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Montag, 21 Februar 2022 10:59

Auf den Punkt gebracht: Autonome Traktoren mit LIDAR und Radar: Game-Changer für Landwirte?

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Abb. 1: RTK GNSS für Spurführung und Positionierung lässt optimale Spurlinienplanung von > 1 cm zu Abb. 1: RTK GNSS für Spurführung und Positionierung lässt optimale Spurlinienplanung von > 1 cm zu Bild: AGXEED

Auf die weltweite Landwirtschaft kommt eine große Herausfor- derung zu: Bis zum Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung von derzeit 7,8 Mrd. Menschen auf etwa 10 Mrd. Menschen wachsen. Die Versorgung auf etwa gleicher landwirtschaftlicher Nutzfläche erfordert signifikante Produktivitätssteigerungen, bei sich verändernden klimatischen Verhältnissen. Hinzu kommt der Fachkräftemangel, den es nicht nur in der produzierenden Industrie oder im Handwerk gibt, sondern auch in der Landwirtschaft.

Viele von uns kennen die sehr großen Ackerflächen in den norddeutschen und ostdeutschen Bundesländern, die nach einer automatisierten Bearbeitung rufen. Dabei hat sich in diesem oft übersehenen Nischenmarkt in den letzten Jahren viel getan. Der Trend zu nachhaltiger, gleichzeitig aber auch effektiver Landwirtschaft hat viel Sensorik und elektronische Steuerung in den Maschinenpark gebracht. Während früher nur eine grobe mechanische Verteilung von Saatgut, Dünger und Bewässerung erfolgte, geht es heute um spezifische, individuell angepasste Zuführung von Material und Ressourcen für einen optimalen Ertrag.

Artificial Intelligence und Machine Learning

Die Sensorik mit Kameras und Bildauswertung sowie LiDAR (Light Detection and Ranging) und Radar verändert derzeit die Landwirtschaft. Durch Artificial Intelligence und Machine Learning ist heute zum Beispiel eine Differenzierung zwischen angebauter Pflanze und Unkraut beim Bewässern möglich und spart so knappe Ressourcen.

Der weltweit größte Landmaschinenhersteller mit 40 Mrd. $ Umsatz ist John Deere. Das Unternehmen hat Traktoren mit einem RTK GNSS System ausgestattet, welches es dem Fahrer ermöglicht, automatisiert mit Hilfe von Sensoren und Computer Vision den Traktor mit einer Genauigkeit von weniger als 5 cm zu fahren (Abb. 1) Dies ist extrem präzise im Vergleich zu einem typischen GPS-fähigen Smartphone, mit einer Genauigkeit von nur +/- 5 m unter freiem Himmel.

GNSS ist die Abkürzung für ‚global navigation satellite system', ein Sammelbegriff für die satelliten-gestützte Positionsbestimmung auf der Erde. Hierzu zählen NAVSTAR GPS (Global Positioning System) der USA, GLONASS (Globales Satellitennavigationssystem) der Russischen Föderation, Galileo der Europäischen Union und Beidou der Volksrepublik China.

RTK für ‚Real Time Kinematic' ist das landgestützte Korrektursignal, mit dem die Satellitenposition bis auf eine Genauigkeit von 1 cm verbessert wird.

Abb. 2: Autonom arbeitender Traktor 8R, der über 325 Hektar Acker kontinuierlich in 24 h bearbeiten kannAbb. 2: Autonom arbeitender Traktor 8R, der über 325 Hektar Acker kontinuierlich in 24 h bearbeiten kann

24h/7d Autonom auf dem Acker

Abb. 3: Sensorik am Führerhaus des autonom arbeitenden Traktor 8R, u. a. 6 Stereo-Kamerapaare zur 360 Grad Umfeld ÜberwachungAbb. 3: Sensorik am Führerhaus des autonom arbeitenden Traktor 8R, u. a. 6 Stereo-Kamerapaare zur 360 Grad Umfeld Überwachung12 Stunden im Führerhaus zu sitzen und einen Traktor mit ca. 10 km/h Geschwindigkeit zu lenken ist kein Vergnügen bei Hitze und Kälte. Auch das Ausbringen von Düngemitteln oder Unkrautvertilgungsmitteln über Stunden ist sicherlich nicht förderlich für die Gesundheit des Traktorfahrers.

Je nach Pflanzenart, die ein Landwirt anbaut, benötigt man 7–15 Arbeitsdurchgänge auf einem Feld, um eine erfolgreiche Ernte zu erzielen. Das erfordert viel Arbeitszeit, die den Landwirt und seine Mitarbeiter bindet.

John Deere hat nun einen autonomen Traktor 8R auf den Markt gebracht, der über 325 Hektar Boden in 24 Stunden bearbeiten kann (Abb. 2).

Sechs Stereokamera-Paare überwachen das Umfeld des autonomen Traktors im 360°-Modus. KI wertetet die Bilder aus, erkennt Hindernisse und kann die Entfernung berechnen. Durch KI werden die aufgenommenen Bilder sehr schnell ausgewertet, pro Pixel erfolgt dies in etwa 100 Millisekunden (Abb. 3). Der autonome Traktor überprüft kontinuierlich seine Position und arbeitet mit einer Genauigkeit von weniger als 2,5 cm.

Um den autonom fahrenden Traktor nutzen zu können, muss der Landwirt die Maschine konventionell zum Feld transportieren. Gesteuert und eingestellt wird der autonome Traktor dann über das Operations Center Mobile auf dem Smartphone. Es bietet Zugriff auf Livevideos, Bilder, Daten und ermöglicht dem Landwirt die Anpassung von Geschwindigkeit, die Einstellung der Bearbeitungsmaschinen. Stimmt das Arbeitsergebnis nicht oder treten Störungen am Traktor auf, wird der Landwirt benachrichtigt und kann per Fernzugriff Anpassungen vornehmen.

Europas autonome Antwort

Abb. 4: Der AgBot, die autonom arbeitende Zugmaschine ohne Führerhaus und Lenkrad der Firmen Claas/AgXeed. Die Sensorik besteht aus einem LiDAR oben mittig und Ultraschall Sensoren. Ein rückwärtsgerichteter Laserscanner kontrolliert die bearbeitete Acker-Oberfläche und regelt in Echtzeit nachAbb. 4: Der AgBot, die autonom arbeitende Zugmaschine ohne Führerhaus und Lenkrad der Firmen Claas/AgXeed. Die Sensorik besteht aus einem LiDAR oben mittig und Ultraschall Sensoren. Ein rückwärtsgerichteter Laserscanner kontrolliert die bearbeitete Acker-Oberfläche und regelt in Echtzeit nachDie Firma Claas im westfälischen Harsewinkel ist Deutschlands größter Landmaschinenhersteller mit 4 Mrd. € Umsatz 2020. Auch dieses Unternehmen setzt auf den Trend zur autonomen Feldbearbeitung, der von Fachkräftemangel und dem Druck nach Produktivitätssteigerungen getrieben wird. Deshalb hat man sich 2021 am Start-up AgXeed aus den Niederlanden beteiligt. Das junge Unternehmen will schon in diesem Jahr einen autonom fahrenden Roboter in Serie anbieten.

Die Zugmaschine namens AgBot kommt komplett ohne Kabine und Fahrer aus (Abb. 4). Sie fährt schnurgerade und perfekt auf Anschluss. Ebenso exakt wird der Grubber am Vorgewende ausgehoben und nach dem Wenden genau am richtigen Punkt wieder eingesetzt. Der Grubber dient der nicht wendenden Bodenbearbeitung, die zur Lockerung und Krümelung des Bodens sowie zur Unkrautbekämpfung und Einarbeitung von organischen Materialien in den Boden eingesetzt wird.

Mit einer Geschwindigkeit von 13 km/h wird eine Bahn nach der anderen abgearbeitet. Der autonome AgBot braucht weder eine Kabine noch eine gefederte Vorderachse. Durch den dieselelektrischen Antrieb konnte auf ein klassisches Getriebe verzichtet werden, da ein Geschwindigkeitsbereich von 0 bis 13,5 km/h ausreichend ist. Die Maschine fährt ausschließlich auf dem Acker, der Straßentransport erfolgt per Tieflader. Durch den modularen Aufbau der Antriebseinheiten kann der Dieselmotor zukünftig auch problemlos durch alternative Antriebsarten wie z. B. eine Batterie oder Brennstoffzelle ersetzt werden.

Während ein Traktor mit Fahrer nur zehn bis zwölf Stunden pro Schicht effizient arbeiten kann, soll der AgBot 20 Stunden am Stück einsetzbar sein. Zudem berechnet das System der Maschine nach Eingabe der digitalen Flächenkarten den optimalen Bearbeitungsweg. Unter dem Strich ergibt sich daraus nach Einschätzung des AgXeed-Teams eine Arbeitszeitersparnis von 70 % – vor allem, weil kein Fahrer mehr benötigt wird und dadurch Personalkapazitäten freigesetzt werden können.

Die Nutzung einer autonomen Maschine kann sich schon für Ackerbaubetriebe mit einer Fläche von 200 Hektar rechnen, solange eine optimale Auslastung von mindestens 800 Ackerstunden pro Jahr gegeben ist.

Wachstumsmarkt hochautomatisierte Landmaschinen

Der deutsche Landtechnikmarkt betrug 2021 rund 6,7 Mrd. € (Abb. 5). Der Einzug von hochautomatisierten und autonomen Maschinen in der Landtechnik und speziell im Bereich der Bodenbearbeitung hält nach wie vor an. Es wird davon ausgegangen, dass der weltweite Markt für diese Maschinen von 7,6 Mrd. $ im Jahre 2020 auf 20,6 Mrd. $ im Jahre 2025 steigen wird. Dabei wird von einer jährlichen Wachstumsrate von ca. 22,8 % ausgegangen. Auch hat die Anzahl der sich im Einsatz befindlichen Maschinen einen beachtlichen Stand erreicht. So waren nach Herstellerangaben 2020 bereits fast 2000 Feldroboter im Einsatz, wobei sich diese Zahl auf insgesamt 28 Hersteller und 31 unterschiedliche Maschinenmodelle verteilt.

Abb. 5: Umsatz Landtechnik Deutschland in Mrd. €Abb. 5: Umsatz Landtechnik Deutschland in Mrd. €

Auf den Punkt gebracht

  1. Die weltweite Landwirtschaft hat derzeit 7,8 Mrd. Menschen zu ernähren. Bis 2050 soll die Weltbevölkerung auf 10 Mrd. ansteigen, ohne dass die landwirtschaftliche Nutzfläche sich wesentlich verändert.
  2. Fachkräftemangel und die Notwendigkeit wesentlicher Produktivitätssteigerungen erfordern auch automatische und autonome Bearbeitungsmaschinen in der Landwirtschaft.
  3. Der Markt für automatische und autonome Bearbeitungsmaschinen soll von 7,6 Mrd. $ in 2020 auf 20,6 Mrd. $ in 2025 steigen. Dies entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von 22,8 %.

LiDAR-, Radar- und Ultraschall-Sensoren sind bei teilautomatisiertem und automatisiertem Fahren im Pkw Stand der Technik. Leise und unbeachtet hat diese Technologie nun auch Einzug in die Landwirtschaft gehalten. Geschwindigkeiten bis 15 km/h, der Einsatz auf privaten Flächen und fehlendes Verkehrs-Gewusel machen es dort vielleicht sogar etwas einfacher, teilautonome Fahrzeuge einzusetzen. Dafür gibt es höhere Anforderungen an die Bearbeitungsmaschinen, die Unkraut erkennen und die Düngemittel nur bei den Nutzpflanzen dosieren oder Saatgut zentimetergenau platzieren müssen.

Große Landmaschinen-Hersteller wie John Deere in den USA oder Claas in Deutschland haben mit kleinen innovativen Start-ups kooperiert oder diese übernommen und sich so die autonome Technologie an Bord geholt.

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in die zweite Hälfte des 1. Quartals.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Joachim Friedrichkeit

Kontakt

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Weitere Informationen

  • Ausgabe: 2
  • Jahr: 2022
  • Autoren: H. J. Friedrichkeit

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