. IPC-Klassen 1/2/3 oder normierte Abstände für Spannungen und Leiterbreiten für die Leistungselektronik. Aber auch Technologieregeln für In Mould Technologie (IME), Embedded PCB und andere stehen auf der Wunschliste. Die Teilnehmer wünschen sich den EDA-Round Table in dieser Form gerne ein- bis zweimal pro Jahr, die Hersteller sollten ihre 3D-Funktionen auch an ganz konkreten Beispielen zeigen, die sie dann am besten live präsentieren.

 PCB + komplexes Housing, Flex PCB + Housing (fold & stack), Mechatronic Interconnect Device, In Mold Electronics, 3D Printed Electronics / Quellen: All3DP, Zollner, 3D-MID e. V.,Tacto Tek, Nano Dimension, Signify ResearchPCB + komplexes Housing, Flex PCB + Housing (fold & stack), Mechatronic Interconnect Device, In Mold Electronics, 3D Printed Electronics / Quellen: All3DP, Zollner, 3D-MID e. V.,Tacto Tek, Nano Dimension, Signify Research

 IoT-Multisensor“ inklusive BLE-Antenne und Energy-Harvesting / Bildquelle: GEDmbHIoT-Multisensor“ inklusive BLE-Antenne und Energy-Harvesting / Bildquelle: GEDmbH

Laut IDtechEx wird in den nächsten 5 Jahren eine Verdopplung des Marktes für 3D-Elektronik erwartet, bis 2030 sogar eine Verdreifachung. Der Bedarf ist da und die europäische Elektronikindustrie muss sich jetzt mit dem Thema befassen.

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