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Dienstag, 09 November 2021 10:25

Halbleiterkrise: Bauteilfälschungen auf dem Vormarsch

von Paul Braun
Geschätzte Lesezeit: 3 - 5 Minuten

Mit der Halbleiterkrise folgt das nächste Tief für die Industrie. Insbesondere die Automobilindustrie ist stark betroffen. Neuwagen erhalten analoge Tachometer anstatt digitaler, Produktionsstraßen stehen still und Mitarbeiter müssen trotz voller Auftragsbücher in Kurzarbeit [1]. Ein Grund für die Krise: Versorgungsengpässe bei den Rohstoffen und geopolitische Spannungen [2].

Aktuell sind die entsprechenden Bauteile, wenn überhaupt, nur mit sehr langen Lieferzeiten bei den Herstellern erhältlich. Wie die Industrie auf die langen Lieferzeiten der Halbleiter reagiert: sie weicht auf sogenannte Beschaffungsdienstleister aus. Ein Problem dieser Praxis ist es, dass oftmals nur wenig über die Quellen bekannt ist, aus denen diese Teile stammen. Hierdurch eröffnen sich neue Probleme, denn im sogenannten „freien Markt“ finden sich eine Großzahl an gefälschten, manipulierten und gebrauchten Teilen, welche als Neuware deklariert sind [5].

Bauteilmanipulationen systematisch erkennen

Mit Bauteilen, deren Eigenschaften nicht dem Datenblatt entsprechen und die durch ihre niedrige Qualität oder einem „früheren Leben“ schon nach kurzer Einsatzzeit versagen, können keine zuverlässigen Produkte hergestellt werden. Wenn nur ein Bauteil auf einer Platine ausfällt, ist meist die gesamte Baugruppe ohne Funktion [3], was insbesondere bei sicherheits- bzw. lebenswichtigen Systemen wie beispielsweise Fahrassistenzen und Bremssteuerungen prekär ist.

Doch was sind die Alternativen? Die Produktion aufgrund von Bauteilen mit schleierhafter Herkunft stoppen? Oder gibt es eine Möglichkeit, gefälschte Elektrobauteile bereits im Vorfeld zu erkennen?

Die Zeiten, in denen Fälschungen noch recht simpel zum Beispiel an schlecht kopierten Logos oder fehlerhafter Beschriftung erkannt werden konnten sind vorbei. Bei Margen von über 300 % [3] ist der Aufwand für die Fälscher, die Fälschungen bestmöglich zu verschleiern, äußerst rentabel [4]. Somit lassen sich gefälschte Bauteile vielfach kaum noch von den Originalen unterscheiden, weshalb es zur Sicherung der Qualität und Bestimmung der Authentizität einer geeigneten Strategie bedarf. 

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Abb. 1: Auch Bauteile im Wert von nur einem Euro werden gefälscht. In diesem Fall wurde ein Operationsverstärker des Herstellers Texas Instruments bestellt (links), aber ein gefälschter, unbeschrifteter Chip geliefert (rechts). Dieser würde unter Umständen zwar die elektrischen Tests bestehen, jedoch nicht die Zuverlässigkeit wie ein hochwerter Chip von TI liefern

Counterfeit-Screening

Geeignete Strategien zur Sicherung der Qualität und Bestimmung der Authentizität von auf dem freien Markt beschafften Komponenten sind somit für die Wahrung der Qualität und Integrität der eigenen Produkte essenziell. Die Bauteilqualität und Bauteilverfügbarkeit im Vorfeld zu sichern, ist eine der Kompetenzen der HTV Firmengruppe, die neben Test, Analytik sowie Langzeitkonservierung und Langzeitlagerung auch auf die Bauteilprogrammierung und Bauteilbearbeitung spezialisiert ist.

Das HTV-Institut für Materialanalyse bietet zahlreiche Möglichkeiten an, um die Originalität und Qualität zugelieferter Teile bewerten und eventuelle Bauteilmanipulation feststellen zu können: Zunächst muss die korrekte Funktionalität und die Einhaltung der Datenblattparameter sichergestellt werden. Dies erfolgt bei HTV über komplexe Digital- und Mixed-Signal-Großtestsysteme oder eigens für die gewünschten Untersuchungen erstellten Prüfapplikationen. So kann bereits ohne weiterführende Analysen eine erste Aussage bezüglich der Echtheit des Bausteins getroffen werden.

Häufig ist es nötig, wie in Abbildung 1 gezeigt, nachfolgende detaillierte Untersuchungen sowohl hinsichtlich des äußeren (z. B. Wareneingangsprüfung, Lichtmikroskopie, Wischtest) als auch des inneren Aufbaus (z. B. Akustische Mikroskopie, Röntgen, chemische Bauteilöffnung) durchzuführen. Beispielsweise wird mithilfe eines Wischtests die Bauteiloberfläche durch spezielle Chemikalien behandelt, sodass festgestellt werden kann, ob das Bauteil nachträglich neu beschriftet und somit umdeklariert beziehungsweise manipuliert wurde. Doch auch hier lernen die Fälscher stetig dazu. Verwendete Techniken können oftmals nicht mehr mit Standardverfahren, wie beispielsweise einem Wischtest, aufgedeckt werden. Derartige Fälschungen bzw. Manipulationen können mit einer chemischen Bauteilöffnung, aber auch mithilfe der akustischen Mikroskopie (SAM) nachgewiesen werden.

In Anbetracht der aktuellen Situation ist es absolut ratsam, Bauteile welche von Beschaffungsdienstleistern stammen, auf ihre Authentizität zu überprüfen. Nur so kann auch die Zuverlässigkeit und Funktion des finalen Produkts sichergestellt und Reklamationszahlen niedrig gehalten werden. Für diese Aufgaben bietet das HTV-Institut für Materialanalyse zahlreiche umfassende Analysemethoden als Dienstleistung an, womit die Qualität der angelieferten Bauteile sichergestellt werden kann.

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 Abb. 2: Neue Techniken der Fälscher sind immer schwerer nachweisbar. Sie schleifen die alte Beschriftung ab und verwenden anschließend das abgeschliffene Material, um dieses mit Epoxidharz erneut auf die Bauteiloberfläche aufzubringen. Somit wird das ursprüngliche Erscheinungsbild des Gehäuses erhalten. Anschließend werden die Teile neu beschriftet. Das Problem: ein Wischtest ist in diesem Fall unauffällig (links). Eine Untersuchung solcher Bauteile mit einem Scanning-Acoustic-Microscop (SAM) hingegen bringt die originale Schrift, und somit die Wahrheit, ans Tageslicht

Alterung kann verhindert werden

Hat ein Unternehmen das Glück, authentische Teile kaufen zu können, stellt sich die Frage nach dem Einkaufsvolumen. In, wie aktuell, schwer planbaren Zeiten entfällt eine Just-in-Time Fertigung ohne Lagerhaltung. Doch wo sollen die Bauteile gelagert werden? Und vor allem, wie können diese Teile über Jahre hinweg konserviert werden, ohne an Qualität und Funktionaliät einzubüßen? Auch bei diesem Problem kann HTV helfen. Mit dem eigens entwickelten, weltweit einmaligen TAB-Langzeitkonservierungs- und -lagerungsverfahren können Bauteile in Hochsicherheitsgebäuden bis zu 50 Jahre konserviert werden. Im Gegensatz zu herkömmlichen Lagerungsverfahren (z. B. in Stickstoff-Drypacks) können die spezifischen Alterungsprozesse, wie beispielsweise die Diffusion, drastisch reduziert, z. T. sogar verhindert werden. Hierbei wird auch eine Überwachung und Vorhersage der Verfügbarkeit der eingelagerten elektronischen Komponenten mithilfe verschiedenster Analyseverfahren angeboten. Somit kann die Versorgung der Produktion mit wichtigen Bauteilen auf Jahrzehnte sichergestellt werden.

Referenzen und Anmerkungen:

[1] https://www.auto-motor-und-sport.de/verkehr/autohersteller-prozessoren-halbleiter-schaltkreise-produktionsstopp-pc-homeoffice/ 
[2] https://www.springerprofessional.de/halbleiter/halbleitertechnik/das-muessen-sie-zur-halbleiter-krise-wissen/19356172 
[3] https://www.elektronikpraxis.vogel.de/vorsicht-gefaelschte-halbleiter-das-schmutzige-geschaeft-mit-plagiaten-a-727271/ 
[4] https://www.industr.com/de/woran-sie-gefaelschte-halbleiter-erkennen-2533740 
[5] https://www.heise.de/news/Chipmangel-Warnung-vor-gefaelschten-Halbleiter-Bauelementen-6069089.html 

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