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Freitag, 26 November 2021 12:00

Künstliche Intelligenz wird die Elektronikindustrie nachhaltig verändern - Teil 3: Angebote europäischer und US-amerikanischer Firmen zur praktischen KI-Nutzung

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Geschätzte Lesezeit: 11 - 21 Minuten

Weltweit gibt es Hinweise darauf, mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) die Elektronikindustrie partiell oder insgesamt auf ein neues Qualitätsniveau zu heben. Das markanteste und zugleich komplexeste Vorhaben dafür ist das DARPA-Projekt IDEA. Während dieses noch ‚Zukunftsmusik' ist, bieten europäische, US-amerikanische und weitere Unternehmen bereits praktisch nutzbare Möglichkeiten der Integration von KI in den Entstehungsprozess von Elektronik an.

Abb. 1: Schematischer Elektronik-Entwicklungsprozess: Viele Prozessschritte lassen sich algorithmisch abbilden und damit automatisieren (Bild: Contunity/Celus)Abb. 1: Schematischer Elektronik-Entwicklungsprozess: Viele Prozessschritte lassen sich algorithmisch abbilden und damit automatisieren (Bild: Contunity/Celus)In Teil 1 und 2 dieses Berichtes wurden die revolutionären Ziele des recht monumentalen Darpa-Projektes IDEA/POSH skizziert. Es ist wahrscheinlich das komplexeste der weltweit laufenden Vorhaben, mittels KI die Entwicklung und Produktion von Elektronik auf ein völlig neues Niveau zu heben. Die Spannbreite von IDEA ist groß: Sie reicht von der effizienten Entwicklung von Super-ICs, komplexen Halbleitermodulen wie SoCs bis hin zu Design und Produktion von PCBs, Baugruppen und Geräten. In Anlehnung an einen bekannten volkstümlichen Begriff könnte man sagen, dass mit dem seit 2018 laufenden Projekt eine zukünftige ,Eier-Woll-Milch-Sau-Lösung' angestrebt wird. Ob, wann und wie sie in diesem Umfang verwirklicht werden kann bzw. wird, ist gegenwärtig noch nicht absehbar. Doch die bisherigen Erfahrungen besagen, dass sich die meisten Schritte in der Elektronikentwicklung und -fertigung automatisieren lassen (Abb. 1). Das gewinnt auch gravierend an Bedeutung, wenn uns in naher Zukunft die Elektronikentwickler ‚ausgehen'. Die Zahl der Elektrotechnikstudenten ist rückläufig und allein in Deutschland fehlen laut Publikationen bis 2026 etwa 70 000 Elektroingenieure.

Es gibt in der Elektronikindustrie der USA und auch Europas zahlreiche Beispiele dafür, dass KI bereits erfolgreich in deutlich kleinerem Maßstab als IDEA in der Entwicklung und Fertigung von Elektronik praktisch eingesetzt wird. Es sind Lösungen, die mit unvergleichlich geringerem Ressourceneinsatz als bei IDEA entwickelt wurden und anhand der gesammelten Erfahrungen stetig weiterentwickelt werden. Beispiele dafür gibt es im vorliegenden Teil 3 des Berichtes. Abbildung 2 zeigt, dass die partiellen Lösungen von der Schaltungsentwicklung über das Leiterplattendesign bis hin zur Prüfung von Leiterplatten, Baugruppen und Geräten reichen.

Abb. 2: Beispiele für den Einsatz von KI-Tools in der Entstehungskette von Elektronik Abb. 2: Beispiele für den Einsatz von KI-Tools in der Entstehungskette von Elektronik

Schaltungsentwicklung und Leiterplattendesign mit JITX

Abb. 4: Beispiel für ein mit JITX erstelltes Board Abb. 4: Beispiel für ein mit JITX erstelltes Board Das 2017 gegründete kalifornische Start-up-Unternehmen JITX mit Sitz in Berkeley hat in den letzten drei Jahren ein KI-Tool zur Automatisierung des Leiterplattendesigns entwickelt; theoretisch hat damit jeder Zugang zu professionell gestalteten Leiterplatten. Die Firma lässt sich von der Vision leiten, Hardware-Design zum Wohle der Wissenschaft und der Menschheit zu automatisieren [1]. Letzlich geht es darum, den im Rahmen von Industrie 4.0 und verketteten smarten Fabriken immer mehr zu einem unproduktiven Nadelöhr werdenden Prozess der Schaltungs- und Layouterstellung zu automatisieren, also an das hohe Tempo der Vorwärtsentwicklung der Elektroniksysteme anzupassen bzw. ihn wesentlich zu beschleunigen. Diese Dringlichkeit kommt zu einer Zeit, in der KI die bisherigen State-of-the-Art-Methoden der Elektronikindustrie grundlegend verändert. JITX zählt sich zu denjenigen Firmen, die die neuen Ergebnisse von KI mit den sich vertiefenden Problemen auf dem Markt verbinden. Weil das Unternehmen gleichzeitig Teilnehmer des in Teil 1 und 2 dieses Beitrags vorgestellten ERI- bzw. IDEA-Projektes ist, wird es von der DARPA finanziell unterstützt.

Für IDEA arbeitet JITX mit Halbleiter- und Komponentenproduzenten zusammen, um eine umfangreiche Bibliothek elektronischer Bauteile aufzubauen und Software zu entwickeln, die High-Level-Designziele in echte Schaltungsdesigns verwandelt. Es werden Optimierungstools erstellt, die die bestmögliche Version der Leiterplatte finden. JITX arbeitet also mit daran, den gesamten Prozess der Entwicklung von Elektronikbaugruppen zu automatisieren und zu rationalisieren. In einer weiteren Etappe werden die Arbeiten von der elektrischen auf die mechanische Konstruktion, also beispielsweise auf die Gehäuseerarbeitung ausgeweitet. Das läuft konform mit den Zielen von ERI bzw. IDEA der Darpa [2]. Bei JITX ist man der Meinung, dass alles automatisiert werden kann, wenn man den richtigen Ansatz findet und dass man erste Teilergebnisse von IDEA bereits auf den Markt bringen sollte, wenn sie praktisch nutzbar sind wie im Fall des gleichnamigen Tools JITX. Man kann demnach davon ausgehen, dass JITX bereits ein erstes Ergebnis der Arbeiten an IDEA bzw. POSH ist.

Das noch sehr junge internationale Team schuf mit dem Tool JITX eine Möglichkeit, elektrische Schaltungen und die auf ihnen basierenden Leiterplatten schneller und mit weniger Fehlern als Dienstleistung zu entwerfen. Die Generierung von Designs erfolgt mit Hilfe von Codes. Basis sind ein allgemeines Systemblockdiagramm und eine Beschreibung der Funktionalität. Es braucht eine Spezifikation) in einer DSL-Sprache, die die zu verwendenden Komponenten beschreibt und in KiCAD- oder Altium-Dateien kompiliert. Letztere können zur PCB-Fab gesendet werden (Abb. 3, 4). Bei der Entwicklung von JITX wurden Methoden der Entwicklung hochintegrierter Schaltkreise übernommen.

Abb. 3: Beispiel für den Einsatz von JITX DSLAbb. 3: Beispiel für den Einsatz von JITX DSL

Die Designdateien können auch separat ausgegeben werden. Die KI-gestützten Solver kümmern sich um die Details auf niedriger Ebene und machen die Engineering-Arbeit wiederverwendbar. Ein Design in JITX ist ein Code, der das vorhandene technische Wissen erfasst und wieder abrufbar macht. Es sind keine einmaligen Schaltpläne vorgesehen.

Der User definiert, was ihm wichtig ist, nicht wie. Wenn zum Beispiel ein Board mit BLE (Bluetooth Low Energy) und einem Mikrofon (das ‚Was') erforderlich ist, wählt die Software selbständig passende Schlüsselkomponenten aus der Bibliothek aus, konzipiert Netzteile und Bauteilwerte, bezieht alle Teile, weist Pins zu, plant Platzierungen, routet die Leiterbahnen und exportiert dann das Board und den Schaltplan (das ‚Wie'). Das Tool exportiert ein vollständig bearbeitbares CAD-Projekt (KiCAD, Altium usw.), als ob es von einem menschlichen Designer erstellt worden wäre – nur eben mit besserer Qualität, weil sich der automatisierte Designprozess auf eine stetig wachsende analysierte Anzahl bereits realisierter Designs stützen kann.

Wenn man Vorgaben zur Form der Leiterplatte hat, können Constraints als Einschränkung hinzugefügt werden. Ebensolches passiert bezüglich der Position von Bauteilen, der Wahl bestimmter BLE-Chips usw. Zukünftige Design-Tools sollten nach Meinung der Autoren intelligent genug sein, um die Millionen Details selbst zu lösen, die dem Ingenieur egal sind. Sie sollten das Design in Richtung dessen optimieren, was dem Operator wichtig ist [2]. JITX kann von Interessenten bereits praktisch genutzt werden. Dazu ist unter [1] ein Kontaktformular auszufüllen. Unter [3] können Interessenten in Hackaday eine Diskussion über das Für und Wider von KI-gestützen Designtools verfolgen.

Schaltungsentwicklung und Leiterplattendesign mit Celus Supernova

Abb. 5: Mit Hilfe der Automatisierung werden durch Celus Supernova nach Erfahrung der Fachleute die Entwicklungszeit und Time to Market um bis zu 90 % reduziert [5] Abb. 5: Mit Hilfe der Automatisierung werden durch Celus Supernova nach Erfahrung der Fachleute die Entwicklungszeit und Time to Market um bis zu 90 % reduziert [5] Das deutsche Unternehmen Celus (ehemals Contunity) hat mit Supernova eine KI-cloudbasierte Automatisierungslösung entwickelt, die die Komplexität des Elektronikdesigns mit Hilfe eines einfach zu bedienenden Drag & Drop-Tools reduziert [4]. Sie soll 2021 verfügbar sein. Das Start-up hat es sich zum Ziel gesetzt, Elektronikentwicklungsprozesse durch Automatisierung schneller, einfacher und effizienter zu machen. Die All-in-One Software-Lösung ermöglicht die automatisierte Entwicklung von Schaltplänen und Leiterplatten sowie die Erstellung von Stücklisten (BOM). Gegenwärtig werden noch Pilotprojekte gemeinsam mit verschiedenen Unternehmen durchgeführt. Interessenten können die Firma kontaktieren, wenn sie das Tool ausprobieren möchten. Celus wurde bereits mehrfach ausgezeichnet: 2018 gewann das Unternehmen noch unter dem alten Firmennamen Contunity den Weconomy Award, 2019 hat es eine große Förderung im Rahmen des EU-Programmes Horizon 2020 erhalten.

Laut [5] wandten die Ingenieure bei der Entwicklung von Supernova die Prinzipien der Softwareentwicklung an und schufen das Äquivalent eines Code Generators. Das ist möglich, weil die Bauteile allein anhand ihrer Aufgaben ausgewählt werden können. Auch Schaltplan und Layout lassen sich mit Algorithmen und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz abbilden. Dabei machten sie sich den Trend der Entwicklung von Teilmodulen zu Nutze. In einer Datenbank werden die Daten der Module präzise hinterlegt, so dass bewährte Teilschaltungen, die gegebenenfalls bereits zertifiziert wurden, wiederverwendet werden können. So gelang es den Entwicklern im September 2018, die weltweit erste, ausschließlich von Algorithmen designte funktionierende Leiterplatte zu entwickeln. Supernova wurde entwickelt, um sich vollständig in die bestehende Elektronik-Engineering-Umgebung der User integrieren zu lassen (Abb. 5).

Schaltungsentwicklung und Leiterplattendesign mit Circuit Tree

Unter dem Motto ‚Rapid Circuit Board Prototypes using Automation – Design and Order Boards in Minutes' entwickelte das kleine indische Start-up Circuit Tree eine Automatisierungs-Engine, die mit gegebenen Benutzereingaben über ein GUI-basiertes Online-Tool autonom Schaltpläne und Leiterplattendesigns entwirft (Abb. 6, 7). Durch die Verwendung von Komponentendefinitionen als proprietäre Modelle in ihrer Octopart-Datenbank erstellt die Firma als Dienstleistung in kürzester Zeit Schaltpläne, Komponentenplatzierung und Routing [6]. Dies bedeutet, dass die Automation Engine selbständig verschiedene Arten von Komponenten für eine Schaltung auswählt und weiß, wo diese Komponenten an Bord platziert und geroutet werden müssen. Die Circuit Tree Design Engine wurde von Ingenieuren entwickelt, die über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Entwicklung aller Arten von First Time-Right-Designs verfügen. Allerdings kontrolliert das Team nach der automatisierten Erarbeitung noch einmal die Qualität der gefundenen Lösung und vervollständigt so seine Datenbasis kontinuierlich. Es wird geschätzt, dass das Tool Ingenieuren hilft, zwischen 70 und 90 % des Schaltungsdesign-Aufwands einzusparen.

Schaltungsentwicklung mit ACE

Abb. 6: Board-Design-Prozess bei Circuit Tree Abb. 6: Board-Design-Prozess bei Circuit Tree Nicht ganz so weit wie JITX und Celus im KI-Einsatz ist die 2018 gegründete Londoner Firma Circuit Mind Ltd. Es ist ein Start-up, das Unternehmen bei der Entwicklung elektronischer Schaltungen vom Konzept bis zum Prototyp oder bis zur Produktion als Dienstleistung unterstützt, darunter teilweise unter Einsatz von KI. Sein Motto: Design reliable Electronics in Seconds. Für die Finanzierung seiner Entwicklungsarbeiten hat Circuit Mind im Juli 2021 von Deeptech Labs, einem Mitglied von Cambridge Network, 400 000 GBP (ca. 550 000 USD) eingesammelt. Deeptech Labs ist ein Start-up-Accelerator, welcher in Cambridge mit Unterstützung von ARM, Cambridge Innovation Capital und der University of Cambridge gegründet wurde [7]. Neben kleineren Finanzierungen, meist gegen 5 bis 20 Prozent Eigenkapital, erhalten die Unternehmen ein dreimonatiges Entwicklungsprogramm und Zugang zu Mentoren. Dazu gehören einige der Gründer und Geschäftsführer von ARM, CSR und Imagination Technologies.

Das erste Produkt von Circuit Mind ist die intelligente ACE-Plattform, die automatisch in Sekundenschnelle mit Hilfe von KI die Komponenten auswählt und elektronische Schaltpläne generiert, optimiert, pflegt und umgestaltet. Das Team arbeitet daran, dass ACE zukünftig auch optimale PCB-Layouts mit KI-Unterstützung generieren kann [8].

KI-Autorouter DeepPCB

Das Erstellen des Layouts von Leiterplatten durch den Designer geschieht im einfachsten Fall immer noch manuell, was recht lange dauern und fehlerbehaftet sein kann. Bei komplizierteren Schaltungen werden automatische Routingwerkzeuge eingesetzt, die helfen, enorm viel Zeit zu sparen. Beim Umsetzen des Schaltplans in ein Fertigungslayout ist jedoch nicht immer offensichtlich, welches die beste Routingstrategie für eine Leiterplatte ist, so dass auch nicht immer ein optimales Ergebnis für die Baugruppe aus Funktions- und Kostensicht zustande kommt.

Abb. 7: Automatisch erstelltes Micron-Python-Board von Circuit Tree Abb. 7: Automatisch erstelltes Micron-Python-Board von Circuit Tree

Aufgrund der unterschiedlichen Qualität der angebotenen Autorouter bedeutet der Einsatz eines solchen Tools nicht, dass das Ergebnis nicht noch deutlich verbesserbar ist, vor allem, wenn man bedenkt, dass der größte Faktor für ein gutes Routing immer noch die beste Platzierung der Komponenten ist. Hier kommt zunehmend KI ins Spiel, bei der idealerweise auf eine größere und bessere Wissensbasis zurückgegriffen werden kann.

Abb. 8: Beispiel für ein mit DeepPCB erstelltes Board Abb. 8: Beispiel für ein mit DeepPCB erstelltes Board Die britische Firma InstaDeep (Hauptsitz London) stellte 2019 mit DeepPCB den ersten KI-gestützten Autorouter für Leiterplatten vor, den Kunden als Dienstleistung über eine vollautomatische Cloud-Plattform nutzen können [9]. Zum Einsatz kommt TensorFlow-basiertes maschinelles Lernen. Partner bei seiner Entwicklung waren u. a. die Firmen Altium, Nvidia und Intel. Zusätzlich kooperierte InstaDeep mit verschiedenen führenden Universitäten wie dem MIT, der University of Oxford und der University of Michigan. InstaDeep hat in KI-Kreisen Glaubwürdigkeit aufgebaut, indem es Innovationen in den Bereichen Machine Learning (ML) und Reinforcement Learning (RL) eingeführt hat, insbesondere bei der Suche nach guten Lösungen für NP-Hard-Probleme mit KI.

Die Firma wurde 2014 gegründet und ist heute nach eigenen Angaben ein führendes Unternehmen in der EMEA-Region für entscheidungsrelevante KI-Produkte [10]. Sie hat Niederlassungen in Paris, Tunis, Lagos, Dubai und Kapstadt. Kürzlich wurde InstaDeep von CB Insights zum zweiten Mal in Folge zu einem der 100 vielversprechendsten KI-Start-ups der Welt gewählt.

Die DeepPCB-Plattform funktioniert nach dem Prinzip ‚no-human-in-the-loop' (ohne Menschen in der Arbeitsschleife), sobald die .dsn-PCB-Datei des Users übermittelt wurde. Als Ergebnis erhält man innerhalb von 24 Stunden eine SES-Datei. Abbildung 8 zeigt eine mit DeepPCB erstellte Leiterplatte.

Die seit 2019 im Einsatz befindliche Beta-Version von DeepPCB setzt auf KI-Funktionen, die stetig erweitert werden, und auf bewährtes Hardware-Know-how. Sie war 2020 durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

  • Routing für Leiterplatten mit bis zu 150 Paaren und zwei Lagen (derzeit kostenlos nutzbar)
  • Alle gerouteten Boards sind DRC (Design Rules Check)-geprüft und vollständig kompatibel mit KiCad und Altium Designer
  • Nutzung der innovativen InstaDeep KI-Technologie in Kombination mit leistungsstarken GPUs und Cloud-Infrastruktur.

Im letzten Jahr wurden die Fähigkeiten von DeepPCB erweitert, z. B. auf das Routen Impedanz-kontrollierter Leiterplatten. Die von den Kunden bevorzugte EDA-Software kann wie bisher verwendet werden. Obwohl der Trend auch in der Elektronikfertigung in Richtung Nutzung von Cloud-Diensten geht, ist es möglicherweise so, dass viele Firmen ihre Designs aber nicht einem Cloud-Dienst anvertrauen wollen, was den Lernprozess des KI-Systems bremst und seine praktische Nutzbarkeit verzögert. Unter [11] finden Interessenten einen Podcast mit Karim Beguir von InstaDeep, in dem der Experte im April 2020 zum Thema Automating Electronic Circuit Design with Deep RL referierte. In [12] kündigte das Unternehmen an, sich ab 2020 auch mit dem Einsatz von KI bei der Bauelementebestückung von Leiterplatten als eine Schlüsselaufgabe zu befassen.

Der Begriff DeepPCB ist in der Literatur noch anderweitig im Einsatz, zum Beispiel bei der Nutzung der Bildanalyse zur Fehlerprüfung von Boards auf Basis von 1500 veröffentlichten Datensätzen bzw. Musterbildern von Leiterplattenausschnitten für Forschungszwecke [13]. Jedes der Musterbilder besteht aus einem fehlerfreien Vorlagenbild und einem ausgerichteten getesteten Bild mit Annotationen, einschließlich der Positionen der sechs häufigsten Arten von PCB-Defekten wie offen, kurz usw. Die ‚DeepPCB-Marke' wurde 2019 vom britischen Amt für geistiges Eigentum (UKIPO) mit der ‚Anmeldenummer' UK00003420198 registriert. Die Markenanmeldungsnummer ist eine eindeutige ID zur Identifizierung der ‚DeepPCB-Marke' in UKIPO.

KI in der Leiterplatten-fertigung von AT&S

Bereits während des Herstellungsprozesses werden bei dem österreichischen PCB-Produzenten AT&S automatisiert Fotos der Leiterplatten gemacht. Diese laufen anschließend durch eine Bildanalyse-Software. Laut Ulrike Klein, Leiterin der Data & Analytics Abteilung bei AT&S, kommt es manchmal dazu, dass Leiterplatten fälschlicherweise als ,fehlerhaft' erkannt werden – leider ohne nachvollziehbare Gründe. Das kostet den Hersteller zusätzliche Zeit und Ressourcen.

Im April 2021 gab AT&S bekannt, dass die Know-Center GmbH für das Unternehmen einen KI-Algorithmus entwickelt hat, der die Situation wesentlich verbessern soll. Der Algorithmus erkennt nicht nur die Bilder der Leiterplatten richtig, sondern liefert auch zusätzlich eine Erklärung, warum eine Leiterplatte als defekt oder intakt erkannt worden ist. Dadurch steht AT&S nun ein transparentes KI-System zur Verfügung, das nach einer intensiven Testphase in absehbarer Zeit nachvollziehbare und erklärbare Ergebnisse liefern soll [14].

Die Grazer Know-Center GmbH (ausführliche Bezeichnung: Research Center for Data-Driven Business & Big Data Analytics) ist eines der führenden europäischen Forschungszentren für Data-Driven Business und Artificial Intelligence (DDAI). Als ausgelagerte Forschungsinstitution der TU Graz (gleichzeitig Mehrheitsgesellschafter) und Exzellenz-Zentrum im COMET-Programm betreibt sie schon seit 2001 Grundlagenforschung und ist mit zahlreichen EU-Projekten international vernetzt, so auch mit dem EU-Programm Horizon 2020. Die Forschungs-GmbH verfügt gegenwärtig über 130 Mitarbeiter aus 20 Ländern [15]. COMET wiederum ist ein Netzwerk von 25 Institutionen in Österreich, dass von der Regierung gefördert wird. In den landesweit angesiedelten COMET-Zentren werden die vorhandenen wissenschaftlich-technologischen Kompetenzen gebündelt und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit des Forschungsstandorts Österreich nachhaltig gestärkt. Derzeit besteht das Netzwerk aus 22 COMET-Projekten, 25 COMET-Zentren und 6 COMET-Modulen. Der vorn erwähnte Algorithmus für AT&S ist konkret vom Modul DDAI der Know-Center GmbH erarbeitet worden [16]. AT&S ist einer der Industriepartner im COMET-Modul DDAI. Zukünftig will man gemeinsam mit AT&S und weiteren Industriepartnern des Moduls weitere Projekte in Richtung ‚Trustworthy AI' vorantreiben.

Integration von KI in optische Inspektionssysteme für Baugruppen- und Gerätefertigung

Abb. 9: KI-gestütztes smartes automatisches optisches Inspektionsmodul MultiEyeS plus von Göpel electronic zur Integration in Montage- und THT-BestückplätzeAbb. 9: KI-gestütztes smartes automatisches optisches Inspektionsmodul MultiEyeS plus von Göpel electronic zur Integration in Montage- und THT-BestückplätzeTrotz weiter zunehmender Automatisierung der Montageprozesse in der Fertigung von Elektronikbaugruppen werden in absehbarer Zeit noch sehr viele Montageprozesse manuell durchgeführt werden, beispielsweise bei der Bestückung von Leiterplatten mit THT-Bauteilen. Da hier der Mensch mit seiner Fehlerbehaftung tätig ist, stellt sich die Frage, wie die Qualität des entsprechenden Produktionsprozesses in einem solchen Fall besser überwacht werden kann. Das Jenaer Unternehmen Göpel electronic geht diesen Weg durch direkte Integration von optischen Inspektionssystemen in Montage- und Bestückplätze, verbunden mit automatischer Protokollierung. Die direkte Integration einer optischen Inspektion in den Montageprozess erfordert, so der Autor des Beitrags in [17], im Vergleich zu den traditionellen AOI-Systemen völlig neue und originelle Gerätekonzepte. Die Kameras zur Inspektion müssen so angeordnet werden, dass sie den Montageprozess des dort arbeitenden Menschen nicht beeinflussen. Die Beleuchtung kann nicht auf die Erfordernisse der Bildverarbeitung optimiert werden, sondern muss den gesetzlichen Anforderungen eines Arbeitsplatzes für Montageprozesse entsprechen. Außerdem ist eine lichtabschirmende Verkleidung nicht möglich, da diese den manuellen Montagevorgang einschränken würde.

Göpel electronic hat mit MultiEyeS plus ein für solche Prozesse optimal geeignetes selbstlernendes Inspektionsmodul entwickelt, welches über einen Bildbereich von 550 x 450 mm verfügt [18]. Basis des Systems ist die Multikamera-Bildaufnahmetechnologie, eine aus bis zu 12 Kameras bestehende Bildaufnahmeeinheit mit integrierter Beleuchtung, bei der dann die Einzelbilder mit Stitching-Algorithmus zu einem gemeinsamen Bild zusammengesetzt werden. Aus Sicht der klassischen Bildverarbeitung ist das hier genutzte offene System zwar nicht optimal, doch die leistungsfähige Software wird mit einer KI-basierten Lösung gekoppelt. Mehr dazu ist in [17] bzw. [18] zu finden. Das eingesetzte Prinzip ermöglicht laut Göpel Bildaufnahmen mit herausragender Bildqualität und sehr großer Detailauflösung. Auf Basis der Systemsoftware PILOT AOI wird eine Prüfgeschwindigkeit von bis zu 800 cm²/s erzielt.

Durch die Kopplung der klassischen Bildverarbeitungstechnik mit leistungsfähigen KI-Funktionen entsteht ein System, dass auch ohne Lichtabschirmung zuverlässig arbeitet und die Möglichkeit bietet, die Bestückung beispielsweise von THT-Bauteilen weiter zu optimieren (Abb. 9). Ein weiteres Einsatzfeld wäre die Montage von Baugruppen in Gehäuse.

Auf ein wahrscheinlich noch breiter in der Qualitätskontrolle einsetzbares smartes KI-gestütztes AVI-System zur Überprüfung der Endqualität von Baugruppen und Endprodukten, als es bei MultiEyeS plus von Göbel der Fall ist, wurde bereits in Plus 6/2021 hingewiesen [19]. KITOV One ist das erste Smart-3D-Hybrid-Universalsystem, das praktisch jedes Produkt effektiv inspizieren kann egal in welcher Branche. Durch den Einsatz von 3D-Computer-Vision-Algorithmen und künstlicher Intelligenz auf Basis von maschinellem Lernen und Deep-Learning wird ein äußerst hohes Erkennungsniveau erreicht. Das AVI-System der israelischen Firma Kiton unterstützt komplexe 3D-Strukturen, zahlreiche Materialien und komplette Prüfvorschriften. Die Universalität des Einsatzes des Systems ergibt sich nicht zuletzt durch die Kombination mit einer 6-Achs-Robotereinheit vom Scara-Typ und einem Drehtisch (Abb. 10). Das System scannt Produkte bis zu einer Größe von 850 x 420 mm. Mehr Informationen zur Anwendung im Bereich Highly Variable Electronic Product Mix erhält man unter [20] in einem White Paper.

 

 Abb. 10: Smartes KI-gestütztes AVI-System KITOV OneAbb. 10: Smartes KI-gestütztes AVI-System KITOV One

 Abb. 11: Einsatz von KITOV One zur Endkontrolle von Elektronikmodulen im GehäuseAbb. 11: Einsatz von KITOV One zur Endkontrolle von Elektronikmodulen im Gehäuse

 Abb. 13: Einordnung von KITOV One in eine Fertigungslinie (r.)Abb. 13: Einordnung von KITOV One in eine Fertigungslinie (r.)

 

In Abbildung 11 wird das Prüfsystem zur Endkontrolle von fertigen Elektronikmodulen eingesetzt. Mit ihm lassen sich kosmetische Mängel wie Kratzer, Dellen, Farbtonunterschiede, verschmierte Etiketten, menschliche Haarsträhnen oder Fingerabdrücke erkennen, aber auch verbogene Pins an Ports und Anschlüssen, nicht angezogene Schrauben, fehlende Komponenten oder falsche Barcodes. Fragt man sich nach den Kosten eines solchen Prüfsystems, sei daran erinnert, dass jedes fehlerhafte Produkt, das als fertige Ware verpackt und versandt oder in ein komplexes System integriert wird, durchaus zu einem schmerzhaften Kostenproblem werden und dem Ruf der Marke und der Kundenzufriedenheit schaden kann.

In [21] wird kurz eine Fallstudie zum Einsatz von KITOV One zur Kontrolle von High End Switches bei einem IT-Hersteller vorgestellt. Ein zwar simpler, aber oft gefundener Fehler war beispielsweise ein unsauber gesetztes Etikett (Abb. 12).

Das ökonomische Ergebnis der Fallstudie: Ein ROI (Return of Investment) von nur sechs Monaten. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es erheblichen Aufwand beim Gerätehersteller braucht, dass System ,anzulernen'.

Abbildung 13 demonstriert symbolhaft die Einordnung von KITOV One in eine Fertigungslinie, wie es sowohl in der Leiterplatten- als auch Baugruppenfertigung der Fall sein kann.

Laufende KI-Forschungsvorhaben für die Elektronikindustrie in Deutschland

Abb. 12: Ein schlecht gesetztes Etikett – zwar kein Funktionsmangel, aber auch kein Beleg für sorgfältige ArbeitAbb. 12: Ein schlecht gesetztes Etikett – zwar kein Funktionsmangel, aber auch kein Beleg für sorgfältige ArbeitZum Abschluss dieses Beitrags soll noch ein Blick auf die Forschung in Deutschland geworfen werden. Etwa drei Jahre später als in den USA wurde mit dem Förderprojekt progressivKI auch hier ein größeres Forschungsvorhaben für KI-gestützte Entwicklungsmethoden großer Elektroniksysteme eingeleitet. Nicht nur dass es bei weitem nicht an den Umfang von IDEA/POSH oder gar ERI herankommt und dass es rein zivilen Charakter hat, ist es vor allem auf die Automobilindustrie ausgerichtet.

Das Projekt läuft vom 1. April 2021 bis zum 31. März 2024 [22]. Förderkennzeichen: 19A21006A-R. Das Vorhaben progressivKI hat einen langen Projekttitel: Unterstützung der Entwicklung von effizienten und sicheren Elektroniksystemen für zukünftige Kfz-Anwendungen mit automatisierten Fahrfunktionen mittels einer modular strukturierten KI-Plattform. Ziel des Projektes ist die Entwicklung eines generalisierten KI-gestützten Entwurfsprozesses für Kfz-Elektroniksysteme. Durch die Verwendung von KI-Methoden in den jeweiligen Entwurfsprozessen soll die Systementwicklung beschleunigt und gleichzeitig die Validierung der funktionalen Sicherheit von elektronischen Kfz-Komponenten verbessert werden. Es wird eine modular aufgebaute KI-Plattform entwickelt, die über sichere, verschlüsselte und intelligente Konnektoren zu den einzelnen (verteilten) Modulen und Subsystemen flexibel einsetzbar ist. Eine Verknüpfung mit GAIA-X wird ebenfalls über diese Konnektoren realisiert. Mittels KI-gestütztem Feedback und integriertem domänenspezifischen Wissen soll der Elektronikentwickler bei der Entwurfserstellung komplexer Systeme unterstützt und so der gesamte Entwurfsprozess effizienter gestaltet werden. Darüber hinaus werden in progressivKI Verfahren entwickelt, um die Qualität der Trainings- und Lernprozesse der implementierten KI-Methoden zu bewerten und abzusichern. Das entwickelte System soll prototypisch umgesetzt und anhand von zwei Anwendungen (PCB- und IC-Entwurf, intelligente Sensorik) angewandt und demonstriert werden.

Am Projekt sind 18 Projektpartner und vier weitere Forschungspartner beteiligt. Die Projektkoordinierung liegt bei der Robert Bosch Car Multimedia GmbH, das Projektmanagement bei der edacentrum GmbH und Pyramide2525. Edacentrum ist ein in Deutschland ansässiges Netzwerk für Elektronik, Design und Anwendungen in Wirtschaft und Wissenschaft. Das BMWi steuert 11,2 Mio. € Fördermittel bei. Unter den Projektteilnehmern sind Universitäten und Hochschulen, Fraunhofer-Institute, Großunternehmen sowie KMU wie Binder Elektronik zu finden.

Als einer der Industriepartner schloss sich Zuken mit dem Entwicklungsstandort EMC-Technology Center in Paderborn dem Projekt an [23]. Ralf Brüning, Produktmanager und Senior Consultant im Center, hat neben Hilfe bei der industriellen Koordination des Projektes die Leitung des Arbeitspakets übernommen, das die grundlegende Definition von Anforderungen und Spezifikationen umfasst. Mit seiner Teilnahme will Zuken seine Expertise in der Analyse (Signal- und Leistungsintegrität) von Leiterplattenstrukturen in das Projekt einbringen, um eine Anbindung an die KI-Module zu realisieren und so den Lern-/Trainingsprozess in der geplanten Zusammenarbeit mit den verschiedenen Partnern im Konsortium zu unterstützen. Weiterhin will das Unternehmen die Zuken ‚PCB Design Software' und Analysefunktionalitäten deutlich verbessern. Dr.-Ing. Werner John vom edacentrum beurteilte das Vorhaben so: „Das Projekt progressivKI hat das Potenzial, ein Leuchtturm bei der Implementierung KI-gestützter Methoden im EDA-Bereich zu werden und zukunftsweisende industriegetriebene Implementierungen aufzumischen [23].

Im Vergleich zu anderen in diesem mehrteiligen Beitrag genannen KI-gestützten Dienstleistungsangeboten könnten Zweifel entstehen, ob progressivKI nicht etwas spät initiiert wurde und ob die Ausrichtung des Förderprojektes vor allem auf die Belange der Autohersteller nicht etwas einseitig ist.

Referenzen:

[1] www.jitx.com 
[2] https://spectrum.ieee.org/startup-jitx-uses-ai-to-automate-complex-circuit-board-design 
[3] https://hackaday.com/2018/10/16/cool-tools-deus-ex-autorouter/ 
[4] www.celus.io/en/product-supernova_new 
[5] www.gategarching.com/gateway_story/gatepeople-contunity-gmbh/ 
[6] https://circuit-tree.com/ 
[7] https://cambridgenetwork.co.uk/directories/companies/172494 
[8] www.circuitmind.io 
[9] https://deeppcb.ai/ 
[10] www.instadeep.com/ 
[11] https://twimlai.com/twiml-talk-365-automating-electronic-circuit-design-with-deep-rl-w-karim-beguir/ 
[12] https://deeppcb.ai/faqs 
[13] https://github.com/tangsanli5201/DeepPCB 
[14] www.ats.net.at 
[15] www.know-center.tugraz.at 
[16] https://ddai.know-center.at/ 
[17] Plus 8/2021, S. 1023ff
[18] www.goepel.com/inspektionsloesungen/aoi/tht-inspektion/multi-eyes-plus.htm 
[19] Plus 6/2021, S. 714-715
[20] www.kitov.ai/wp-content/uploads/2021/06/Kitov_USTech_v2.pdf 
[21] www.kitov.ai/solutions/high-end-electronics/ 
[22] www.edacentrum.de/projekte/progressivKI 
[23] www.zuken.com 

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 11
  • Jahr: 2021
  • Autoren: Dr.-Ing. Hartmut Poschmann

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