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Freitag, 17 September 2021 11:59

Künstliche Intelligenz wird die Elektronikindustrie nachhaltig verändern - Teil 1: IDEA soll die Elektronikentwicklung revolutionieren

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Geschätzte Lesezeit: 5 - 9 Minuten
Künstliche Intelligenz wird die Elektronikindustrie nachhaltig verändern - Teil 1: IDEA soll die Elektronikentwicklung revolutionieren Bild: adobe Stock - Alex

Weltweit gibt es Hinweise darauf, mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) die Elektronikindustrie partiell oder insgesamt auf ein neues Qualitätsniveau zu heben. Ein markantes Beispiel für den Bereich Entwicklung von Super-ICs, komplexen Halbleitermodulen wie SoCs und PCBs ist das DARPA-Projekt IDEA.

In Teil 1 und 2 dieses Berichtes werden die revolutionären Ziele von IDEA skizziert. Teil 3 befasst sich mit der Vorstellung weiterer europäischer und amerikanischer Projekte, KI im Design und in der Produktion von Leiterplatten zu verankern.

Begriffsherkunft und Definitionsversuche

Abb. 1: Die Entwicklung des passenden KI-Systems und der Modelle, angepasst an bestimmte Anforderungen, ist eine komplizierte mathematische AufgabeAbb. 1: Die Entwicklung des passenden KI-Systems und der Modelle, angepasst an bestimmte Anforderungen, ist eine komplizierte mathematische AufgabeUm die nachfolgenden Ausführungen zur Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Entwicklung und Fertigung von Elektronik besser verstehen zu können, ist es zweckmäßig, sich zunächst mit der Bedeutung des Begriffes KI selbst zu befassen. Ein Blick in Wikipedia offenbart den ganzen ‚Schlamassel'. Laut [1] ist KI, englisch artificial intelligence (AI bzw. A. I.), grundlegend gesehen ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und maschinellem Lernen befasst. Der Begriff ist schwer definierbar, da es bereits an einer genauen Definition von ‚Intelligenz’ mangelt. Er wurde 1955 von dem US-amerikanischen Informatiker John McCarthy im Rahmen eines Förderantrags für ein Forschungsprojekt geprägt.

Schaut man heute genauer hin, stellt man fest, dass in der Praxis zahlreiche unterschiedliche Definitionen für KI mit unterschiedlichen ‚Ansprüchen' existieren. Je nach Sichtweise wird die künstliche Intelligenz in Industrie, Forschung und Politik entweder über die zu erzielenden Anwendungen oder den Blick auf die wissenschaftlichen Grundlagen definiert. Beispiele [1]:

  • KI ist die Eigenschaft eines IT-Systems, ‚menschenähnliche', intelligente Verhaltensweisen zu zeigen (Bitkom e.V. und Deutsches Forschungszentrum für künstliche Intelligenz).
  • KI ist ein Teilgebiet der Informatik, welches sich mit der Erforschung von Mechanismen des intelligenten menschlichen Verhaltens befasst (Spektrum der Wissenschaft, Lexikon der Neurowissenschaften).
  • Unter KI verstehen wir Technologien, die menschliche Fähigkeiten im Sehen, Hören, Analysieren, Entscheiden und Handeln ergänzen und stärken (Microsoft Corp.).
  • KI ist die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren (Europäisches Parlament, Webseite).

Starke und schwache KI

Es werden schwache und starke KI unterschieden. Starke KI wären Computersysteme, die auf Augenhöhe mit Menschen die Arbeit zur Erledigung schwieriger Aufgaben übernehmen können. Demgegenüber geht es bei schwacher KI darum, konkrete Anwendungsprobleme zu meistern. Das menschliche Denken und technische Anwendungen sollen hier in Einzelbereichen unterstützt werden.

Die Fähigkeit zu lernen ist eine Hauptanforderung an KI-Systeme und muss ein integraler Bestandteil sein, der nicht erst nachträglich hinzugefügt werden darf. Ein zweites Hauptkriterium ist die Fähigkeit eines KI-Systems, mit Unsicherheit und probabilistischen Informationen umzugehen. Insbesondere sind solche Anwendungen von Interesse, zu deren Lösung nach allgemeinem Verständnis eine Form von ‚Intelligenz' notwendig zu sein scheint. Letztlich geht es der schwachen KI somit um die Simulation intelligenten Verhaltens mit Mitteln der Mathematik und der Informatik, es geht ihr aber nicht um Schaffung von Bewusstsein oder um ein tieferes Verständnis von Intelligenz (Abb. 1).

Während die Schaffung starker KI an ihrer philosophischen Fragestellung bis heute scheiterte, sind auf der Seite der schwachen KI in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte erzielt worden. Künstliche Intelligenz sehr unterschiedlicher Abstufung steckt bereits in unterschiedlicher Form schon in fast jeder Software. Oft identifizieren User den Einsatz künstlicher Intelligenz nicht als solchen.

Wie bereits gesagt, geht es in der Regel darum, konkrete Anwendungsprobleme unterschiedlichen Inhalts und unterschiedlicher Komplexität zu meistern. Die Beispiele dieses Beitrags in Teil 1 bis 3 lassen erkennen, dass auch bei schwacher KI deutliche Differenzierungen in den Fähigkeiten der bisher realisierten KI-Werkzeuge festzustellen sind. Das hängt davon ab, welche Leistungsfähigkeit die eingesetzte Computerbasis, die dazugehörige angesammelte und klassifizierte Informations- bzw. Wissensbasis in den Hintergrund-Datenbanken, die Genauigkeit der zugrundeliegenden Modelle und die verwendeten anwendungsspezifischen Apps mit ihren Verarbeitungsalgorithmen für die Daten haben. Letztlich ist alles auch eine Kostenfrage. KI muss sich, von lebenswichtigen oder speziellen Anwendungen abgesehen, in der Regel rechnen.

Besser als der Mensch?

Das erste Beispiel IDEA der Darpa, mit dem sich Teil 1 und 2 befassen, demonstriert extrem hohe Erwartungen an die Leistungsfähigkeit der zukünftigen Nutzung von KI. Die vorn erwähnte Bitkom spricht bei KI von ‚menschenähnlichen', intelligenten Verhaltensweisen. Es ist aber hinreichend bekannt, dass menschliche Verhaltensweisen, seien sie noch so Intelligenz-basiert, recht fehlerbehaftet sein können. Ziel des IDEA-Projektes der Darpa ist es aber gerade, diese Fehlerhaftigkeit bei der Realisierung zukünftiger extrem komplexer Elektroniksysteme durch Einsatz sehr leistungsfähiger KI möglichst in Richtung ‚Zero' zu bringen. Praktisch gesagt: Hocheffiziente Waffensysteme müssen absolut zuverlässig funktionieren. Die Definition von Microsoft trifft das schon eher. KI kann eigenständig Probleme lösen und bestimmte Aufgaben genauso gut oder besser als ein Mensch ausführen. Sie kann die Herangehensweise an die Problemlösung an sich jedoch nicht variieren. Wenn das KI-System von IDEA aber sehr viele ‚Erfahrungen' durch eine riesige Menge abgearbeiteter Projekte gesammelt hat, kann es zu den eingegebenen (vorgegebenen) Eckdaten eines neuen weiteren Zielproduktes durchaus andere und bessere Lösungen vorschlagen, als es sich die ‚Auftraggeber' an das System vorgestellt haben. Denn deren Wissen ist dann mit großer Wahrscheinlichkeit gegenüber dem ‚System' beschränkt.

Hinzu kommt als entscheidender Grund für das Projekt IDEA, bei zukünftigen sehr komplexen Elektroniksystemen auch zu vertretbaren Kosten und Entwicklungs- bzw. Produktionszeiten zu kommen. Das angestrebte KI-System in IDEA soll letztlich besser als der Mensch sein und vor allem entschieden schneller. Es wird also vermutlich schon am oberen Ende schwacher KI stehen.

Noch ein anderer wichtiger Gedanke: Die Realisierung solcher Projekte wie IDEA hat einen Rückkopplungseffekt auf die Elektronikbranche. Je besser und schneller solche Vorhaben realisiert werden können, um so leistungsfähigere Computer- und letztlich auch KI-Systeme stehen in kürzerer Zeit zur Verfügung, die wiederum die Vorwärtsentwicklung der Elektronikproduktion und damit der gesamten Wirtschaft stimulieren. Die Entwicklungsspirale dürfte sich damit zukünftig noch schneller drehen. Kommt der Mensch damit zurecht?

Der amerikanische Traum

Abb. 2: Die Geschwindigkeit der neuen russischen Hyperschall-Rakete übertrifft alles bisher DageweseneAbb. 2: Die Geschwindigkeit der neuen russischen Hyperschall-Rakete übertrifft alles bisher DageweseneSchon sehr oft hat die Darpa (Defense Advanced Research Projects Agency), Technologieagentur des US Department of Defense (DoD), die Führungsrolle in der Weiterentwicklung von Technologien und auf ihnen aufbauenden Finalprodukten für den Verteidigungssektor des Landes und andere wichtige Bereiche übernommen. In vielen Fällen waren die mal mehr, mal weniger intensiven Bemühungen erfolgreich. Auch zur intensiven Nutzung von KI in der Entwicklung elektronischer Produkte hat sie 2017 entsprechende Aktivitäten eingeleitet. Dafür gab es nach Meinung der Fachleute der Darpa gravierende Gründe, die auf ihren Internetseiten ausführlich dargelegt wurden [2]. Dort wird Folgendes ausgeführt: Die intelligenten elektronischen Systeme der nächsten Generation, die das DoD zur breiten Nutzung von zum Beispiel künstlicher Intelligenz, autonomen Fahrzeugen, Shared-Spektrum-Kommunikation, elektronischer Kriegsführung und Radar befähigen, müssen eine Prozesseffizienz aufweisen, die Größenordnungen über der liegt, welche mit der aktuell verfügbaren kommerziellen Elektronik möglich ist. Beispiel: Der Einsatz der bereits existierenden neuen Hyperschallraketen kann nur durch adäquate, intelligente, schnelle Ortungs- und Abwehrsysteme ebenfalls neuer Qualität abgewehrt werden (Abb. 2).

Um die von diesen DoD-Anwendungen geforderten Leistungsniveaus zu erreichen, müssen hochkomplexe System-on-Chip (SoC)-Plattformen entwickelt werden, die die fortschrittlichsten Technologien für integrierte Schaltungen nutzen. Trotz der Fortschritte bei den Werkzeugen zur elektronischen Entwurfsautomatisierung (EDA) nimmt die Komplexität der mit Entwurf und Verifikation von ICs verbundenen Arbeitsschritte weiterhin schnell zu, teilweise aufgrund der stetigen Fortschritte des Mooreschen Gesetzes. Um die Designanforderungen zu erfüllen, werden kommerzielle Elektronikhersteller, die fortschrittliche Hardwarelösungen entwickeln, immer größere Designteams beschäftigen, in denen jeder Designer Fachwissen in einer bestimmten Facette des Designflusses aufweist. Das DoD verfügt jedoch bezüglich der Forscher und Entwicklungsteams nicht über die erforderlichen Ressourcen, um eine solche Strategie auf die herkömmliche Art effektiv umsetzen bzw. beherrschen zu können. Das führt zu Hardware-Designzyklen, die zwei- bis dreimal länger sind als in kommerziellen Einrichtungen.

Um die Lücke im Design-Know-how und in den Ressourcen zu schließen und mit der exponentiellen Zunahme der Chip-Komplexität Schritt zu halten, hat das DoD im Jahr 2017 das Programm IDEA (Intelligent Design of Electronic Assets, Intelligentes Design elektronischer Anlagen) initiiert. Ziel ist der Versuch, einen Allzweck-Hardware-Compiler (general purpose hardware compiler) zu entwickeln, der ohne menschliches Eingreifen in die Entstehungsschleife von Elektronik Quellcodes oder Schaltpläne in physische Layouts (GDSII) für SoCs, System-In-Packages (SIPs) und Printed Circuit Boards (PCBs) in weniger als 24 Stunden übersetzt. Das Programm zielt darauf ab, Fortschritte beim angewandten maschinellen Lernen, bei Optimierungsalgorithmen und Expertensystemen zu nutzen, um einen Compiler zu erstellen, der es Benutzern ohne vorherige Designkenntnisse ermöglicht, das physische Design in den fortschrittlichsten Technologie-Nodes auszuführen. Ziel des IDEA-Programms ist es folglich, dem DoD einen Weg zur schnellen Entwicklung elektronischer Systeme der nächsten Generation zu bieten, ohne dass große Designteams erforderlich sind, wodurch die Kosten- und Komplexitätsbarrieren im Zusammenhang mit modernem Elektronikdesign deutlich reduziert werden.

Eine Riesenaufgabe

Die Größe der zu lösenden Aufgabe, die man in der amerikanischen Fachwelt als revolutionär ansieht, wird durch folgendes Zitat von Andrew Kahng von der University of California in San Diego, der eines der beteiligten Teams leitet, klar: „Noch weiß niemand, wie man ein neues Chipdesign ohne menschliches Eingreifen sicher in 24 Stunden fertigstellen kann. Das ist ein grundlegend neuer Ansatz, den wir entwickeln.“

Erica Fuchs, Professorin an der Carnegie Mellon University und Expertin für öffentliche Politik bezüglich neuer Technologien, lobte 2018 in einer Stellungnahme das Rahmenprojekt ERI und damit auch das Teilvorhaben IDEA, ist jedoch der Ansicht, dass der Gesamtansatz der US-Regierung zur Unterstützung von Elektronikinnovationen „einfach eine Größenordnung unter dem liegt“, was erforderlich ist, um die Herausforderungen zu bewältigen, denen die USA gegenüberstehen. „Hoffen wir, dass die Chipdesign-Bewegung an der Basis, die Darpa zu fördern versucht, dazu beitragen wird, die Lücke zu schließen.“ Bisher scheint das noch nicht ganz offensichtlich zu sein.

Ausblick

Neben IDEA muss auch das dazugehörige Projekt POSH (Posh Open Source Hardware) genannt werden. Um dieses wird es im zweiten Teil der Artikelreihe gehen – neben den ehrgeizigen Plänen der ERI-Initiative der Darpa als Reaktion auf technische und wirtschaftliche Trends in der Mikroelektronikbranche. Kann durch sie die Chipindustrie in den USA wiederbelebt werden?

Referenzen

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%BCnstliche_Intelligenz#Begriffsherkunft_und_Definitionsversuche 
[2] www.darpa.mil/program/intelligent-design-of-electronic-assets 

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 9
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Dr.-Ing. Hartmut Poschmann, Tech.Trends

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