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Montag, 16 August 2021 11:59

Mit einem scheelen Blick

von
Geschätzte Lesezeit: 3 - 6 Minuten
Abb. 1: Ein guter Grund für den scheelen Blick Abb. 1: Ein guter Grund für den scheelen Blick ©Hana Duncova - stock.adobe.com

Dieser Löwe zeigt sich sehr mistrauisch mit seinem scheelen Blick auf das Stacheltier und hat natürlich einen guten Grund dafür. Auch der schiefe Blick von Sophia Loren [2] ist durch die Weltpresse gewandert, aber reicht solches kurzes Hinschauen heutzutage in der elektronischen Industrie noch aus, um Fehler zu orten?

Die gesamte Industrie leidet an einem Mangel an Fachkräften, was ja wohl auch der Hintergrund der neuerlichen Immigrationswellen sein dürfte. Speziell in der elektronischen Industrie jagen sich die einzelnen Firmen versierte Kräfte ab, so dass ein dauernder Wechsel selbst an den Linien für zunehmende Probleme sorgt. Sogar in den bevölkerungsreichen Ländern wie China existiert diese Situation. Zum Beispiel in Shenzhen arbeiten auf wenigen Quadratkilometern mehr als 180 000 Menschen und Manager sehen sich einer Fluktuation von bis zu fünf Prozent pro Monat gegenüber. Der Nachbarkonzern braucht nur ein paar RMB mehr auf den Tisch zu legen und schon ist der Wechsel komplett.

Im mittleren Management wird das ebenfalls klagend vermerkt. In westlichen Ländern drängen sich die jungen Leute in den Vorlesungen über Wirtschaft und Jurisprudenz während sie vor den anstrengenden Studien der Wissenschaften und technischen Berufe zurückscheuen.

Sitzen in den Anfängervorlesungen der Mathematik noch 400 Studenten, reduziert sich das im zweiten Semester auf 80 von denen schließlich 10 eventuell das Diplom bestehen und einer vielleicht zur Doktorarbeit zugelassen wird. Ein scheeler Blick auf die Webseiten der verschiedenen Universitäten zeigt den Mangel an Doktores in den wissenschaftlichen Fächern auf.

Natürlich ist auch der Anreiz mit den akademischen Zeitverträgen nicht gerade sensationell, so dass es nicht wundert wenn immer weniger talentierte Wissenschaftler die akademische Laufbahn einschlagen.

Abb. 2: Studienabgänge 2016 in wissenschaftlichen Fächern je Land [3]Abb. 2: Studienabgänge 2016 in wissenschaftlichen Fächern je Land [3]

In der Elektronik wird das Problem noch durch den rasanten Fortschritt dramatisiert. Der Druck der entsteht, wenn etwa wie bei der 5G-Technik die Bauteile riesig oder andererseits winzig klein werden und der Wettbewerb zwischen den einzelnen Firmen und Machtblöcken eskaliert, verlangt enorme Flexibilität, denn die Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft werden bemerkenswert sein.

Ein solcher Mangel an Fachkräften kann entweder durch eine vermehrte und verbesserte Ausbildung mit entsprechenden Anreizen gemildert werden oder aber durch immer mehr Technologie bei der Herstellung, wobei genau diese 5G-Technik eine bedeutende Rolle spielen wird.

Abb. 3: Dimensionen elektronischer Bauteile [4]Abb. 3: Dimensionen elektronischer Bauteile [4]

Während künstliche Intelligenz sich zuerst an die Arbeitsvorgänge heranwagte, die rein auf Geschicklichkeit beruhen, nimmt sie inzwischen weit ambitioniertere Ziele ins Visier. Sowohl sehr große wie auch sehr kleine Bauteile kann man per Hand nicht mehr setzen. Also werden dafür genaue und schnelle Maschinen verwendet. Aber die müssen ebenfalls kontrolliert werden und so stellt sich die Frage wo und wie überwacht man deren Fertigkeiten?

Als Binsenweiheit gilt, dass je später eine Fehler entdeckt wird, desto teurer wird seine Behebung, wobei man als Faustregel einen Multiplikator von zehn pro Produktionsschritt einsetzt. Am teuersten wird es also, wenn es der Fehler bis zum Kunden schafft.

Abb. 4: Einsatz von KI an einer SM ProduktionslinieAbb. 4: Einsatz von KI an einer SM ProduktionslinieDamit muss die Prozessingenieurin Entscheidungen treffen, die zu höheren Investitionen führen. Das Geld dafür erhält sie jedoch nur, wenn sie nachweisen kann, dass auf lange Sicht die Kosten reduziert werden und die Qualität zunimmt. Besonders betrifft das die Ausbeute, also die Fehlerquote bei den einzelnen Produktionsschritten.

Ziemlich offensichtlich sind Kontrollen nach dem Pastendruck und nach der Bestückung. Meistens wird es jedoch Fachkräften überlassen, Fehler zu finden, was sehr subjektiv ist, kann doch der eine Prüfer hier einen Fehler sehen während ein anderer sich zufrieden gibt. Was ein ‚Fehler' ist mag sogar schwer zu definieren sein.

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz, d. h. Lernalgorithmen wie sie in der Mathematik seit langem bekannt sind und jetzt von den Programmierern mit Begeisterung vereinamt werden, kann auf vielerlei Weise eingeführt werden. Eine Zielsetzung was wünschenswert ist – wie bei der Verwendung einer ‚goldenen Leiterplatte' beim Pastendruck – erscheint einfach.

Viel schwerer ist es eine statistische Rückkopplung zu verwenden, die am Endprodukt Daten sammelt und die mit dem Druckergebnis korreliert. Bei der Menge von Daten, die in einer Massenproduktion angehäuft werden können, ist das eigentlich eine schwierige aber machbare Aufgabe. Jedoch alleine schon die Auswahl der zu kontrollierenden Parameter an dem Automaten, erfordert essentielles Verständnis des Vorgangs. Da ist der Automat, die Schablone, Reinigungszyklen, Pastenvorgaben, Überwachungssysteme und einiges mehr.

Ähnliche Gedankenspiele kann man dann mit der Bestückung vornehmen. Jedoch krankt alles an einigen Punkten, die mit der Ausbildung zu tun haben. Programmierer sind nun eben keine Mathematiker oder Statistiker und schon gar nicht Lötexperten. Damit wird es schwierig die richtigen mathematischen Modelle und statistischen Methoden auszuwählen und zu verwenden. Zudem stehen dann noch die Definitionen eines ‚guten Druckbilds' bei der Paste sowie der ‚korrekten Positionierung' in x-y und z-Richtung sowie die Verdrehung φ und fehlende Koplanarität bei der Bestückung an.

Abb. 5: Einige der neuen Bauteile auf der Spitze eines KugelschreibersAbb. 5: Einige der neuen Bauteile auf der Spitze eines KugelschreibersDie gegenwärtigen Überwachungssysteme – Röntgen mit einbezogen – haben noch sehr hohe Alpha- und Beta-Fehler, d. h. falsch erkannte oder übersehene Fehler. Beide gleichzeitig zu reduzieren wäre nun eine Aufgabe für KI. Ob die in absehbarer Zeit einen gut ausgebildeten Ingenieur ersetzen kann, hängt unter anderem von dem Einsatz bester Theoretiker und Programmierer bei der Entwicklung ab. Damit kommt man wieder auf die grundlegende Situation in der Industrie und der elektronischen Fertigung zurück: es mangelt an gut ausgebildeten Fachkräften und die Klagen solcher Gurus wie Erik Brynjolfsson and Andrew McAfee scheinen bei den Politikern auf taube Ohren zu stoßen. Ein wichtiger Punkt ist dabei auch die Förderung der Grundlagenforschung und nicht der Anwendung, um die Industrie zu bedienen. Jedoch steuert die Politik mehr und mehr Studenten zu einem Abgang nach dem ‚Bachelor' statt nach dem ‚Master' (oder früher dem wohl etwas höher einzuschätzendem ‚Diplom') oder dem Doktorgrad.

Typisch hierbei ist die Klage der australischen Universitäten [5], die sich der Virusepidemie in China wegen um Aus$ 2 Milliarden geschädigt sehen, statt ein Auge auf die versäumte Ausbildung fähiger Absolventen zu richten.

Referenzen

[1] Mittelniederdeutsch schēl ‚schief(äugig)'
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Jayne_Mansfield%E2%80%93Sophia_Loren_photo 
[3] https://www.nextbigfuture.com/2017/08/future-tech-dominance-china-outnumber-usa-stem-grads-8-to-1-and-by-2030-15-to-1.html 
[4] https://www.electronics-notes.com/articles/electronic_components/surface-mount-technology-smd-smt/packages.php 
[5] ASM Assembly Systems GmbH

Literatur:

J. Yuh et al.: Combing Automated Advanced Process Control with Feedback to Revolutionize the Printed Circuit Board Assembly Process, Proceedings of SMTA International, 2018, Rosemont, IL, USA
https://www.newpointdeview.com/pro-en/intercultural-compentence/high-employee-turnover-in-china-not-matter-of-money/
D. Zogbi: The Next Generation in Passive Electronic Components, TTI MarketEye
Bernstein; A. Raman: The Great Decoupling: An Interview with Erik Brynjolfsson and Andrew McAfee, Harvard Business Review, Juni 2015

Zur Person

Prof. Rahn ist ein weltweit tätiger Berater
in Fragen der Verbindungstechnologie.
Sein neues Buch über ‚Spezielle Reflowprozesse' erschien vor Kurzem beim Leuze Verlag. Er ist erreichbar unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, wohin auch Anfragen über In-Haus Seminare gerichtet werden können.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 7
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Prof. Rahn

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