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Dienstag, 07 März 2023 10:59

Sachsen bereitet sich auf neue Ansiedlungen vor

von Heiko Weckbrodt
Geschätzte Lesezeit: 4 - 8 Minuten
Die schwedische Tech-Firma Alixlabs forscht inzwischen in Dresden am Vorstoß in Chipstrukturen unterhalb von 10 Nanometern, wie es bisher nur TSMC und Samsung vermögen. Hier zu sehen: Dr. Dmitry Suyatin, Dr. Amin Karimi und Dr. Reza Jafari Jam von Alixlabs im Reinraum Die schwedische Tech-Firma Alixlabs forscht inzwischen in Dresden am Vorstoß in Chipstrukturen unterhalb von 10 Nanometern, wie es bisher nur TSMC und Samsung vermögen. Hier zu sehen: Dr. Dmitry Suyatin, Dr. Amin Karimi und Dr. Reza Jafari Jam von Alixlabs im Reinraum Foto: Universität Lund

Um sich auf künftige Hi-Tech-Ansiedlungen und Ausbaupläne strategisch vorzubereiten, baut Sachsen einen alten Militärflugplatz nördlich von Dresden prophylaktisch zu einem der größten Industrieparks in Ostdeutschland aus. Damit zieht der Freistaat auch Konsequenzen aus dem verlorenen Wettbewerb um die Intel-Fabrikansiedlung. Parallel dazu will eine schwedische Universitätsausgründung in Sachsen ein neues Trockenätzverfahren zur Fabrikreife führen – und Fraunhofer baut eine neue Akademie für Mikroelektronik auf.

Die neue Mikroelektronik-Akademie soll für mehr und besser ausgebildete Fachkräfte in der deutschen Halbleiterbranche sorgenDie neue Mikroelektronik-Akademie soll für mehr und besser ausgebildete Fachkräfte in der deutschen Halbleiterbranche sorgenDie von der Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland (FMD) aufgebaute Akademie soll Fachkräfte für die – auch im Zuge des europäischen Chipgesetzes – expandierte deutsche Mikroelektronik aus- und weiterbilden. Unterdessen arbeitet ein schwedisches Unternehmen im Silicon Saxony gerade an einem Weg, wie Europas Halbleiterindustrie auch ohne die sündhaft teuren EUV-Anlagen von ASML in die Sub-10-nm-Welt vorstoßen kann.

Im Vorgriff auf zukünftige Großansiedlungen gestaltet die sächsische Landesregierung den ehemaligen Militärflugplatz Großenhain nördlich von Dresden zu einem 145 ha großen Industriepark um. Damit will der Freistaat dem Mangel an sofort verfügbaren großen Fabrik-Bauflächen begegnen, der anscheinend auch bei der Entscheidung des US-Halbleiterriesens Intel für Magdeburg und gegen die sächsische Offerte bezüglich einer Ansiedlung eine Rolle gespielt hatte. Damals hatte der Freistaat zwar nach einigen Mühen den Amerikanern eine größere Fläche im Leipziger Raum anbieten können, aber diese wäre nicht sofort bebaubar gewesen.

Immerhin macht sich Sachsen weiter Hoffnung darauf, dass sich der weltweit größte Chip-Auftragsfertiger TSMC aus Taiwan hier ansiedeln könnte. „Investitionen und Ansiedlungsentscheidungen in der Vergangenheit haben gezeigt, wie wichtig es ist, Flächenvorsorge auch für Großvorhaben zu treffen“, betonte Staatskanzleichef Oliver Schenk (CDU). „Wenn wir solche Flächen haben und grundlegende Vorarbeiten bereits erledigt sind, die Investoren also schnell loslegen können, ist das natürlich ein großes Plus.“

Neue Chip-Akademie soll für mehr Fachkräfte sorgen

Am 1. 12 2022 wurde Prof. Gerhard Kahmen, Wissenschaftlich-Technischer Geschäftsführer des Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik (IHP), zum Direktor der Mikroelektronik-Akademie ernanntAm 1. 12 2022 wurde Prof. Gerhard Kahmen, Wissenschaftlich-Technischer Geschäftsführer des Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik (IHP), zum Direktor der Mikroelektronik-Akademie ernanntNeben geeigneten Flächen, Subventionen, ausreichend Wasser vor Ort und einer zuverlässigen sowie preiswerten Energieversorgung zählt die Fachkräfteverfügbarkeit längst zu den Top-Ansiedlungskriterien für Mikroelektronik- und andere Hightech-Unternehmen. Absehbar ist, dass der Freistaat über seine bereits beschlossene ‚Sächsische Fachkräftestrategie 2030' hinaus weitere Weichen stellen muss, damit Investitionen im Lande nicht am Personalmangel scheitern. Dazu gehört die jüngste Initiative der Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland (FMD). Dieser von Fraunhofer dominierte Verbund aus Instituten, Reinräumen und Halbleiterpilotlinien baut nun eine eigene ‚Mikroelektronik-Akademie' auf. Die Akademie wird über das ganze Bundesgebiet verteilt sein. Die Zentrale in Berlin, der Mikroelektronikstandort Dresden sowie der ehemalige DDR-Halbleiterstandort Frankfurt/Oder dürften dabei eine besondere Rolle spielen.

Die Mikroelektronikakademie soll laut der FMD-Zentrale neue Inhalte und Formate zur Ausbildung von Fachkräften auf dem Gebiet der Mikro- und Nanoelektronik entwickeln und erproben. Gedacht seien diese Bildungsangebote „als Ergänzung zur universitären Ausbildung oder als Zusatzqualifikation“. Gekoppelt und finanziert wird die Akademie über das neue Modul für ‚Quanten- und neuromorphes Computing' (QNC) sowie das ‚Kompetenzzentrum für eine ressourcenbewusste Informations- und Kommunikationstechnik' (GreenICT@FMD) an der Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland.

In Dresden war bereits im Jahr 2002 aus einem örtlichen Siemens-Berufsausbildungszentrum eine Chip-Akademie entstanden, an der ansässige Halbleiterunternehmen beteiligt waren. Nach der Qimonda-Pleite änderten sich der Betreiber und der Stellenwert der Akademie. Inzwischen betreibt SBH Nordost die ‚Dresden Chip Academy', die wiederum zur Stiftung ‚Bildung & Handwerk' aus Paderborn gehört.

Neue Lehrlinge, Fachkräfte und Akademiker für die deutsche Halbleiterbranche zu gewinnen, wird in Sachsen und bundesweit mittlerweile zu einem drängenden Problem: Suchten nach der Wende noch zahlreiche DDR-Mikroelektroniker aus Dresden, Erfurt, Frankfurt/Oder und Teltow nach neuen Jobs, so ist dieses Fachkräftereservoir durch Infineon, X-Fab, Globalfoundries, Bosch und andere Akteure längst aufgesogen. Durch die neuesten Ausbaupläne in Dresden, die geplanten Intel-Megafabs in Magdeburg, die erhoffte Ansiedlung von TSMC in Sachsen und weitere Investitionen steigt der Bedarf weiter, während durch den demografischen Wandel der ‚innere' Nachschub für die Branche immer dünner wird.

Schwedischer Vorstoß in die Sub-10-nm-Welt

Jonas Sundqvist mit einem Wafer-CarrierJonas Sundqvist mit einem Wafer-CarrierUnterdessen arbeiten Ingenieure, Chemiker, Physiker und weitere Akademiker in Dresden auch an innovativen technologischen Ansätzen, um die sächsische und deutsche Mikroelektronik-Industrie auf eine neue Stufe zu heben. Konkret will die schwedische Universitätsausgründung Alixlabs aus Lund in Sachsen ein neues Trockenätzverfahren zur Fabrikreife führen. Das soll die Produktion von Nanoelektronik der neuesten Generation deutlich preiswerter möglich machen als bisher kalkuliert. Laut Alixlabs-Chef Jonas Sundqvist lassen sich damit auch ohne teure Extremultraviolett-Belichter (EUV) besonders feine Chipstrukturen von weniger als zehn Nanometern erzeugen.

„Das Fraunhofer-Ökosystem hier in Dresden bietet für uns die besten Möglichkeiten, unser Verfahren zügig vom Labor in den Fabrikmaßstab zu überführen“, sagte Sundqvist. Vor allem das Fraunhofer-Nanoelektronikzentrum CNT und das neue ‚Center for Advanced CMOS & Heterointegration Saxony' (Cachs) in der ehemaligen Elektronikpapierfabrik von Plastic Logic böten gute Möglichkeiten, die neue Technik gleich auf Pilotlinien mit 300 mm großen Siliciumscheiben (Wafers) zu transferieren. In Schweden gebe es solche Möglichkeiten leider nicht. Diese und weitere Infrastrukturen am Mikroelektronikstandort Dresden seien entscheidend gewesen, sich nach einer internationalen Standortsuche für den Freistaat zu entscheiden: „Wir wollen unsere Technologie rasch in den Markt einführen.“

Der Mikroelektronik-Experte Sundqvist hatte 2019 gemeinsam mit einem Team von der Uni Lund Alixlabs gegründet. Die Firma spezialisierte sich auf die Atomlagen-Ätztechnik (‚Atomic Layer Etching', kurz: ALE) und entwickelte sie zum ‚Atomic Layer Etch Pitch Splitting' (APS) weiter, das besonders kleine Nanoelektronikstrukturen erzeugen kann. Dabei spalten sie bereits vorgegebene Nanostrukturen. Zwar ist in der Regel eine Kombination mit klassischen und neueren Lithografieverfahren, Mehrfachstrukturierung (Multiple Patterning) sowie anderen Chip-Produktionstechniken nötig und möglich, um letztlich komplette Halbleiterstrukturen zu generieren. Doch durch die Ätzschritte soll eben auch der Vorstoß in die Nanowelt auch ohne EUV gangbar werden und die Fertigungskosten deutlich senken. Alternativ sei es möglich, die Technik mit EUV zu kombinieren und dadurch noch feinere Strukturen zu produzieren, betonte Sundqvist.

Bisher funktioniert das Verfahren laut Alixlabs im Labormaßstab bis hinunter zu zwei Nanometern. Nun aber müssen die Schweden den Beweis antreten, ob und wieviel ihr Verfahren auch im Fabrikmaßstab taugt. Im Mai 2022 haben die Versuche im Dresdner CNT-Reinraum begonnen. Weil der Transfer dauern wird, will Alixlabs demnächst eine Tochterfirma in Sachsen gründen. Die Belegschaft in Schweden und Sachsen soll in den nächsten Jahren schrittweise bis auf zunächst 30 Beschäftigte wachsen.

Ab der Jahreswende 2026/27 will Sundqvist das schwedische Ätzverfahren dann soweit haben, dass die ersten Kunden diese Systeme in großen Chipfabriken hochfahren können. Dann soll die Uni-Ausgründung auch die ersten größeren Umsätze durch Lizenzvergaben erlösen. Um die Zeit und Kosten bis dahin zu überbrücken, wollen die Schweden ab 2023 weiteres Geld von Risikokapitalisten einsammeln.

Schweizer Raumfahrtschmiede baut in Sachsen Chiplithografie-Sparte auf

Ebenfalls mit Blick auf sich gerade formierende neue Wertschöpfungsketten in der Mikroelektronik von Sachsen, Deutschland und Europa gedacht ist eine Weichenstellung des Schweizer Raumfahrtunternehmens Beyond Gravity: Die Tochter des Ruag-Technologiekonzerns baut derzeit in Coswig bei Dresden sowie in Zürich eine eigene Lithographie-Sparte auf. Angesichts der langfristig wachsenden Nachfrage für Digitalisierung und Künstliche Intelligenz werde diese neue Sparte der Mikroelektronik ihre Belegschaft an beiden Standorten in den kommenden Jahren rasch ausbauen, kündete das eidgenössische Mutterunternehmen an.

„Unsere neue Division ,Lithography' ist Beyond Gravitys Antwort auf die wachsende Nachfrage im Halbleitergeschäft“, erklärte Unternehmens-Chef André Wall in Zürich. „Wir sehen großes Potenzial und investieren substanziell in den Aufbau unserer Produktionskapazitäten.

Blick in die Reinräume der Ruag-Tochter ‚Beyond Gravity‘ in Coswig bei DresdenBlick in die Reinräume der Ruag-Tochter ‚Beyond Gravity‘ in Coswig bei Dresden

Zwar fertigt Beyond Gravity keine kompletten Lithografie-Anlagen für Chipfabriken, wie es beispielsweise ASML in den Niederlanden tut. Aber in den Reinräumen in der Schweiz und in Sachsen entstehen spezielle Stabilisatoren und Blenden, die Ruag ursprünglich für Satelliten und Raketen entwickelt hatte. Diese Präzisionsbauteile liefert der Nachfolger Beyond Gravity aber auch an die deutsche Zeiss-Halbleitertechniksparte ‚Semiconductor Manufacturing Technology' (SMT), die daraus Lithografie-Optiken, Laseroptiken und andere optischen Systeme herstellt. Und die verkauft Zeiss dann wiederum an Anlagenhersteller für die globale Halbleiterindustrie. Insofern ist eben beispielsweise Beyond Gravity auf dem ehemaligen Walzwerkgelände in Coswig ein kleines, aber nicht ganz unwichtiges Glied in der langen Wertschöpfungskette vom Sand über dem kompletten Chip bis hin zum Computertelefon oder zur ‚Industrie 4.0'-Maschinensteuerung.

Der Coswiger Standort von Beyond Gravity war ursprünglich ein regionales Ingenieurunternehmen, das sich auf Raumfahrttechnik spezialisiert hatte. 1996 als Hoch Technologie Systeme GmbH (HTS) gegründet, wurde der Betrieb 2016 vom Schweizer Technologiekonzern Ruag gekauft.

Heiko Weckbrodt ist Journalist und HistorikerZur Person

Heiko Weckbrodt ist Journalist und Historiker. In Dresden betreibt er das Nachrichtenportal Oiger.de mit dem Fokus Wirtschaft, Wissenschaft und Innovationspolitik in Sachsen. Er verfasst aber auch Gastbeiträge für Zeitungen und Zeitschriften.

Weitere Informationen

  • Ausgabe: 2
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Heiko Weckbrodt

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