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Mittwoch, 08 März 2023 10:59

„Und der Strauß muss heftig drücken ...“

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Geschätzte Lesezeit: 4 - 7 Minuten
Alles noch heile? Madame Vogel Strauß begutachtet ihr ‚frischgepresstes‘ Werk Alles noch heile? Madame Vogel Strauß begutachtet ihr ‚frischgepresstes‘ Werk Bild: AdobeStock

„... Bis das große Ei gelegt [1]“. Die Respektlosig- und Mehrdeutigkeit seiner Formulierung war Wilhelm Busch sicherlich bewusst und wird wohl demnächst von Moderngermanisten mit Doktorarbeiten angegangen werden [2], die sich in die Überschriftleisten der entsprechenden Journale katapultieren wollen, aber z. B. Freud [3] nicht gelesen haben. Das ‚Drücken' aber wird auch in der elektronischen Fertigung praktiziert, wobei es dort eventuell weniger Spaß bereitet als dem Strauß.

Abb. 1: Einpressvorrichtungen und Werkzeuge für Handbearbeitung von Steckverbindungen in der ElektronikfertigungAbb. 1: Einpressvorrichtungen und Werkzeuge für Handbearbeitung von Steckverbindungen in der ElektronikfertigungDie Einpresstechnik ist lange bekannt, hat sich aber inzwischen ziemlich weiterentwickelt. Das muss selbstverständlich auf einigen Vorteilen beruhen, die dieses Vorgehen gegenüber dem Standardverbindungsweg, dem Löten, eben hat

Hervorzuheben ist hier die Haltbarkeit der Kontaktierung. In umfangreichen Untersuchungen hat die Verbindung, die durch das Einpressen geschaffen wurde, weit besser abgeschnitten als das Löten. Sie wird nur durch den Drahtwickelprozess geschlagen, der noch etwas haltbarer zu sein scheint.

Das ist der Grund warum sich speziell die Automobilindustrie und die Raumfahrt für die Einpresstechnik erwärmen, denn bei denen wackelt und vibriert es besonders oft und heftig. Man schaue sich nur einige der verrückten Verfolgungsjagden in den James-Bond-Filmen an! Zehnmal haltbarer als eine gute Lötung, wie es suggeriert wird, ist schon die Aufmerksamkeit wert.

Der zumeist angeführte Vorteil der Einpresstechnik ist, dass Lötfehler vermieden werden. Doch das ist, wie so oft, primitive Augenwischerei, denn das Einpressverfahren hat seine eigene Liste von Fehlern, die auch nicht viel angenehmer sind als miese Lötungen und mindestens den gleichen Aufwand zur Vermeidung und Fehlerfindung erfordern.

Tab. 1: Vergleich der Haltbarkeit unterschiedlicher Verbindungsmethoden [4]Tab. 1: Vergleich der Haltbarkeit unterschiedlicher Verbindungsmethoden [4]

Zudem müssen die Damen und Herren im Entwurfsbüro die Vorgaben sowohl für das Löten wie auch das Einpressen kennen und berücksichtigen. Das gilt für die Leiterplatte wie auch für den Maschinenpark, denn es gibt kritische Unterschiede. So sind die geforderten Toleranzen enger als selbst beim bedrahteten Bestücken. Demnach ist alleine schon die Wahl des Leiterplattenherstellers ins Auge zu fassen, denn sonst wird viel Schrott anfallen.

Abb. 2: Links der ‚Action‘– rechts der ‚Multispring‘-Stift [4]Abb. 2: Links der ‚Action‘– rechts der ‚Multispring‘-Stift [4]Es existiert eine ganze Liste von möglichen Stiften, und so muss man sich entscheiden, was am besten geschieht, wenn sich da jemand auskennt und entsprechendes Wissen mitbringt – sei angelesen oder aus eigener Erfahrung gewonnen. Jeder der Stifte, z. B. der ‚Action’- oder der ‚Multispring'-Stift, hat gewisse Anforderungen, die – wenn die Unterscheide nur gering sind – dennoch die Kupferschicht und die Stabilität der Leiterplatte betreffen.

Zudem würden sich die Prozessingenieure auch freuen, wenn schon im Entwurf gelegentlich vorkommende Reparaturen eingeplant werden. Denn das Entfernen eines falsch gesetzten Stifts sollte mit speziellen Geräten erfolgen, die oft zusätzliche Anforderungen, wie etwa Positionslöcher, bedingen. Werden die beschädigten Stifte mit der Zange herausgerissen, besteht das Risiko, das Problem noch zu verschärfen.

Die Stifte sind natürlich beschichtet und zwar oft in mehreren Lagen. Das hat Auswirkungen auf das Einpressen wie auch auf die Fehler. Denn sollte etwas bei der Beschichtung abgeschert werden, trudeln eventuell Metallsplitter auf der Baugruppe herum, was man ungern sieht.

Eingepresste Stifte können – eventuell bis zu vier Mal – repariert werden, bevor die Durchkontaktierung die weiße Flagge hisst. Jedoch weiß eine gewiefte Prozessingenieurin auch, dass sie sich nicht nur viel Ärger erspart, sondern auch die Kosten reduziert, wenn sie vorbeugend arbeitet statt repariert.

Abb. 3: Einige der häufiger auftretenden Stiftfehler [5] (Bild: J. Becerra; D. Willie; M. Kurwa: Press Fit Technology Roadmap and Control Parameters for a High Performance Process)Abb. 3: Einige der häufiger auftretenden Stiftfehler [5] (Bild: J. Becerra; D. Willie; M. Kurwa: Press Fit Technology Roadmap and Control Parameters for a High Performance Process)Hier ist dann eine gute Zusammenarbeit zwischen den Bauteil- und Leiterplattenherstellern gefordert, was bei den Zulieferern von Autoelektronik eher machbar ist als bei kleineren Betrieben. Fädelt man gute Ware in den Prozess wird automatisch die Fehlerquote reduziert.

Eine weitere Möglichkeit bietet sich bei automatischen Maschinen an, die jene Kraft, welche zum Pressen eines gewissen Bauteils in die Durchkontaktierungen nötig ist, genauestens messen können. Sind da Abweichungen zu verzeichnen, deutet das auf einen potentiellen Fehler hin – etwa auf abgebogene Stifte.

Das sollte sich jedoch auch im Vorfeld vermeiden lassen, denn mit der neuen sich abzeichnenden 6D-Übertragungsgeschwindigkeit [6] sollte das Analysieren von Bildmaterial (hier die Stifte) mit Hilfe von ‚Künstlicher Intelligenz' (eigentlich altbekannte mathematische Lernmodelle) in sogenannter ‚Jetztzeit' verwirklichen lassen. Die angestrebte Vernetzung aller relevanten Daten kann somit genutzt werden, unangenehme Ereignisse sofort zu erkennen und Maßnahmen zu ergreifen, die weitere solcher Vorkommnisse sofort verhindern statt erst nach Stunden oder Tagen.

Fehlerfindung ist eine eigene Kunst, und die Bilder einer Röntgenanlage korrekt zu interpretieren, will gelernt sein. Immerhin ist das die einzige Methode bei der Einpresstechnik, um alle möglichen Defekte zu orten.

Da sich diese Bestückungsmethode weiterentwickelt, werden immer intensivere Anstrengungen bei den Maschinenherstellern nötig sein. Die Stifte werden dünner und somit empfindlicher. Der Abstand zwischen ihnen nimmt ab und damit muss die Ausrichtung stimmen. Zudem wird in Massenmanufakturen gefordert, dass die Bestückungsrate gesteigert wird, damit dieser Teil der Produktion mit anderen schritthalten kann.

Abb. 4: Fehlerfindung bei Einpresstechnik [7] (Bild: J. Becerra; D. Willie; M. Kurwa: Press Fit Technology Roadmap and Control Parameters for a High Performance Process)Abb. 4: Fehlerfindung bei Einpresstechnik [7] (Bild: J. Becerra; D. Willie; M. Kurwa: Press Fit Technology Roadmap and Control Parameters for a High Performance Process)

Auch in der Produktion muss der Ablauf genauer geregelt werden. Die Handhabung der Bauteile und die Einrichtung der Maschinen erfordert eine gewisse Ausbildung, die in einigen Firmen bereits mit einer Art Diplom gekennzeichnet wird.

Hilfsmittel wie Haltevorrichtungen, Unterstützung und Rahmen werden dem Produkt angepasst.

Ein oft übersehenes Detail ist die Wartung, die wegen der Empfindlichkeit der Bauteile, Leiterplatte und speziell der Bestückungsmaschinen immer wichtiger wird. Steht nämlich eine der Anlagen still, dann sind die Kosten für den Ausfall erheblich. Wie einst ein Prozessingenieur inCiudad Juárez, Mexiko, zynisch meinte: „Steht die Linie noch einen Tag, dann kann sich die Firma einen besseren Fachmann als mich leisten.“

Referenzen

[1] Wilhelm Busch, Fipps, der Affe, München 1879
[2] Wobei, zugegeben, plagiierte Doktorarbeiten bisher nicht bei Germanisten, sondern bei Vertretern der Jurisprudenz auffielen
[3] Sigmund Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, Leipzig und Wien 1905
[4] J. Matsson et al.: Press-Fit Technology, Te Connectivity Whitepaper, 2020, S. 6
[5] J. Matsson et al.: Press-Fit Technology, Te Connectivity Whitepaper, 2020, S. 2
[6] Eric Xu: 6D: The next Horizon, Huawei White Paper
[7] J. Becerra; D. Willie; M. Kurwa: Press Fit Technology Roadmap and Control Parameters for a High Performance Process

Literatur

J. Becerra; D. Willie; M. Kurwa: Press Fit Technology Roadmap and Control Parameters for a High Performance Process, IPC APEX EXPO Conference Proceedings, www.smtnet.com/library/files/upload/press-fit-tech-roadmap-1.pdf (Abruf: 31.1.2023)
P.-L. Doumergu: PressFIT mounting instructions for Microsemi power modules, Application note1905, October 2011
J. Mattsson; T. Callies; B. Kerckhof: Press-Fit Technology, Te Connectivity Whitepaper, 2020, www.te.com/content/dam/te-com/documents/application-tooling/global/Press Fit Technology Whitepaper (English).pdf (Abruf: 31.1.2023)
T. Stolze; M.Thoben; M.Koch; R.Severin: Reliability of PressFIT connections, Infineon Technologies AG, 2008, www.semanticscholar.org/paper/Reliability-of-PressFIT-connections-Stolze-Thoben/08e0f85ad246f785319d6700d1cff469eb90f9c5 (Abruf: 31.1.2023)
PressFIT mounting technology, AN2007-09, Infineon, 2016, www.infineon.com/dgdl/Infineon-Mounting_instruction_for_PressFIT_with_forked_pins-ApplicationNotes-v02_01-EN.pdf?fileId=db3a304316f66ee80117a6f35bc64902 (Abruf: 31.1.2023)
K. Schilloff: Press-Fit Technology: A Great Fit for Today’s Modern Electronics, 2020, www.uic.com/press_fit_technology (Abruf: 31.1.2023)
E. Xu: 6D: The next Horizon, Huawei White Paper, www-file.huawei.com/-/media/corp2020/pdf/tech-insights/1/6g-white-paper-en.pdf (Abruf: 31.1.2023)

Bildverweise

Technisches Büro RBK, www.techbuero-rbk.de

 

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  • Ausgabe: 2
  • Jahr: 2023
  • Autoren: Prof. Rahn

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