In der Tat: Die Stimmung war exzellent. Nach den Covid-19-Jahren, in denen sich die Elektronikmesse in ein virtuelles Schneckenhaus zurückziehen musste, waren Erleichterung und Freude zu spüren. Endlich konnte wieder von Angesicht zu Angesicht über Geschäftliches, Inhaltliches und Privates gesprochen werden, boten die 14 üppig ausgestatteten Hallen Raum für fachlichen Austausch und neu geschmiedete Kooperationen. Der Bereich Automotive war dabei ein besonderer Schwerpunkt – auf ihn richten sich viele Erwartungen, er verspricht geschäftliche Erfolge und Innovationen.
Die PLUS-Redaktion war in siebenköpfiger Besetzung vertreten, frischte bestehende gute Kontakte auf, schloss zahlreiche neue, führte anregende und interessante Gespräche. Natürlich verteilten wir uns strategisch, um möglichst viel aus Erfahrungen ‚mitzunehmen‘. Entsprechend berichten in diesem Heft Markolf Hoffmann (Chefredakteur), Gerald-Schwager-Ränner und Rolf Nagl (beide Anzeigenredaktion) von ihren Erlebnissen; im Januarheft folgen die Impressionen der Redakteure Gustl Keller und Werner Schulz über ‚electronica‘ und ‚SEMICON‘.
Sparmaßnahme oder Bekenntnis zur Nachhaltigkeit? Die fehlenden Teppiche der Messehallen waren ein vieldiskutiertes Thema
Prototypen im Wochentakt
Ein neues Online-Portal zur effizienten Erstellung von Prototypen stellte die Firma BMK auf der ‚electronica‘ vor: BMKyourproto nennt sich die durchaus ambitionierte Plattform – und sie weckte unser Interesse. Am Stand stellte Diplomingenieur Tim Sievers, Leitung Operations bei BMK, das Portal als Neuheit vor. Das Ziel: Mithilfe von BMKyourproto soll von der OEM-Entwicklung bis zum EMS-Produktionsansatz das gesamte Projekt gezielt und bei höchster Datensicherheit gemanaged werden, um ‚aus einer Hand‘ Prototypen in einer Stückzahl von bis zu 20 Stück an den Kunden zu liefern. Dabei soll – gerade in Zeiten stockender Lieferketten – jederzeit auf die Verfügbarkeit von Komponenten und ihren Lieferzeiten zugegriffen werden können. Durch solche Optimierung könne im Idealfall schon nach sieben Arbeitstagen die Protoypenserie geliefert werden. Sievers verwies auf erste begeisterte Kundenerfahrungen, obwohl der Startschuss natürlich gerade erst erfolgt ist. Hoffentlich können wir in Bälde über Praxiserfahrungen mit dem Portal berichten und herausfinden, ob BMK die hohen Erwartungen erfüllt.
Abb. 5: Protolab aus Indien schickt Elektronik unter Wasser
Neue Investition in Österreich
Ein spannendes Gespräch ergab sich mit Andreas Gerstenmayer, CEO von AT&S. Der Leiterplattenhersteller aus Österreich, den Hayao Nakahara im NTI-200-Report 2021 auf Rang 11 der umsatzstärksten PCB-Produzenten verortet (Heft 10/22), konnte in jüngster Zeit glänzende Zahlen vorlegen. Im ersten Halbjahr des Geschäftsjahres 2022/23 habe der Umsatz erstmals über 1 Mrd. Euro gelegen, und trotz der Volatilität der aktuellen Marktlage kündigt AT&S weitere Investitionen an. Aufsehen erregte vor allem ein neues R&D-Center mit angeschlossener Produktion für Substrate und Advanced Packaging, das die Österreicher am Stammsitz Leoben, Steiermark errichten (Investitionssumme: 500 Mio. €).
Wir wollten wissen, warum die Wahl auf den heimischen Standort fiel. Ein Bekenntnis zum österreichischen, zum europäischen Markt? Nicht unbedingt: Gerstenmayer nannte gegenüber der PLUS pragmatische Gründe. AT&S habe ausführlich mehrere Optionen für das R&D-Center geprüft, vor allem in den USA, sich dann aber doch für Leoben entschieden. In Asien sei man bereits ausreichend aufgestellt, vor allem durch die Werke in China und Malaysia, wo Großserien aus den Bereichen IC Substrate und mobile Endgeräte gefertigt werden. In Leoben habe man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus zahlreichen Nationen angeworben, gebe interkulturelle Workshops für die religiös und kulturell diverse Belegschaft und engagiere sich in einem Verein für eine internationale Schule, die weitere Fachkräfte in die Steiermark ziehen soll. Um die 700 Mitarbeiter sollen dort die Belegschaft bilden. Noch seien aber nicht alle Arbeitsplätze besetzt.
Wir sprachen Gerstenmayer auch auf aktuelle Sorgen der Branche an, etwa auf die gestiegenen Energiekosten. Hier erwartet der AT&S-Vorsitzende mittelfristig eher eine Entspannung. Kritischer äußerte er sich bezüglich der Subventionsprogramme in Österreich und Europa insgesamt; hier würde er sich ein umfassenderes Engagement wünschen. Insgesamt beabsichtige AT&S, in Österreich eine ganze Fertigungskette für Kleinserien aufzubauen – als Pendant zu den Großserien in Asien.
Kein ‚Reshoring‘ also – aber AT&S verfolgt das erkennbare Ziel, seine Stellung als Top-PCB-Produzent in Europa zu optimieren. Wohl auch deshalb war das Unternehmen dieses Jahr auf der ‚electronica‘ zu finden – um, so Gerstenmayer, Präsenz zu zeigen.
Grüne Socken und Lollies mit QR-Code in Halle B1
Präsenz zeigte auch der Leiterplattenhersteller KSG, der in Deutschland und Österreich fertigt. Das soll laut Katharina Luchner, Senior Marketing Manager, und Sebastian Seifert, Leitung Key Account & Export, auch so bleiben: Derzeit plane KSG keine weiteren Werke im Ausland. Das Bekenntnis zum europäischen Raum erfolge auch aus Überzeugung. KSG scheint dies sichtbar machen zu wollen: Der ‚electronica‘-Stand verzichtet weitgehend auf die Zurschaustellung von Produkten. Im Vordergrund stehe der persönliche Kontakt, vermittelt uns Luchner, und nicht nur die Leiterplatte selbst, sondern auch entsprechende Applikationen. Die Gornsdorfer Firma baue ihr Serviceangebot deutlich aus, lege den Schwerpunkt auf Kundennähe und etabliere eine Seminarreihe XPERTS für den Online-Bereich. Das alles wirkt durchdacht und authentisch – und deshalb überzeugt auch KSGs Bemühen um Nachhaltigkeit, wie etwa die Inbetriebnahme einer Kupferrecyclinganlage zeigt (siehe Gespräch des Monats, S. 1728). Nicht zuletzt wurde die von Luchner beschriebene Schwerpunktsetzung durch den Messestand gezeigt.
‚SecureAR‘
Ein Augmented Reality-Projekt für den industriellen Einsatz wurde am Stand des Fraunhofer-Instituts für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP (Dresden) gezeigt. Schon seit 2020 wird das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie mehreren Firmen geförderte AR-Assistenzsystem für die Bereitstellung und Visualisierung von Daten in Industrieprozessen entwickelt, das Arbeitsbedingungen und Produktionsprozesse verbessern will, etwa für den Flugzeugbau oder in der Elektronikfertigung. Wir ließen uns von dem FEP-Abteilungsleiter Bernd Richter den AR-Helm vorführen und selbst aufsetzen – die Überblendung von Realsicht und eingeblendeten Daten verblüfft schon jetzt, auch wenn Fragen bezüglich Tragekomfort, Motion Sickness und Datenbereitstellung bleiben. Wir werden das Projekt in einer der kommenden Ausgaben näher vorstellen.
Gelungene Messetage
Die geschilderten Begegnungen sind freilich nur ein kleiner Ausschnitt unserer Messe-Erfahrungen. Die Bilder, die wir auf der Messe machen konnten, legen ein Zeugnis vom Engagement und von der glänzenden Stimmung der Aussteller und Besucher ab.