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Montag, 31 Januar 2022 10:59

Von der Ökonomie des Krieges und dem Krieg der Ökonomie

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Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten
Abb. 1: von Clausewitz mit entsprechendem Orden – von einigen als Lametta bezeichnet Abb. 1: von Clausewitz mit entsprechendem Orden – von einigen als Lametta bezeichnet

„Die Strategie ist eine Ökonomie der Kräfte“, sagte von Clausewitz [1] unter anderem: Seine Hinweise und Erkenntnisse rund um Krieg und Politik betreffen, obwohl von einem Soldaten kommend, mittlerweile auch die gesamte Elektronik-Industrie.

Der Kampf um Vorherrschaft ist inzwischen aus den Firmen in die Politik übergetreten, denn es geht nicht nur um ein paar Chips, sondern um Dominanz auf einem der wichtigsten industriellen Gebiete der Zukunft. Insoweit ist recht einfach nachzuvollziehen, was ökonomischer Wettstreit genau mit von Clausewitz zu tun hat, denn auch hier werden Strategien wie aus dem theoretischen Standardwerk des Militärs verwendet. Schwieriger einzuordnen ist ein anderes Clausewitz-Zitat: „Der Listige lässt denjenigen, welchen er betrügen will, die Irrtümer des Verstandes selbst begehen ... “ Wenn man allerdings bedenkt, dass es ja sein kann, dass die eine Seite sich dumm gestellt hat, um einen Vorteil zu gewinnen, gibt es auch hier Parallelen zur Elektronik-Industrie.

Über Jahre hinaus haben viele westliche Firmen bei ihrem Bemühen, Geld zu scheffeln, auf die niedrigen Gehälter asiatischer Staaten gesetzt und damit die Produktionszentren in ihren Herkunftsländern vernachlässigt. Dazu kommt, dass westliche Länder immer weniger gut ausgebildete Arbeiter anbieten können.

Abb. 2: Lage einiger gegenwärtiger und zukünftiger IC Fabs in ChinaAbb. 2: Lage einiger gegenwärtiger und zukünftiger IC Fabs in China

Die enormen Investitionen asiatischer Staaten in Ausbildung, Forschung und allgemein Bildung – vor allem in wissenschaftlichen und technischen Fächern – war ein zusätzlicher Anreiz, nicht nur die Produktion, sondern auch gewisse Forschungsbereiche nach Asien zu verlegen, weil dort Talent wesentlich billiger eingekauft werden konnte.

Möglicherweise unbeabsichtigt fand parallel auch ein Transfer von Wissen statt: Die im Westen entwickelten Produktionsmethoden und Produkte wurden nach Asien verpflanzt und fanden dort nahrhaften Boden. Nicht wenige wurden lokal verbessert und belegen das Können mit gigantischen Produktionszahlen.

Nebenbei wurden Fachkräfte in diese Zentren verlegt und auch gezielt angeheuert. Der Mythos des billigen Arbeiters gilt inzwischen nur noch begrenzt, was man alleine an den Wohnungskosten der gehobenen Klasse in Taipei, Seoul, Bangalore und Shenzhen ablesen kann.

Abb. 3: Ultraviolet Lithographie Scanner der zweiten GenerationAbb. 3: Ultraviolet Lithographie Scanner der zweiten GenerationSolche Entwicklungen haben selbstredend zwei Seiten, denn das reichlich rücksichtslose Gewinnstreben traf viele der mittleren und unteren Klasse, wie man beispielsweise am ehemaligen Herz der US-Automobilzulieferindustrie, dem Städtchen Kokomo, Indiana, oder an der Motor City Detroit selbst sehen kann. Dieser einst berühmte Standort der amerikanischen Automobilindustrie hatte einen Bevölkerungsschwund von 1 850 000 (1950) auf nur noch 680 000 im Jahr 2015 zu verzeichnen. Gleichzeitig beobachtet man die Auswirkungen auf die städtische Infrastruktur: eine Untersuchung fand, dass 50 000 der 261 000 Gebäude verlassen waren wovon mehr als 9000 bereits Feuerschäden aufwiesen.

Der sich weitende Spalt zwischen Wohlhabenden und dem Rest der Bevölkerung zeigte sich dann landesweit in der Handelsbilanz, denn der Preis der Ware wurde kritisch und somit setzte sich die importierte billigere und qualitativ ähnliche durch. Die Reaktion der Regierung blieb nicht aus, denn sowohl der Schuldenberg wie auch das Defizit beim Außenhandel näherte sich inakzeptablen Werten.

Unter fadenscheinigen Argumenten der nationalen Sicherheit – man erinnere sich: es waren die USA, die das Telefon der deutschen Bundeskanzlerin ausspionierten – wurden Sanktionen verhängt, die sich gegen die erfolgreichsten asiatischen Firmen richteten.

Tab. 1: Silikonproduktion 2019

Rang

Land/Region

Silizium-Produktion (Tausende von Tonnen pro Jahr)

 World

7000

1

 

China

 

4500

2

 

Russia

 

600

3

 

Norway

 

370

4

 

United States

 

320

5

 

Brazil

 

210

6

 

Malaysia

 

150

7

 

France

 

140

8

 

Bhutan

 

90

9

 

Iceland

 

80

10

 

Spain

 

70

 

Other Countries

496

Speziell in Asien war dieser Schlag erwartet worden und gewisse Vorbereitungen liefen seit Jahren. Als Beispiel mag hier, da unser Fokus auf der Elektronik liegt, der Bann gegen die Mikrochiplieferung nach China gelten. Nicht nur Chips, sondern auch Maschinen zu deren Herstellung sowie die nötigen Computerprogramme fanden sich nach und nach auf der Liste der Verbote.

Abb. 4: Jiuzhangs Licht-basierter Quantum Computer (Prototyp)Abb. 4: Jiuzhangs Licht-basierter Quantum Computer (Prototyp)Die Reaktion war vielschichtig. Eine Flut von Firmengründungen abgesichert durch enorme Investitionen des Staates – schließlich sitzt er auf riesigen Dollarreserven – schossen aus dem Boden. Gleichzeitig wurden Gesetze erlassen, die zum Beispiel den Handel mit seltenen Erden betreffen, die nicht nur für die elektronische Industrie sondern auch für das Militär kritisch sind.

Man hört jetzt, dass speziell China sich, was die Herstellung von modernsten Mikrochips betrifft, völlig unabhängig von Lieferungen aus dem Ausland machen will. Vom Silikon über die Wafer und selbstentwickelten lithographischen Maschinen bis hin zur Entwicklung neuer Programme und endlich der Herstellung der Chips soll alles ‚im eigenen Haus' passieren.

Nicht genug damit: Die Philosophie, die man verfolgt, ist nicht darauf ausgerichtet ‚aufzuholen', sondern man erwartet einen Technologiesprung, um die Konkurrenz zu überflügeln. Zwar ist der Durchbruch beim Quantanrechner derzeit eher symbolisch als nützlich, aber er demonstriert die Anstrengung und die Möglichkeiten, die sich für die chinesischen Wissenschaftler und die Industrie aufzeigen.

Wie berichtet wird, ist der gerade vorgestellte Prototyp zehn Milliarden mal schneller als Googles Sycamore – was immer das auch zu diesem Zeitpunkt bedeuten mag. Wichtig ist dabei jedoch die Demonstration des Könnens und des Standes der Entwicklung, die erwarten lässt, dass die angepeilten Ziele nicht völlig unrealstisch sind.

Jetzt stellt sich in Hinblick auf von Clausewitz die Frage, ob der Westen da nicht in eine Falle getappt ist, denn sollten Firmen wie SMIC oder Huawei, die ja zu westlichen Angriffszielen wurden, erfolgreich ihre angestrebte Unabhängigkeit erlangen, ziehen gewaltige Einbußen für die westlichen IT-Giganten am Horizont auf. Stellen die gerade durch die Sanktionen erst recht erstarkten Gegner bald ebenbürtige oder gar überlegene Mikroprozessoren und Speicherchips her – und das auch noch zu einem billigeren Preis –, dann fangen Intel und AMD sicherlich an zu schwitzen.

Abb 5: 16-Kern-Prozessor ,Elbrus-16S‘Abb 5: 16-Kern-Prozessor ,Elbrus-16S‘Trotz der auffälligen Erfolge in der Raumfahrt scheint kaum jemand der Entwicklung Russlands auf dem Sektor der Elektronik Aufmerksamkeit zu schenken, ohne die ja solche Ergebnisse überhaupt nicht zu erzielen wären. Nimmt man automatisch an, dass Russland sich auf Intel, Microsoft und die Foundry TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company) verlässt?

Da sollte man noch etwas anderes im Auge behalten: Unter der Bezeichnung ,Elbrus' besitzt Russland eine eigene Prozessorarchitektur und produziert eine ganze Familie universeller VLIW-Mikroprozessoren. Die bereits vor 1990 gestartete Entwicklung der ersten Typen im ‚Lebedev Institute of Precision Mechanics and Computer Engineering' wurde von der Firma MCST (акционерное общество – Moscow Center of SPARC Technologies) unter Beteiligung von INEUM weiter entwickelt. Der Weg des Unternehmens führte vom ,Elbrus 2000' mit einer Frequenz von 300 MHz (2005) zum heutigen ,Elbrus-16C'.

Von bescheidenen Anfängen hat sich der Prozessor gemausert: Der ,Elbrus-16C' hat 16 Kerne mit einer Frequenz von 2 GHz (2 GHz für E2K aufgrund der Ausführung von 48 Befehlen pro Takt, entspricht 3,6-3,8 GHz x86 Prozessor). Der Chip wird mit 16-nm-Standards hergestellt, was einen Vergleich mit Intels 14 nm durchaus standhält. Eine Weiterentwicklung mit ähnlicher Progression kann man erwarten – vor allem, weil mit der ,Neuen Seidenstraße' und dem Druck aus dem Westen eine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen östlichen Staaten immer wahrscheinlicher wird.

Ob auch hier die aggressiven Sanktionen nach hinten losgehen und letztendlich die eigenen Interessen schädigen, ist nicht mehr auszuschließen. Kanonendiplomatie wie im Opiumkrieg der Kolonialmächte gegen China sind laut Spieltheorie nicht so lohnenswert wie Kooperation. Aber das wäre wiederum Wissenschaft und nicht Politik.

Literatur und Anmerkungen:

Domestic 16-Core Processor „Elbrus-16s“: Has Russia Really Caught Up?, December 3, 2020
H. Lanlan: After Jiuzhang, Chinese scientists expect to build universal quantum computers in ‚15 to 20 years', Global Times, 2020/12/8
GlobalData Thematic Research, First China Made 28nm Lithography Machine Expected For Delivery in 2021, November 11th, 2020
D. Makichuk, Silicon wars: Fabbing tool puts China in tech driver’s seat, December 8, 2020
D. Xiaoci; H. Lanlan: China’s Jiuzhang secures quantum advantage over Google’s Sycamore, billions of times faster: developer, Global Times, 2020/12/4
China a step closer to microchip independence, asiatimes.com
https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_countries_by_silicon_production
D. Ernst: Semiconductor Digest, From catching up to forging ahead: China’s new role in the semiconductor industry, East-West Center, Honolulu, HI
M. LaPedus, China’s Foundry Biz Takes Big Leap Forward
S. Foster: Get real about the Chinese semiconductor industry, January 18, 2021
https://en.wikipedia.org/wiki/MCS

Referenzen:

[1] Carl Philipp Gottlieb von Clausewitz (1780–1831), preußischer General, Militärtheoretiker und Schriftsteller

Weitere Informationen

  • Jahr: 2022
  • Autoren: Prof. Rahn

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