Bisher war das Recycling in der Elektronik eher ein ungeliebtes bzw. kritisch zu bewertendes Thema. Viele kennen noch die Bilder und Videos, wo zu sehen war, wie man in Asien und Afrika über offenem Feuer Bauelemente entlötete. … kein schönes Thema – bei dem Gedanken an all die Flammschutzmittel und die anderen kritischen Stoffe. Blei war/ist da nur ein Element von vielen.
In Deutschland wurde sehr zeitig über die Wiederverwendung und Wiederverwertung nachgedacht. Anfang der 90er Jahre gab es einige Lösungsansätze und Vorschläge. Was blieb, war der Leitsatz ,Solange ausreichend Edelmetalle in der Elektronik sind, lohnt sich ein stoffliches Recycling'. Bei verschiedenen ,Edelmetallschmieden' konnte man bei einer Führung sehen, wie am Ende die Gold-, Silber- und Platinbarren in einem Hochsicherheitstrakt verschwanden.
Inzwischen ändert sich das Recyclingverhalten. Auch andere Metalle werden immer teurer und somit interessant für eine solche Rückgewinnung und Rückführung in den Kreislauf (zum Beispiel Kupfer).
Aktuelles Thema mit der höchsten Brisanz ist jedoch die Frage nach Energieverbrauch und -einsparung. Wird also die Frage nach umweltrelevanten Faktoren in deren Wichtung das Energiethema soweit ,verstärken', dass die Bedenken bezüglich späterer gesundheitlicher Beeinträchtigung – bei unsachgemäßer Verwendung/Entsorgung – nicht mehr das primäre und vorrangigste Kriterium darstellen?
Betrachten wir in diesem Zusammenhang das Material Blei in seiner Legierung – eines der technisch am besten erforschten und beherrschten Elektronik-Materialien: Seine Verarbeitung ist im Vergleich zu aktuellen bleifreien Loten deutlich energiesparender!
Deshalb möchte ich an dieser Stelle einige Fragen in den Raum stellen:
- Wäre also unter Einbeziehung guter Recyclingstrategien ein Paradigmenwechsel bezüglich Blei in der Elektronik und eine Rückkehr zum bleihaltigen Löten denkbar?
- Wäre dies bei geschlossenen Kreisläufen eine Möglichkeit? (Ich führe hierzu eine Unterhaltung mit Umweltspezialisten, welche das ROHS Thema und WEEE begleiten).
- Was wäre der Vorteil bzw. der Nutzen bei einer Rückkehr zum bleihaltigen Löten?
- - eine ca. 30 %ige Energie-einsparung (Kosten ↓)
- - eine höhere Ausbeute (Kosten ↓)
- - eine hohe Prozessstabilität auch bei kleineren Stückzahlen (Kosten ↓)
- - geringere Fehlerquoten in der Weiterverarbeitung (Kosten ↓)
- Dies würde bedeuten, dass über die Energieeinsparung und CO2-Einsparung auch die Kosten gesenkt werden könnten bzw. nicht so explodieren.
- Weiterhin wäre damit verbunden, dass ebenso Kosteinsparungen bei Zusatzstoffen und Basismaterialien möglich wären.
- Für viele Anwendungen reichen Basismaterialien mit Dauergebrauchstemperaturen von unter 100 °C. Aber gerade die hohen Löttemperaturen der angestammten bleifreien Lote haben höhere Temperaturbeständigkeiten für diese Basismaterialien erzwungen. Diese sind eigentlich nicht notwendig.
- Durch die E-Mobilität wird der Bedarf an Hochtemperatur-Materialien, welche im Bereich der Verbrennungs-Motoren zum Einsatz kommen bzw. kamen, zurückgehen.
- Besteht also hier ein großes Potential zur Energieeinsparung und der damit verbundenen CO2 Einsparung?
- Die Frage bzw. das Dilemma ist jetzt, was zählt mehr: Energie- und CO2 Einsparung oder Bleifrei?
Alternative Lote sind in der Entwicklung. Verschiedene internationale Quellen ([3, 4], siehe auch Fig. 1, Fig. 2, Fig. 26) berichten von Neuentwicklungen auf Basis von Bismut/Wismut. Interessant ist, das große Firmen, wie z. B. Intel, sich intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen. Vielleicht ein Indiz für einen neuen Trend. Auch in Deutschland beschäftigt man sich mit diesem Thema seit längerem [1, 2]. Sollte es mit der Rückkehr zum bleihaltigem Löten für die meisten Bereiche nicht klappen, so wäre zumindest der Einsatz neuer niedrigschmelzenderer Lote ein Fortschritt. Gespannt sollten wir diesbezüglich auch auf die Berichte von Gustl Keller und Volker Tisken zur SMTconnect in den nächsten Heften warten.
Denn eins ist sicher: Energie wird nicht billiger.
Man kann das ja auch mal so sehen. Wir dürfen gespannt sein.
Herzliche Grüße
Jan Kostelnik
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! www.tebko.de
Quellen:
[1] K. Birkner: SnBiAg1 in der Serienfertigung (SnBiAg1 for serial production), DVS-Berichte 273, Fachtagung Weichlöten – Forschung & Praxis für die Elektronikfertigung; Hanau 2011
[2] M. Nowottnick; A. Novikov; J. Trodler: Possibilties and Limits of Bismuth Solders, P.195-200, SMTA International, Rosemont, IL, USA, Sep. 17 - 21, 2017
[3] Y. Liu et al.: Low melting point solders based on Sn, Bi and In elements, Materials Today Advances, Elsevier, 29.10.2020
[4] N. Badwe et al.: Sn-Bi Low-Temperature Homogeneous Solder Joint Microstructures, circuitsassembly.com, 21.01.2020.
[5] J. Kostelnik: Trends in der AVT – von 3D gedruckten Kupferstrukturen bis Stretchable und Conformable, 77. Arbeitskreis SAET in Kooperation mit dem FED – Der Norden grüßt, 08.12.2021