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Montag, 06 Februar 2023 10:59

Kastanien aus dem Feuer holen

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Geschätzte Lesezeit: 3 - 6 Minuten
Vorsicht! Heiß! Vorsicht! Heiß! Bild: Adobestock

An frisch gerösteten Kastanien kann man sich bei winterlichen Temperaturen ganz hübsch die Finger verbrennen. Das ist in der elektronischen Fertigung nicht anders.

Hier ist beim Löten einiges  schiefgelaufen...Hier ist beim Löten einiges schiefgelaufen...Kein Wunder, dass der Affe in der Fabel der Katze das riskante Manöver aufschwatzte, die Kastanien aus dem Feuer zu holen [1], obgleich ja diese Räuber eher Mäuse, Vögel und Eidechsen massakrieren und fressen. In der elektronischen Fertigung röstet man zwar äußerst selten Maroni, aber mit hohen Temperaturen hat man es doch zu tun. Denn alleine schon das Schmelzen der Legierung ist gefordert, wenn man die beiden Fügeelemente elektrisch leitend verbinden will. Das sind dann Bauteile und Leiterplatte oder Draht und Buchse.

Dass mit der Hitze nicht immer vorsichtig umgegangen wird, erkennt man in vielen Reparaturabteilungen, wo die Lötkolben auf Anschlag geschaltet sind. Je heißer desto schneller – leider aber nicht desto besser, denn auf diese Weise entstehen viele Schäden und Qualitätseinbußen.

Beim Reflowlöten von Leiterplatten kommen Öfen zum Einsatz – meist Konvektionstypen –, und die Produktingenieurin möchte bestimmt gerne wissen, was in ihrem Ofen passiert.

Da spricht man dann von thermischen Profilen und es kommt darauf an, ob die nur zur regelmäßigen Prozessüberwachung erstellt werden oder ob eine Neues in der Maschine eingerichtet werden soll. Denn seit der Zeit der bleifreien Lote kann man selten auch verwandte Produkte mit der gleichen Temperaturbeaufschlagung fertigen.

In diesem Fall sind einige theoretische und fachliche Fragen zu beantworten. Dazu muss man die Leiterplatte mit den Bauteilen gut kennen und ebenso die Eigenschaften der Chemikalien in der Paste. Letztere sind inzwischen weit kritischer geworden, denn den lieben Industriechemikern ist es bisher noch nicht gelungen, umwelt- und gesundheitsmäßig (weitgehend) harmlose Säuren in ihren Nachschlagewerken zu finden, welche für gerade angesagte Temperaturen gut funktionieren. Immerhin sollen sie vor dem Erreichen der Schmelztemperatur nicht verhungern und dann beim Benetzen ihre Arbeit leisten. Zusätzlich wünschte man sich, dass sie anschließend schnell verdampfen oder mindestens in weitgehend harmlose Rückstände auf der Baugruppe zerfallen.

Gefürchtet wird der Kopfkissendefekt

Die gewiefte Ingenieurin erwartet für ihre Leiterplatte perfekte ErgebnisseDie gewiefte Ingenieurin erwartet für ihre Leiterplatte perfekte ErgebnisseBei der Leiterplatte und den Bauteilen sind Höchsttemperatur und Geschwindigkeit der Erwärmung (Delta T- oder auch Gradient) gleich wichtig, denn das Verbiegen und Verwerfen sowie der Ausfall bei Bauteilen ist betroffen. Der gefürchtete Kopfkissendefekt tritt ein, wenn die Verbindung zwischen Paste und Bauteilkugel im unrichtigen Moment verloren geht.

Die meisten Hersteller geben für ihre temperaturempfindlichen Bauteile an, welche Höchsttemperaturen und Verweilzeiten nicht überschritten werden sollten, wobei sie meist das ‚Warum' verheimlichen.

Bei der Reflowanlage übersehen die Betreiber oft, dass sich ihr Temperaturverhalten beim Anfahren sowie beim Betrieb dauernd ändert. Um eine stabile Innenumwelt zu erhalten muss nicht nur die Anheizperiode voll gefahren, sondern auch der Einfluss der Produktion berücksichtigt werden, denn jede Baugruppe, die in die Maschine läuft entzieht ihr Energie und beeinflusst somit das Temperaturprofil.

Um nachvollziehbare Werte zu erhalten, muss die Maschine also im normalen Betrieb laufen. Das bedeutet, dass etwa der Abstand zwischen den Baugruppen möglichst gleich gehalten wird, was mit den Kontrollgeräten zu tun, hat, die bei einem Temperaturabfall etwa überkompensieren.

Aus dem nämlichen Grund lässt man das Messgerät in geziemendem Abstand nach der Baugruppe in die Anlage fahren. So vermeidet man potentielle und unerwünschte Fehler bei den Messungen, denn auch die thermischen Eigenschaften des Instruments beeinflussen eventuell die Innentemperatur. Schließlich wird es selbst in einem Isolationskistchen verpackt, damit die Lötstellen im Innern nicht aufschmelzen.

Zwar kann man auch mit einem Fahrtenschreiber das Profil aufnehmen, aber heutzutage verwenden die meisten Betriebe spezielle Geräte, zum Teil aus Bequemlichkeit, zum Teil aufgrund der Vermarktung – natürlich aber auch wegen der Möglichkeiten solcher Geräte, denn sie erlauben mehrere Thermoelemente gleichzeitig zur Messung zu verwenden. Somit können kritische Punkte auf der Baugruppe (z. B. oben und unten) in einem Durchgang erfasst werden.

Hersteller und Vertreiber solcher Instrumente bieten natürlich Kurse an, die neben der Reklame oft auch wichtige Hinweise rüber bringen, wie etwa die Drähte nicht stramm zu ziehen sondern mit Schleifen zu versehen, so dass eine plötzliche Spannung im Ofen den Fühler nicht abheben lässt.

Diese Instrumente sind auf spezielle Thermoelemente ausgerichtet, was nicht übersehen werden sollte. Das ist übrigens ein eigenes Thema und der Prozessingenieur sollte sich nicht nur über die verschiedenen Drahtkombinationen schlau machen sondern auch verstehen wie und wann und wie schnell sie messen.

Die ‚goldene Baugruppe’ hält nicht ewig

Kapton-Klebeband erlaubt es, Thermoelemente anzubringen, die später rückstandsfrei entfernt werden könnenKapton-Klebeband erlaubt es, Thermoelemente anzubringen, die später rückstandsfrei entfernt werden könnenDeren Anbringung ist das nächste Problem, denn da bieten sich einige Alternativen an. Meist wird eine ‚goldene Baugruppe’ präpariert, die dann öfters zum Einsatz kommt. Jedoch sollte klar sein, dass nach einigen Durchgängen (Zehn? Zwanzig?) durch die Anlage solche Baugruppen keine verwertbaren und zuverlässigen Messungen mehr ergeben und eine neue zum Einsatz gebraucht wird. Die alte ist Schrott oder besser gesagt ‚Sondermüll'.

Soll die Baugruppe nach der Messung verkauft werden, dann muss die Anbringung der Thermoelemente deren rückstandsfreie Entfernung erlauben. Kapton-Klebeband bietet sich dann eventuell an. Einige Messungen entgehen einem dann aber, wie etwa unter großflächigen Bauteilen.

Moderne Anlagen bieten heutzutage die Möglichkeit, die Prozessdaten direkt zu speichern. Damit kann man dann die gewünschten Profile auf Tastendruck aufrufen, wenn eine neue Baugruppe gefertigt werden soll.

Die gewiefte Prozessingenieurin hat aber bereits ihre eigene Datensammlung auf ihrem Laptop eingerichtet. Da stehen dann nicht nur die erstellten Daten und ein hübsches Bildchen des erzielten Profils, sondern auch die Baugruppe mit und ohne Thermofühler ist gezeigt. Dazu kommt dann Information über die Leiterplatte, die gefährdeten Bauteile sowie die Maßnahmen und Überlegungen bei der Wahl und Form des Profils. Zusätzlich sind Details über die verwendete Paste und die Druckschablone abgespeichert.

Solche Datensammlungen sind nicht nur aus Sicht der Information wichtig, sondern durch Vergleiche mit anderen Profildaten sowie Berechnungen kann man viel über den Prozess und die Anlage lernen.

Schlau und wohlinformiert wie nun einmal unsere obige Ingenieurin ist, hat sie vorsichtshalber alles auch auf mehreren UBS-Speichern abgesichert. Man weiß ja nie ob Murphy [2] denn doch wieder recht behält und erbarmungslos zuschlägt.

Literatur

22 Simple Tips for Running Successful Thermal Profiles, ECD, 2022 (www.ecd.com)
Attaching Thermocouples to a PCB for Reflow Profling, Indium Corporation (www.indium.com)
Ed Briggs; Ronald C. Lasky: Best Practices Reflow Profling for Lead-Free SMT Assembly

Sonstige Verweise

www.kapton-klebeband.de
www.leadsintec.com

Referenzen

[1] Die Redensart geht auf eine orientalische Fabel zurück. Darin überredet ein (schlauer) Affe eine (weniger schlaue) Katze, für ihn geröstete Kastanien aus dem Feuer zu holen. Bei La Fontaine (1621–1695) taucht dieses Thema in der Fabel IX, 15 auf
[2] Murphys Gesetz (Murphy’s law) wird dem US-amerikanischen Ingenieur Edward A. Murphy jr.zugeordnet: „Anything that can go wrong will go wrong.“ („Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.“) – Es geht wohl zurück auf John W. Campbell Jr. (1910–1971)

Weitere Informationen

  • Jahr: 2023
  • Autoren: Armin Rahn

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