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Montag, 04 Oktober 2021 11:59

Halbleiterchips – Lebenselexier der Wirtschaft

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Geschätzte Lesezeit: 9 - 18 Minuten
Testwafer für die 3D-Integration vom Fraunhofer-IZM Dresden Testwafer für die 3D-Integration vom Fraunhofer-IZM Dresden

Früher hat Öl als Lebenselixier der Wirtschaft gegolten, heute sind es die Halbleiterchips. Die Zukunft der Halbleiterbranche in Europa wurde zur Chefsache. Braucht Europa eine Megafab? Mikrochips ‚Made in Germany' stammen vielfach aus Sachsen. Dessen Chipindustrie boomt. Deshalb wurde begonnen, die Kapazitäten extensiv zu erweitern.

Infineon, Globalfoundries und X-Fab investieren kräftig, Bosch nimmt die modernste Chipfabrik Europas in Dresden in Betrieb. Fraunhofer- und Helmholz-Institute sowie diverse Universitätsinstitute forschen an neuesten Halbleitergenerationen, z. B. für Quantencomputer. In der Lausitz entsteht ein großes Forschungszentrum für Nanotechnologie.

Chipindustrie im Um- oder Aufbruch?

Testwafer für die 3D-Integration vom Fraunhofer-IZM DresdenTestwafer für die 3D-Integration vom Fraunhofer-IZM DresdenÜberall auf dem Kontinent stehen die Bänder in den Autofabriken still, weil Halbleiter fehlen, außergewöhnliche Maßnahmen sind unumgänglich. Elon Musk (Tesla) erklärte in einer Analystenkonferenz: „Wir waren in der Lage, alternative Chips einzusetzen und dann die Firmware kurzfristig zu schreiben. Es geht nicht nur darum, einen Chip auszutauschen, man muss auch die Software neu schreiben.“ Aber auch diese Reserve wird bald aufgebraucht sein. Tatsächlich gibt es eine Auftragsflut aus der Autoindustrie. Das liegt einerseits an den Trends hin zu elektronikintensiven Fahrerassistenz-Systemen, zum autonomen Fahren und zu Elektroautos, die mehr und bessere Leistungselektronik brauchen als klassische Verbrenner. Andererseits hat sich die Branche schneller von Corona erholt als zunächst gedacht. Und dadurch kommt es zu Nachfragestaus und Chip-Lieferengpässen, zumal die Vorlaufzeit in der Chipproduktion mit 4 bis 6 Wochen sehr lang ist. Und da sind Entwicklungen, Anpassungen, Zertifizierungen und andere Schritte noch gar nicht eingerechnet. Zudem hat die IT-Branche durch die Pandemie einen enormen Schub erhalten, die Chipfabriken müssen auch sprunghaft steigende Auftragszahlen aus anderen Sektoren bedienen, z. B. der IKT, der Konsum- und Unterhaltungselektronik, der Medizintechnik, der allgemeinen Industrie und bedingt durch die Bestrebungen zur Energiewende auch der Versorgung mit alternativen Energien.

Die Branche übertrifft sich deshalb mit Ankündigungen neuer Kapazitäten. Die weltgrößte Halbleiter-Foundry TSMC in Taiwan will innerhalb von drei Jahren 100 Mrd. US-$ in den Ausbau seiner Werke stecken. Für 12 Mrd. US-$ ist ein Mega-Werk in Arizona/USA geplant. Der Konzern erwägt, auch im japanischen Kumamoto und in Europa große Chipfabriken zu bauen. Auch der Globalfoundries-Konzern (GF) will weltweit milliardenschwer investieren. Samsung hat große Pläne. Selbst Intel will mit Milliardeninvestitionen ins weltweite Foundry-Geschäft einsteigen, in den USA und auch in der EU investieren. China will 70 % seiner benötigten Halbleiter selbst herstellen. Apple will mit den M1-Chips des neuen Macs zumindest teilweise auf Eigenproduktion umsteigen.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat nun das IPCEI-2-Förderprogramm für die europäische Mikroelektronik für Deutschland aufgelegt. „Wir sehen gute Chancen, dass Sachsen davon profitiert“, betonte Silicon Saxony-Geschäftsführer Frank Bösenberg. „und zwar nicht nur die großen Player, sondern auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die das ‚Silicon Saxony' ausmachen.“ Am 26. August feierte das größte Mikroelektronik-Cluster Europas und eines der größten IKT-Cluster Deutschlands, der Branchenverband Silicon Saxony, sein 20-jähriges Bestehen.

Mega-Chipfabrik für Europa?

„Europa braucht schnell eine eigene Mega-Chipfabrik. Die EU sollte sich um eine Ansiedlung der großen Auftragsfertiger aus der Chipbranche bemühen, um unabhängiger von Fernost und Transatlantik zu werden“, meinte im Januar Joachim Hofer im Handelsblatt.

Anfang 2021 hatten sich verschiedene EU-Staaten, darunter auch Deutschland, darauf verständigt, 145 Mrd. € aus den Corona-Wiederaufbautöpfen in ein Programm IPCEI zu leiten, das Europas Rückstand in der Mikroelektronik mindern soll. ‚Wichtige Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse' (IPCEI) in der Mikroelektronik wurden und werden inzwischen mit Subventionsquoten von 30 % und mehr realisiert.

Heftige Diskussionen um die Prioritäten hatte EU-Kommissar Thierry Breton ausgelöst, der dafür plädierte, mit zweistelligen Milliardenbeträgen eine eigene Euro-Foundry zu bauen, die Halbleiter der 2nm-Generation herstellen und Branchenriesen wie TSMC und Samsung Paroli bieten kann. So soll die digitale Souveränität Europas zumindest teilweise wieder hergestellt und die deutsche Autoindustrie vom Tropf der Taiwanesen und Südkoreaner gelöst werden. Der Verband Silicon Saxony lehnt dies ab, da so ein Projekt in dieser Dekade aus europäischer Kraft nicht zu stemmen sei, betonte der langjährige Präsident und Vorstandssprecher Heinz Martin Esser, der sich zum Jubiläum in den Ruhestand verabschiedete. Der Autor wünscht ihm gemeinsam mit dem Leuze Verlag dafür alles Gute. Dirk Röhrborn (Communardo) und Yvonne Keil (Globalfoundries) übernehmen seine Funktionen. Gegenüber dem Oiger-Redakteur Heiko Weckbrodt betonte Heinz Martin Esser, dass er vor 2030 keine Chance für eine 2nm-Fab sieht, da in der EU wenig Bedarf für Chips dieser Dimension besteht. Besser sei, die bereits gewachsene Mikroelektronik-Industrie zu stärken. Analysten und Manager warnen laut dem Portal Politico vor dem Risiko, mit einer 2nm-Fab Mrd. € zu verschwenden, Der sächsische Mikroelektronik-Experte Prof. Bernd Junghans, der das Megabitchip-Projekt der DDR mitgeleitet hatte. schätzte aber ein: „Bis 2025 eine 2nm-Foundry anzusiedeln, mag wirklich überambitioniert sein, aber binnen sieben oder acht Jahren ist solch ein Ziel durchaus erreichbar.“

Zudem muss Europa erst Wertschöpfungsketten bis zum Endprodukt komplettieren, bevor es Giga-Fabs baut. Bisher gibt es in Europa zu wenig fabriklose Chipdesign-Unternehmen, die solch eine große Foundry auslasten könnten. Auch müssten erst Kapazitäten aufgebaut werden, um die prozessierten Siliziumscheiben zu einsatzbereiten Chips und schließlich zu kompletten Elektronikmodulen weiterzuverarbeiten (Packaging, Backend, Post-Fab). Die Fabriken dafür stehen größtenteils in Singapur, Malaysia und China.

Aufwertung des Mikroelektronik-Standorts

Eine neue Generation von LiDAR-Radarchips für Automotive Anwendungen in 22FDX-RF-Technik entwickeln Fraunhofer, Bosch und GF DresdenEine neue Generation von LiDAR-Radarchips für Automotive Anwendungen in 22FDX-RF-Technik entwickeln Fraunhofer, Bosch und GF DresdenEtwas anderes wäre, wenn Europa solch eine Riesenfabrik der neuesten Generation nicht selbst zusammenzimmern und auslasten müsste. EU-Kommissar Breton und das französische Finanzministerium verfolgen auch die Idee, TSMC oder Samsung zu überreden, in Europa eine große Foundry-Fabrik für den europäischen Bedarf zu bauen. Dafür sei auch Deutschland, speziell auch Dresden im Gespräch, erklärte Mark Liu von TSMC. An einigen Standorten habe TSMC „Vereinbarungen mit lokalen Behörden getroffen und sei in Gesprächen mit lokalen Kunden“, heißt es in Berichten von Digitimes und EE News Europe. Hier brodelt die Gerüchteküche, denn diese Konzerne werden die möglichen Fab-Investitionen in Europa zweifellos auch von hohen Beihilfe-Quoten abhängig machen und pokern.

Der Bau solcher Großfabriken für die Chip-Auftragsfertigung wird von der einheimischen Chipindustrie nicht als problematische Konkurrenz, sondern eher als Gewinn für das gesamte Mikroelektronik-Ökosystem in der Region gesehen. Es bedeutet ein- bis zweistellige Milliardeninvestitionen und Aufwertung des gesamten Mikroelektronik-Standortes.

Zur Debatte steht angeblich bei den Taiwanesen eine Fabrik in Sachsen, die integrierte Schaltkreise der Strukturgenerationen 12 und 16 Nanometer herstellt. Dies liegt zwar etwa drei Generationen hinter der von der EU gewünschten Fabrik der 2 nm-Klasse. Dennoch wäre auch das für Europa bereits ein großer Fortschritt.

Im Juli berichtete das ‚Wall Street Journal', dass Intel an einer Übernahme des GF-Konzerns arbeite und damit die größte Übernahme seiner Geschichte plane, um möglichst schnell neue Fertigungskapazität zu gewinnen. Ein Kauf würde die geplanten Investitionen von Intel wohl nicht ersetzen, aber zusätzliches Geschäft viel schneller bringen. Denn der Konzern, der den Chipmarkt einst unumschränkt beherrschte, ist ins Hintertreffen geraten (im 2Q21 nur noch Platz 2 im IC-Insights-Ranking der Top 10 nach Samsung). Die geschätzten 30 Mrd. US-$ für GF könnte der immer noch hochprofitable Konzern aber leicht aufbringen. Auch würde der Kauf zur neuen Strategie des Foundry passen.

Unbestätigt ist das Gerücht, dass auch Samsung in GF investieren und dessen Dresdner Werk ausbauen will. Damit wolle der koreanische Elektronikkonzern seine Position in den USA und in Europa stärken, um nicht zu sehr ins Kreuzfeuer des amerikanisch-chinesischen Handelskrieges zu geraten, berichtet das Internet-Portal Coreteks. „Es handelt sich um Spekulationen und wir kommentieren keine Gerüchte und Spekulationen“, erklärte Karin Raths von GF Dresden auf Anfrage. Ähnlich reagierte Samsung.

Welche Pläne haben die Halbleiterriesen in und mit den Sachsen?

3D-Systeminteration vom Interuniversity Microelectronics Centre (IMEC), einem der größten Forschungszentren für Nano- und Mikroelektronik in Europa; Demowafer für Stacked IC, Die-to-Wafer Assembly, Flipchip fan-out Waferlevel Package u. a.3D-Systeminteration vom Interuniversity Microelectronics Centre (IMEC), einem der größten Forschungszentren für Nano- und Mikroelektronik in Europa; Demowafer für Stacked IC, Die-to-Wafer Assembly, Flipchip fan-out Waferlevel Package u. a.Umfassende globale Expansionspläne hat Globalfoundries (GF), der Weltmarktführer in der funktionsreichen Halbleiterfertigung. In den nächsten zwei Jahren will der Konzern insgesamt 6 Mrd US-$ in den Ausbau seiner Standorte in den USA, Singapur und Deutschland investieren, davon 1 Mrd. US-$ in Dresden. Im Oktober vorigen Jahres verkündete der Konzern, die Produktionskapazität von Europas größtem Halbleiterwerk in Dresden mit derzeit 3200 Beschäftigten bis auf eine Million Waferstarts pro Jahr zu erhöhen – das Zweieinhalbfache der heutigen Produktion.

Finanziert werden soll das durch den für Ende 2022 geplanten Börsengang, aber auch durch interne Einsparungen, z. B. durch die vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance) seiner Chipproduktions-Anlagen (jährlich mehrere Hunderttausend Euro pro Jahr). Das Dresdner Werk orientiert vor allem auf die stromsparende FDX-Technologie. Zu den Kunden gehören etwa die Schweizer CSEM, die französische Greenwaves oder das US-Unternehmen Perceive. Manfred Horstmann, seit Oktober Geschäftsführer in Dresden, betonte im Februar: „Tatsächlich bekomme ich derzeit viele Anfragen von namhaften Automobilzulieferern, selbst Autoherstellern, da wir inzwischen für die Produktion solcher Halbleiter zertifiziert sind. Allerdings muss man mit anderthalb bis zwei Jahren Produktionsvorlauf rechnen. Wir fahren die Fabrik jetzt schon mit Überauslastung und müssen sie daher ausbauen.“

Anfang Juli besuchte GF-Konzernchef Tom Caulfield Sachsen und bekräftigte dabei die milliardenschweren Ausbaupläne für den Standort Dresden. Im Fokus stehen dabei Auto-Elektronikbausteine, ICs für den Mobilfunk 5G und 6G, für lokale künstliche Intelligenz KI und ähnliche Zukunftstechnologien. Fab 1 in Dresden wird bis Ende 2022 auf 850 000 Waferstarts hochgefahren. Da dann der Platz in dieser Fab ausgeschöpft ist, wird ein Anbau ab 2024 notwendig. Eine solche bauliche Erweiterung machte Tom Caulfield allerdings ausdrücklich abhängig von Subventionen, die er allerdings nicht als solche bezeichnen möchte, vielmehr seien dies „staatliche Ko-Investitionen in die Zukunft“ des Halbleiterstandortes Dresden.

Kapazitäten schon jetzt fast komplett ausgelastet

Auch der deutsche Halbleiterkonzern Infineon will in den kommenden Jahren etwa 1,1 bis 2,4 Mrd. € in seinen Standort in Dresden investieren, haben die beiden Standort-Geschäftsführer Thomas Morgenstern und Raik Brettschneider im Oiger-Interview im März angekündigt. Die Infineon-Führung erwägt auch, auf ihrem Dresdner Werksgelände ein viertes Fabrikmodul für rd. 1,3 Mrd. € zu errichten. Es soll sich auf Leistungselektronik fokussieren. Gleichzeitig sollen die Leistungshalbleiter-Linien Dresden und Villach zu einer virtuellen Fabrik verschmolzen werden. „Unsere Kapazitäten sind zu fast 100 % ausgelastet, obwohl sie stetig ausgebaut werden“, erklärte Thomas Morgenstern. „In einem sehr feingliedrigen Prozess wird immer wieder ausgearbeitet, welche Anlagen wir zu welchem Zeitpunkt brauchen, um die Kapazität gezielt weiter hochzuschrauben.“ Fläche sei noch da und man investiere auch in diesem Jahr über 100 Mio. € in den Ausbau des Standortes. Die Nachfrage für die Halbleiter aus Dresden sei groß. Viele Aufträge kämen aus dem Automobilsektor, der früh aus der Coronakrise wieder hochgefahren sei. Gefragt sind Fahrassistenzsysteme und Leistungselektronik für Elektromobilität, Solar- und Windkraftelektronik sowie 5G-Mobilfunk-Chips, durch den Corona-bedingten Digitalisierungschub Computertechnik für Homeschooling, Homeoffice, Videokonferenzen oder Heimkino sowie Spezialchips für Sensorik. Infineon-Einparkhilfen stecken mittlerweile in fast jedem Neuwagen.

Der US-Konzern Intel will jetzt sein Geschäftsfeld als Auftragsfertiger (Foundry) ausbauen, also nicht mehr nur eigene Chips herzustellen, sondern auch für Kunden nach deren Designvorgaben zu produzieren. Der neue Chef Pat Gelsinger will 20 Mrd. US-$ für zwei neue Intel-Fabriken in den USA ausgeben und erwägt laut Handelsblatt-Bericht vom Mai 2021, mehrere Chipwerke der Mega-Fab-Klasse in Deutschland zu bauen. Zunächst zwei Fabriken und binnen zehn Jahren dann weitere vier bis sechs. Aktuell werden Standorte gesucht, auch Dresden steht dabei zur Debatte. Allerdings fordert der Konzern dafür Subventionen, „denn der Bau einer Chipfabrik ist extrem teuer – und wenn die EU mitzieht und wirklich viel Geld ausgibt, muss sichergestellt werden, dass auch für Europa produziert wird.“ Europas Autohersteller und andere technologieorientierte Industrien würden damit Zugriff auf eine zusätzliche Quelle für besonders feinstrukturierte Chips jenseits von Taiwan und Südkorea bekommen, müssten sich aber nicht um die Auslastung solch eines Foundry-Großstandortes kümmern. Intel ist in Europa nicht unbekannt: In Leixlip (Irland) stehen bereits mehrere Intel-Chipfabriken. In Deutschland entstand aus dem Verkauf des Infineon-Bereichs Wireless Solutions 2011 die Intel Deutschland GmbH mit weltweit 3.500 Mitarbeitern und zeitweise Beteiligungen an Forschungszentren- und -firmen, z. B. in Dresden dem LTE-Entwicklungsstandort Intel Mobile Communications als Nachfolger von Blue Wonder seit 2001.

Bosch in Dresden – ein neuer Player in der Branche!

Im März begann nach nur 3 Jahren Planungs- und Bauzeit das deutsche Elektronikunternehmen in seiner neuen hochmodernen Halbleiterfabrik in Dresden mit der Pilotproduktion, die Serienfertigung wird Ende dieses Jahres angestrebt. 1 Mrd. € kostet das digitalisierte, hochvernetzte Werk bis zur Fertigstellung. „Aus Dresden kommen schon bald Chips für die Mobilität der Zukunft und mehr Sicherheit im Straßenverkehr“, kündigte Geschäftsführer Harald Kröger an.

Gefertigt werden Chips auf 300 mm-Wafern mit je bis zu 31 000 Schaltkreisen. Geplant ist die Massenproduktion von Spezialschaltkreisen, vor allem Elektronik für die Automobilindustrie, Asics für Airbags, Parkpiloten, die Motorsteuerung oder ESP, Komponenten für Lenksysteme oder für die Gleichspannungswandler der E- und Hybridautos. Die ersten Chips werden allerdings nicht in Fahrzeuge verbaut, sondern in Bohrmaschinen, Winkelschleifern und anderen Elektrowerkzeugen, die Bosch selbst herstellt.

„Unsere neue Halbleiterfabrik setzt auch Maßstäbe bei Automatisierung, Digitalisierung und Vernetzung“, betonte Kröger. Statt Tausender, wie noch in den 1990ern, beschäftigt das Werk zum Start nur 250 Leute, später sollen es 700 Mitarbeiter werden. Grund ist der strikte Hochautomatisierungskurs, den die deutsche Halbleiterbranche seither eingeschlagen hat, um überhaupt konkurrenz- und überlebensfähig zu bleiben. Bosch setzt dabei in Dresden auf ein fortgeschrittenes Konzept namens AIoT, das Künstliche Intelligenz (AI), Industrie 4.0 und industrielles Internet der Dinge (IoT) verbindet. „Operators haben wir überhaupt keine mehr“, erzählt Fertigungsleiter Helmut Wurzer. Der Mensch greife nur dort ein, wo sich die Maschinen überfordert fühlten. „Viele arbeiten aber auch gleich remote, also klinken sich nur virtuell in den Reinraum ein.“ Sogar von zu Hause aus steuern, analysieren oder justieren sie die Anlagen. Im Alltagsbetrieb aber handeln die Maschinen die Produktionsabläufe, allein im Frontend 700 Prozessschritte, ganz allein untereinander aus. Die Steuerung übernimmt die Künstliche Intelligenz (KI), bei der die Sensordaten aus Anlagen, Subfab und Analyselaboren zusammenlaufen. Die neuronalen Netze von Bosch Dresden befinden sich derzeit noch im Daten-Fütter- und -Lernmodus, werden aber zum Jahresende online geschaltet, sodass die KI nach und nach die Echtzeit-Kontrolle der Fertigung übernimmt. Das Dresdner Werk wird sowohl intern als auch mit dem Bosch-Standort Reutlingen per 5G vernetzt sein.

Weil während der Corona-Zeit viele Spezialisten von Anlagen-Zulieferern nicht mehr nach Dresden eingeflogen werden konnten, setzten die Bosch-Techniker auf ‚Augmentierte Realität' (AR) – Datenbrillen, in die virtuelle 3D-Zwillinge der Maschinen eingespeist sind. Jene halfen dann dabei, die Anlagen doch noch rechtzeitig zu installieren und zum Laufen zu bringen. Die ersten Serienchips werden im Juli produziert, aber erst gegen Jahresende die Kunden erreichen. Gründe sind das Einpendeln der Prozessabläufe und die hohe Anzahl der Prozessschritte.

Bosch will zudem seine Entwicklungskapazitäten in Dresden ausbauen, kündigte Werkleiter Christian Koitzsch im Juni an. Dazu wird die sächsische Bosch-Entwicklungstochter für MEMS auf dem Gelände des neuen Werkes konzentriert und in Zukunft ein größeres Entwicklungszentrum neben dem Reinraum eingerichtet. Auch für die Perspektive bestehen Pläne, die Reinraumfabrik am Standort zu spiegeln. Das Gelände dafür ist vorhanden.

Entwicklungen der Nanoelektronik für die Zukunft

Die Halbleiterindustrie wird weltweit im Jahr 2021 rund 71,4 Mrd. US-$ für Forschung und Entwicklung ausgeben und damit einen neuen Rekord aufstellen (4 % Zuwachs im Vorjahresvergleich), haben die Analysten von IC Insights prognostiziert. Für die nächste Generation höchstintegrierter Mikroelektronik gilt es, neue Fertigungstechnologien zu entwickeln.

Ziel des durch ASML Netherlands koordinierten EU-Projektes PIN3S ist die Pilotintegration einer 3-nm-Halbleitertechnologie, incl. die defektfreie Herstellung hochpräziser Masken. Das Fraunhofer IIS/EAS Dresden wird dazu ein Sensorik-Modul zur Messdatenerfassung für die Waferbelichtung mit EUVL entwickeln.

Um den immer größer werdenden Leistungshunger moderner Elektronik zu stillen, stößt Silizium an seine Grenzen. Alternativen bieten ultradünne 2D-Materialien, das bekannteste ist Graphen. Damit diese Materialien als elektronische Komponenten funktionieren, müssen sie wie Silizium durch Dotieren verändert werden, z. B. durch Ionenimplantation. „Bei 2D-Materialien ist das schwierig“, erläuterte Slawomir Prucnal vom Helmholtz-Zentrum Dresden Rossendorf (HZDR). Sein Team hat diese Werkstoffe deshalb mit einer speziellen Deckschicht versehen, durch deren Aufbau die Prozesse sehr genau zu steuern und auch mit konventionellen Produktionsanlagen der Siliziumtechnik zu bearbeiten sind.

Der Erfurter Mikrochip-Konzern X-Fab mit Fabrik in Dresden teilte schon im Februar mit, dass alle seine Fabriken den Ausstoß erhöhen, die Kapazitäten hochfahren müssen, um die Auftragslage zu bewältigen. Insbesondere Mikrolabor-, Siliziumkarbid-, Hochvolt-CMOS-Technologien und die Fertigkeiten zur On-Chip-Spannungsisolation sind gefragt. Das Unternehmen und das Leibniz-Institut für Hochleistungsmikroelektronik (IHP) haben eine Partnerschaft angekündigt mit dem Ziel, die Kompetenz von X-FAB mit der Expertise des IHP in der drahtlosen Kommunikation zu verbinden. Die aktiven Bauelemente von IHP werden direkt in das Backend of Line (BEOL) von X-FABs 130-nm-XR013-RF-SOI-Prozess mit Cu- und Dick-Cu-basierter Metallisierung integriert. Weitere Schwerpunkte sind SiGe-BiCMOS-Technologien oder siliziumbasierte mikrofluidische Strukturen direkt auf CMOS-Chip, geeignet für Lab-on-a-Chip, DNA-Sequenzierung und andere Medizintechnik.

Quantencomputer ‚Made in Germany' soll kommen

Ingenieure aus Schweden und Sachsen wollen gemeinsam die Mikroelektronik-Produktion um-krempeln. Dafür hat die schwedische Alix Labs ein Verfahren entwickelt, das die Chip-Produktion mit Strukturgrößen unterhalb 10 nm vereinfachen und verbilligen soll – ohne den Einsatz teurer EUV-Belichtungsanlagen. Die Dresdner Plasway Technologies transferiert diese Pitch-Splitting-Methode mittels Atomlagen-Ätzen in einen industrienahen Maßstab.

Bisher führen bei den Quantencomputertechnologien vor allem Unternehmen wie IBM, die Amazon-Tochter AWS, Google oder D-Wave aus Kanada. Auch Intel hat zeitweise an einem siliziumbasierten Quantenprozessor gearbeitet. Wo einst der Megabit-Speicherchip der DDR entwickelt wurde, arbeiten nun auch sächsische Wissenschaftler an dieser Technologie. Das Fraunhofer-IPMS in Dresden entwickelt gemeinsam mit 18 weiteren Partnern im Rahmen des EU-Förderprojektes Quantum Large-Scale Integration with Silicon (QLSI) einen 16-Qubit-Quantenprozessor auf Siliziumbasis für die Großserienproduktion.

Infineon Dresden arbeitet im Quasar-Verbundprojekt an der Entwicklung eines silizium-basierten Quantenprozessors mit. Später soll daraus ein Quantencomputer ‚Made in Germany' gebaut werden. In Deutschland gibt es drei größere Verbundprojekte, die die kleinsten Datenzellen von Quantencomputern, die ‚Qubits', auf unterschiedlichen Technologiepfaden erzeugen wollen: GEQCOS setzt auf supraleitende Qubits, PIEDMONS auf Ionenfallen-basierte Quantencomputer und QUASAR auf siliziumbasierte Qubits. Die Leitung des Quasar-Projektes hat das Forschungszentrum Jülich. Beteiligt ist neben Infineon Dresden unter anderem auch das CNT im Fraunhofer-IPMS.

Die Bergakademie Freiberg schärft ihr Forschungsprofil in der Nanoelektronik und den Quantenmaterialien: Der Dresdner Physiker und Nanodrahtexperte Daniel Hiller hat im Freiberger Institut für Angewandte Physik eine Heisenberg-Professor angetreten. „Die Miniaturisierung von Transistoren auf Chips stößt immer mehr an fundamentale Grenzen“ erläuterte Prof. Hiller. Eine Lösung sieht er in wenige Nanometer großen Drähten, die sich zu Transistoren und letztlich auch zu kompletten Computerchips zusammenschalten. Damit sich diese Nanodrähte richtig organisieren und Signale gut leiten, will Hiller bisher wenig eingesetzte physikalische und quantenchemische Effekte nutzen. Außerdem forscht er an Quantenmaterialien aus Silizium und Germanium.

Aus einer Mitteilung im Mai wurde bekannt, dass sich GF Dresden künftig an der Produktion neuartiger photonischer Quantenchips gemeinsam mit dem kalifornischen Projektpartner Psiquantum aus Palo Alto beteiligt. Dabei setzen die Partner auf das Prinzip des ‚Fusion-based quantum computing'.

Die TU Dresden, die University of Manchester, die Racyics GmbH und GF gaben im Juli das sogenannte Tapeout des SpiNNaker2-Chips bekannt, eines neuen Chips für künstliche Intelligenz, der vom menschlichen Gehirn inspiriert ist. Unter Verwendung der 22FDX-Lösung von GF ist ein neuromorpher KI-Echtzeitprozessor mit beispielloser Effizienz und einer Latenzzeit von unter einer Millisekunde für gehirnähnliche Superrechner entstanden. Die junge TU-Ausgründung Spinncloud Systems GmbH soll die neue KI dann auch kommerziell vermarkten. Die Massenproduktion könnte GF bis Mitte 2022 realisieren.

Sachsen bemüht sich seit geraumer Zeit, in der Schlüsseltechnologie Künstliche Intelligenz (KI) ein Standort von bundes- und europaweiter Bedeutung zu werden. Die TU Dresden, das HZDR und andere Akteure im Freistaat haben sich insbesondere auf die Analyse großer Datenströme (Big Data), KI-Transparenz und den KI-Einsatz in Industrie und Forschung spezialisiert. Grundlage dafür ist die Studie ‚Künstliche Intelligenz – Kompetenzen und Innovationspotential in Sachsen' vom Dresdner Teil des Fraunhofer-IIS.

Ein neues Großforschungszentrum für Nanoelektronik?

Schon seit Jahren gibt es in Sachsen Forderungen, auch etwas in der Liga der nationalen Mikroelektronik-Forschungszentren Cea-Leti in Grenoble (Frankreich) oder des IMEC in Löwen (Belgien) im Freistaat zu etablieren. Frühere Versuche, das IMEC zumindest zur Gründung einer Forschungsaußenstelle in Dresden zu animieren, waren seinerzeit gescheitert. Fraunhofer und die Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland setzten sich nun im April 2021 beim BMBF dafür ein, dass in der sächsischen Lausitz ein solches Großforschungszentrum errichtet wird. „Im Mittelpunkt soll die Nanoelektronik stehen“, sagte Guttowski vom FMD. Dabei gehe es sowohl um Grundlagenforschung als auch Anwendungen neuer Halbleitertechnologien. Aktualisiert wurde aber, dass das Zentrum in der Lausitz kein solch zentraler Halbleiter-Netzwerkknoten sein wird, wie Leti oder IMEC. Die FMD selbst ist als Institutsverbund und virtuelle Chipfabrik eher anwendungsorientiert.

Quellen:

Fotos von Präsentationen auf den 3D & Systems Summit 2018 und 2020 in Dresden
Silicon Saxony e. V. Newsletter: silicon-saxony.de 
Nachrichtenportal Oiger, Heiko Weckbrodt: computer-oiger.de 
und weitere Presse-Mitteilungen

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 9
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Dr. Rolf Biedorf

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