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Dienstag, 29 November 2022 10:59

Kostelniks PlattenTektonik - Die alte Welt muss sich neu erfinden

von
Geschätzte Lesezeit: 3 - 5 Minuten

Eigentlich wollte ich ein weiteres technisches Thema in meiner Kolumne aufgreifen. Aber irgendwie gibt es da wenig Neues und Erfolgreiches zu berichten und zu betrachten. Und über die boomende Rüstungsindustrie wollte ich nun doch nicht schreiben - zumindestens nicht als Innovationskraft und Jobmotor.

Die Skyline von Shenzhen, China: Hier brummt die Elektronikindustrie und verweist jene der ‚westlichen Welt‘ zunehmend auf hintere PlätzeDie Skyline von Shenzhen, China: Hier brummt die Elektronikindustrie und verweist jene der ‚westlichen Welt‘ zunehmend auf hintere PlätzeEin Engpass jagt den Nächsten. Wo ist hier der eigentliche Fehler? Zuallererst bei der Tatsache, dass die westliche Welt es geschafft hat, sich so enorm abhängig von China zu machen. Der Transfer von Technologie und Know-how nach China – zur Erhöhung der Profite – hat dazu geführt, dass inzwischen eine Wirtschaftsmacht außerhalb der westlichen Welt entstanden ist, die auch politisch eigene Wege geht. Taiwan ist inzwischen zum riskanten Spielball geworden – auf politischer wie auch auf wirtschaftlicher Ebene.

Die Frage ist, ob die freie westliche Welt das komplette wirtschaftliche System und hier vor allem den Wirtschaftsmotor Elektronikindustrie aufs Spiel setzt – verbunden mit einem möglichen Zusammenbruch dieser Industrie sowie schwerwiegenden wirtschaftlichen Einbrüchen –, um die freie Welt in Taiwan zu verteidigen ... oder ob in diesem Fall ein Opfer gebracht wird und China auch in Taiwan endgültig die Oberhand überlässt.

Der Chips and Science Act in den USA sowie der geplante Chips Act der Europäischen Union sind die vielleicht letzten Versuche, dieser gravierenden Abhängigkeit zu entkommen. Die USA versuchen mittels milliardenschwerer Investitionen eine Versorgungssicherheit aufzubauen. Europa folgt, benötigt jedoch leider wieder etwas länger und ist sich, wie so oft, uneinig.

Wird ‚Made in China' das neue ‚Made in Germany'?

Inzwischen ist die Qualität der in China hergestellten Waren sogar besser als die Waren jener, die einstmals dafür in die Geschichte eingingen. Ein Beispiel aus der Automobilwelt: Der Stellantis-Chef Tavares (aktuell drittgrößter Autobauer der Welt) verwies in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im Juni 2022 darauf [1].

Für eine solche plakative Aussage gibt es natürlich mehrere Intentionen. Dennoch zeigt dies, dass sich einiges verändert hat und noch weiter verändern wird. Apropos: Die meisten Autos der Marken Tesla Model Y und Model 3 für Europa wurden bisher in China / Shanghai hergestellt. Hier kann man nur hoffen, dass GIGA Berlin (die Gemeinde heißt Grünheide und befindet sich im Bundesland Brandenburg) bald aufschließt – auch in der Qualität. Wichtige Komponenten bei E-Autos sind Elektromotoren, Energiespeicher aber auch Sensoren. Auch hier geht Tesla neue Wege. Zum Beispiel beim Autopiloten und dem autonomen Fahren. Hier wird seit Mitte des Jahres auf ein sogenanntes ‚Vision Only' System basierend auf optischen Sensoren/Kameras und sehr viel Künstliche Intelligenz (AI) gesetzt. Dieser Fakt ist nicht unbedeutend für eine zukünftige Entwicklung und Weichenstellung der Elektronik-Branche, da bisher mehrere deutsche Elektronik-Hersteller mit Komponenten für Radar-Systeme als Zulieferer fungieren. Läutet Tesla hiermit einen Wandel ein? Oder hat man sich auf Grund evtl. nicht verfügbarer Radarkomponenten für diesen Weg entschieden, inzwischen mit Hilfe der Software eine wettbewerbsfähige oder sogar bessere Technologie entwickelt und in den Markt eingeführt?

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Einen hohen Sicherheitsstandard scheint diese Technologie jetzt schon zu haben. Dies belegt der aktuelle Test des TESLA Model Y – durchgeführt von NCAP [2]. Hiernach ergab der Sicherheitstest, dass TESLA aktuell die höchsten Bewertungen erhält.

TESLA ist nun kein asiatisches Unternehmen. Jedoch kommen die Komponenten für das Vision-System aus Südkorea, nämlich von LG und Samsung. Und: Wer sich das NCAP-Ranking etwas genauer ansieht, der wird feststellen, dass erst an fünfter Stelle ein Europäer auftaucht. Rang 2 und 3 belegen Fahrzeuge von GWM (Great Wall Motors) – ein chinesisches Unternehmen. Platz 4 geht aktuell an Lexus (Toyota) – ein japanisches Unternehmen. Die große Autonation scheint Nachholbedarf zu haben.

Spektrale Sensitivität der unterschiedlichen Sensor-TechnologienSpektrale Sensitivität der unterschiedlichen Sensor-Technologien

Fazit scheint mir zu sein, dass neben sehr guter Konstruktion und Elektronik auch die Künstliche Intelligenz an Bedeutung gewinnt. Und das gilt nicht nur für Pkw und Lkw, sondern auch für andere Bereiche im täglichen Leben. So zum Beispiel auch für Smart Robotics, Smart Agriculture, Smart Care, Smart Logistics etc. – zusammengenommen die gesamte ‚Smart World'. Warum ist dies so interessant für die Elektronik-Welt? Ein Herzstück der ‚Smart World' ist die Smarte Elektronik – Sensoren, Schaltungsträger, Module. Und hier heißt es am Ball zu bleiben. Um die Chips Acts nicht im Sande verlaufen zu lassen, müssen auch die Entwicklungen und die Produktion von Basistechnologien der gesamten Elektronikwertschöpfungskette in Europa gestärkt werden. Sie wissen sicher, was ich meine.

Man kann das ja auch mal so sehen.

Wir dürfen gespannt sein.

Herzliche Grüße
Jan Kostelnik

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www.tebko.de

Referenzen

[1] www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/autoindustrie-qualitaet-nicht-wie-sie-sein-sollte-stellantis-chef-macht-opel-druck/28400452.html, Handelsblatt, 03.06.2022
[2] www.euroncap.com/en/ratings-rewards/latest-safety-ratings/#?selectedMake=0&selectedMakeName=Select%20a%20make&selectedModel=0&selectedStar=&includeFullSafetyPackage=true&includeStandardSafetyPackage=true&selectedModelName=All&selectedProtocols=45155,41776,40302,34803,30636,26061,24370,-1&selectedClasses=1202,1199,1201,1196,1205,1203,1198,1179,40250,1197,1204,1180,34736,44997&allClasses=true&allProtocols=true&allDriverAssistanceTechnologies=false&selectedDriverAssistanceTechnologies=&thirdRowFitment=false

Literatur

www.euroncap.com

J. Kostelnik: Trends in der AVT – Von 3D gedruckten Kupferstrukturen bis Stretchable und Conformable, 77 Arbeitskreis SAET in Kooperation mit dem FED, Dresden, 08.12.2021

 

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 11
  • Jahr: 2022
  • Autoren: Dr. Jan Kostelnik

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