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Dienstag, 31 Januar 2023 10:59

Wer erringt die Pole-Position im SMT-Technologierennen?

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Geschätzte Lesezeit: 3 - 6 Minuten
Wer erringt die Pole-Position im SMT-Technologierennen? Bild: Tommie Hansen/CC BY 2.0)

In den Vorträgen des 23. Europäischen Elektroniktechnologie-Kollegs (EE Kolleg) in der Stadt Colonia de Sant Jordi auf Mallorca wurde anhand von Beispielen aufgezeigt, was bereits im Hinblick auf die Pole-Position möglich ist und wohin sich die Technologie entwickelt.

Wie in den Vorjahren wurde das Europäische Elektroniktechnologie-Kolleg von den Firmen ASM Assembly Systems, ASYS Automatisierungssysteme, Balver Zinn Josef Jost, Christian Koenen, kolb Cleaning Technology, Rehm Thermal Systems und Zevac veranstaltet. Beim Networking, einem wichtigen Element des Kollegs, wurde intensiv über neue Konzepte und Ideen diskutiert. Erneut übernahm Dr. Hans Bell die Moderation.

Bei der Eröffnung ging Dr. Hans Bell auf die derzeitige allgemein kritische Situation ein und zählte dazu einige Beispiele auf, was vor hundert Jahren – auch damals gab es eine Wirtschaftskrise und extreme Inflation - in der Stralsunder Zeitung stand. Aber die Technik hat sich rasant entwickelt: beispielsweise realisiert inzwischen TSCM für Apple Nanometer-Strukturen.

Dr. Hans Bell (Mitte) und ReferentenDr. Hans Bell (Mitte) und Referenten

Ulf Oestermann beim PausengesprächUlf Oestermann beim Pausengespräch

Für Simultaneous Engineering ist Kommunikation entscheidend

Im ersten Vortrag mit dem Titel „Simultaneous Engineering – Wie ein EMS-Unternehmen erfolgreich Produkte entwickelt“ betonte Hubert Kraus, Zollner Elektronik AG, Zandt, am Anfang: „Agil ist nicht chaotisch.“ Denn für ein erfolgreiches Simultaneous Engineering sind angepasste Prozesse mit zusätzlicher Dokumentation, was nötig ist, erforderlich. Hubert Kraus verdeutlichte den Projektablauf anhand des bei Zollner Elektronik angewendeten hybriden agilen V-Modells. Zu diesem gehört als entscheidender Faktor eine intensive Kommunikation aller Beteiligten, was v. a. auch räumliche Nähe erfordert und in seinem Unternehmen genau so umgesetzt wird.

Robotertechnik in der Elektronikindustrie

Stefan Wespel, Diehl AKO, berichtete über den Einsatz von Robotertechnik in der Elektronikindustrie – Erfahrungswerte bei Diehl Controls. Er ging dabei auch auf die Entwicklung der Fertigungsstruktur ein. Die klassischen SMT-, THT- und Prüffeldanlagen sind bei Diehl schon in einer alles umfassenden Linie integriert. Die Vision ist, dass auch sonst alles vollautomatisch erfolgt. Deshalb laufen Roboterprojekte u. a. für die Verpackung, und für die THT-Bestückung sowie zur Standardisierung der Roboterzellen. Bei Diehl sind inzwischen vier Bestück-Roboter und einer im Verpackungsbereich erfolgreich im Einsatz.

CO2-neutrale Fertigung mit Sekundärrohstoffen

Wie man mit Sekundärrohstoffen zu einer CO2-neutralen Fertigung kommen kann, ging aus dem Beitrag von Dan Mutschler, MTM Ruhrzinn, hervor. Er zeigte auf, dass Sekundärrohstoffe die besseren Materialien sind, denn diese weisen die gleiche Qualität und zudem eine deutlich bessere Ökobilanz auf. Für die Produktion von Reinzinn aus Lotrückständen (Krätze, überalterte Lotpasten usw.) wird nur etwa ein Hundertstel an Energie wie für die Gewinnung und Herstellung aus Erzen benötigt. Ähnliches gilt für viele andere Metalle wie z. B. Gold. Dan Mutschler legte auch dar, was sein Unternehmen an Support für die Rücknahme von Abfällen aus der Elektronikproduktion anbietet. 

Werner Kreibl, einer der Gründer von ASYS (rechts) im PausengesprächWerner Kreibl, einer der Gründer von ASYS (rechts) im Pausengespräch

Dr. Christoph Lehnberger im Gespräch mit TeilnehmerDr. Christoph Lehnberger im Gespräch mit Teilnehmer

Digitaler Zwilling und Simulation in der Elektronikfertigung

Die Möglichkeiten des Digitalen Zwillings in der Elektronikfertigung erläuterte Ulf Oestermann, Fraunhofer IZM, in seiner unnachahmlichen Weise. Vielfalt und Komplexität sind kennzeichnend für die moderne Elektronikfertigung, was eine große Herausforderung für die Digitalisierung und insbesondere auch für die Erstellung sowie Anwendung Digitaler Zwillinge ist. Denn schon aufgrund des Aufwands kann nicht alles simuliert werden und die Probleme durch ungünstiges Design können damit nicht gelöst werden. Ulf Oestermann zeigte anhand von Beispielen die Grenzen auf.

Über die Entwicklung optimierter SMT- und THT-Prozesse mit Hilfe von Simulation informierte Reinhardt Seidel, FAPS. Denn nur Designregeln anzuwenden, ist der falsche Ansatz. Am Beispiel des Lotdurchstiegs beim Selektivlöten verdeutlichte er, was die Simulation hier leisten kann, aber auch den dafür nötigen Aufwand. Die Erstellung des Modells einer 3D-Lötstelle sowie die Modellierung und Simulation des Lötvorgangs dauern mehrere Tage. Eine neue Smart Selective App, die mit KI arbeitet, erleichtert die optimale Auslegung der Lötstellen.

Marktsituation und Technologietrends bei Leiterplatten

Mit einem Beitrag von Dr. Christoph Lehnberger, Andus Electronic GmbH, Berlin, über die Marktsituation, Technologietrends und neue Anwendungen bei Leiterplatten endete der erste Vortragstag. Nachdem er auf die Entwicklung der Marktdaten seit 2020 eingegangen war, erläuterte Dr. Christoph Lehnberger anhand von Beispielen aus seinem Unternehmen die aktuellen Technologietrends. Dazu gehören 3D-Aufbauten, neue Prozesse wie Digitaldruck, neue HF-Materialien, Power-PCB und neue Anwendungen im THz-Bereich und der Radioteleskopie.

ESD-Schutz beim Bestücken

Prof. Dipl.-Ing. Peter Jacob, Empa Swiss Federal Laboratories for Materials Science and Technology, Dübendorf, Schweiz, betrachtete die ESD-Risiken in Bestückungsanlagen sowie neuartige Messverfahren und ESD-Abhilfemaßnahmen, wobei er auf die entsprechende Richtlinie RL 1013 des ESD-Forums e. V. verwies. Der ESD-Schutz ist heute hauptsächlich ein Problem der immer schnelleren Prozessautomaten. So entsteht beispielsweise beim Bestücken der Hauptteil der elektrischen Ladung, wenn die Bauteile beim Platzieren auf der Leiterplatte vom Bestückungswerkzeug losgelassen/getrennt werden. In die Automaten integrierte Ionisierer können hier Abhilfe schaffen, wie erläutert wurde.

 

Dr. Richard Scheicher bei der Demo des Lawinen-AirbagsDr. Richard Scheicher bei der Demo des Lawinen-Airbags

Prof. Dipl.-Ing. Peter Jacob nach dem VortragProf. Dipl.-Ing. Peter Jacob nach dem Vortrag

Dan Mutschler mit Bert Schopmans und Fred StaudDan Mutschler mit Bert Schopmans und Fred Staud

 

Mehrwert durch Prozessvielfalt

Dass Box-Build – Mehrwert durch Prozessvielfalt schafft, verdeutlichte Dr. Richard Scheicher, BMK Group GmbH, Augsburg. Denn Vergießen, Silikonieren, Beschichten, Montieren etc. werden zum Standard in der professionellen Elektronikfertigung. In einem Video zeigte er die in seinem Unternehmen dafür eingerichteten Montagezellen. Damit können für Kunden Produkte komplett gefertigt werden, was er am Beispiel eines Lawinen-Airbags auch demonstrierte.

Package Footprints

Dr. Frank Steinhäußer, Infineon Technologies AG, Regensburg, informierte über moderne Package Footprints – Anforderungen und Trends, wobei der Schwerpunkt auf Bottom Termination Components (BTC) lag. Das Design der Footprints (Lötflächenbild) hat Einfluss auf die Benetzung der Anschlüsse mit Lot und die Selbstzentrierung der Bauteile beim Löten sowie auf die Ergebnisse der AOI. Er empfahl, die vom Bauteilhersteller erstellten optimierten Footprints zu nutzen. Ein Downloaden dieser Footprints ist über die Webseiten der Bauteile möglich.

Neue Möglichkeiten durch beheizte Leiterplatten

Im letzten Vortrag stellte Dr. Dirk Seehase, IEF/IGS der Universität Rostock, neue Möglichkeiten der Zuverlässigkeitsprüfung mittels beheizter Leiterplatten vor. Die Beheizung erfolgt durch in die Leiterplatten eingebrachte Schichten mit resistiven und induktiven Materialien. Letztere wurden beschrieben und deren Anwendungsmöglichkeiten, die bis hin zum Löten reichen und auch Qualifikationstests umfassen, aufgezählt.

Das 23. Europäische Elektroniktechnologie-Kolleg wurde mit einer Diskussion, bei der Fragen beantwortet wurden, beendet. Diese und die Networking-Gespräche zeigten, dass neue Konzepte und Ideen sowie ein intensiver Austausch weiterhin gefragt sind.

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