Eugen G. Leuze Verlag KG
×
 x 

Warenkorb leer.
Warenkorb - Warenkorb leer.
Donnerstag, 04 August 2022 12:00

Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren [1]

von
Geschätzte Lesezeit: 3 - 6 Minuten
Abb. 1: Stauferkaiser Friedrich II. hätte sich sein Recht kaum nehmen lassen [2] Abb. 1: Stauferkaiser Friedrich II. hätte sich sein Recht kaum nehmen lassen [2] Bild: Gemeinfrei - Wikimedia

„So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“[3] beschreibt einen archaischen Steuergrundsatz und führt in der Umkehr zu „einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche fassen“, was manchen dazu verleitet, durch Bankrotterklärung seine Steuerschuld ins Nichts zu drücken. Nicht nur dieses Nichts ist ein Störfaktor.

Abb. 2: Blase in einer LötstelleAbb. 2: Blase in einer LötstelleVielleicht meinen einige Löter, was ihnen als ,Lunker' beim Querschnitt unter dem Mikroskop entgegenstrahlt, sei ebenfalls ein Nichts oder enthalte wenigstens nichts – was nun eher etwas mit Chemie und Physik zu tun hat als mit Steuerrecht.

Allerdings sind solche ,Lunker' (die in der englischen Literatur als 'voids’ auftauchen – und das ist ebenfalls ein irreführender Begriff) beim Reflowlöten eben keine Lunker im ursprünglichen Sinne der Gießtechnik und Metallurgie[4]. Es gibt eine ganze Menge unterschiedlicher Hohlräume, die in Lötstellen vorkommen können[5], die jeweils andere Gründe für ihre Entstehung haben.

Jene, die wir hier ansprechen wollen, sind eigentlich Gasblasen nach dem Reflowlöten, die aus dem geschmolzenen Lot nicht entkommen konnten. Also sind sie nicht leer sondern enthalten Gase oder eventuell Reste von Flüssigkeiten.

Man geht scharfsinnig wie Sherlock Holmes[6] dieser Spur nach, denn diese müssen ja irgendwo her kommen. Zum Glück sind nur wenige Zutaten bei der Entstehung der Lötstellen im Spiel. An oberster Stelle steht die Lotpaste, gefolgt von der Leiterplatte und schließlich dem Bauteil. Die Wärme des Ofens spielt auch eine Rolle, da sie irgendwelche vorhanden Chemikalien verdampft – aber abgesehen davon, dass der Ofen vielleicht verschmutzt sein kann und es von dessen Decke tropft, sind hier nur Einwirkungen, jedoch keine Zutragemechanismen zu finden.

Die Lotpaste kommt von vielen Herstellern und in unterschiedlichen Zusammensetzungen. Hinzu kommt, dass anscheinend die verschiedenen angelieferten Chargen nicht unbedingt gleich sind und es eventuell sogar subtile Unterschiede zwischen einer Dose und der nächsten geben kann, nicht nur weil sich die Hersteller schwer tun, das Gemisch konstant gleich zu halten, sondern weil Transport, Lagerung und Handhabung[7] auf das Verhalten einen wesentlichen Einfluss haben.

Abb. 3: Blasen unter einem QFNAbb. 3: Blasen unter einem QFN

Pasten sind ein durch Marketing absichtlich mythisch umwobenes Gemisch aus einem vorlegierten Metallpulver und einigen Chemikalien, die allgemein unter dem Stichwort ‚Flussmittel' zusammengefasst werden.

Eigentlich ist diese Geheimnistuerei völlig unnötig, denn jeder einigermaßen kompetente Chemiker analysiert mit Hilfe eines Gaschromatographen oder ähnlicher Gerätschaft und einschlägiger Programme die Bestandteile genau und schnell. Das wird ja wohl die Konkurrenz eh machen, nur so für den Fall, da hat ein Wettbewerber wieder eine neuere ungiftige Idee eingebracht.

Der sogenannte Flussmittelanteil besteht hauptsächlich aus einem Schmiermittel (oft ein natürliches oder künstliches Harz, wobei auch andere Chemikalien auftauchen und untergemischt werden), dann mehrere verschiedene Lösemittel mit gestaffelten Kochpunkten. Eine oder auch meist mehrere Säuren dürfen natürlich nicht fehlen, die nun wiederum als Aktivatoren angesprochen werden und dazu dienen mit Oxiden zu reagieren. Schließlich kommen dann in geringen Mengen Additive dazu, die eine schnellere Oxidation hemmen sollen oder die das rheologische Verhalten der Paste verändern. Alles was unter einer gewissen Prozentschwelle versteckt werden kann, muss nicht erwähnt werden, was den Chemiekünstlern viel Freiraum bietet. Man sollte sich bewusst sein, dass auch geringe Anteile wirken, denn warum würden sich die Chemiker sonst die Mühe machen, sie einzuschmuggeln?

Abb. 4: Visuelle Zusammenstellung möglicher ‚Lunker‘Abb. 4: Visuelle Zusammenstellung möglicher ‚Lunker‘

Obgleich das Metallpulver mit der Oxidschicht aus den einzelnen Partikeln einen Beitrag leistet – so findet man, dass feinkörnige Pasten mehr Blasen produzieren - sind es doch hauptsächlich die Chemikalien, die bei Temperatur im Ofen mehr oder minder schnell ihren Gaszustand erreichen.

Jetzt wechselt die Situation von der Chemie zur Physik, denn ob diese sich sammelnden Gase aus dem geschmolzenen Lot austreten können, hängt einerseits vom inneren Gasdruck in den Blasen, von der Viskosität des flüssigen Metalls (welche stark von der erzielten Temperatur abhängt) und dem Umgebungsdruck ab, was die Hersteller der Dampfphasen- und später der Konvektionsöfen durch Einführung von Vakuumkammern zur Reduzierung der Blasen nutzten. Damit ist eine der Möglichkeiten angesprochen, Blasen im Innern der Lötstelle zu eliminieren.

Das Reflowprofil ist ein anderer Zugang. Einerseits ist die Höchsttemperatur wichtig, wenn man sie anderer Rahmenbedingungen wegen auch oft nicht erhöhen kann. Ein gemessener Anstieg kann ebenfalls hilfreich sein.

Der zweite Beitrag für eine Blasenbildung kann von der Leiterplatte stammen: Hat sie der Einkauf mal wieder so billig wie möglich erstanden, ohne in den Kaufvertrag Bedingungen zu schreiben, die zumindest die Sauberkeit und den voll polymerisierten Lötstopplack definieren, können da Ausgasungsquellen versteckt sein. Auch dass die Verpackung kritisch sein könnte, ist den Kollegen im gut beheizten Büro neben der Kaffeemaschine offenbar völlig unbekannt. Die Prozesse bei der Herstellung von Leiterplatten haben sich über die Jahre stark verändert und die Menge der Chemikalien und Wärmeprozesse vervielfacht. Dementsprechend bedarf es schon einiger Expertise bei der Herstellung, soll der Abnehmer bei der Weiterverarbeitung keine ,Problemchen' haben.

Diese ,Problemchen' im Nachhinein im eigenen Haus zu beheben, ist oft möglich aber meist teurer, als den Plattenhersteller zu wechseln und bessere Produkte zu kaufen. Nebenbei erwähnt ist ein nachträgliches vollständiges Auspolerimisieren meist illusorisch.

Während man mit Leiterplattenproduzenten sprechen kann, oft handelt es sich um mittelständische Firmen, hat man bei den Bauteilherstellern schlechtere Karten. Die meist riesigen Konzerne sitzen entsprechend am längeren Hebel. Was nicht heißen soll, dass alle Bauteile verunreinigt ankommen müssen – aber einige eben doch. Auch hier sind zudem Verpackung und Lagerung wichtig.

Anfällig sind nicht alle Bauteile, aber besonders bei großflächig aufgesetzten ist der Anteil an Verschmutzungen, der durch das Bauteil eingetragen wird ziemlich hoch. Das Resultat sind großflächige Blasen, die dann die Haltbarkeit der Lötung beeinträchtigen.

Da ist die IPC[8] – oder besser gesagt deren Spezialisten, die ich bisweilen fragen möchte, ob sie solche Standards während einer Kaffeepause schreiben – der Meinung, dass 25 % (flächenmäßig) bei BGA-Verbindungen ‚akzeptabel' seien. Wie es bei anderen Verbindungen sein sollte, muss man stets extra nachschlagen, denn schließlich hängt das Überleben des Produkts eben auch von diesen Blasen ab.

Literatur und Anmerkungen:

T. Lentz, G. Smith, 'Fill the Void’, Proceedings of SMTA International, 2016.
T. Lentz, P. Chonis, J. B. Byers, 'Fill the Void II: An Investigation into Methods of Reducing Voiding’, Proceedings of IPC APEX Expo, 2017.
T. Lentz, G. Smith, 'Fill the Void III’, Proceedings of SMTA International, 2017
T. Lentz & G. Smith; 'Fill the Void IV: Elimination of Inter-Via Voiding’; Proceedings of IPC APEX 2018

Referenzen:

[1] Altes Sprichwort – etwaJohannes Festing: De Germanorum Proverbio: Wo nichts ist, da hat der Kaiser sein Recht verloren, 1698
[2] Gemälde von Max Koner, 1891
[3]Matthäus 22, 21; Markus 12, 17; Lukas 20, 25[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Lunker
[5] Armin Rahn; Handbuch der Prozess- und Lötfehler; Leuze Verlag, 2014; ISBN 3874803422, 9783874803427
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Sherlock_Holmes .... Als Vorbild für Holmes diente der Detektiv ‚Dupont' von Edgar Allen Poe.
[7] Im Internet findet man jede Menge (auch unterschiedliche) Anweisungen wie etwa http://smt.iconnect007.com/index.php/article/52444/a-basic-guide-to-solder-paste-handling/52447/
[8] D. Herron et al.; Voiding Control Beneath Bottom Terminated Components Using Solder Fortification® Preforms; Proceedings of SMTA International, 2015, Rosemont, IL
[9] IPC-A-610

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 7
  • Jahr: 2022
  • Autoren: Prof. Rahn

Onlineartikel Suche

Volltext

Autoren

Ausgabe

Jahr

Kategorie

Newsletter

Auf dem Laufenden bleiben? Jetzt unsere Newsletter auswählen und alle 14 Tage die neuesten Nachrichten in Ihrem E-Mail Postfach erhalten:

Der Leuze Verlag ist die Quelle für fundierte Fachinformationen.
Geschrieben von Fachleuten für Fachleute. Fachzeitschriften und Fachbücher
rund um Galvano- und Oberflächentechnik sowie Aufbau- und Verbindungstechnik in der Elektronik –
seit 120 Jahren professionelle Informationen und Fachwissen aus erster Hand.

UNTERNEHMEN

ZAHLARTEN

Paypal Alternative2Invoice
MaestroMastercard Alternate
American ExpressVisa

Zahlarten z.T. in Vorbereitung.

KONTAKT

Eugen G. Leuze Verlag
GmbH & Co. KG
Karlstraße 4
88348 Bad Saulgau

Tel.: 07581 4801-0
Fax: 07581 4801-10

E-Mail: [email protected] oder
E-Mail: [email protected]